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2 Die La-Plata-Staaten in geographischer, ethnographischer, co mm er cicllcr und industrieller Beziehung »ach eigener Anschauung dargestellt von vr. M. Waack, in Cambridge bei Boston, Nordamerika. I. Las Land und seine natnrwisscnschastlichcn Verhältnisse. In den nachfolgenden Aufsätzen habe ich es mir zur Auf gabe gestellt, dem freundlichen Leser dieser neu begründeten geographischen Zeitschrift nach eigener Anschauung ein möglichst treues Bild von denjenigen Ländern Südamerikas zu entwerfen, welche unter dem gemeinsamen Namen „die La-Plata-Staaten" zusammengefaßt werden, und zwar zuerst von deren geogra phischen und naturwissenschaftlichen Verhältnissen, alsdann von den Bewohnern dieser Länder; und schließlich ihre darauf be- - ruhende Bedeutung für den Handel und Wandel, sowohl sür den Export als Import, sowie auch für die nationale Zukunft Deutschlands in Südamerika genauer zu erörtern, wie ich solches in meinen Vorträgen, welche ich während der Monate Januar, Februar und März dieses Jahres in München, Berlin, Leipzig, Frankfurt a./M., Mainz, Hanau, Offenbach, Köln und Hamburg hielt, bereits gethan habe. Deu meisten meiner Leser wird es bekannt sein, welch eine große Bedeutung im Welthandel diese Länder bereits einer seits durch ihren Export der verschiedensten Rohprodukte, andererseits nicht minder durch den Import fast sämmtlicher Lebensbedürfnisse gewonnen haben, ungeachtet der vielen großen und kleinen Kriege, von denen diese weiten Länderstrecken fast jahraus jahrein, ich mochte sagen, überschwemmt worden sind. Wenn nun aber trotz dieser vielen Revolutionen, die natürlich stets jeder Friedensarbeit bald mehr, bald weniger hemmend in den Weg traten, deren Ursache aber vor nehmlich in der geringen und zerstreuten Bevölkcrungszahl von kaum 2 Millionen Menschen auf einem Flächenraume von 50,000 Hi Mei len, wo für mehr denn 50 Millionen Platz ist, und in dem politischen Vermächtnisse historischer Vergangenheit zu suchen ist, wenn, sage ich, nichtsdestoweniger weder die Produktivität des Landes noch der Konsum von feiten seiner Bewohner nachgelassen hat, sondern vielmehr von Jahr zu Jahr um ein Erhebliches gestiegen ist, so wird wohl jedermann einleuchten, daß dort über jene weiten Lünderflächen am Rio de la Plata die Natur ihr Füllhorn in mehr denn gewöhnlichem Maße ausgeschüttet haben muß. Und wahrlich, dem ist so! Betrachten wir in dieser Beziehung die Karte Süd amerikas, so sehen wir, wie am Kap Hori: ein Gebirgssystem, das der Ketten der Gebirge der Cordilleras de los Andes, be ginnt, welches an Großartigkeit einzig auf der Welt dasteht und sich bei einer Höhe von 4 — 5000 Meter *) fast von einem Endpunkte Amerikas bis zum andern erstreckt. Diese Gebirgs kette ist auf südamerikanischem Boden sehr zerrissen und sällt nach Westen steil ab, während sie nach Osten in langgestreckte Hochebenen verläuft, die zuweilen von 20 — 30 deutsche Meilen langen Längsthälern durchzogen werden. Das Charak teristische an dieser langen Gebirgskette ist, .daß sie ganz im Gegensätze zu den Gebirgen der alten Welt eine Meridiane Richtung hat, d. h. von Süden nach Norden, während bekannt lich die Gebirge der alten Welt zumeist in paralleler Richtung, d. h. von Westen nach Osten, verlaufen. Diese Richtung aber ist einer jener wesentlichen Grund faktoren, welche einen hauptsächlich bestimmenden Einfluß so wohl auf die ganze unorganische als organische Entwickelung jener Länder gehabt haben nnd in Zukunft noch immer mehr haben werden. Denn während in der alten Welt die Erdober *) Gleich an dieser Stelle sei uns die Bemerkung erlaubt, daß wir, unseren Landsleuten mit einem guten Beispiele vorangehend, schon jetzt in unserer Zeitschrift das neue Maßsystem adovtirt haben, welches be reits im nächsten Jahre fakultativ und vom Jahre 1872 an obligatorisch in Deutschland allgemein eingeführt werden wird. Tie am häufigsten vorkommenden Maß-Einheiten haben wir am Schlüsse unserer heutigen Nummer in einer kleinen Tabelle zusammengestellt. D. Red. fläche durch jene Parallelgebirge gleichsam in einzelne horizon tale Querdurchschnitte gctheilt wird, von denen ein jeder sein eigenes Stromsystem, seine besondern geologischen, bo tanischen, zoologischen und schließlich anch ethnographischen Verhältnisse besitzt, finden wir hier von diesen für die ganze Knltnrcntwickelung des Menschen so wichtigen Faktoren fast ge rade das Gegentheil. Die Meridiane Richtung und die schwach geneigte Abdachung gen Osten bedingen und unterstützen die Ausbildung und Entwickelung großer Ebenen und Strom systeme, welche letztere darin noch außerdem durch die Menge des atmosphärischen Niederschlags, nämlich von 926 bis 2920 Milli meter jährlich, sehr begünstigt, aber nur durch verhältnißmäßig geringe Wasserscheiden von einander getrennt werden; sie be günstigen ferner die Verbreitung nnd Entwickelung einzelner Thier- und Pflanzenarten über einen verhältnißmäßig großen Flächenramn, eben weil die klimatischen Unterschiede viel gleich mäßiger nnd allmählicher sind, da der einzige hier wirkende Faktor- weniger in der Form der Bodenerhebung als in der allgemeinen Höhenlage besteht; sie lassen alles mehr und mehr in einander verschwimmen und machen es dadurch dem auf der uutersten Bildungsstufe stehenden Menschen um so schwieriger, sich emporzuarbeiten und zn sammeln; die natürlichen Verhältnisse in den La-Plata-Staaten treiben den Menschen in das Weite und machen ihm die Seßhaftigkeit schwieriger. Diese kolossale Gebirgsmauer also, welche iu Folge ihrer Meridianen Richtung jenen ebengenannten Naturerscheinungen vornämlich zum Grunde liegt, sie bildet im Westen die Grcnz- scheide der großen La Plata-Ebene, welche sich vom 22. bis 52. Grade s. Br. erstreckt und mit Patagonien einen Flächen raum von 145,000 fUM. umfaßt. Diese Ebene des Rio de la Plata nebst Patagonien bildet neben der Ebene des Orinoco nnd von Venezuela, neben derjenigen des Rio Negro nnd des Amazonas die dritte der drei großen Abtheilungen, in welche das Tiefland von Südamerika zerlegt werden kann. Die Ebene des Rio de la Plata, die uns zunächst beschäftigt, hat einen Flüchenraum von etwa 76,000 IHM., ist also fast halb so groß als das Festland von ganz Europa. Diese Ebene läßt sich in zwei Hauptabschnitte theilen, welche eine von West nach Ost gezogene Linie scheidet, die am Fnße der Anden unter dem 31. Grade s. Br. bei San Juan beginnt und sich über San Luis della Punta, La Reduccion, Fray le Muerto nach dem Rio Salado hinzieht, welchen sic bis zu seiner Einmündung in den Rio Parana verfolgt. Letzterer Strom bildet dann wieder die Scheide zwischen jener Ebene nnd den an der Ost seite desselben gelegenen Ländern Entrcrios, Corrientes, Missiones nnd Paraguay. Entrerios, Corrientes nebst Missiones nnd Santa Fv bilden wegen ihrer nnmittelbaren Lage am Flusse Parana, der nach seiner Vereinigung mit dem aus der südlichen brasilianischen Provinz Santa Catharina kommenden Uruguay den Namen Rio de la Plata führt, die sogenannten Uferprovinzen (Uro- vineias riborenas); Cordova, La Rioja, Santiago del Estcro, Tucnman, Catamarca, Salta und Jnjny bilden die obern nördlichen Provinzen und San Luis, Mendoza und San Juan die westlichen oder diekrovineias äo Lu^o, welches Wort „Cuyo" aus der Sprache der Arancaner stammt nnd Sand bedeutet. Die ganze La-Plata-Ebene wird von einem Flnßsystcme durchzogen, das durch seine Großartigkeit uns in gerechtes Er staunen versetzt und durch seine gleichmäßige Erstreckung über alle Theile dazu berufen ist, sovwhl direkt eins der wichtigsten Förderungsmittel des Handels, der Auswanderung und der Kolonisation zu werden, als auch indirekt die verschiedenen im Westen gelegenen wasserarmen Einöden, die sogenannten Bra- vesias Salinas, welche ganze Provinzen von einander scheiden,