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— glänzende Squipageu mit Postpferdc» kommen im Galopp noch an- gesprengt und entladen eine frische Fülle von Federn und Blumen und holdem Lächeln. Im kurzen Trott auf seinem kleinen Pferde kommt der Landmann angetradt, auf der Croupe sein Töchterchen, neugierig aufge regt, als sollt' es zum Tanze gehen; lange Korbwagen fahren im Schritt heran, mit ganzen Familien bepackt, reiche Pächterinnen, die von ihrem Kariol herab neidlos die schönen Damen aus den seidenen Polstern der Pracht-Equipage» betrachten. Hier sind alle Wagen gleich, alle Pferde gleich, das Dragonerpfcrd und das Acker-Pferd, hier giebl cs nur eine Sorte Pferde, die nicht ihres gleichen Haden, und bas sind die Rennpferde. Nur diese sind hier Herren und Meister, sind die Kö nige des Tages, und der allgemeine sowohl als einzige Gegenstand der Bewunderung. Aus sie sind aller Sinne und Blicke gerichtet, für sie schlagen alle Herzen, für sie steigen die FlehenSwunsche zu den Göllern, die Leidenschaft der ganzen Jugend ist ihnen zugewandl. Man nennt ihre Namen, ihr Alter; die Grlinen und die Blauen stehen sich noch einmal als Parteien gegenüber — neid Jeder nimmt Theil daran, Je der ergreift Partei, der siir den Albion, jener für den Clitandcr. Ein Theil lebt und stirbt für Mi« Annelie; auch Ladv-Jauc Hal ihre Parlei, und ihre schönen Beine haben so gut ihre fanatischeu Verehrer als die Füße der Lemoiselle Taglioni Güler Himmel! cs ist ein ganz eigen seltsam Ding, aber cs ist wahr, cs ist so — all diese Namen sind so populair, so allgemein geläufig, so in aller Munde, wie die Namcn der größten Dichter! Und was sag' ich! Viel, viel geläufiger, viel be kannter find'sie als die größten Dichter. Man horche nur bin, höre nur herum, tausend Geschichten wird man vernchmcn von Svlvino, von Brise-l'Air, und von dir auch schon, junge Rcdinha. Wenn die Huge notten aufgrsübrt werken in der Oper, so werden im Zwischenakte, Lo gen und Parterre zusammeugenommen, nickt so viel Geschichten erzählt, als hier. — Endlich ist Alles versammelt; der Prinz selber ist ciucr der ersten unlcr den Ankommenden gewesen; man karrt nur noch aus die Helden des Festes, aus die Könige des Tages. Erschallt denn Trom peten, und ihr Herolde, öffnet die Schranken! Da sind sie! Welch ein Anblick! Welch eine Menge der erlesen sten Schönheiten! Welch Leben, welche Kraft in allen! mit welcher Kühnheit sturmen sie über die Aue — wie der Wind, daß Ihr sie bald zu sehen, bald nicht mehr zu sehen glaubt. Ihr meint, sic rennen schon? kcineswegcs; mir zum Spaß ist das, nur ein Spiel — sie haben nur eine Mcilo gemacht, um in Alhem zu kommen. Wer sic sicht, kann nicht daran zweifeln, daß sic recht gilt wissen, diese stolzen Athleten, daß Aller Augen aus sic gerichtet siud,- und zwar die jüngstcu Augen, die allerzärllichstcn, die geistreichsten und die jüngsten sage ich noch einmal. So prüft» sie den Boden, heben die Köpft gen Himmel, blicken die Menschen, blicken sich einander an, bewundern und bestaunen sich ge genseitig und empfinden schon, daß cs nicht leicht sehn wird, die Palme tavonzulragcn. Das Zeichen wird gegeben — in einem Moment gehen alle zu gleich ab. Zuerst meint man, sie lausen, dann, sie rennen, endlich schei nen sic zu fliegen. Erstaunen und Bezauberung erreichen nun ihren Gipscl. Jeder hält den Alhem an, um nur zu sehen, um sic bcsscr zu schcn; so viele Hoffnungeu sind aus diese edlen Häupter gesetzt. Noch einmal, welch ein Schauspiel! An was sind wir gewöhnt, wo kommen wir her? Von dcn widrigen Eräuelsccncn unserer Theater, von jenen elenden erbärmlichen Leidenschaften, die uns immer wieder von Thoren, die schon ibrc Vierzig ans dem Stucken haben, aufgewärnu und aus- getasclt werden! Wenn wir eine Schauspielerin sehen, die passa bel hübsch ist und ihr Roth und Weiß geschickt auszulegen ver steht, gleich schreiet, wir Wunder über Wunder! Man braucht unS cine kleine Ucberrasckung mit einem Dolchstöße cdcr einem Giftbecher zu machen, gleich schrcicn wir: ein Genie! Malt und müde sitzt man sich und schwitzt beim Schein der Lampen, im Staub und Moder unse rer Theater, um eine Kamst.ophc zu schäum, aus die man ost süns lange qualvolle Elundcn warten muß, und da sagt man: man amüsicl sich. Weich ein trauriges, klägliche« Vergnügen, wenn wir cs mit dem vergleichen, was sich unS hier bietet — armselige Lust gegen die Aue von Cbanliilv! wenn Alle Welt aushorcht, mit dcn Augen da« Schau spiel, das vor sich gebt, verschlingend! Die Damm vergessen sich unlcr cinandcr anzuschcn, Alles vergessen über ein Pferd — Wellen eingestellt werden eine über die andere, bci denen der Stolz noch weit mehr ins Spiel kommt als das Geld — das ist ein Schauspiel, das ist ein Thea ter! — und die Schauspieler, die schönsten, unschuldigsten, reizendsten, bescheidensten und bewundernswürdigsten Geschöpft unter allen denen, die nicht nach EollcS Bilde geschaffen sind! Das ganze Detail drs letzten Rennens, cine aussührliche Beschrei bung des Kampse« dieser Stosse mit Adlcrsflügeln zu geben, wer dürste es wagenk Auch stärkere Kräfte als die meinigen möchten an solchem Verfluche scheitern. Denn hier handelt sick's nicht um rin Schauspiel, ein Drama gewöhnlichen Schlages, wo man ohne Gefahr kür das Ganze ein paar Details übergehen kann. Noch viel weniger möchte ich unter nehmen, Sieg für Sieg die Namen der Streiter mitzuthcilm; cs han delt sich hier nicht um gewöhnliche Schauspieler, in Betreff dcrm gleich wenig daran gelegen ist, ob sic getadelt oder ob sie gelobt werden — cs bandelt sich vielmehr um dcn Ruhm ciucr ganze» Gmeratioifivon Rentier», die durch ganz Europa erschallen solle», bandelt sich nm cine» Ruhm, dcr durch die edelsten und wübevollstm Anstrengungen erworben ist. Und dann, wie wollte man es anfangcn, cine» Sieg zu beschreiben, der in zwei Minuten gewonnen wird? Bericht abzustatlcn von einer Niederlage, die aus dem Viertel einer Sekunde beruhst? Ich soll cs aus mich nehmen, diesen entflammten Wcllkämpscrn dcr Rennbahn die erste oder die zweite Stelle anzuwcism — ich?! Zuerst lief Volatile, die edle Tochter des Rowlsto» und dcr Geane, zweimal; zweimal circichie sie zuerst das Ziel. Volantc zählte vier Sommcr; ikr Gewand ist grau — es war der erste Wettlauf, de» sic gemacht; sic selber schic» erstaunt über ihren Triumph. — Sie gewann, dm Orleansschm Preis. 230 (io nrix il'Orloans.) Dcr zweite Sieger, Franck, gewann den Preis von >>Wkt Fr. Auch Franck lief zum ersten Mal. Und so wäre den» wie der citi Zweiter gefunden, der zu kühnen Hoffnuiigm berechtigt und nicht lange uubernhml bleiben wild. Offenbar schonte ihn sein Herr und ge stattete ihm nur, den einen Preis zu gewinnen, ihm dcn vollen Kelch dcr Ehren und der Wonne für'« nächsti Jahr aufsparcud. Fraurk ist dcr Sohn des Captain-Candid und der Coral; die beglückten Aeltern werden über keine zwo^oniom vitinsiorom zu klagen haben. Nach Franck kam Brougham an! Hört Jbr'S, Brougham! und man wollte vergangene« Jahr nicht leibe», daß cine schöne reizende Stute Miß Dcjazct heißen sollte! ES währt nicht lange, so beginn! das zweite Nennen. Der Preis ist eine goldene Schaale. Die Schaale zirlulirl von Reihe zu Ruhe unter de» Zuschauer», und Jedermann kann sie sehen. ES ist nicht etwa so ein großer ungeschickter Gold- oder Silberklumpen, unförmlich und geschmacklos, wie bci ähnlichen Gelegenheiten wohl vorkomml — nein, sondern ein feines Kunstwerk, elegant "gearbeitet, das Bildwerk daran von Klagmann's Hand, jenes wunderbar begabten Künstler«, dcr mit seinen rauhen Händcn so reizende kleine Meisterwerke zu Staude bringt. — Wieder tritt Volantc bcrvor, aber diesmal soll sic dcn Kampf mit Miß Annette bestehe». Fraget mich nicht, wer Miß Annette ist. Ebe» so gut könntet Ihr sragcn, wer Mademoiselle Mars scv. Seit ihrem vierten Jahre ist Miß Annette dcr Ruhm und dcr Stolz aller Pferderennen gewesen. Kein Pserd, da« sie nicht besiegt, kein Ziel, das sie nicht zuerst erreicht, keine» Preis, dcn sic nicht spiclcnd errun gen hatte. Heil Miß Annette! Und alle» Ruhm und alle Ehre ibr, nicht weil sic schön wärc, oder besonders sein oder kräftig gebaut; sie ist nur von mittelmäßiger Schönheit, Zicriichkeit de« Baues kann ihr abgcsprochcn werden, und Franck sowohl al« Brougham sind bcidc kräf tiger und stärker. Aber Miß Annette hat vom Schicksal die große Eigen schaft zur Mitgift erhalten, welche die Triumphe im Ballet und auf dcr Rennbahn bedingt und schafft — Miß Annette ist leicht, leicht wie eine Feder; sie ist einer dcr letzten Zöglinge des Herzog« von Guiche, ist dcr letzte Repräsentant eines Geschlechts von Pferden, die mehr um zu glänzen als um zu nützen geschaffen und gezogen sind und gegenwärtig einer Kcncralio» Platz machen, die nicht so schnell, aber dafür kräftiger find. Miß Annette ist nicht mehr ganz jung, sic zählt sechs Jahrc; jm künftigen Jahre darf sie nicht mehr laufe». Es war dcr Wettkampf gestern dcr alte» mit dcr neuen Schule. Miß Annette ist eines jener große» Talente, die die Ebre ihrer Kunst auSmachen. Pla» hält sie für besiegt und überflügelt durch jüngere — aber bald erkennt man, wie mau sich getäuscht; im Nu steht die alte Kraft wieder aus in ihnen, und webe dann allen, die mit ihnen in die Schranken treten wollen. So diesmal. Sechs Jahre trug sie auf ihrem Rücken die edle Jung frau und hnndcrlfunfzig Pfund, rannte mit der Volante, die nur vier Jahre und nur hunderkundzwei Pfund trug, und doch gewann sie die Schaale. Es war ihr letzter Triumph, aber er war auch vollständig. Ihre Freunde, ihre ganze Partei brachen in Thränen der Freude au«; schluchzend umarmte sie der alle Reitknecht, der sie pflegt, und mit ihm die jungen Herren, ihre Seiden, die ihr treu und ergeben geblieben wa ren und ihr nun Lebewohl sagten bei ihrem Scheiden von dcr Bühne, deren Stolz sie gewesen war. Niemals ist ein Schauspieler, selbst dcr beliebteste und gefeierteste, mit mehr Ruhm vom Schauplatz abgetreten. Ich habe den lctzlen Triumph Talma'S gesehen; er war nicht glänzender, als der dcr Miß Annette. Am Abend erhielt sie unter dc» hohen Hallen von Chantilly, Angesicht« ihrer besiegle» Rivalen, ihren Hascr au« ter prachtvollen goldene» Schaale, dein Kunstwcrkc Klagma»»'«, die sie gewonnen hatte, und zeigte sich in diesem glorrcichcn Moment durchaus inchl stolz und übcrmüthig. Da sieht mau, was cs heißt: Ruhm, weich' ein hohes köstlich Ding der Ruhm ist. Und nun meint ihr doch nicht., die Sache scv vorbei, die letzte Palme davonzclragcn? O, noch langt nicht. Dic JokcoS ruhen sich mir cin wenig von dcr Arbeit au«. (Wann aber werden nur dic Her ren Jokeys au« England uns erlauben, Jokcys au« Frankreich zu ha be»?) Dcr alte Robinson keucht unter dcr doppelten Fatigue de« Lei be« und Geiste«, denn dieser Tag ist vielleicht der sauerste de« ganzen Jahres sür ibn. Robinson ist der Typus des Jokey in dieser Welt. Ist er alt? ist er jung? Keiner weiß c«, er selber nicht. 'Fragt ihn nach Geburt und Alter seiner Pscrde, und er wird euch dic Antwort nicht schuldig bleiben. Das Aller ist sür Robinson cin Psund Fleisch mehr oder weniger, nichlS weiker. Je mehr er sich auf die Beschaffen- heil einer Mumie rcduzirl sielst, desto jünger wird er. Dcr Zustand eine« Skclcll«, dcr uns mil Enlsctzen erfüllt, ist für ihn ei» Zustand voll de« höchsten Reize«. NichlS weiter schm als Haut und Knochen, und so viel Knoche», um zu Pscrde steigen und einen Zaum halten zu können, und nur gerade so viel Haut, um nicht ein Stück von sich am Sattel zurückzulasscn, da« wäre da« höchste Ziel seiner Wünsche. DaS Lebe» Robinson'S ist cin Leben dcr Enthaltsamkeit, de« Zwange« und de« Triumphe«. DaS Pferd ist seine Leidenschaft und seine einzige Lei denschaft. Seinem Pscrde ist er mit Leib nrd Seele ergeben; er ist ihm Vater, Freund, Gesellschafter. Wen» er ansstcigt, so hält er den Athen, an, cs ist schon ein bische» Lust weniger, was sci» Pserd dann zu tragen bat. Zwei Mal an jenen: Tage bin ich so glücklich gewesen, an Robinson heranzukommc» und ibn in dcr Nähe z» betrachten, die sen Jüngling oder Greis, wie man will, in dcr gelben Jacke und schwar zen Kappe. Man Halle ihn für einen Schalte» in.MenschenNeidern ballen möge», der zum Karneval an Proscrpinc»? Hof eilt. Sein Gc- sielst ist unbeweglich wie seine Gestalt. Es setzt sich z» Pscrdc und steigt wieder ab, ohne irgend cine Regung lciiies Jnncru kund zu gebe». Dcn erste» Preis har er aus den, Albion verloren und dc» Albion i» dc» Stall geführt ohne ei» Wort zu sage». Die goldene Schalc Kat er mil Miß Annette gewonnen; und.sür Miß Annette sogar, dic Ge liebte seiner Seclc. seinen Triumph, seine» Stoll, sür Anuclle, dcr cr mehr al« einmal sei» ganze« Gluck anvcrtraut hat, für dir Miß An-