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254 -Hieraus folgte Robinson Krusoe; Krusoe, Freitag und der Papagei waren für mich eben so authentisch wie die Geschichte. Die Possen der Clowns und PantalonS sind ganz aus meinem Kopfe verschwunden. Ich suhlte eben so wenig Trieb in mir, darüber zu lachen, zu jener Zeit, als über die gothischen und grotesken Kopse (die ich damals nur in religiösem Sinne betrachtete) mit ihren steinernen Grimassen an den Mauern unserer allen runden Templer-Kirche. Ich sah diese Vorstellungen in dem Theater-Jahre 1781 — 1782; ich ging ins siebente Jahr. Nach einem Verlaus von sechs bis sieben Jahren (aus der Schule war nämlich jeder Besuch des Schauspiels streng untersagt) betrat ich von neuem die Schwelle eines Theaters; aber jener alte Abend, wo ich Artarerres gesehen, war immer in meinem Kopse. Zch erwartete, dieselben Empfindungen durch dasselbe Schau spiel hervorgcbracht zu sehen; ach! cs ist ein geringerer Unterschied zwischen nch'cren sechziger und sechzehner Jahren, als zwischen unserm sechzehnten und unserm sechste» ist. Was batie ich während dieser Zeit nicht verloren? I» jener ersten Epoche wußte ich Nichts, verstand ich Nichts, unlertchied ich Nichts: ich fühlte Alles, liebte Alles, bewunderte Alles: „Ich war entzückt und wußte nicht warum." Ich hatte den Tempel als ein frommer Gläubiger verlasse» und betrat ihn wieder als ein raisonnirender Kritiker. Die nämliche» Ge genstände in ihrem äußer» Dasepn waren noch vorhanden, aber ihre Bedeutsamkeit und die Jaubermachl der ersten Gefühle war dahin. Der grüne Vorhang war kein Schleier mehr, der zwei Wetten trennte, und wenn er aufrollte, die Aussicht in vergangene Jahrhunderte eröff nete und die Schatten der Könige herausbeschwor, er war nichts weiter, als ein groß Stück grünes Zeug, das für einen Augenblick die Zu schauer von andere» Personen trennte, die Menschen waren, wie sie, und eine flüchtige Rotte spielen sollte». Die Lampe» über dem Orche ster stiegen durch einen gemeinen plumpen Mechanismus empor; das erste und zweite Signal war ein bloßes Ziehen der Klingel von der Hand des Souffleurs , dieser Klingel, die mir ehemals wie eine über irdische Stimme erschienen war. Die Schauspieler waren nichts als geschminkte Männer und Frauen. Aus sie warf ich die Schuld, wäh rend der Fehler an mir lag und der Veränderung, die so viele Jahr- bunderte, sechs schnelle Jahre, in mir hervorgcbracht hatten. Vielleicht war es zu meinem Glücke, daß das Stück dieses kahlen trocknen Abends nur eine unbedeutende Komödie war. Ich gewann Zeit, mich von meinen unverständige» Hoffnungen loszumache» und Ansprüche und Erwartungen zu läutern. Sie hätte» mir vielleicht sollst da» reine Entzücken trüben können, das ich empfand, als ich kurz darauf Miß Siddons zum erstenmalc in dec Nolle dec Isabella sah. Vergleichung und Erinnerung versanken vor der Gewalt des gegenwärtigen Reizes, und das Theater wurde wieder in anderer Beziehung der köstlichste aller Genüsse für mich. Frankreich. Ueber dm Ursprung der Zigeuner. °) Die erste Schwierigkeit, mit der der Forscher, der die Wiege der Zigeuner auszufindcn bemüht ist, zu kämpsen hat, ist die Verwirrung, die in den eigenen Erzählungen der Letzteren herrscht. Diejenigen Zi geuner, welche in Frankreich um das Jahr 1427 erschienen, gaben sich für Aegvptec aus; man wußte nicht, ob sie aus Deutschland oder Afrika kamen; man glaubte, sie sehen aus Böhmen gekommen, wegen mehrerer Slavischer Wörter in ihrer Sprache und der Aehnlichkeit ihrer Tracht mit der der Böhmen — daher denn auch ihr Französischer Name Itnbömiens. Zehn Jabrc früher hatten sie sich über die Küsten der Nordsee auSgebreuet, batten Bavern überschwemmt und waren in den Kanton Graubündten einaedrunge»; damals nannten sie sich Tartaren. In Italien gaben sie sich für Moldauische» Ursprungs aus, nur nicht in Rom, wo sie immer sür Kopisten gelten wollten. In Spanien be nutzten sie den großen Rus, in dem die Orientalen als Magier stan- den, und nannten sich Aeuzitanns, womit die Deutsche Benennung „Zigeuner" zusammcnhängt. Höchst wahrscheinlich haben die Spanier aus diesem Namen/ der später mit del» Worte KZPoiiinn konsundirt ward, ihr Kitano gemacht, eine Benennung, die der Verfasser des vor liegenden Romans angenommen. Die Völker Europas haben ihrerseits nicht wenig dazu bcigetragen, die Räthsclhaftigkeit, die über diesen seltsamen Männern und eigen- tbümlichen Frauen schwebt, noch dunkler zu macken, diesen Menschen, die in ihrer Barbarei so viele Kunde der Dinge besäßen, daß sie die Jukunst vorhersaglen, so mächtig waren in ihrer Armutb, daß sie der Natur geboten. Während die alten Matronen dieser umberschweisenden Stämme j» der Hand oder auf der Stirn der großen Herren und reiche» Bürger die Geheimnisse des Schicksals, die ihrer wartete», lasen, und ihre Töchter die Jugend vor Lust und Liebe trunken machten in ihren üppigen Tänzen und zügellosen Gesängen, übernahmen die Männer jede Art von Dienstleistung, die ihre Unabhängigkeit uncmgesochtcn ließ. Die Könige beauftragten sie mehr als ein Mal mit wichtigen Missionen, zu denen „das Ange des Adlers, die List des Fuchses und die Schnel ligkeit der Schwalbe" erforderlich waren. Die Diplomatie beschränkte sich damals noch aus ein abenteuerliches Spioniren und geheime Korre spondenzen, und somit laugte keiner besser dazu, als die Kaufleute. Von gleichem Durst nach Golde getrieben, wie diese, zeichneten sich die Gi- tanos durch zwei treffliche Eigtnschaslcn, die jenen abgingen, noch ganz besonders aus: durch Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit. Wenn sie aus dem Kabinet eines Fürsten hcraustraien und den Lohn für ibre Dienste in der Hand hatten, kehrten sie in den Wald zu ihrer frohe» ') Eine von Juan Zloran verfaßte Vorrede zu dem Roman: Die Vi lanos (Zigeuner), von Camille Levnadier. Bandt zurück, für die die Rückkehr eines der Ihrigen immer ein Fest war. Betteln, betrügen, stehlen, das war ihr Leben, ihr Glück. Alle Versuche, die man gemacht hat, sie in die Städte zu ziehen und dahin zu dringen, ihr wildes, wüstes, elendes Leben aufzugeben, sind geschei tert. Wurden sie ans einem Walde verjagt, so flohen sie in einen an deren; hatten sie keine Bäume mehr, die Lumpen auszuhänge», die ihnen zu Zellen dienten, so zogen sie in's Gebirge. Nie haben sie ihre Wohlthäter geliebt, nie ihre Versolgcr gehaßt; ihre einzige Leidenschaft ist die Liebe zur persönlichen Freiheit. Ueberall, wo sie frei waren, wa ren sie glücklich. Zu feig, um ihre Freiheit und Unabhängigkeit mit Gewalt zu behaupten, wurde ihr Sinn nicht durch Ketten und Bande gebrochen, und sie verachteten den Tod mit Heldenmntb, sobald er un vermeidlich war. Die Alten unter den Zigeunern forderten keine Rück sicht von der Jugend ihres Stammes, und Lie Jungen nahmen eben so wenig, auch nicht im mindesten, Wohltbale» oder Gunst der Alten in Anspruch. Eine absolute Gleichheit bildete die Basis ihrer Moral. Jedes Mal war der Familienvater (und der ganze Stamm machte nur eine Familie ans) das Oberhaupt, das alle Glieder mit einer religiösen Unterwürfigkeit respektlrlen. Die Entehrung ihrer Weiber sahen sie mit Gleichgültigkeit an, wenn nur auch sie die Beweise ihrer Zärtlichkeit und Gunst empfingen; hatten sie sich aber über Kälte und Sprödigkeit zu beklagen und hallen eine neue Leidenschaft als Grund dieser Zurück haltung in Verdacht, dann wehe dem glücklichen Nebenbuhler, wenn er kein Zigeuner war! Die Rache des eifersüchtigen Zigeuners verfehlte nie ihr Ziel; ohne Muth zu offenem Kampf, kannten die Gitanos alle Mittel, sich eines Feindes z» entledigen, ohne ihre eigene Person in Gefahr zu setzen.^ Ohne feste Wohnung, ohne Liebe zu irgend einer Heimath, zogen sie überall durch, wie Stürme, ohne etwa« hinter sich zu lassen, als abgehauene Baumzweigc in de» Wäldern und wüste Feuer- stclle» in den Dörfern. Solcher Kontrast zu allem Gewöhnlichen und Bekannten, das ge heimnißvolle Leben und das schauerliche Aeußerc dieser Vagabunden mußten einen unwiderstehlichen Einfluß auf die Einbildungskraft der Bewohner unserer Landschaften ausüben, zu einer Zeit, wo Alles mit religiösem Ernste an die Macht des Tcnscls und die Kunst der Zauberei glaubte. Jedes Land batte seine Erzählungen und Kommentare zu den Traditionen über die Zigeuner, die denn ihrerseits nickt verfehlten, hier von gehörigen Vortbeil zu ziehen. Hier glaubte man an die Kraft ihrer Magie; an einem anderen Orte betrachtete man sie als Gift mischer; die Einen sahen sie als Götzendiener an, Andere behaupteten wieder, sie hätten gar keine» religiösen Glauben. Diejenigen, hieß es, die ihnen gastliche Ausnahme verweigern, fallen in böse Krankheiten; das Haus aber, wo man sie ausnimmr, wird fest gegen den Blitz. Gab man ihnen etwas, so zog das Geldstück, das ihre Hand berührte, alle übrige, die noch in derselbe» Börse waren, nach sich; gab man ihnen nichts, so verwandelte sich das Geld dessen, der die Gabe verweigert, alsbald i» Sand oder in sonst etwas Schleckte», sein Vieb starb, er verlor seine Familie, und der Fencrkönig sckickle ihm böse Geister, die ihn rastlos peinigte» und plagten. Voiz solcher Art war der herr schende Aberglaube, und hieraus erklärt sich, wie die Menge, so sehr sie auch die Zigeuner haßte, dennoch zu ibne» bingezogen ward und ihren Aussprüchen horchte, und der Adel, der die leichte» Sitten und die ver führerische Anmuch der Zigeunerinnen gern mochte, immer geneigt war, ihnen Freistatt und Schutz gegen die Strenge der Behörden zuzugc- stehen. Bor der Kritik der neueren Zeile» erscheint nun sreilich das als alberne Fabel, was den Gelehrte» je»er dunkleren Jahrhunderte für authentische Tradition gegolten. Für uns besteht die Zauberei der Zi geuner in nicht« Anderem, als in der Unwissenheit Europas im fünf zehnten Jahrhundert, seinem Aberglauben im sechzehnte» und seinen Vornttheile» in der folgenden Zeit. Gegenwärtig würde man nur noch darüber lache», wen» ei» Historiker die Jude» als Ursache der Pest, welche Deutschland im Jahre IZ48, verwüstete, darstellcii wollte und drucke» ließe: „Die Israeliten, nachdem sie der Rache de« vlattcn Lan des entflohen waren, batten sich in die Wälder oder in die Hödlcn und Schluchten der Gebirge geflüchtet und scpcii ans diesen Schlupfwinkeln mit Weiber» und Kinder» in Banden und ungläubige» Horden unlcr dem Namen Zigeuner später wieder bervorqebroche», die bcnachdartm Gegenden durchstreisend und sich in die Dörfer einschwärzend." Und doch giebl einer der besten Schriftsteller des siebzehnten Jahrhunderts de» Ursprung der Zigeuner aus diese Weise an. Er vergißt gänzlich, daß die Juden, weil man sie überall ihrer Rcichtbümer wegen geplün dert, verspottet, verhöbnt, ermordet bat, gerade deshalb immer de» edlen Mutb gezeigt haben, Jude» zu bleiben. Erst jetzt, erst unter uns san gen sie an, von ihren alten Satzungen abzulassen und sich dem höheren Lichte zuznwcnden. Sollte es sich ersüllen, daß sie mit Haß und Ver achtung überschüttet werde» mußten, um den Goll Israels nicht zu ver gessen ? Was man übrigens an den Juden TadeliiSwcrtheS und Fehlerhaf tes hat finden möge», nie hat man ihnen den Vorwurf der Faulheit machen können, jener schmählichen Trägheit, welche die Zigeuner charak- terisirt. Selbst die Sadducäer, die in Lüsten lebten und nur an das zeitliche Glück dachten, vernachlässigten weder die Industrie, noch den Handel, um hierdurch zu den Mitteln zu gelangen, sich jenes zu verschaffen. Außerdem waren die Jude» die geschjekresten und kundigsten Leute, die eifrigsten Forscher iir ganz Europa; cs ist wahr, sie beschäftigten sich mit der Magic, kabbalistische» und astrologi schen Studien und andcrcm wilden und phantastische» Zcuge; aber diese Wissenschaften machten damals das Hauptseld geistiger Lbälig- keil aus; die Juden hielte» sie hoch, wie .4.1beilus inagnus, wie borda»us, wie Agrippa sie hoch gehalten. Die Erfindung der Wechsel, die man ihnen nicht abdisputircn kann, spricht ebenfalls für unsere Meinung. Die Jude», cs ist wahr, stellten bas Horoskop, aber eS war der Einfluß der Sterne auf alle subltmarische Wesen, was die Basis