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ihrer Wahrsagungen ausmachte, und es ist bis zu dieser wissenschastli- chen Astrologie weit bin von dem gedankenlosen Prophezeien aus gut Glück aus den Linien der Hand, den Runzeln der Stirn und der Farbe des Haars. Gleicherweise bietet die jüdische EestchtSbildung keine son derliche Aebnlichkeil mit der der Zigeuner dar; Farbe und Figur dieser beiden Stämme können Annäherndes enthalten, die spezifische Verschie denheit wird aber dadurch keinesweges aufgehoben. Diejenigen, die aus den Zigeunern eine Kolonie von Sudra mache», kommen noch weiter von ihrem wirklichen Ursprung ab. Der Aehnlichkciten, die bei Vergleichung der Zigeuner mit den Sudras in Anwendung gebracht werden, find durchaus nicht so viele, als der Un ähnlichkeiten, die beide von einander scheiden. Beginnen wir mit Be trachtung ihrer Körperlichkeit. Die Sudras find alle von kleiner Ge stalt, und ihr Teint ist kupferfarbig, sie haben hervorstehende Kinnbacken und spitzes Kinn, ihr Mund ist breit, die Lippen aufgeworfen, ihr Haar von der Schwärze des Ebenholzes, glanzlos und kraus, nicht glatt anliegend auf dem Schädel. Der Zigeuner dagegen bat eine viel mannigfaltigere Gestalt; seine Farbe ist olivengelblich, seine Wangen leicht gewölbt, sein Haar glatt und von glänzendem Schwarz. Der Sudra Hal wenig oder gar keinen, der Zigeuner dagegen einen dicken und starken Bart; die Augen des ersteren spielen in'S Rothe, die des letzteren in s Gelbe, jener hat eine schwache zwitschernde Stimme, dieser ein volles scharfes Organ. Gehen wir zum Geistigen über. Die Trägheit des Indiers ist etwas ganz anderes als die Faulheit der Zigeuner. Die SudraS lieben die Wiege ihrer Heimath, kleben an der Scholle. Die Zigeuner bleiben nie lange an einem Orie, geduldet oder verfolgt, gleichviel, umherzu- schweifen ist ihnen Bcdürsniß. Beider, der Sudras wie der Zigeuner Weiber geben sich preis, denn sie sind arm und werden von ihren Männern schlecht behandelt; doch sind die Indierinncn wahrer Liebe fähig, wenn man zart und liebreich mit ihnen umgeht, wogegen man bei den Zigeunerinnen dies Gefühl nizr selten antriffl. Sittenlosigkeit, Berworfenbeit, Mangel aller Religion gehöre» nicht einer bestimmten Menschenracc an. Wenn Elend und Unwissenheit das menschliche Herz zu ihrem Tummelplatz machen, treten immer die nämlichen Laster und die nämliche Entmenschung hervor. Wo die Unterdrückung und der Fanatismus triumphircn, folgt der Atheismus auf den Aberglauben, und die Verworfenheit aus die Verzweiflung. So sind die Zigeuner zu dem Zustand von Degradation herabgesunken, in dem sie gegenwärtig untergehen; um sie darein zu stürzen, war die Weise hinreichend, in der man sie in Europa und in den Asiatischen Provinzen, wohin sie sich flüchteten, behandelte, mögen die Ursachen übrigens gewesen scvn, von welcher Art sic wollen, die sie dazu zwan gen, ihr Vaterland zu verlassen Auch die Behauptung, daß die Zigeuner aus Afrika stammen, ist unhaltbar. Es ist allerdings wahr, dass als sie sich in Europa zeigten, sie sich für Aezvpter ausgabcn; dieser Name ist ihnen in England und Italien geblieben und, wenn Oilano von Lziziciano hcrkommt, auch in Spanien. Im Jahre 1427 kamen sic nach Paris. „Zwöls PenancierS odcr Büßer, Christen aus Umer-Aegppten, von den Saraze nen verjagt, begaben sich nach Nom. Sie beichteten dem Papst, der ihnen als Buße auferlegte, sieben Jahre lang umherznziebttt." Diese kleine Schaar wurde von einem Oberhaupt befehligt, dem man den pomphaften Titel Herzog gab, und unter dem ein zweiter Befehlshaber, «in Gras, stand; die zehn Anderen waren bloße Ritter; alle aber gin gen in prächtigem Waffenschmuck und hatten ein Gefolge von zwanzig Personen bei sich. Pasquier sügt hinzu, daß sie schwarze krause Haare gehabt und silberne Ringe in den Ohren getragen hätten. Obgleich ihre Frauen häßlich und unsauber waren, so wurde doch nicmals ihr Haus von jungen vornehmen Herren und vom Pöbel leer. Sie tanzten, san gen, prophezeiten, und wenn sich eine Gelegenheit zum Stehlen darbot, so verschmähten die lustigen Pilgrime sie nicht; ihr Talent zu dieser' Art des Erwerbes war ungemein groß und, allen, Anschein nach, höchst glücklich ausgebildet. Der Zulaus wuchs mit jedem Tage, und der Skandal wurde endlich so ernsthaft, daß der Erzbischof beim Könige den Befehl auswirkte, die Aegvptischen Christen aus Paris zu verban nen, und diejenigen, die sich bei ihnen Raths erholt hatten, erkommu- nizirtc. Solche Züge erinnern uns freilich an die Aegvptischen Frauen, die die Männer anlockcn, ihnen ihre Reize preiSgcbcn und sie dann ost völlig ausplündern. Plan kann noch hinzufttgen, daß die Aegvpter von jeher scig, Nichtsthuer, Säuser und Freunde des Schlafs gewesen sind, Laß sie die übrige Welt verachten und eine außerordentliche Vorliebe für die Esel und den Taback haben; aber weiter gebt denn auch die Aebnlichkeil zwischen ihnen und den Zigeunern nicht, die Gleichgültig keit in religiösen Dingen ausgenommen. Die Araber ähneln ihnen noch weniger. Bei einer ziemlich kleinen Gestalt und einem magcrcn Körper baden jene ein eisernes Tempera ment; in ihrem sonnevcrbranuten Gesicht, ihren schwarzen lebhaften Augen, ihrer geistreichen Physiognomie steht man nichts von dem Ver schmitzten und Nichtswürdigen, das in den Gesichtern der Zigeuner ausgeprägt liegt. Der Araber spricht wenig, der Zigeuner viel; der Eine macht keine Gcberden, bei dem Anderen wird man schwindlig vor allen Verrenkungen und Grimassen, mit denen er seine Worte begleitet. Bei dem Einen ist die Beredsamkeit, die Poesie, die Erzählung zuhause, bei dem Anderen die Betrügerei in jeder Gestalt, der Kalkül, die Possen. Der Sohn der Wüste ist hochherzig und tapfer, er verthcidigt seine Freiheit; der Gast, mit dem er Salz und Brod gctbeilt, ist ilmi heilig, und seinen Vortbeil opfert er seinem Ruhme auf. Unfähig jeder edlen Regung, fehlt cs dem Paria des Occidenls an Muth, sein Leben zu verlheidigen: er kennt weder Treue, noch Glauben, noch Dankbarkeit, ist stets zum Mord bereit und wagt nie einen offenen Kampf. Bei so vielen Widersprüchen erscheint es säst unmöglich, sich eine klare Idee von dem Ursprung ter Zigeuner bilden zu können. Wir 255 glauben, daß man leichter dazu gelangen würde, diese Quelle aufzufin- den, wenn man den Charakter, die Sitten und Gewvhnheften dieses Stammes mit Charakter, Sitten und Gewohnheiten der Horden, die man in der Asiatischen Türkei, zwischen Rußland und Persien, antriffr, vergleichen wollte. ES möchte freilich vergeblich sehn, die Züge, welche die Physiognomie der Zigeuner bilden, bei einer dieser nmherstreisenden wilden Nationen vereinigt zu suchen; aber wenn man sie fleißig und genau beobachtet und mit Sorgsamkeit erwägt und zusammenstellt, was von Traditionen vorhanden ist, so dürste man wohl mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß, wenn die ersten Zigeuner nicht eine Horde ge wesen sind, wie die Kurden, die Tscherkeffcn, die Bafchkire» oder Lie Kurillen, fie doch zum wenigsten mit den Stämmen lebten, die sich nicht dem Zoche des Timur-Lank unterwerfen wollten. Was sogleich in die Augen springt, so wenig man auch von den Sillen der Zigeuner und der nomadischen Gebirgsstamme der Tartaren kennt, das sind die geistigen Beziehungen, die beide mit einander ver binden. Ihre Religion beschränkt sich auf einzelne abergläubische Be stimmungen, die ohne Halt und Zusammenhang neben einander stehen. Von einem Gedanken, einer Vorstellung, die über das Daseyn hinaus- reicht, ist bei ihnen keine Spur; fie leben, ohne ein Bewußlseyn dar über zu haben. Einen großen Theil des Tages über in ihren Höhlen begraben, die fie noch scheußlicher machen durch den Rauch, schen fie einen schönen Himmel, die Wiederkehr des Frühlings und selbst den Farbenduft und die Klarheit ihrer schonen Morgen mit Gleichgültigkeit an. Sinnenlust macht ihr ganzes Glück aus. Die Liebe ist ihnen nichts als eine fleischliche Begierde. Zn den Gegenständen ihrer Nah rung gehen sie ohne die mindeste Wahl zu Werke: Alles ist gut, Alles ihrem verzehrenden Hunger recht. LuruS und Eitelkeit üben einen großen Einfluß aus sie aus; es genügt ihnen nicht, ihre Kleider aus- zuputzen und mit Zierrathcn zu versehen, fie durchstechen sich auch die Ohren und tragen große Gehänge darin. Die Moral dieser viehischen Menschen ist in einer eben so schlechten Verfassung, wie ihre Religion. Der Diebstahl ist in ihren Augen etwas ganz Ehrenwerthes, vorausge setzt, daß er mit Geschicklichkeit und Schlauheit verübt wird. Ein Mäd chen dars sich nicht eher verheirathen, als bis sie eine Probe von ihrem Talente dazu und ihrer Fertigkeit abgelegt hat. Der Mord wird nicht als ein Verbreche» betrachtet, es sev denn, daß er an einem Stammcs- Ge»offcn begangen worden; dann steht es den Verwandten des Erschla genen srei, zu verzeihen oder ihn zu räche»; aber der Mörder kann sich eine lange Frist erkaufen und lebt während derselben in völliger Sicher heit neben dem Bruder oder Sohne des von ihm Ermordeten. Die Frauen sind Gemeingut unter ihnen; es steht ihnen frei, sich einer be sonderen Neigung hmzugcben, doch darf diese niemals die übrigen Männer vom Genuß ihrer Rechte ausschließcn oder ihnen nur hinder lich darin seyn wellen. Wenn sie sich der Freude bingeben, so hat es de» Anschein, als überließen sie sich den wildesten Ausfchweisungen des Schmerzes; wogegen ihre Art und Weise, ihre Todten zu beweinen, viel mehr der Fröhlichkeit eines Festes, als einem Ausbruche der Bc- trüdttiß und Trauer ähnlich sieht. Sie glauben nicht an die Unsterb lichkeit, sagen aber, daß Abends, wenn Lilles schläft und die Mondcs- scheibe voll ist, die Schatte» der Verstorbenen fie zu besuchen komme» und ihnen die Gefahren, die ihnen drohen, Voraussage». So find die umhcrschweisenden Horden beschaffen, die jetzt noch häufig in der Nähe von Kasan erscheinen, die Berghöhlen am Kaspi schen Mcer bewohnen, die Wüste durchziehen und den kriegerischen Stämmen der Baschkire», Kirgisen und anderer Barbaren folgen, von denen sie eben so verachtet werden, wie von den Europäern, aber auch gefürchtet wegen ihrer Zaubereien und ihrem Verkehr mit den Geistern. Dies Gemälde ist zugleich das Bild der Zigeuner. Mit Leichtig keit lassen sich aus unserer Hvpothese ihre Sitten entwickel», ihr Aber glaube verstehen, ihre Züge verfolgen. Ma» wird sich da»» nicht mehr über die Härte und Strenge wundern, mit der man sie immer und überall verfolgt hat. Die Fürsten Italiens verbamitcii flc aus ihren Staate», eben so die Deutsche» Fürsten aus den ihrigen. Im Jahre I8l6 wurden sie aus Frankreich vertrieben, oder zu de» Galeeren verurtheilt. Im Jahre 1682 erging unter Ludwig XIV . an die Marechanffce und Polizei der Befehl, nicht nur die Zigeuner oder Aegyptier selbst, sondern auch die Weiber und Kinder dieser Vagabon- den, deren sie habhaft werden könnten, aufzuhebcn. Die Araber verfolgen die Scheramis wie wilde Thicre. Die Reichsstände von Ungarn erließen mehrere Dekrete auf Aus rottung des Pbaraoh-Nepcck oder des Volkes des Pharao. Die Corics von Castilien drangen auf Vollstreckung der Gesetze, die fie aus der Gesellschaft ausschloffen und ihnen alles Gewerbe bei Todesstrafe verboten. Und bei allen diesen Verfolgungen, die die unglücklichen Zigeuner trafen, hat sich nie eine Stimme zu ihren Gunsten erhoben; wie wilde Tbiere wurden sie gejagt, ohne Erbarmen zu Tode gehetzt, nur Ver wünschungen und Flüche folgten ihnen nach, und noch jetzt find sie allen Nationen ein Greuel. Nur zwei Fürsten hat es gegeben, die ihnen die Pforte» der mensch lichen Gesellschaft ausgelhan: Maria Theresia von Oesterreich und Karl III. von Spanien; die Zigeuner aber, ihrem Charakter getreu, habe» die Sicherheit, deren sie genießen konnte», der gefahrvollen Unabhängigkeit ausgeopfert, die nun einmal das Glück ihres Lebens ausmacht. Ueberführt von der Vergeblichkeit seiner schützenden Maßregeln, er griff der strenge Karl III. das entgegengesetzte System; er stellte ihnen die Alternative, entweder ein festes Gewerbe zu ergreifen, sich zu einem Handwerk zu bestimmen, oder aus Spanien auszuwander» und im Br- tretungsfall der strengsten Strafen zu gewärtigen. Diese Epoche ist cs, die Herr Lcynadier sür seinen Roman ge wählt Hal.