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Mit besonderer Berücksicbtigung ller Antbropologie mul Gtbnologie. Begründet von Karl Andree. In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von vr. Richard Kiepert. Braunschweig Jährlich 2 Bünde ä 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten zum Preise von 12 Mark pro Band zu beziehen. 187 7. CH. Uriartes Wanderungen in Dalmatien. V. Madonna di Scarpcllo. Die Bocchesen. Kaum hat man die Catene hinter sich, so ändert die Na tur ihren Charakter und nimmt einen ernstern Ausdruck an, als sie in der fruchtbaren Umgebung von Castelnuovo hatte. Zur Rechten hat man die Halbinsel, welche zwischen Cattaro und dem Thale Xupa sich nach Norden vorschiebt und im Berge S. Elia zu 2390 Fuß anstcigt; auf dem schmalen Ufersaume zwischen Meer und Berg liegen die von Schiffern bewohnten Orte Stolivo und Perzagno, während gegenüber zur Linken eine eben solche nur kleinere Halbinsel sich nach Süden erstreckt und auf einem spitzen Ausläufer Perasto trägt. Vorn dehnt sich der weite Busen aus, an welchem Orahowatz und Cattaro selbst liegen, überragt von den wild- zackigen montenegrinischen Grenzbergen; rückwärts öffnet sich die dreieckige, von bewaldeten Bergen eingeschlossene Bucht von Risano, das schon zu Römerzeiten unter dem Na men Risinium dieselbe Lage inne hatte. An der Ausmün dung dieser letztem Meeresweitung liegen zwei kleine flache Inselchen, deren jedes so ganz mit Baulichkeiten bedeckt ist, daß diese unmittelbar auf der Mecresfluth zu schwimmen scheinen: es sindMadonna di Scarpello undS. Gior gio, erstere im Besitze eines wundcrthätigen Marienbildes, letztere eine ehemalige Benedictinerabtci tragend. Das Marienkirchlein von Scarpello ist architektonisch nicht gerade beachtenswerth, unterscheidet sich aber von den anderen schmuck losen Kirchen der Gegend durch seine mit Bildern und Botiv- tafeln aus getriebenem Silber bedeckten Wände, durch seine Deckengemälde und seinen marmornen Fußboden und Altar. Auch das hochverehrte Cuttusbild selbst besteht aus getrie benem Silber und nur die Köpfe der Maria und des Jesus kindes sind gemalt, noch byzantinischem Stile, wie etwa die Marien Cimabuc's oder Taddeo Gaddi's. Nach Ansicht der Bocchesen aber, deren es so viele schon auf Anrufen aus Sturmes- und Türkengcfahr gerettet hat, ist cs ein Meister werk des heiligen Lucas selbst und hat die Reise von Negro ponte, seinem frühem Aufenthaltsorte, nach den Bocche allein und ohne jede menschliche Hülfe ausgeführt. Denn am 22. Juli 1452 fanden es Fischer auf dem einsamen Scarpello-Felsen, umgeben von strahlenden Lichtern. Im feierlichen Geleite aller Boote und Schiffe, so viel deren die Bocche zählten, wurde es in die Hauptkirche von Perasto übergeführt, was aber nichts half, da es am folgenden Mor gen wieder nach seiner Klippe zurückgekchrt war. Und das wiederholte sich noch zweimal, so daß die Bocchesen als die Klügeren nachgaben, den Fels ebneten, durch Versenkung von Steinen und alten Schiffen vergrößerten und eine Kirche darauf erbauten, welche ihre jetzige Gestalt im Jahre 1630 erhielt. Noch heutigen Tages ist es bei den Perastinern Sitte, wenn sie an einem der Ehrentage der Madonna, dem 22. Juli, zur Insel herübergefahren kommen, daß jeder einen mitgebrachten Stein an deren Ufer versenkt, um ihre Wider standskraft gegen die Meercswogen zu vergrößern. An jedem ersten Sonntage des Mai wandert das Madonnenbild wie der unter großen Feierlichkeiten nach Perasto zurück und bleibt dort in der Kirche S. Nicolo bis Ende Juni den Gläubigen ausgestellt; in diese Zeit fällt ein zweites Hauptfcst zum Andenken an den Beistand, den die Madonna am 15. Mai Globus XXXI. Nr. 18. 35