Enthält Anstreichungen Karl Mays im Inhaltsverzeichnis und eine im Text, eine Visitenkarte (zwischen Seite 60 und 61) und ein Lesezeichen (zwischen Seiten 110 und 111), sowie Knickspuren an den Seiten 1-28
6 Theodor Kirchhoff: Die Wunder des Nosemitethales in Califormen. tiefen Thalgrnnd hinab, und die Granitzacken und schroff aufstcigcnden Klippen derKathedral- Felsen und -Thürme und des einer riesigen Warte ähnlichen Sentinel-Rock bildeten auf der Südseite die hervorragendsten Punkte einer scharf crenellirten Felslinie, welche ihren Abschluß in der dem Norddom gegenüberliegenden kolossalen Halbkuppe des Süddoms findet. Alle jene Felsgipfel erheben sich von beinahe 3000 bis zu 5000 Fuß über das Mscmitethal, das seinerseits 4060 Fuß Uber dem Meeres spiegel liegt. Zwi schen diesen groß artigen Granitbau ten schlängelt sich der Merced wie ein Silberband durch ein grünes herrlich be waldetes Thal. Der Duft des Hochgebir ges lag über den fer nen Domen und um hüllte dieselben wie mit magischem durch sichtigen Schleier, während sich die nä heren Granitmancrn und Felshörner in scharfen Umrissen aus dem grünen Thal- grund emporbau ten — ein wunder bar großartiges Bild wilder Naturschön heit, das den Pin sel nnsers genialen Landsmannes Albert Bierstadt zu einem seiner prächtigsten Gemälde begeistert hat. Bon dem him melhohen Katarakte desUosemitefalls nnd von den prachtvollen Bernal- und Nevada süllen erblickt das Auge nichts auf dem Inspiration Point; abed trotzdem bleibt dieser erste Blick in das Wnndcrthal der Sierra jedem Be sucher desselben un vergeßlich nnd kein anderer vermag die Erinnerung daran zu verwischen. Gern Die Schildwachc (Sentinel). hätten wir länger auf dem herrlichen Vorgebirge des Inspiration Point verweilt, um von dort das wilde Prachtpanorama zu genießen. Aber dazu ward uns leider nur kurze Zeit vergönnt, und auch die bequeme Reise mit der Stagekutsche nahm bald ein Ende. Der Fahrweg sollte erst in vierzehn Tagen bis ins Thal vollendet werden und wir waren gezwungen, per Esel und Pony auf einem halsbrechenden Saumpfade ganz in dasselbe hinabzusteigen. Ich hatte mir von der Pony- und Mauleselbrigade, die uns am „Trail" erwartete, einen störrischen Mustang erobert, der sich zwischen dem Fels geröll oft in keineswegs angenehmen Kletterübungen erging. Nachdem ich aber de» Thalgrund glücklich erreicht hatte, ritt ich zwischen prächtigen Nadelhölzern und Eichen sicher und Wohlgemuth weiter nach dem noch vier englische Meilen entfernten Gasthause und genoß unterwegs die malerische Umgebung der stolzen Granitbauten und das Zauberbild des Bridal-Veil-Kataraktes mit ungestörter Freude. Der Weg führte unter der nackten Felsmauer des El Capitan hin, die sich in wahrhaft kolofsa- ler Form 3100 Fuß senkrecht Uber mir emporbaute. In der Mitte der hellgrauen Granitwand befindet sich in ziemlich deut lichen Umrissen das natürliche Bild eines riesigen Mannes mit schwarzem, fliegen dem Haar und ernst thalaufwärts blicken dem Antlitz. Au die ses Bildniß, das jeder Borüberpas- sirende, ohne viel Phantasie besitzen zu dürfen, leicht erkennt, knüpft sich eine inter essante indianische Sage. Der india nische Name des El Capitan ist Tuto- kanula, der zugleich als der Herrscher des Thales gilt. Lange ehe die Bleichgesich ter ins Land gedrun gen waren — so er zählt die Sage — lebten hier die Roth häute, für deren Un terhalt Tutokanula väterlich sorgte, in friedlicher Abgeschie denheit. Aber ihr Glück nahm ein Ende als die liebliche Göt tin Tissaak dem Tu tokanula auf dem Gipfel des damals noch nicht gespalte nen Süddoms er schienen war und je- an Liebesfreuden den- all seine Zeit in den Armen der reizenden Tissaak, er kümmerte sich nicht mehr um die Menschen und ließ die Ernten aus Mangel an Regen verderben, so daß eine Hungersnoth im Thale un ausbleiblich schien. Das weiche Herz der Göttin ward jedoch von dem Elend der verhungernden Indianer gerührt, die sich, um Rettung flehend, an sie gewandt hatten. Sie riß sich aus den Armen des Tutokanula und rief den Großen (Nach einer Photographie.) nen zu sich winkte. Der nur noch kcnde Tutokanula verbrachte fortan