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politische Armälckau. Gärung in Ruhland. *Die Volksbewegung in Ruh« land wmmt einen immer wachsenden Umsang an. Tag und Nacht finden Volksversamm lungen statt, an denen sogar Offiziere in Uni form teilnehmen. Die Ausständigen haben be schlossen, alles zu vermeiden, was dem Militär Veranlassung geben könnte, mit den Waffen einzugreisen; jedoch wollen sie alles auf bieten, um Petersburg und Umgebung auszuhungern. Aber nicht nur in Peters burg ist die Lage äußerst ernst. In Moskau, der alten KrömmaSstadt, haben die Vertreter aller Parteien beschlossen, eine eigene Re gierung zu wählen. Unter solchen Um ständen erscheint es begreiflich, daß die russi schen Machthaber sich keine Mühe mehr geben, an ihrem bisherigen Vertuschungssystem sestzu- holten. General Trepow selbst hat die Lage als äußerst ernst bezeichnet, jedoch hinzu- gefügt, daß alle Maßnahmen getroffen seien. Man weiß, was das bei ihm heißt. Vorläufig soll über Pcrtersburg, Moskau, Warschau, Lodz und andre Städte der Kriegszustand dritten Grades verhängt werden. Soviel ist jedenfalls klar: Die Machthaber find der gegen wärtigen Lage nicht gewachsen und es ist nicht abzusehen, ob der Ausstand friedlich beigelegt oder zur offenen Revolution werden wird. *Graf Witte hat dem Zaren die Liste des neuen Ministerkabinetts unter breitet. *Admiral Birilew, der russische Marineminister, soll bei der Explosion des „Potemkin" ums Leben gekommen sein. *Eine im Rathause von Odessa ab gehaltene Massenversammlung, an der etwa 8000 Personen, darunter sämtliche Mit glieder der Stadtverwaltung und die Pro fessoren der Universität, teilnahmen, beschloß die Zahlung der städtischen Unterstützung an die Polizei einzustellen und sofort eine eigene Miliz sowie die Selbstverteidigung der Bürger zu organisieren. Einige Schüler zogen vor das Schulhaus und riefen: „Nieder mit dem Absolutismus I" Die Polizei sprengte heran und hieb mit blankem Säbel auf die Schulkinder los. Eine große Anzahl von Knaben und Mädchen wurde ver wundet. Die Fähnriche der Re serve find zusammengetreten, Protest gegen das bestehende RegierungSsystem zu erheben, ebenso die Advokaten, Ingenieure, Schriftsteller, Bankbeamte usw. Das Revolutionskomitee hat eine Menge Revolver und Patronen er halten, die eS den Arbeitern zu billigem Preise verkauft; je 25 Patronen werden gratis ab gegeben. * In allen zuMoSkau abgehaltenen Ver sammlungen traten die Redner für eine g e - walts ame Revolution ein. Sie warnten die Anwesenden, sich mit der Regierung in Unterhandlungen einzulassen. * In Kiew haben 5000 Eisenbahnbeamte und Arbeiter die Arbeit niedergelegt; sämtliche Fabriken ruhen. Es kam infolgedessen zu großen Unruhen, bei denen 1000 Personen ver haftet wurden. Die Universität wurde von Militär umzingelt, der Führer der Radikalen verhaftet. Der Generalgouverneur droht, bei weiteren revolutionären Ausschreitungen die Stadt beschießen zu lasten. Die Geschütze find bereits am Bahnhof postiert. In Riga wurde ein Oberst, der an der Spitze einer Kompanie Soldaten marschierte, von den Aufständischen erschossen. *Jn Reval wurden die Telegraphen stangenumgestürzt. Infolge von Beschädigungen der Gasfabrik find die Straßen ohneBe - leuch tung. Arbeiterhaufen ziehen lärmend und schießend umher. Das Stadttheater ging in Flammen auf. *Um die Entscheidung des Zaren ist am kaiserlichen Hoslager in Peterhof heiß gerungen worden. Es scheint nun aber, als ob sich der Zar von der Notwendigkeit weiterer Zugeständnisse überzeugt habe. Graf Witte soll zum Ministerpräsidenten ernannt worden sein, mit der Aufgabe, die Regierungshandlungen zu vereinheitlichen. In einem kaiserlichen Erlaß werden ferner bürgerliche Frei heiten, eine gesetzgebende Duma und die Ausdehnung desWahl rechts gewährt. * » * Deutschland. *Der König von Griechenland traf am Mittwoch in Potsdam ein und wird bis zum Freitag der Gast des Kaisers sein. *DerdeutscheGesandteinPeking hat erklärt, KaiserWilhelm halte mit dem Frieden von Portsmouth den Zeitpunkt für ge kommen, die europäischen Garni sonen aus der Provinz Tschili zurückzuziehen, er werde den beteiligten Staatsoberhäuptem entsprechende Vorschläge machen. * Der Reichstag ist durch kaiserliche Verordnung zum 28. November einbe rufen worden. *Das Kaisermanöver im nächsten Jahre soll das 6. Schlesische Korps abhalten. Es wird zu diesem Zwecke auf die Stärke von drei Infanterie-Divisionen und einer Kavallerie- Division, namentlich durch Truppen des könig lich sächsischen Heeres, gebracht werden. Die Gegenpartei stellt das 3. und 5. Armeekorps. Als Schauplatz des Kaijermanövers dürfte wahrscheinlich der Regierungsbezirk Liegnitz ge wählt werden. * Die Lage in Deutsch-Ostafrika scheint nach und nach ruhig zu werden. Gouver neur Graf Götzen meldet aus Dar es Salam: Die telegraphische Verbindung mit Tabora und Muanza ist im Betrieb, und von keiner dieser Stationen werden Unruhen gemeldet. Nur die Straßen nach den Stationen Mahenge und Songea gelten noch nicht als völlig sicher. *Die gesamten Verluste unsrer Trupp eninDeuts ch-S ü d Westafrika betragen jetzt 1621 Mannschaften und Offi ziere, davon 1025 Tote und 596 Verwundete. Öfterreich-Ungarn. *König Alfons von Spanien trifft am 13. November vormittags in Wien ein und wird in der Hofburg absteigen. *Minister Präsident Fejervary entwickelte vor einer Deputation der Buda pester Wähler das Programm der Regierung. Es wird darin betont, daß, falls die vereinigte Opposition Fejervarys neue Volitik ungeprüft verwerfen sollte, zu passender Zeit Neuwahlen ausgeschrieben werden sollen. Der Ministerpräsident erklärte ferner, daß an der Spitze seines Programms das allgemeine, geheime, nach Gemeinden und unmittelbar aus zuübende Wahlrecht stehe. Außerdem versprach er die Entlastung des kleinen Grundbesitzes, eine Steuerreform, unentgeltlichen Volksunter richt, die Ausbildung der ungarischen Mann schaften in ungarischer Sprache und die Rück versetzung der ungarischen Offiziere durchzuführen. Frankreich. * Präsident Loubet ist von seinem Besuch in Spanien und Portugal wieder in Frankreich eingetroffen. Wenngleich der portu giesische Telegraph weniger fleißig gearbeitet hat, wie der spanische, so kann man doch wohl annehmen, daß die Begegnung der beiden Staatsoberhäupter in der herkömmlichen Weise verlaufen ist. Jedenfalls wurden auch in Lissabon Trinksprüche ausgetauscht und die Ver abschiedung war äußerst herzlich. * Die Zahl der französischen Offi ziere, die aus Elsaß-Lothringen stammen, ist immer noch sehr erheblich. Nach der in einem französischen Blatte veröffentlichten Statistik befinden sich zurzeit in der franzö sischen Armee 55 Generale aus Elsaß-Lothringen im aktiven Dienst, darunter 15 Divifionsgenerale. 80 ZIsaß-Lothringer gehören dem französischen Heere als Generale der Reserve an oder leben im Ruhestand, darunter 31 Divisionäre. Schweden. * DerKönig hat im Staatsrat beschlossen, von jetzt ab folgenden Titel zu führen: Wir, Oskar, König der Schweden, Goten und Wenden von Gottes Gnaden. Femer erklärte der König, daß er nach der nunmehr erfolgten Auflösung der Union mit Norwegen von nun ab anstatt des bisherigen Wahlspruches: „Dem Wohle der Brüdervölker," folgenden Wahlspruch gnnehme: „Dem Wohle Schwedens". * Sämtliche Mitglieder des Kabinetts haben ihr Entlassungsgesuch eingersicht. Norwegen. *Jm norwegischen Storthing begann am 28. d. die Beratung über die zukünftige Staatsform des Landes. * Die Minister beabsichtigen ihre Ent lassung einzureichen, falls die Volksab stimmung ihre Ermächtigung zur Königs- wahl verweigere. Balkanstaate«. *Der Gesandte der Ver. Staaten in Konstantinopel überreichte der Pforte eine scharfe Note wegen des über den amerika nischen Staatsangehörigen Vartanian verhängten Todesurteils. Die Regierung der Ver. Staaten droht mit einer Mottenkundgebung. Vie ruMkebe Revolution. In Rußland, woher vor einigen Tagen noch Beruhigungstelegramme kamen, welche energisch behaupteten, die Ruhe sei wieder völlig herge stellt, scheint es nunmehr doch zur offenen Revolution zu kommen. Beamte, Polizei, Militär, Arbeiter und Studenten veranstalten bald einzeln, bald zusammen gewaltige Kund gebungen und sorgen dafür, daß die Flamme der Revolution nicht verlösche. So hatte z. B. der Ausschuß der Studenten der Vetersburger Universität eine Kundgebung an alle Studierenden erlassen, in dem sie aufgesordert werden, ihre Kraft Tag und Nacht der Revolution zu weihen, sich vollständig in den Dienst der Revolution zu stellen und die Tore der Universität für alle politischen Versammlungen zu öffnen. Gleich zeitig wird in dem Aufruf zu einer großen Volksversammlung in der Universität eingeladen. General Trepow, der die oberste Polizei gewalt in Petersburg hat, hat zwar die Uni versität durch 4 Kompanien Infanterie besetzen lassen, aber die geplante Versammlung kam dennoch aut dem Platze vor der Universität zu stande. 25 000 Menschen wurden durch Leib- kürasfiere, die mit Maschinengewehren ausgerüstet waren, auseinander getrieben. Aus Anlaß der überaus ernsten Lage hat Trepow angeordnet, daß bei allen Zusammenrottungen das Militär sofort scharf schießen solle. Aber es ist alles vergebens. Die Gärung wächst täglich an und jetzt ist es sogar zu einem allgemeinen Streik gekommen. Da helfen keine Gewaltmaßregeln und keine Erlasse, keine Versprechungen und keine Tröstungen mehr, das Volk will endlich sein Recht. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, daß der Zar den Entschluß gefaßt hat, seiner Hauptstadt den Rücken zu kehren. Er beab- kchtigt auf zwei Monate „zur Stärkung seiner Nerven und Kräftigung seiner Gesundheit" nach Dänemark oder nach Darmstadt zu reisen. Während seiner Abwesenheit soll Witte die Vollmacht eines Regenten erhalten. In ganz Rußland aber glaubt kein Mensch an eine Be ruhigung der Gemüter, es sei denn, daß die ruffische Regierung sich zu weitgehenden Zuge ständnissen entschließt. Minister Witte, der noch immer einiges Ansehen genießt, hat dem Volke eine Verfassung versprochen und hat sogar in Aussicht gestellt, daß sich diese Verfassung die deutsche zum Vor bild nehmen wird. Das rusfiiche Volt aber, insbesondere die revolutionäre Partei, ist miß trauisch und die Regierung wird nicht eher den Brand des allgemeinen Aufruhrs löschen können, bis sie nicht durch Taten den ehrlichen Willen zeigt, dem Volke die lange vorenthaltenen Menschenrechte zu gewähren. - - -S-SSS—S-S Von l>lab unci fern. Als Ehrengeschenk des Kaisers wurde der in Elten wohnenden verwitweten Frau Justizrat v. Weise aus Anlaß der Feier ihres 100. Geburtstages eine in der Königlichen Por zellanmanufaktur hsrgestellte, das Bild des Mon archen tragende, reich geschmückte Tasse mit einem Glückwunschschreiben des Zivilkabinetts durch den Bürgermeister überreicht. Die Cholera im Erlöschen. Vom 23. bis 28. Oktober mittags find im preußischen Staat keine choleraverdächtigen Erkrankungen oder Todesfälle an Cholera amtlich neu gemeldet worden. Der am 26. Oktober in Danzig-Haupt angezeigte choleraverdächtige Todesfall bei einem Weichselschiffer aus Tolkemit hat sich bei der bakteriologischen Untersuchung nicht als Cholera herausgestellt. Außerdem bandelte es sich bei einem am 10. Oktober aus Wöplitz bei Havelberg gemeldeten tödlichen Falle ebenfalls nicht um Cholera. Die Gesamtzahl der Cholera fälle beträgt daher bis jetzt 280 Erkrankungen, von denen 89 tödlich verliefen. Eine Gfeubrücke. Einen eigenartigen Ver such will die städtische Verwaltung in Düssel dorf unternehmen, um ein schönes Landschatts- bild nicht zu zerstören. Zur Herstellung einer notwendigen Verbindung Mischenden städtischen Waldungen in der Hardt und dem Grafenberg soll die Barmen-Schwelmer Provinzialstraße überbrückt werden. Da ein eiserner Bau schlecht in die Landschaft passen würde, soll die Brücke aus Beton hergestellt und mit Efeu und wildem Wein überrankt werden. Die Stadtverordneten bewilligten 42 000 Mk. für den Bau. Angriff auf einen Militärposten. In Schweidnitz wurde der Wachtposten am kleinen Exerzierplatz durch einen Schuß an der Hand verwundet und nachts darauf mit Ziegelsteinen beworfen. Beide. Male feuerte der Posten an scheinend ohne zu treffen. Ein Denkzettel mit Knalleffekt. In einem Orte bei Höchst, wo kürzlich Kirchweih ge feiert wurde, sollte in der Schule mit dem Stock ein Denkzettel verabfolgt werden. Der Lehrer ließ also den Haselstecken mit gewohnter Sicherheit niedersausen, doch da ertönte ein lauter Knall, — Feuer und Rauch entströmte der Hinterwand des kleinen Sünders, und der Lehrer sprang erschreckt beiseite, während der Junge sich blitzschnell des brennenden Kittels entledigte. Es stellte sich heraus, daß eine Schachtel sogenannter Zündblättchen, die der Kleine von der Kirchweih her in der Tasche trug, durch den Stock zur Entzündung gebracht, das Unheil angerichtet hatte! Keine Folter mehr ! In Weimar gestand ein dreizehnjähriger Schulknabe nach langem Leugnen, er habe ein Postpaket, in dem zwanzig Mark lagen, geöffnet und das Geld vergeudet. Nun stellte sich aber heraus, daß er das Paket ganz ordnungsmäßig auf der Post aufgegeben hatte, denn es gelangte, wenn auch verspätet, völlig unversehrt, mitsamt dem Geldinhalt, an den Adressaten. Der Knabe erklärte sein falsches Schuldgeständnis damit, daß der ihn ver nehmende Kriminalbeamte ihn durch Drohungen dazu gezwungen habe. Man habe ihm gesagt, wenn er noch weiter lüge, werde er soviel Schläge bekommen, daß er die Wände hinauf laufe. Die Vernehmung habe ihn ganz krank gemacht, zumal er tagelang nichts gegessen habe, und da habe er endlich gestanden. — Der Vorfall ist für Richter und Lehrer gleich lehrreich. Italienische Messerhelden. In Düblinge» wuroe der Bergmann Giovanni vor den Augen seines Bruders von seinem Landsmann Penotti erstochen. Dasselbe in Grün! Am Schalter des Bahnhofes in Offenbach löste jüngst ein Fahr gast eine Fahrkarte mit den Worten: „Sachsen hausen vierter und zurück!" Ein junger, hinter diesem stehender Mann verlangte darauf: „Dasselbe in Grün!" Als ihm nun der Be amte eine Fahrkarte zweiter Klasse ausfertigte, sagte er: „Ich will doch vierter Klasse haben/ Der Beamte nahm aber die Fahrkarte nicht mehr zurück, sondern sagte: „Sie haben eine grüne Fahrkarte verlangt, also müssen Sie diese auch behalten." Der junge Mann konnte nun zweiter Klasse fahren, hatte aber reichlichen Spott mitzunehmen. O Maläfriecke. 22j Roman von Adalbert Reinold. stsortlttzung.l Die Portiöre schlug auseinander, Baroneß Ida stand vor dem Grafen in dem vollen Glanz einer bezaubernden Toilette, in ver führerischer Schöne der Jugend, v. Rohden konnte keine Spur von Erregung an ihr ent decken — stolz, ruhig, imponierend trat sie ihm entgegen. „Entschuldigen Sie, liebster Karl!" sagte fie, ihm die Hand reichend. „Haben Sie schon auf mich gewartet?" „Einen Moment," war die.Antwort, und der Graf schlug, ob der Notlüge, die Augen nieder. „Aber wie bleich Sie find, Kall!" meint« Ida doch. „Mich fröstelt ein wenig," erwiderte er, „der Abend ist kühl." „Der Großpapa wünschte mich zu sprechen," erklärte fie dann beim Hinausschreiten zum Wagen. „Der alte Mam wird immer seltsamer, nun, er ist wirklich in dem Alter, wo die Leute kindisch werden sollen." 13. Hauptmann Rheinsberg war begraben. — Er hatte Frieden gefunden; er ruhte nach seinem Wunsche jetzt an der Seite seiner ge liebten Gattin an derselben Stätte auf dem kleinen Dorffriedhof, wo er im Leben fast täglich eine Stunde wellte und der teuren Toten gedachte. Mit dem Nachlaß des Verstorbenen war es für Berta traurig bestellt. Die Pension erlosch mit dem Tode des invaliden Hauptmanns. Das Waldhäuschen, zu dem keine Ländereien gehörten, wäre schwer verkäuflich gewesen; unter den Hammer gebracht, konnte es nur ver schleudert werden. Das einfache Mobiliar war dazu zu unmodern und würde ebenfalls nur einen geringen Erlös gebracht haben. Als ein wahres Glück für diese Waise mußte es somit angesehen werden, daß sich eine Bar schaft von 500 Talern vorfand. Das Oberförster-Ehepaar nahm sich, ebenso wie der alte Arzt Doktor Feldtmann, Bertas aufs freundlichste an. Die gutherzige Leine Frau Kühns bot in voller Übereinstimmung mit ihrem Manne ihr Zuflucht und Unterhalt im Försterhause an. Berta wieS dankend, aber bestimmt das gewiß gutgemeinte Anerbieten ab. Doktor Feldtmann unterrichtete fie aufs schonendste von dem schweren pekuniären Ver lust, den fie durch den Konkms des Bank hauses Behrendfeld und Sohn erlitt — ihr Vermögen, daS ihr seliger Vater so sicher an gelegt glaubte, war ihr geraubt und selbst die Hoffnung eine sehr geringe, daß aus der Konkursmasse sich zugunsten der Gläubiger eine Teilzahlung ergeben würde. Die Masse sollte eine geringe sein, da der jetzige Firmen- inhaber die gewagtesten Börsenspiele getrieben und kolofsÄe Verluste gehabt haben sollte. In den Rest würden sich, wie immer^ Gerichte und Advokaten teilen. So unglücklich gestaltete sich die Lage Bertas. — Aber diese verlor nicht den Mut, sie zeigte vielmehr eine unerwartete Energie. Die schweren Schicksalsschläge, die fie be troffen, ihr alles raubten, was ihrem Herzen lieb und teuer war, hatten fie, statt verzweifeln zu lassen, wundersam gestählt. Das brave Mädchen gedachte der Worte ihres Vaters. — Es galt den Kampf aufzuuehmen, den Kampf ums Dasein, und fie fühlte, fie mußte ihm ent gegentreten, allein, ohne fremde Hilfe. Sie beschloß kurzerhand, nach der Residenz zu gehen. — In der Weltstadt mit ihren fast zwei Millionen Einwohnern verschwand fie so zusagen, und nicht schwer würde es ihr fallen, so glaubte fie, eine Stellung als Gouvernante zu finden, wofür ihre sorgfältige Erziehung und Kenntnisse fie qualifizierten. Sie vertraute sich Doktor Feldtmann an, ließ fich aber von diesem zugleich daS Ver sprechen geben, die strengste Verschwiegenheit über ihren Lebensplan, auch über ihren Aufent haltsort gegen jedermann zu bewahren. — Zugleich übertrug fie ihm eine Vollmacht, ihre Interessen in ihren VermSgensverhSItniffen wahrzunehmen, wozu er fich ihr bereitwilligst erboten hatte. Daß der Graf von Rohden um ihre Hand angehalten, verschwieg fie auch dem Arzt, und ängstlich vermied fie, dem ihr sonst so lieben alten Oberförster-Ehepaar von ihrem Vorsatz Kenntnis zu geben, — weil fie eine Annähe rung von Eduard befürchtete, und eine solche Begegnung wollte fie unter allen Umständen vermeiden. Sie ordnete ihr kleiueS Hauswesen, wobei fie alles in dem Zustand« ließ, wie es »ar, so daß fie jeden Tag wieder ihren Einzug za hatten vermocht«, und übergab die Schlüssel dem Arzt Doktor Feldtmann. Von dem Oberförster - Ehepaar nahm sie brieflichen Abschied unter herzlicher Beteuerung, das Försterhaus in treuem Andenken lieb und wert halten zu wollen. Als Berta in der Residenz anlangte, sucht» fie fich eine bescheidene Wohnung, die fie, aller dings nur zu einem unerwartet hohen Miets- Preise, bei einer Witwe sand. Entschlossen ging fie dann ans Werk. Di« großen Annoncenblätter der Residenz find voll von Stellenangeboten — es gibt aber noch viel mehr Stellensuchende. Sie gab Offerten über Offerten ein, ohne daß dieselben berücksichtigt wurden. Aber das energische Mädchen ermüdete nicht, bis fie end lich auf eine der vielen neu eingegebenen Offerten einen Bescheid erhielt. Es war eine Kausmmmsfamilie, welche für ihre vier Kinder eine Gouvernante suchte. Berta gefiel auch der KaufmannSsrau, und nachdem fie ein förmliches Verhör über nch ihrer Vorlebens wegen hatte ergehen lassen müssen, fragte die Dame: „Sie habe« in Ihrem Offertbriefe ganz übersehen, uns Referenzen anfzugeben; ich pflege nur Personen zu engagieren, welche die besten Empfehlung«« bekannter Herrschaften besitzen.' Unbekannt mit dem Getriebe der Welt, halt« Berta garnicht daran gedacht, daß man der gleichen Anforderungen au fie stellen würde.