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Dem Volksentscheid entgegen. Berlin, 3. Nov. Nach Len beim Reichswahlleiter bis gestern abend eingegangenen Meldungen stellt sich das Er gebnis des Volksbegehrens wie folgt: Zahl der Stimm berechtigten 41073 459, Zahl der Eintragungen 4133 812, mithin Beteiligungsziffer 10,06 v. H. Wie bereits gemeldet, wird am 6. November der Reichswahlleiter das sogenannte vorläufige amtliche Er gebnis des Volksbegehrens bekanntgeben. Dieses vor läufige amtliche Ergebnis wird dann dem Wahlprü fungsgericht zugehen, das wahrscheinlich erst in der vor letzten oder letzten Novemberwoche seine Beratungen ab halten wird. Erst dann wird das endgültige amt liche Ergebnis festgestellt, das für die weitere Ent scheidung der Regierung und des Reichstages maßgebend ist. Man rechnet in parlamentarischen Kreisen damit, daß die Reichsregierung das Gesetz, das dem Volks begehren zugrunde gelegen hat, dem Reichstag Anfang Dezember zuleiten wird. Wenn man mit der Beratung dieses Gesetzes bis zur Beratung über den Poungplan warten füllte, würde das Gesetz über das Volksbegehren wahrscheinlich nicht vor Mitte, möglicherweise erst Ende Januar, mit den Pounggesetzen im Reichstag zur Be ratung kommen. Da es als zweifellos sicher anzusehen ist, daß di« gegenwärtigen Regierungsparteien das Ge setz ablehnen werden, mutz es nach der Verfassung zum Gegenstand eines Volksentscheides gemacht werden. Dieser Volksentscheid würde, wenn die Erledigung des Gesetzes in der geschilderten Weife vor sich geht, etwa in den Februar fallen. Die Termine hängen jedoch im wesentlichen von dem weiteren Gang der außenpolitischen Verhandlungen ab, die in den Organisationskomitees wegen ^er fran zösischen Regierungskrisis fast vollständig ins Stocken ge ¬ raten sind und die in der Saarfrage bekanntlich über haupt noch nicht begonnen haben. Die Berliner Presse zur Annahme des Volksbegehrens. Berlin, 3. Nov. Die Berliner Blätter nehmen zu dem nunmehr feststehenden Erfolg des Volksbegehrens ausführlich Stellung. Die „Germania" sagt, sie sei nicht geneigt, die vier Millionen, die sich eingetragen haben, zu unterschätzen — aber auch nicht zu überschätzen. Denn darüber werde sich die Front Hugenberg doch wohl selber klar sein, daß das Ergebnis, politisch gesehen, eine Niederlage sei. Ob es sich um neun, zehn oder elf Prozent handele, spiele bei der politischen Beurteilung keine Rolle. Der „Börsencourier" sieht es als bemerkenswert an, daß sich der ganze deutsche Westen und 'Süden von dem Volksbegehren abgewandt habe. Die „D. A. Z." stellt fest, daß das Ergebnis des Volks begehrens, besonders wenn man den ungeheuren Auf wand des staatlichen Apparates in Betracht ziehH eine Manifestation politischen Willens bedeute. Die,,Deut sche Tageszeitung" stellt fest, daß das Er gebnis der Eintragungen zum Volksbegehren eine Niederlage, und zwar eine sehr eindeutige, der offi ziellen Regierungspolitik darstelle, die man m Preußen und im Reich dieser Aktion gegenüber für zweckmäßig ge yalten habe. Die „Kreuzzeitung" schreibt: „War es auch nur ein knapper Sieg, so wollen wir uns seiner freuen und ihn als einen Antrieb werten im weiteren Kampf gegen Tributplan und Kriegsschuldlüge, der ja auch zugleich zum Machtkampf gegen die roten Macht haber, die Verantwortlichen dieses Systems, geworden ist." MWM W Ws WMWMi MW»? Wiederaufleben der Votschafterkonferenz? Paris, 2. November. Im Zusammenhang mit der Rheinlandräumung sind zurzeit Verhandlungen zwi schen der Botschafterkonferenz und der deutschen Regie rung im Gange, die die Anwendung gewisser Bestim mungen des Versailler Vertrags über die Entmilitari sierung des linken Rheinufers und der 50-Kilometer- Zone auf dem rechten Rhcinufer betreffen. Nach einer halbamtlichen französischen Darstellung sieht das Abkommen, das noch nicht abgeschlossen, aber auf gutem Wege zum Abschluß ist, die Zerstörung von fünf Eisenbahnlinien allein in der Pfalz durch Deutsch land nor. Diese Eisenbahnlinien seien von den alliier ten Sachverständigen als strategische Linien bezeichnet worden. Außerdem betrifft das Abkommen die Erlaub nis, die Deutschland zum Bau von drei Brücken über den Rhein erteilt werden soll. Von französischer Seite wird versichert, datz es sich entgegen anderslautenden Darstellungen nicht um eine geheime Abmachung zwi schen Frankreich und Deutschland handle, deren Grund lagen Stresemann vor seinem Tode ausgestellt haben soll. Tardieus Kabinett gebildet. Ohne die Nadikalsozialisten. — Maginot Kriegs minister, Briand wieder Außenminister. Paris, 3. Novbr. Andre Tardieu hat gestern abend sein Kabinett endgültig gebildet. Die Minister- liste lautet folgendermaßen: Ministerpräsident und Inneres: Andre Tardieu lUnterstaatssekretäre Herand und Rene Manaut): Justizministerium: Senator Lucien Hubert: Finanzministerium: Senator CHeron (Unter- staatssekretär Champetier de Ribes): Auswärtiges: Briand: Krieg: Maginot: Marine: Georges Leygues (Unterstaatssekretär Delignej: Landwirtschaft: Hennessy (Unterstaatssekretär Robert Serot): Oeffentliche Arbeiten: Pernot (Unterstaatssekre- tär Mattarmes: Handel: Pierre Etienne Fl and in: Luftfahrtministerium: Laurent-Eynac: Kolonien: Pietri (Unterstaatssekretär Alcide Delmontes: Arbeitsminister: Loucheur (Unterstaatssekretär Oberkirchs: Unterricht: Senator Pierre Marr and (Unter staatssekretäre Henry Pate, Francois Poncet und Ba- retys: Pensionsministerium: Senator Galtet: Ministerium für Post, Telephon- und Telegraphen wesen : Germain Martin: Ministerium für Handelsmarine: Rollin. Die siebente Schweizfahrt. Zwischenlandung bei Zürich. Zürich, 2. Nov. Das Luftschiff „Graf Zeppelin" führte auf seiner heutigen schweizerischen Fahrt auf dem Flugplatz in Dübendorf bei Zürich die vorgesehene Zwi schenlandung aus. Trotz des nebligen, nassen und trüben Wetters hatten sich rund 35 000 Personen auf dem 11 Kilometer von Zürich entfernt liegenden Flugplatz eingefunden. In der Zeit von 1 bis 3 Uhr nachmittags konnte der „Graf Zeppelin" vom Flugfelde aus ständig beobachtet werden. Er führte über der Stadt und der Umgebung mehrere größere Schleifenfahrten aus. Kapitän von Schiller war mit drei Begleitern von Friedrichshafen gekommen, um das Kommando über die Bodenmann schaft zu übernehmen. Von schweizerischer Seite waren etwa 200 Mann bereitgestellt worden. Die Landung selbst ging völlig glatt von statten; genau um 3 Uhr nachmittags befand sich das Luftschiff auf dem Boden. Sämtliche Passagiere wurden aus gewechselt. Zu Ehren der Führung und Besatzung fand ein festlicher Empfang statt, bei dem insbesondere Kapitän Lehmann Gegenstand begeisterter Kund gebungen war. Um 16 Uhr stieg das Luftschiff zur Weiterfahrt auf und strebte in nördlicher Richtung dem Heimathafen zu. Dort ist es eine Stunde später ge landet. * Landung auch bei Stuttgart. Stuttgart, 3. Nov. Das Luftschiff „Gras Zeppe lin" ist Sonntag morgen um 9.04 Uhr unter Führung von Dr. Eckener zu der geplanten Stuttgart- Böblingen-Fahrt aufgestiegen. Nach vierstündiger Fahrt landete das Luftschiff 12.55 Uhr auf dem Flug platz Böblingen zu einem zweistündigen Aufenthalt. Etwa 60 000 Zuschauer warteten schon stundenlang auf die An kunft des Luftschiffes. Der württembergische Staatspräsi dent Dr. Bolz begrüßte Dr. Eckener, Dr. Maybach und Dr. Dürr. Friedrichshafen, 3. Nov. Um 16.58 Uhr ist das Luftschiff „Graf Zeppelin" zum erstenmal ohne Halte taue, von Böblingen kommend, glatt gelandet. Erst als es auf dem Boden war, wurden die Hattetaue zum Ein schleppen abgeworfen. Aus aller Welt. * Große Unterschlagungen bei der russischen Han delsvertretung in Berlin. Im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der deutsch-russischen Filmgesellschaft „Derusa" sind, wie die „Montagspost" berichtet, der Leiter der Photokinozentrale, Zerer, und der Leiter der sozialen Abteilung der russischen Handelsvertretung Le- wine aus Berlin flüchtig geworden. Zerer sowohl wie Lewine wird voraeworfen, aus den Mitteln der Han delsvertretung große Summen unterschlagen zu haben, die sie für ihren eigenen Bedarf benutzten. Gleichzeitig wird bekannt, daß der Leiter der Einfuhrabteilung und der Schiffahrtsabteilung ihrer Aemter enthoben wor den sind und von der russischen Regierung zur Rückkehr nach Moskau aufgefordert wurden. Infolge der außer ordentlich scharfen Strömung, die jetzt in Moskau am Ruder ist, haben die beiden Vertrauensleute der Sow jetregierung sich geweigert, dem Rufe nach der Heimat Folge zu leisten, da sie fürchten, dort kurzerhand er schossen zu werden. ^Eisenbahnunglückbei Agram — drei Tote, mehrere Verletzte. Am Sonntag ereig nete sich bei der Station Reichenburg Sin Eisenbahn unglück. Als der Orient-Expreßzug aus der Station fuhr, stieß er in der Nähe der Brücke, dis über die Sau führt, mit einem Güterzug zusammen. Die Ursache des Zusammenstoßes war ein zu früh gegebenes Abfahrts signal für den Eüterzug. Trotz der Geistesgegenwart des Lokomotivführers des Orient-Expreßzuges, der so fort Gegendampf gab, war der Anprall so heftig, daß der Enterzug den Damm hinuntersollte. Der Lokomo tivführer und zwei Heizer des Lastzuges wurden auf der Stelle getötet, während es im Expreßzug nur einige Leichtverletzte gab. Der Beamte, der durch ein falsches Signal den Zusammenstoß verursacht hatte, wollte Selbstmord verüben und wurde in hoffnungslosem Zu stand nach dem Krankenhaus überführt. Die Strecke ist bereits wieder freigemacht. Das einsame Haus. Roman von M. N icholson. 23) (Nachdruck verboten.) Es dauerte nicht lange, bis John der Sachverhalt klar wurde. Eine der Platten, mit denen der Fußboden be deckt war, bestand nicht aus Zement, sondern aus einer mit größter Geschicklichkeit hergestellten Imitation aus Holz. John zog sein Taschenmesser und zwängte die Klinge in die Fuge. Er mußte, den ersten Versuch mit ihrem Verlust bezahlen, aber der zweite gelang. Die Platte erwies sich als eine Falltür, unter welcher eine stockfinstere Öffnung gähnte. Erst als John die mit- gebrachte Laterne entzündet hatte, sah er die Holztreppe, die nach unten führte. Der Raum unterhalb erwies sich als ein Tunnel, der unter den Grundmauern des Ge bäudes dahinlief. John folgte der Richtung, die der -Mauer des Schulgebäudes zu führte. Je weiter er vorwärtsschritt, desto schärfer wurde der Luftzug. Nach einer Strecke von etwa zweihundert Schritt schien die Luft direkt von oben zu kommen. Er hob seine Hände über den Kops und fand in der Decke zwei Öffnungen, durch die ein ständiger Saugstrom ging. Aach seinen Berechnungen mußte er sich unter der Schul- ^mauer befinden, und er wußte nun, was die eigentliche Bestimmung der beiden Pfeiler an der Pforte zu dem Aachbargrundstück war. Sie waren hohl und dienten der Ventilaüon des Tunnels. Nach weiteren zwanzig Schritten vernahm John zu seiner Überraschung ein dumpfes Dröhnen urkd stieß dar aus an eine hölzerne Treppe, die das Ende des Tunnels bezeichnete. Nach seiner Schätzung mußte er ungefähr bei der Kapelle angelangt sein. Das Dröhnen schwoll an, als John die Treppe Hin aufstieg, an deren Kopf er eine Tür fand, die sich unter dem Druck seiner Hand sofort öffnete. Einen Augenblick lang geblendet, stand er mit der Laterne in der Hand in einem Hellen Naum, und nun wurde es ihm auch klar, daß das Dröhnen von oer Kirchenorgel kam. Neugierde trieb ihn, trotzdem es schon spät war, die Kapelle aufzusuchen. Der Weg dahin war nicht schwer zu" finden. Au seiner Überraschung war die Kapelle voll kommen leer, bis aus eine Gestalt, die an der Orgel saß und den Naum mit den Klängen eines Marsches erfüllte. Mil der Mütze in der Hand stahl sich John vorwärts und lieb sicb in eine» Kirchenstuhl nieder. Eine Lampe über der Orgel, das einzige Licht, das in der Kirche brannte, warf einen Weichen Schimmer über den Kopf des Organisten, den unbedeckten Kopf Olivia Armstrongs! John mußte lächeln, als er in dem Urheber der wuchtigen Töne seine jugendliche Gefährtin erkannte; aber die melancholischen Mollakkorde, die ihren Fingern entsprangen, ihre Hingabe und ihre Einsamkeit in der halbdunklen Kirche rührten an sein Herz, so daß er sich an dächtig über seine Arme beugte und mit einer Art ehr fürchtigen Staunens zuhörte. Es war ein Ort des Frie- „Sie sind es? Ich kann mich nicht erinnern, Sie eingeladen zu haben." dens und der Harmonie, die nach den aufregenden Stun den in seinem eigenen Hause Balsam auf seine Seele war. Die Orgelspielerin sprang, ohne eine Pause zu machen, mit flinken Fingern die Register bedienend, von einem Stück zum anderen. Zuerst war es eine Kirchen hymne, dann ein Motiv von Wagner, und schließlich ent quollen der Orgel die jubelnden Akkorde des Mendels- sohnschen Hochzeitsmarsches. Daun brach sie plötzlich ab. Ein leichter Seufzer ent schlüpfte der Spielerin und sie faltete ihre Hände im Schoß Ais sie den Arm hob, um das Licht auszudrehen, nal dei junge Mann vor. „Gestatten Sie mir, Ihnen behilflich zu sein." Sie zuckte zurück und schlug ihr Cape fester um ihren Körper. „Sie sind es?" fragte sie mit einem kurzen Augen aufschlag. „Ich kann mich nicht erinnern — nein, ich erinnere mich wirklich nicht, Sie eingeladen zu haben." „Ich bin auch nur ganz zufällig hierhergekommen," antwortete John, mit einer Hand an der Lampe. Sie schien das Gespräch nicht fortsetzen zu wollen und eilte der Tür zu. John löschte rasch die Lampe aus und lief ihr nach.- „Bitte, folgen Sie mir nicht, Mr. Glenarm," sagte sie eindringlich. Die Dämmerung war inzwischen hereingebrochen und die ersten Planeten leuchteten bereits vom Himmel. Der Weg zum Schulgebäude lag schon im tiefen Schatten des angrenzenden Geästes. „über den dunklen Teil des Weges darf ich Sie doch hoffentlich begleiten," wandte er ein. „Nein, bitte, gehen Sie! Es wäre gegen die Vor schriften und könnte mir Unannehmlichkeiten bereiten." Damit trat sie aus der Tür auf den Pfad hinaus „Schade," erwiderte John, „aber ich freue mich trotz dem, gekommen zu sein. Ihr Orgelspiel war für mich wahrhaftig ein Genuß. Nein, ich scherze wirklich nicht, Miß Armstrong, es war wundervoll!" Sie gab jedoch keine Antwort und machte einige Schritte von ihm weg. „Ich hoffe, noch öfter das Vergnügen zu haben," fuhr er fort in der Absicht, sie zurückzuhalten. „Sehr schmeichelhaft, Mr. Glenarm, aber da ich dem nächst verreise —" Tiefe Enttäuschung durchfuhr ihn bei diesen Worten. Sie war die einzige fröhliche Seele unter all seinen Nach barn und der Gedanke, sie zu verlieren, machte die Land schaft noch um einige Töne düsterer. „Tas tut mir wahrhaftig leid; und gerade jetzt, da wir aus dem besten Wege sind, Freunde zu werden! Ich hatte mir schon vorgenommen, jeden Sonntag zur Kirche zu gehen, um Sie spielen zu hören und den lieben Goli um Schnee zu bitten, damit Sie wieder in meinem Park Kaninchen jagen." Die Erinnerung daran schien ihr Herz ein wenig zu erweichen, jedenfalls änderte sie ihren Ton. „Ich spiele nicht zum Gottesdienst. Die Schwestern fürchten, ich könnte während des Tedeums versehentlich in einen Foxtrott verfallen." (Fortsetzung folgt.)