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Endgültige Einigung im Kang. Beginn der Nheinlandräumung am 15. September — Deutschland verzichtet auf Ersatz der Besatzungsschäden. Haag. 29. August. Die Konferenz der an der Be satzung interessierten Mächte Frankreich, England, Bel gien und Deutschland, die heute von 11 bis 12 Uhr tagte, hat ihre Arbeiten beendet. Sie hat einstimmig einen Bericht angenommen, der der politischen Kommission vorgelegt werden wird und dessen Wortlaut noch näher bekanntgegeben wird. Der Bericht wird im einzelnen folgende Bestimmungen enthalten: Die Kommission stellt fest, daß die drei Vesetzungs- mächte zu einer Uebereinstimmung über den Beginn der aktuellen Räumung gelangt sind. Die Räumung soll am 15. September erfolgen. Die belgischen und die englischen Truppen werden in einer Zeit von drei Monaten gänzlich zurückgezogen werden. Zn derselben Zeit werden die französischen Truppen die zweite Zone räumen. Die Räumung der dritten Zone durch die französischen Truppen wird so fort beginnen, nachdem die Ratifizierung des Poung- planes durch das deutsche und das französische Parla ment erfolgt und der doungplan in Kraft getreten ist. Ministerpräsident Briand hat hierbei ausdrücklich die Erklärung abgegeben, das; er nicht die Absicht habe, darauf zu warten, bis feder einzelne der übrigen an dem Poungplan beteiligten Staaten die Ratifizierung des Poungplanes durchgeführt habe. Die Räumung soll ohne Unterbrechung fortgesetzt werden, und zwar so schnell, als es technisch möglich ist. Sie soll spätestens in einem Zeitraum von acht Monaten, jedenfalls vor Ende Juni 1930. beendet sein. Die Lösung der Kontrollfrage. Haag, 29. August. In der Frage der Vergleichs kommission für das Rheinland, ebenso wie in der Räu mungsfrage ist im Laufe des Donnerstagvormittags eine endgültige Regelung zustandegekommen. Die hier für maßgeblichen Bestimmungen der Vereinbarung lauten: Im Interesse einer allgemeinen friedlichen Rege lung sind die Negierungen übereingekommen. daßStreit- fälle, die sich aus der Auslegung der Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages (entmilitarisierte Rheinland zone) ergeben, vor die durch den Locarno-Bertrag ge schaffene deutsch-belgische und deutsch-französische Ver- gleichskommission gebracht werden sollen und von dieser Kommission gemäs; der ihr nach dem Locarno-Bertrag zustehenden Kompetenz und dem im Locarno-Bertrag vorgesehenen Verfahren behandelt werden sollen. Nach Ansicht der maßgeblichen deutschen Stellen ändert diese neue Vereinbarung an dem bisherigen Zu stande nichts. Die beiden Ausgleichskommissionen des Locarno-Vertrages bleiben wie bisher nebeneinander bestehen, auch trete keine Aenderung der Zuständigkeit der Kommissionen ein. In der heute getroffenen schriftlichen Vereinbarung werde ferner ausdrücklich festqestellt, daß die beteiligten Mächte jederzeit das Recht hätten, den Völkerbundsrat anzurufen. Der amtliche Bericht. Haag, 29. August, lieber die heutige Sitzung des Politischen Ausschusses wird das folgende amtliche Kommunique ausgegsben: Die Sitzung wurde um 12 Uhr eröffnet. Hender- s o n beginnt mit der Verlesung seines Berichtes, der die Bilanz seiner Arbeiten zieht. Die für die Inangriff nahme der Räumung getroffenen Vorbereitungen sind, so führte Henderson aus, derartig, daß alle unnölige Verzögerung der Räumung vermieden wird. Wenn schließlich die allgemeinen Vereinbarungen der Konfe renz, wie man hoffen kann, formuliert, unterzeichnet und so schnell, wie sich berechtigterweise erwarten läßt, ratifiziert werden, so wird sich die Räumung innerhalb einer billigen und vernünftigen Frist vollziehen. Um die Räumung im gemeinsamen Interesse zu beschleunigen, ist die verständige Bestimmung ge troffen worden, die Ansprüche auf Schadenersatz usw., die aus der Liquidation der Besatzung ent stehen. anfzuschieben. Zum Schluß erinnerte Henderson daran, daß die Hauptaufgabe der Konferenz die Herbeiführung einer endgültigen, gerechten und billigen Liquidation der aus dem Kriege verbliebenen Probleme war. In folge der Entscheidungen der Konferenz stehe der Weg zur Wiederherstellung des Allgemeinwohls und der Wohlfahrt der Völker auf der festen Grundlage eines sicheren, dauernden Friedens offen. Briand / dankte dem Vorsitzenden für seine Worte und gab der Hoffnung Ausdruck, daß eine Einigung über die finanziellen Fragen im Laufe des Tages ver zeichnet werden könne. Briand ging auf die Bedin gungen ein, unter denen sich die Räumung des Rhein landes vollziehen soll, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß sich alle diese Bedingungen, die eine Durchführung des Poungplanes vorsehen, in der kürzesten Form ermöglichen lassen werden, um so eine schnellstmögliche Räumung zu gestatten. Wenn Opfer von der einen und von der anderen Seite gebracht werden mußten, so sind sie für die Sache des Friedens gebracht worden. Dr. Stresemann beglückwünschte den Vorsitzenden des Politischen Aus schusses anläßlich des vollbrachten Werkes und gab seiner Befriedigung darüber Ausdruck, daß der Vorsitzende von Anfang an di e Meinung vertreten habe, daß die Frage der Räumung unabhängig von den im Finanzausschuß behandelten Fragen geregelt werden müßte. Er dankte Briand für die Zusicherung, daß die Räumung des Nheinlandes aufs schnellste durchgeführt werde. Nachdem er mit Befriedigung festgestellt hatte, daß keinerlei besondere Kontrolle für das Rheinland vorgesehen sei. gab er seiner Genugtuung darüber Ausdruck, daß dieses Ergebnis im Geiste der Versöhnlichkeit und des guten Einvernehmens erreicht worden sei. Der Italiener Grandi erklärte, daß Italien als Unterzeichner des Locarno vertrages sich über eine Lösung freue, die die Bedeutung und die Lebenskraft dieses Vertrages von neuem be stätige. Und wie steht es mit der Saar? Man hat in Deutschland nicht erwartet, daß es im Haag schon zu einer Entscheidung über die von Deutsch land als logische Konsequenz der allgemeinen Kriegsliqui dation geforderte Rückgabe des Saargebietes bereits vor dem im Friedensvertrag vorgesehenen Termin kommen wird. Allerdings wünschte man deutscherseits dringend, bereits jetzt Verhandlungen über die Saarsrage einzu leiten. Dr. Stresemann hat das bekanntlich schon in der ersten Woche der Haager Konferenz in einem Memorandum ausdrücklich betont. Man hat jedoch bis jetzt nichts weiter davon gehört. Herr Briand versteht es ausgezeichnet, alle ihm unbequemen Dinge durch ein taktisch elastisches Ausweichen auf die lange Bank zu schieben. Wohl hat er sich den deutschen Forderungen gegenüber nicht ganz unzugänglich gezeigt, aber es wird für die Deutschen nicht sehr leicht sein, die Saarfrage im Gange zu halten. Für Deutschland hat die Räumungsfrage schon seit langem aufgehört, sich ausschließlich auf das Rheinland zu beziehen. Der Ruf nach der Befreiung des Saargebiets wird immer lauter. Es ist zur festesten Ueberzeugung in Deutschland ge worden, daß nach Erledigung der Rheinlandräumung sofort der Kamps um die Räumung des Saargebiets ausgenommen werden muß. Die Saar wurde von der deutschen Heimat abgetrennt, „als Ersatz für die Zer störung der Kohlengruben in Nordfrankreich und in Anrechnung auf den Vertrag der völligen Wiedergut machung und Kriegsschäden, die Deutschland schuldet." Während die Zugehörigkeit des Rheinlands zu Deutsch land von niemand bestritten wird, muß im Saargebiet auf Grund des Versailler Diktats nach Ablauf von 15 Jahren eine Abstimmung stattfinden, die das weitere Schicksas der Saar bestimmen soll. Die Verfasser des Versailler Diktats rechneten vorwiegend damit, daß diese Abstimmung zugunsten Frankreichs stattfinden könnte, so daß die Franzosen weiterhin Eigentümer der abgetrennten Kohlengruben bleiben würden, in Wirklichkeit zweifelt man heute nach Ablauf von zehn Jahren seit dem In krafttreten des Versailler Vertrags auch in Frankreich nicht mehr daran, daß die Saarabstimmung einen hun ¬ dertprozentigen Erfolg für Deutschland und damit eine hundertprozentige Blamage für Frankreich bringen wird. Aber gerade weil man daran nicht mehr zweifelt, ver sucht man in Frankreich, diese Blamage möglichst weit hinauszuschieben, anstatt daß man sie sich überhaupt erspart und das Saargebiet freiwillig ohne Abstim mung an Deutschland zurückgibt Leider liegen die wirtschaftlichen Verhältnisse be deutend komplizierter als die politischen. Der französische Staat ist bis zum Ablauf von 15 Jahren u mimschräuktcr Eigentümer des Saar beckens. Frankreich darf die Saargruben nach Belieben ausbeuten nnd besitzt in dieser Hinsicht keinerlei Verpflichtungen gegen Deutschland. Die Anlage zum Versailler Ver trag, die dem Saargebiet gewidmet ist, enthält eine Klausel, derzufolge Deutschland für den Fall der Wie dervereinigung des Saarbeckens mit dem Mutterland die Eigentumsrechte Frankreichs auf die dortigen Gruben zurückraufen kann. Die Franzosen weisen nun mit allem Nachdruck darauf hin, daß sie auf die Saargruben nur dann vorzeitig verzichten werden, wenn ihnen dafür eine entsprechende besondere Kompensation geboten wird. So kommt es, daß, während die Rheinlandräumung eine rein politische Frage ist, die Saarräumung eine außer ordentlich wichtige wirtschaftliche Kehrseite hat, die wahr scheinlich noch zum Gegenstand ernstester und schwierigster Auseinandersetzungen führen wird. Das alles darf nicht daran hindern, daß man deut scherseits energisch darauf dringt, die Verhandlungen über die Räumung des Saargebiets möglichst schnell ein zuleiten. Die Räumung der Saar ist nicht weniger wichtig, wie die des Rheinlands. Auch dort warten deutsche Brüder darauf, möglichst bald wieder zum Mutterland zurückkehren zu können. Lösung der Saarfraqe durch direkte Verhandlungen. Haag, 30. Aug. Zwischen der deutschen und der französischen Abordnung ist eine Vereinbarung getrof fen worden, derzufolge zu einem späteren Termin V er - Handlungen zur Regelung der Saarfrage zwischen beiden Ländern dircktaufgenommenwerden sollen. Das Urteil der deutschen Presse. Die im Haag zustandegekommene Einigung wird in der deutschen Presse verschieden beurteilt. Die „D. A. Z." stellt fest, daß wir das Inkrafttreten des Doung-Manes teurer bezahlen müßten, als es bei geschickterer Verhand- lungstaktik und ohne die Vorbelastung durch die deutsche Demarche nötig gewesen wäre. Der „Lokalanzeiger" stellt als einziges Ergebnis der Konferenz fest, daß die deutsche Delegation vermieden habe, daß der Poung- Plan in Scherben gehe, aber sonst habe sie nichts ver mieden. Die „Deutsche Tageszeitung" spricht von einer bezahlten Räumung. Dabei dürfte nicht vergessen wer den, daß wir ein längst verbrieftes Recht auf Befreiung des Rheinlandes auch ohne neue Sonderleistung habe. Das ,,B. T." sagt, bedauerlicherweise sei es schon heute offensichtlich, daß die noch ausstehenden Entscheidungen bei weitem nicht so erfreulich sein würden, wie die Be freiung des Rheinlandes von den fremden Truppen und von dem Gespenst einer ausländischen Kontrollkommis sion. Vor allem das wirtschaftlich-finanzielle Resultat der Konferenz und das Ergebnis der ersten Besprechungen über die Befreiung des Saargebietes dürften noch An laß zu deutlicher Kritik geben. Der „Börsenkurier" stellt fest, daß die Ergebnisse doch erfreulicher seien, als es die zeitweise geradezu aufreizenden Einschüchterungsver suche hätten erwarten lassen. Die deutsche Delegation habe sich allerdings gegen diese unfairen Methoden nicht wider standsfähig genug gezeigt. Der „Vorwärts" allein spricht von einem großen Erfolg, der in dem Inkrafttreten des Poung-Planes, der Räumung des besetzten Gebietes und in^er Tatsache bestehe, daH die Entente aufgehört habe, zu bestehen. Gegenüber diesem dreifachen Ergebnis, so meint das sozialdemokratische Zentralorgan, sei die Be deutung gewisser „Nebenfragen", über die großer Lärm gewesen sei, nahezu gleich Null. Neueste Nachrichten. Anschlag auf den Regierungspräsiden ten Grimpe. Schleswig, 30. Aug. In der Nacht zum Frei tag wurde auf die Wohnung des stellvertretenden Ne- gierungsvizepräsidenten Grimpe in der Neuwerkstraßs ein Sprengstoffanschlag verübt. Um 2 Uhr wurde von dem Dienstmädchen eine Höllenmaschine im Hausgang gefunden. Das Mädchen trug die Maschine bis außer halb der Gartenzäunung. Sie setzte den Regierungs vizepräsidenten in Kenntnis, der die Schupo alarmierte. Beamte der Schupo zerschnitten die Drähte und mach ten somit eine Explosion unmöglich. Auf der Suche nach den Tätern. Schleswig. 30. Aug. Zum Sprengstoffanschlag auf das Haus des Regierungsvizeprüsidenten Grimpe, der der sozialdemokratischen Partei ange hört, werden noch folgende Einzelheiten mitgeteilt: Die ganze Umgebung wurde nach den Tätern abgesucht. Ein Polizeibeamter wollte in der Windallee Warnungs schüsse gehört haben, als er sich an Ort und Stelle be gab, war jedoch nichts zu entdecken. Bei der aufgefun denen Höllenmaschine handelt es sich u m d a s g l e i ch e Fabrikat wie bei derjenigen, die am 1. August d. I. bei der L a n d k r a n k e n k a s s e in Lüneburg aufgefunden wurde. Die Höllen maschine enthielt etwa 4 Kilogramm Sprengstoff und hätte, wenn sie zur Explosion gekommen wäre, sicher das ganze Haus in die Luft gesprengt, da sie in dem mehrere Meter tiefen Hauseingang niedergelegt worden war. Die Bahnhöfe der Umgegend wurden noch in der Nacht nach allen Richtungen hin überwacht. Von den Tätern fehlt noch jede Spur. Ein drittes Todesopfer des Brandunglücks am Kur fürstendamm. Berlin, 30. Aug. Der Brand am Kurfürstendamm hat nun ein drittes Todesopfer gefordert. Der Feuer wehrmann Christel ist in der vergangenen Nacht im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen. Bei den übrigen acht Feurwehrleuten soll keine Lebensge fahr mehr bestehen, doch sind mehrere von ihnen so schwer verletzt, daß sie dauernd dienstunfähig bleiben dürften. Beginn der Völkerbunds-, atstatzung. Gens, 30. August. Am Freitagmittag wurde die 56. Ratstagung mit einer Eeheimsitzunq eröffnet, in der Verwaltungs- und Haushaltsfragen erledigt wurden. Daran schloß sich eine öffentliche Sitzung. Den Vorsitz führt der Vertreter Persiens Ali Khan Poroughi. Dem Verlauf und dem Ergebnis der Haager Kon ferenz wird von den hier einqetroffenen Abordnungen im allgemeinen große Zurückhaltung entgegcngebracht, jedoch ist man zweifellos überall sehr darüber erfreut, daß in Genf keine Fortsetzung der Haager Arbeiten nötig ist. Habib Ullahs Niederlage. London, 30. August. In Lahore eingegangene Be richte aus Peschawar bestätigen den Fall von Eardez, Die Truppen Habib Ullahs erlitten bei dem Angriff sehr bedeutende Verluste. Die Belagerungsstreitkräfte zogen am Donnerstag in die Stadt ein. Nadir Khan sind 600 Gefangene in die Hände gefallen. Daneben hat er eine bedeutende Menge an Munition und Waffen sowie an Nahrungsmittel erbeutet. Die Ueberschwemmunqen in Indien. — 300 Personen ums Leben gekommen. London, 30. Aug. Berichten aus Bombay zu folge sind die Fluten des Indus durch die starken Negen- fälle im Pundschab und in Belutschistan weiterhin im Steigen begriffen. Der Wasserstand ist der höchste in den letzten fünfzig Jahren. Es besteht die Gefahr, daß die Stadt Dera Chazi Khan zerstört werden wird. Im Sindgebiet ist die gesamte Ernte vernichtet. Die Stadt Kandakot schwebt ebenfalls in der Gefahr, ein Opfer der Fluten zu werden. Wie aus Lahore gemeldet wird, ist die Eisenbahnstation Wah. 50 Kilometer von Attock entfernt, ebenfalls von den Wassermengen zerstört wor den. Die Straßen zwischen Peschawar und Nowshera stehen meilenweit unter Wasser.