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Der Krieg soll verdammt werden. 4. Januar 1928 Die amerikanische Negierung hat einer Neuter- Meldnnq aus Washington zufolge Frankreich einge laden, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten an alle führenden Mächte der Welt die Aufforderung zu richten, einen Vertrag abzuschließen, der eine Deklara tion enthält, daß der Krieg al sein Instru - ment der nationalen Politik verdammt wird. Eine schwierige Sache. Ueber die Auffassung der französischen Regierung zu der amerikanischen Absicht, den Pakt zum Ausschluß des Krieges auch'auf andere Mächte als Franreich aus zudehnen, erklärt der „Temps", daß die franzö sische Regierung einen derartigen Vertrags abschluß für schwierig erachte. Dagegen sei sie der Meinung, daß ein französisch amerikanischer Pakt, der den Krieg ausschließe, sehr wohl anderen Ländern eröffnet werden könnte, damit diese getrennt mit den Vereinigten Staaten den Vertrag unterzeichneten. Eine solche Konvention werde von den französischen Rechtsberatern augenblicklich studiert. Es sei sicher, daß man sich darüber einigen werde, was aber in nichts den Abschluß eines erneuer ten französisch-amerikanischen Schiedsgerichtsvertrages verhindere. Zu den Informationen, wonach die Schieds gerichtsbarkeit sich auf alle Fragen erstrecken werde, Ist das kein Krieg? 4 Januar 1928 Amerikas Vorgehen in Nicaragua. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die jetzt soviel von der Aechtung des Krieges reden, sind gegen einen Gegner aufgestanden, der so schwach ist, daß er nicht als ein Gegner bezeichnet werden kann. Nica ragua, ein unabhängiger mittelamerikanischer Staat mit ca. 500 000 Einwohnern, hatte schon im vorigen Herbst die große Ehre, einen Besuch der amerikanischen Flotte zu erhalten. In Anbetracht ihrer Schwäche zur See hat sich die nicaraguanische Regierung entschlossen, den Kampf aus dem Lande zu führen und machte zu diesem Zweck eine Armee von ca. 300 Soldaten und ebensoviel Generälen (so sind die Sitten und Bräuche in Mittelamerika) mobil. Als nun diese Armee ge schlagen wurde, haben die mutigen Nordamerikaner die rechtmäßige Regierung Nicaraguas gestürzt und einem Usurpator zur Macht verhalfen. Die gesetzmäßige Regierung zog sich zurück, setzte aber ihren Verzweiflungskamps gegen den nordamerikanischen Riesen fort. Was ist aber zwischen den Vereinigten Staaten und den armen Nicaraguanern oorgefallen? Nichts be sonderes, nur daß Nicaragua auf dem Wege der Ex pansion der Vereinigten Staaten über dem ganzen amerikanischen Kontinent liegt und es gewagt hat, einige Wünsche zu äußern und sich nicht als eine Kolonie Nordamerikas behandeln zu lassen. Die neue Verschärfung -er Lage in Nicaragua. Wie aus Washington berichtet wird, hielt das Kabinett gestern unter Vorsitz des Präsidenten Coolidge eine Sitzung ab, die der Besprechung der Lage in Nicaragua galt. Dabei wurde unter anderem die bereits gemeldete Entsendung weiterer amerikani scher Marinetruppen nach Nicaragua beschlossen. In amerikanischen politischen Kreisen rechnet man trotz der optimistischen Erklärung der Regierung mit neuen größeren Schwierigkeiten in Nicaragua. Man vermutet, daß General Sandino von mexikanischer Seite unterstützt wird und befürchtet, daß die öffentliche Meinung Mittelamerikas erneut stark für General Sandino eintreten werde. Dies wäre Washington be sonders deswegen unangenehm, weil damit die beab sichtigte Wirkung des Lrndberghfluges nach Mittel amerika aufgehoben würde und weil demnächst die pan amerikanische Konferenz beginnt, die Coolidge zu be suchen beabsichtigt. Neue amerikanische Oelwünschc in Mexiko. Die amerikanischen Oelinteresscnten beabsichtigen, die amerikanische Negierung aufzufordern, für weitere Zugeständnisse in der Frage der Oelgesetzgebung bei der mexikanischen Regierung vorstellig zu werden, da die Zugeständnisse Calles unzureichend seien. Zur Autonomistenbewegung. 4. Januar <928 Die vom „Temps" abgedruckten Mitteilungen, wonach die autonomistische Bewegung im Elsaß durch die deutschen Gelder finanziert worden sei, werden von einer Anzahl elsässischer Blätter mit humo ristischen und sarkastischen Wendungen kommentiert. Gleichzeitig wird betont, daß die Richtigkeit jener Meldungen stark angezweifelt werden müsse, solange ein positiver Beweis noch nicht erbracht sei. Vergebliche Jagd auf Pastor Hirtzel. Der Straßburger Korrespondent des „Temps" be richtet, daß der protestantische Pfarrer Hirtzel flüchtig ist. Der Haftbefehl gegen einen protestami scheu Pastor, von dem „Petit Journal" berichtete, oe- ziehe sich auf ihn. Aus Paris wird berichtet, daß nach dort aus Straßburg eingegangenen Meldungen die französische Polizei trotz einer Jagd im Auto durch ganz Elsaß ocn evangelischen Pfarrer Hirtzel nicht habe verhaften können. Es sei ihm gelungen über die Grenze zu entkommen. mit Ausschluß rein innenpolitischer Fragen oder Streit punkte, die mit der Monroe-Doktrin im Zusammen hang stehen, erklärt der „Matin", daß in diesem Falle vermutlich der Bryan-Vertrag in Kraft bleiben wird, damit diese Ausnahmefälle einer Schieds-Kommission unterbreitet werden könnten. Der Bryan-Vertrag wurde bekanntlich im Sep tember 1914 zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten geschlossen; die durch ihn geschaffene Kommis sion setzt sich aus fünf Mitgliedern zusammen. Rückfragen Briands bei Kellogg. 4. Januar 19 8 Petit Puristen teilt heute mit, daß die zuständigen Stellen des französischen Außenamts seit zwei Tagen mit der Prüfung des französisch-amerikanischen Pakt- oorschlags zur Aechtung des Krieges beschäftigt seien. Im ganzen genommen wird der Paktvorschlag am Quai d'Orsay zufriedenstellend beurteilt. Nur über ge wisse amerikanische Vorbehalte herrsche Unklarheit. Briand habe daher an den ame rikanischen Staatssekretär ein Telegramm gerichtet, in dem Kellogg gebeten wird, bestimmte Stellen des Ver tragstextes noch näher zu präzisieren, damit die fran zösische Regierung sich klar darüber werden könne, ob der geplante Vertrag nicht irgendwie den Verpflich tungen zuwiderlaufe, die Frankreich gegenüber dem Völkerbunde zu beachten habe. Nach Meldungen aus Straßburg ist gestern der Autonomistenführer Abbe Hauß in den Anklagezustand versetzt worden. Opfer -er Kälte. Eisenbahnunfälle in Amerika. 4 Januar 1928 Nach Meldungen aus Neuyork sind in Atlanta bei einem Zugunglück, das auf den seit einigen Tagen herrschenden starten Frost zurückgeführt wird, drei Per sonen getötet und zwölf verletzt worden. Bei einem weiteren Eisenbahnunglück in Marietta in Ohio, das ebenfalls auf die Einwirkung des Frostes zurückgefllhrt wird, wurden fünf Personen verletzt. — In den großen Städten herrscht unter der armen Bevölkerung außer ordentliche Not. Die Armenasyle in Neuyork werden von Unterkunft suchenden Personen überlaufen. Die Zahl der infolge der Kälte Verstorbenen hat sich aus 60 erhöht. Im Eife flecken geblieben. 4 Januar 1928 Aus Kopenhagen wird gemeldet: Die dänischen Ostfahrwasser waren gestern nachmittag fast vollkom men eisfrei. Man rechnet jedoch mit neuer Eisbildung und weiteren Schwierigkeiten. Wie aus Naestved ge meldet wird, ist der dänische Schlepper Susa am Mon tag uusgefahren, um dem im Eise st e ck en ge bl i ebenen Kopenhagener Dampfer Hilfe zu leisten Seit der Zeit hat man von dem Schlep per nichts mehr gehört. Es besteht die Be fürchtung, daß er vom Eise abgetrieben oder gar verunglückt ist. Die Nachforschungen der Hafenverwaltungen waren bis jetzt ergebnislos. Sieben Kinder ertrunken. Durch Zusammenbrechen des Eises auf kleineren Seen und Bächen sind gestern in verschiedenen Gegen den rund um London sieben Kinder ertrunken. Mik Grayfons lragifches En-e. 4. Januar 1928 Ein Bericht von Augenzeugen. Das Dunkel, von dem bisher das Schicksal der ame rikanischen Ozeanfliegecin Francis Gray son, der Nichte Wilsons, umgeben war, beginnt sich nunmehr zu lichten. Nach der Aussage der Mannschaft eines in Portland im Staate Maine eingetroffenen Dreimasters, haben die Fliegerin und ihre Begleiter am 23 Dezember, abends gegen 8 Uhr in unge heure m S t u r m a u f o f f e n e r S e e , ganz in der Nähe des Schiffes, den Tod gefunden. Das Wüten der Elemente war so stark, daß es der Schiffs besatzung einfach unmöglich war, die Rettung der Flug zeugbesatzung zu versuchen. Der Seegang war so hoch, daß, nach Angabe der Besatzung, das Flugzeug sofort zerschlagen worden sein muß. Der Drei master befand sich von Frankreich nach den Vereinigten Staaten unterwegs. Dabei geriet er in der Nähe von Kap Cod in die Sturmzone. Als das Unwetter am stärksten tobte, wurde der Kapitän von dem wacht habenden Offizier aus seiner Kabine geholt. Was der Offizier wollte, konnte der Kapitän in dem ungeheuren Sturm zunächst nicht verstehen. Erst nach mehreren Versuchen hörte er durch den Aufruhr der Elemente die Worte: „Dort draußen ist ein U-Boot oder etwas Aehn- liches." Nun horchten beide angestrengt und vernah men durch den furchtbaren Sturm, der über den weißen Schaumkämmen des Meeres heulte, deutlich das dumpfe Geräusch eines Flugzeugmotors. Das Surren wurde lauter und lauter, dauerte etwa zehn Minuten und brach dann plötzlich ab. Gleich darauf vernahmen sie ein Geräusch, wie wenn ein schwerer Körper auf das Master schlägt. Dann llbertoste das VrauseU des Stur mes wieder alles andere. Man nimmt nunmehr an, daß das Flugzeug „The Dawn" einen erfolglosen Ver such gemacht hat neben dem Dreimaster niederzugehen dessen Positionslaternen von dem Piloten gesehen wur den, daß aber das Flugzeug dann doch vom Sturm ab getrieben wurde. Der Bericht des Kapitäns der „Rose Anne Bil- liveau" steht im Einklang mit den Beobachtungen des Funkoffiziers des Dampfers „Ookey L. Alexander", der zu derselben Zeit einen Funkspruch aufnahm, in dem um Ortsangabe gebeten wurde. Kurz darauf nahm er einen zweiten verstümmelten Funkspruch auf, von dem er nur die Worte entziffern konnte: „Flugzeug untergegangen". Die Zeitangaben der beiden Berichte decken sich genau. Die Kälte und ihre Folgen. 4. Januar 1928 Anhaltendes Unwetter an der belgischen Küste. Die Schneefälle im belgischen Küstengebiet dauern an. In der Umgebung von Brügge hat der Schnee eine beträchtliche Höhe erreicht. Zahlreiche Orte sind voll kommen eingeschneit. Die Schelde führt Treibeis, so daß die Schiffahrt mit großen Schwierigkeiten zu kämvfen hat. Die holländische Binnenschiffahrt fast stillgelegt. Durch das Zufrieren zahlreicher Verkehrskanäle in Holland ist die Binnenschiffahrt zum größten Teile stillgelegt. Die Verbindung mit den durch bas Eis isolierten Inseln mit dem Festlande wird auch weiter ausschließlich durch Flugzeuge besorgt. 27 Fischer vor dem Erfrieren gerettet. Wie aus Moskau berichtet wird, sind 27 der wäh rend des letzten Sturmes im Kaspischen Meer vermiß ten Fischer lebend aufgefunden worden. Sie hatten sich in die menschenleeren Gegenden des Wolga-Kaspi- Kanals gerettet. Erst nach Eintreten von Windstille konnten Flugzeuge ihren Aufenthalt feststellen und sie vor dem Erfrieren retten. Die Kältewelle in Polen. Die Kälte in Polen hat seit vorgestern noch erheb lich zugenommen. In Zaleszczyki an der polinsch- rumünischen Grenze wurden 23 Grad Kälte festgestellt. In Warschau herrschten gestern morgen über 12 Grad, in Nordpolen etwa 10 Grad Kälte. In den nächsten beiden Tagen soll die Kältewelle ihren Höhepunkt er reichen. Die Ueberschwemmunqen in England. Nach der vollständigen Schneeschmelze der letzten Tage, sind alle kleineren Flüsse um London herum über ihre Ufer getreten, so daß London von einem Ring völ lig umfluteter Vororte umgeben ist. In einer Reihe von Orten mußte der Autoomnibus- und Wagenver kehr eingestellt werden, da das Wasser meterhoch in den ! Straßen steht. Die Bewohner haben in den Straßen ; einen Kahnverkehr eingerichtet und die Häuser können - nur durch die oberen Stockwerke mit Hilfe von Leitern betreten werden. In den Grafschaften Hertfordshire und Essex hat sich ein zwölf Meilen weiter See ge bildet. Auch der Eisenbahnverkehr ist durch Ueber- schwemmungen verschiedentlich in Mitleidenschaft ge zogen. In der Nähe von Edmonton ist eine Steinbrücke vier Minuten nach dem Passieren 'des Zuges Lündon Cambridge eingestürzt. Nur durch die sofortige Ent deckung des Einsturzortes durch einen Beamten der nächsten Station ist es verhütet worden, daß nEter nachfolgende Züge verunglückten. Neujahrs-Empfang beim Reichspräsidenten. Die besondere Stellung des Oberhauptes des Deutschen Reiches hat es mit sich gebracht, daß im allgemeinen bei osnchllen Anlässen mit einem äußerst geringen Aufwand von Zeremonien gearbeitet wird. Man darf vielleicht somr tagen, daß kein Z:aar so wenia Etikette-Vorschriften besitzt, wie Deunckland. Und selbst bei hochoffiziellen Anlässen, bei denen der Reichspräsident das gesamte deutsche Volk repräsentiert, wie bei dem alljährlichen Neujahrsempfang drs diplomatischen Korps, wobei die Glückwünsche gewisser maßen von Volk zu Volk gewech elt werden, besteht das ganze äußere Gepränge lediglich in einer Abteilung der Reichswebr, die, wie unser Bild zeigt, im Ehrenhof des Reichrpräsidenten-Palais Aufstellung nimmt und jeden der Verlret.r der fremden Staaten mil den üblichen militärischen Ehienbezeugungen begrüßt.