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Kurze Mitteilungen. 4. Januar 1928 Die Mutter des Reichswehrministers Dr. Eestler ist am Neujahrstage im 82. Lebensjahre gestorben. Lindbergh ist auf seinem Zentralamerilaflugs in der Hauptstadt von Honduras eingetroffen. Als neuer Nunzius in Prag wird Monsig nore Ciriacci genannt. Präsident Coolidge, der am Neujahrstage 3300 Personen die Hand drücken mutzte, mutz heute seine überanstrengte Rechte bandagiert tragen. Vor seiner Abreise nach Italien gab der König von Afghanistan seinem Wunsche nach einem ägyptisch-afghanischen Freundschafts- vertrage Ausdruck. Sechs Kinder mit einer Eisscholle abgetrieben. 4. Januar 1928 Gestern nachmittag gegen 4 Uhr sind vom Wil helmshavener Strand sechs Kinder mit einer Eisscholle beim Eintritt der Flut abgetrieben worden. Die Marinewerft leitete sofort eine Hilfsaktion ein. Mehrere Fahrzeuge suchten, soweit es die Eisverhält nisse gestatten, das Fahrwasser in Richtung des Leit dammes und des Dangaster Fahrwassers ab. Gegen 6 Uhr will man noch das Schreien der Kinder gehört haben. Die Hilfsmatznahmen wurden mit allen An strengungen fortgesetzt. Gerettet! Die am Dienstag nachmittag vom Wilhelmshafe- ner Strande auf einer Eisscholle abgetriebenen sechs Kinder sind sämtlich gerettet worden. Dem Schlepper Arne was es gegen 9 Uhr abends gelungen drei Kinder zu retten, die sofort von einem an Bord des Schleppers befindlichem Arzte in Pflege genommen wurden. Die Marine hatte inzwischen noch den Flottentender Hela und den Lotsendampfer Rüstringcn ausgesandt, die mit ihren Scheinwerfern das Eis absuchten, während vom Strande aus ein großer fahrbarer Scheinwerfer sie unterstützte. Die drei übrigen Kinder trieben währenddessen auf dem Eise nach Varel zu und machten sich durch lautes Schreien bemerkbar. Der Schlepper Arne stietz weiter durch das Eis vor, konnte die Kinder durch Leucht raketen entdecken und sie ebenfalls an Bord holen. Der Schlepper konnte jedoch vorläufig nicht nach Wilhelms hafen. zurückkehren, da er durch den inzwischen ein setzenden Elbstrom im Eise festkam, er wird erst Mitt woch früh wieder in den Hafen einlaufen können. Der Kamps in -er sächsischen Küttenin-ustrie. 4. Januar 1928 Wie wir erfahren, finden heute, Mittwoch im Reichs- arbeitsministerium Verhandlungen über die Verbindlich- keitserklärung des Schiedsspruchs für die sächsische Hütten industrie statt. Infolge der noch ungeklärten Lage kam es, wie wir ferner erfahren, bei den Mitteldeutschen Stahlwerken in Gröditz und Riesa zu bedenklichen Zwi schenfällen. Die Belegschaft der beiden Betriebe hatte beschlossen, ab 2. Januar die Arbeitsstätte nach 8 Stun den zu verlassen, obwohl der Reichsarbeitsminister das Inkrafttreten des 8 3 des Arbeitszeitnotgesetzes, der die achtstündige Arbeitszeit festsetzt, bis zum 15. Januar hinausgeschoben hatte, weil man in Sachsen sich bis 31. Dezember nicht hatte einigen können. Trotzdem den Ar beitern dieser Tatbestand bekannt wrr, verließ doch die erste Schicht am Montag um 2 Uhr die Arbeit, und die zweite Schicht trat an. Die Direktion entließ die gesamte Belegschaft in Gröditz fristlos, während in Riesa nur 250 Mann davon betroffen wurden, da nur diese 250 in zwei Nebenbetrieben von insgesamt 3600 Mann die eigen mächtige Verkürzung der Arbeitszeit durchgeführt hatten. Den Arbeitern ist auch verschwiegen worden, daß die Ar beiterschaft in den übrigen Betrieben der sächsischen Hüt tenindustrie in Döhlen, Pirna und Zwickau nach der bis herigen Regelung weiterarbeitete. Es scheinen, wie auch aus der kommunistischen Presse hervorgeht, wieder die Kommunisten die Hand dabei im Spiel zu haben. Man darf hoffen, daß die heutigen Verhandlungen in Berlin zur Beilegung des Konflikts in Gröditz und Riesa bei tragen werden. Aus aller Welt. ! 4. Januar 1928 * Ein Brautpaar vergiftet. In der Nacht zum Montag starben in Gera in der Oststratze der 26 Jahre alte Kunz und seine Braut Nagel aus Berlin infolge Gasvergiftung. Das Brautpaar wollte in diesen Tagen die Hochzeit begehen. Deshalb war die Braut zum Be suche der Eltern ihres Bräutigams erschienen. Als sich das Brautpaar zu Bett gelegt hatte, löste sich aus bis her noch unbekannter Unsache ein Easschlauch, so daß das Gas in großen Mengen ausströmte. Am Morgen fand man die beiden tot auf. * Ein Kraftwagen vom Eiiterzug erfaßt. Wie die Berliner Blätter melden, ereignete sich am Dienstag abend auf der Eisenbahnstrecke Berlin—Halle zwischen den Stationen Ludwigsfelde und Thyrow ein Zusam menstoß zwischen einem Gllterzug und einem Personen auto, dessen Führer schwer verletzt wurde. Der Zu sammenstoß ist darauf zurückzuführen, daß das Auto die geschlossene Schranke durchbrach und auf das Gleis ge riet, auf dem gerade ein Eüterzug herannahte. Das Auto wurde von der Lokomotive erfaßt, eine Strecke weit mitgeschleift und fast völlig zertrümmert. Der Führer des Wagens wurde herausgeschleudert und er litt eine Gehirnerschütterung und Beinbrüche. Infolge des Unfalls waren beide Gleise eine Stunde lang ge sperrt, so daß mehrere Personenzllge erhebliche Verspä tung hatten. * Gegen ein steinernes Reichs-Ehrenmal. Der Deutsche Zweig der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit übermittelte den amtlichen Reichs stellen und einer Reihe ehemaliger Kriegsteilnehmer organisationen ein Schreiben mit dem Ersuchen, von der Errichtung eines steinernen Reichs-Ehrenmals oder Totenhaines in dieser Zeit schwerer wirtschaftlicher Not und Arbeitslosigkeit der Kriegshinterbliebenen und Kriegsbeschädigten abzusehen und im Gedenken an die Millionen Kriegsopfer dafür einzutreten, daß Kinder- und Mütterheime gegründet werden, um den Kindern und Müttern der Gefallenen Wohnstätten zu schaffen. * Ein Tag der Bergwerksunfälle. Bei Werne stürzte auf der Zechs Arnold ein Pfeiler ein. Sechs Arbeiter wurden verschüttet, drei konnten leicht verletzt geborgen werden, die anderen drei sind wahrscheinlich tot, sie liegen noch unter den Trümmern — Bei Lan gendreer wurden auf der Zeche Vruchstraße zwei Ar beiter durch Steinfall verschüttet. Der eine wurde leicht verletzt geborgen, der andere konnte nur als Leiche zu Tage gebracht werden. * Mordversuch und Selbstmord eines Studenten. Ein 21jähriger Student in Stuttgart gab nach einem Wortwechsel auf 2 Frauen Pistolenschüsse ab, die eine der böiden Frauen durch einen Streifschuß an der Brust verletzten. Der Täter richtete hierauf die Waffe gegen sich selbst und tötete sich durch Schüsse in Herz und Kopf. * Miß Hudson will erneut starten. Reuter be richtet aus Gibraltar, daß Frl. Hudson, die nach 8H Stunden ihren Versuch, die Straße von Gibraltar zu durchschwimmen, aufgeben mußte, bei günstigen Wit terungsbedingungen erneut starten will. Ein Dampfer mit 25V Passagieren untergegangen. Nach Meldungen aus Konstanza geriet der russische Personendampfer Ogoza auf der Reise zwischen Nikola jewsk und Noworossijsk in einen heftigen Sturm. Der Dampfer wurde leck und ging innerhalb kurzer Zeit unter. Eine Rettungsaktion war infolge des schnellen Sinkens des Dampfers unmöglich. 250 Passagiere fan den den Tod in den Wellen, darunter eine Gruppe von 50 Schülern. Vermischtes. Die Stadt ohne Verbrecher. Der Oberbürgermeister von Chicago, Bill Thompson, populär „Big Bill" genannt, hat zur zeit einen schweren Stand. Er behauptet nämlich, daß die von ihm regierte Stadt (vielleicht als einzige in der Welt) keine Verbrecher mehr aufzuweisen habe. Seine durchgreifenden Maß nahmen sowohl auf dem Gebiete des Sicherheitsschutzes als auch in sozialer Hinsicht hätten dermaßen reformierend gewirkt, daß jeder Chicagoer Bürger in Ruhe schlummern könne, ohne An griffe, auf sein Gut und sein Leben fürchten zu müssen. Der Optimismus des Oberhaupts der Stadt Chicago ist erfreulich: immerhin ist es etwas anstrengend für den Oberbürgermeister, seine Theorie gegenüber der grausamen Wahrheit aufrechtzu erhalten, daß in Chicago seit Jahrzehnten nicht so viele Einbrüche und Ueb erfülle auf offener Straße stattgefunden haben, wie zur Zeit. Die Chicagoer Geschäftsleute haben ein eigenes „Sicher heitsbataillon" auf-gestellt, besten Mitglieder bis an die Zähne bewaffnet nachts die Straßen der Eeschäftsviertel durchstreifen und bewachen. Man behauptet, daß die Hilfe der Polizei nicht ausreiche oder überhaupt versage, da die Polizei mit den Ein brechern und Straßenräubern im Einverständnis stehe. Die Chicagoer Verbrecher haben sich sogar nicht geschämt, dem Ober bürgermeister ihre Existenz dillwrch zu beweisen, daß sie einen — allerdings mißlungenen — Einbruchsversuch in seine Dienst wohnung machten. Kan-el und Jn-ustrie. Leo-Werke, A.-E., Dresden. Unter der Firma H. v. Mayenburg, Verwaltungsgssellschaft, ist mit 0,5 Mil lionen Mark Kapital eine E. m. b. H. gegründet wor den, in die das Kapital der Leo-Werke von 1 Million Mark, ferner 72000 von 280 000 Aktien der C. Ste phan A.-E., Dresden, und mit 10 000 das halbe Kapi tal der Calcium-A.-G., chemische Fabrik Ulm, in Dres den, eingebracht werden. Politische Brandstiftungen in Polen? Die polnischen Wahlen, die im Jahre 1928 siatifinden sollen, scheinen ihre Schalten vorauszu. wellen. Der merkwürdige Umstand, daß innerhalb weniger Tage mehrere Schlösser abbrannten, die alle Politikern einer bestimmten Parteirichtung ae- honen, Icihi wenigstens daraus schließen, daß die Brandstifter aus politischen Motiven handelten. Das erste Schloß, das am 20. Dezember 1927 ab» brannte und neben wertvollen kulturellen und historischen Schätzcn (darunter eine Bibliothek von über 200« 0 Bänden) auch 10 Menschenleben ior» dcrte, war das dem Grafen Tarnowski gehörige Schloß Dzikow, eines der ältesten polnische Rit- terschlösser (unser Bild). Bei diesem Brande kam auch der polnische Leichtathlet Alfred Breyer, der Polen auf der Olympiade vertrelen sollte, ums Leben. Drei Tage später wurde Schloß Zeltsch bei Tabor ein Baub der Flammen, zu gleicher Zeit auch das Schloß des ehemaligen Erzherzogs Fried- ich von Habsburg in Wisla, in dem der polnische Staatspräsident demnächst seinen Jagdaufenthall nehmen wollte. s^Or^iSli vor, l_Skil->S. 2 Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Ich müßte lügen, wollte ich „nein" sagen! Ich hab' mich immer gut amüsiert. — Aber du sollst sehen, setzt will ich dir gehören, du lieber Papa," ungestüm schlang sie ihre Arme um seinen Hals, daß er wehrte — „Kind, die Füchse —" „Wenn du sie nicht fahren kannst, will ich es tun," rief sie übermütig und wollte ihm die Zügel aus der Hand nehmen, — „oder glaubst du, ich kann nicht fahren?" „Doch, wenn du es sagst, wird es wohl so sein! Reiten kannst du ja auch Hab' dir deshalb schon ein Reitpferd bestimmt. Und wenn du nicht vorziehst, lange in den Fe dern zu liegen, kannst du des Morgens auch mit mir durch die Felder reiten " „Und gern, Papa, das wird orächtig! Da will ich vir zeigen, was ich kann. Mir ist lein Graben zu breit und keine Hürde zu hoch!" „Kind, jo tollkühn —" „Ah, Spaß! Violets Bruder war ein guter Lehrer, und jetzt Hellmut —" „Und dabei das Herzchen verloren?" Sie errötete etwas. „Wo denkst du hin, Pa', so leicht gibt sich deine Tochter nicht gefangen." So ganz zufrieden war aber ver Varon doch nicht mit ihrer Antwort. Mit großen Augen blickte Gerda um sich und sog die herbe, würzige Luft mit Behagen ein. Ihre schmalen Wangen waren mit leichter Röte bedeckt, und sie gab sich ganz dem Genüsse der Fahrt hin, die sie an kräftig sprossen den Wiesen und Feldern vorüberführte Wie oft deutete der Vater mit dem Peitschenstiel aus dies und jenes Feld, bis sie in den schweigenden Wald einbogen! „Jetzt Pp', lost mich sahren " „Aber Vorsicht, Kind!" Mit Vergnügen und Staunen sah er, wie fest und ener gisch sie die Zügel faßte und die feurigen Tiere meisterte, die, als sie die ungewohnten Hände merkten, Lust zum Durchgehen zeigten. „Du fährst ja ebensogut wie Kathrin Buchwaldt —" Eine Wolke flog über ihre Stirn. „Wieder Kathrin — der abscheuliche Name schon —" „Ich hoffe, daß ihr sogar noch gute Freundinnen wer det —" „Das glaube ich nicht: ich mag sie nicht!" „Sie ist mir zu blond und zu gesund!" „Ein seltsamer, sehr wenig stichhaltiger Grund, mein Kind." Gerda verschwieg, daß sie die kleine Szene am Bahn höfe vorhin zu sehr in ihrem Stolze verletzt hatte — — sie, Gerda von Freesen, nach der sich alles drängte, wie ein Schulmädchen behandelt! Das war ihr noch nicht wider fahren! „Das ist mir gleich, Papa — für meine Sympathien und Antipathien kann ich nichtI" „Du wirst Käthe näher kennen lernen und einsehen, daß du ihr unrecht tust! Sie ist das schönste und tüchtigste Mädchen hier in der Umgegend, und besser als viele ältere leitet sie das große Hauswesen, weil ihre Mutter leidend ist Der Sohn Werner, der vei den grünen Husaren, weißt du, hat dem Alten eine schöne Stange Geld gekostet Buch- waldts richten sich darum jetzt ein wenig ein — Kathrine für ihre Person ganz besonders." „— daß sie dritter Klasse fährt!" warf Gerda spöttisch ein, „unglaublich, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte!" „Aber Gerda! — Deshalb büßt sie niemandes Hoch achtung ein — im Gegenteil — keine von allen den jungen Mädchen der ganzen Umgegend ist so angesehen und beliebt — und keine hat wohl schon so viele Körbe ausgeteilt wie sie!" „Wie beredt du bist in der Verteidigung für sie, Pa'." „Ja, weil ich sie sehr liebhabe; Mama schätzt sie eben falls sehr!" Gerda schwieg Vielleicht stammte da« geringe Wohl wollen, das sie für Kathrine hegte, nur daher, daß sie von der ungewöhnlichen Schönheit des Mädchens schon in Halle betroffen war. Ordentlich Aufsehen hatte sie ja auf dem Bahnhofe erregt, wie sie mit ihrer Walkürenfigur in so ruhiger Sicherheit dahinschritt. Und Gerda war gewohnt, daß neben ihr keine andere so leicht aufkam — und hier sollte sie Konkurrenz finden — hier auf dem Lande?.— „Na. Kind, noch ein paar Minuten, dann sind wir da! Freust ou dich nicht? Sollst mal sehen, so ein Frühling und Sommer auf dem Lande — es gibt nichts Schöneres, wenn man alles so förmlich wachsen sieht! Und riech nur mal die Lust —" „Köstlich, Pa'" — sie öffnete das kleine Mündchen und holte tief Atem — „meine geliebten Tannen!" „Sieh, und dort schimmert schon der Bressendorfer See — so jetzt gib mir die Zügel mal wieder — ich mache dir mein Kompliment — noch drei Minuten, dann kannst du Mama begrüßen!" Diese stand auf der breiten Freitreppe und winkte mit dem Taschentuche Leichtfüßig sprang das junge Mädchen vom Wagen und iü der Mutter Arme. „Mein Kind, mein Kind," schluchzte die Baronin, „bist du nun da!" „Rege dich nicht aus. Lärchen," sagte Freesen besorgt, „und komm 'rein, damit du dich nicht erkältest." Es war rührend, wie der starke, etwas derb ausjehende Mann um seine Frau besorgt war. Er führte sie in das behaglich durchwärmte Eßzimmer, in dem der Tisch ein ladend gedeckt war. „Ah," sagte Gerda, „welch herzerfreuender Anblick! Ich hab' tüchtigen Hunger!" „Ich auch, Mädel: wir haben nämlich mit dem Essen gewartet, bis du da wärest — sonst wird für gewöhnlich um ein Uhr gespeist! — Möchtest du aber nicht erst einen Schluck nehmen? Du bist doch sicherlich von der Fahri durchfroren?" Er hatte dabei ein Elas mit Portwein ge füllt, das er ihr reichte. „Danke, Pa' — erlaubt, daß ich mich ein wenig vom Reisestaub befreie; ich bin sogleich wieder da! Nein, bleibe da, Mamachen, ich weiß doch Bescheid — in einer Minute bin ich zurück." (Fortsetzung folgt.)