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Deutschlands Neujahrswünsche. 2 Januar 1928 Fried«« und Befreiung -<s Rheinlandes. Reichspräsident o. Hindenburg empfing gestern mittag die Thefs der hiesigen fremden diplomatischen Vertretungen. Nuntius Pacelli überbrachte die Glückwünsche des diplomatischen Korps. In seiner An sprache führte er u. a. folgendes aus: Das vergangene Jahr bat neue Fortschritte auf dem Wege der Befrie dung der Völler gebracht. Bewunderung gebührt den Männern, die, obwohl sie in der Wahrung der berech tigten Interessen ihres Landes ihre höchste Aufgabe se hen, dennoch ihr Trachten auf das hohe Ideal der Brü derlichleit unter den Menschen richteten. Das Gefühl des internationalen Vertrauens hat dazu beigetragen, in den verschiedenen Staaten den Wiederaufbau zu fördern. Unter diesen Staaten nimmt das Deutsche Reich einen wichtigen Platz ein. Man mutz den erneuten Aufwand an Geist und Lebenskraft in Deutschland bewundern. Der Nuntius drückte zum Schluß den Wunsch aus, daß das Jahr 1928 der Welt den Frieden bringen möge. In seiner Erwiderungsansprache erklärte der Reichspräsident» er hoffe und wünsche, datz die Prüfungen der Ver gangenheit und die Nöte der Gegenwart in den Völ kern den Willen zur Zusammenarbeit und das Ver ständnis für die Lebensnotwendigkeiten jedes einzelnen Volkes vertiefen. Opferwillige Hingabe an das Vater land schließe den Dienst an der Menschheit nicht aus. Die Völker würden sich um die Herbeiführung eines wahren Friedens um so freudiger bemühen, wenn sie davon überzeugt sein könnten, datz dieser Friede zugleich die Herrschaft der Gerechtigkeit und der Freiheit be gründe. Das deutsche Volk werde sich an diesen Frie densbemühungen entschlossen beteiligen. Möge das neue Jahr den Friedenshoffnungen Erfüllung ge währen. Hierauf begrüßte der Reichspräsident die einzelnen Diplomaten. Bei dem Empfang waren u. a. Reichs kanzler Dr. Marx und Staatssekretär v. Schubert anwesend. Darauf empfing der Reichspräsident den Reichs kanzler sowie die in Berlin anwesenden Reichsminister und Staatssekretäre der Reichsregierung. Reichskanzler Marx führte in seiner Ansprache etwa folgendes aus: Man kann auf das abgelaufene Jahr mit dem Gefühl dank barer Befriedigung zurückblicken: allerdings ist der Her zenswunsch des gesamten deutschen Volkes, die Be freiung des besetzten Gebietes, noch nicht in Erfüllung gegangen. Dennoch ist eine Festigung unserer aus wärtigen Lage unverkennbar. Das abgelaufene Jahr hat mehr und mehr die Schranken niedergelegt, die noch immer die Völker trennten. Mit großer Freude stelle ich fest, daß die Arbeitslosigkeit im abgelaufenen Jahre zurückgegangen und datz Deutschland von schweren Wirtschaftskämpfen verschont geblieben ist. Die Erkenntnis, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu sammenarbeiten müssen, nimmt ständig zu. — Mit Ge nugtuung wies der Kanzler dann auf die neue Be amtenbesoldung hin. Schwere Aufgaben seien auch im kommenden Jahre zu lösen. Aber wenn man dabei hoffnungsfreudig ans Werk gehe, so beseele uns der Gedanke an die Einigkeit des deutschen Volkes am achtzigsten Geburtstag des Reichspräsidenten. Möge auch im kommenden Jahre dieses Gefühl der neu- empsundenen Einigung nicht verlorengehen. Der Reichspräsident dankte zunächst der Reichsregierung für die unermüd liche Arbeit, die sie im letzten Jahre geleistet habe. Er fuhr dann fort: Gern erkenne ich an, datz das ver gangene Jahr eine Besserung gebracht hat. Aber leider ist die Hoffnung auf Befreiung der Rheinlands noch nicht erfüllt worden. Ich hoffe, datz den Volksgenossen im besetzten Gebiet nun bald die Stunde der Befreiung schlage. Fremde Besatzung im Lande ist unvereinbar mit einer endgültigen Befriedung. Der Reichspräsident wies dann auf die Hilfsmaßnahmen für Ost preußen hin und sprach die Hoffnung aus, daß die wirtschaftliche Erstarkung und der Gedanke des sozialen Ausgleichs auch im kommenden Jahre Fortschritte machen möge. Sein dringender Wunsch am ersten Tage des Wahljahres an alle Deutschen sei der, datz d i e Wahlbewegung nicht zur Vertiefung des Zwiespalts führen und nicht zu per sönlicher Bekämpfung ausarten möge. Nur fester Zusammenhalt aller Deutschen könne die Lösung der zukünftigen schwierigen Probleme ermög lichen. Im weiteren Verlauf des Nachmittags über mittelten Reichstagspräsident Löbe und Vizepräsident Dr. Rießer die Wünsche des Reichstags, Staatssekretär Weitzmann, der bayrische Gesandte v. Preger und der braunschweigische Gesandte Boden die Glückwünsche des Reichsrats, und Ministerpräsident Braun die der preußischen Staatsregierung. Die Glückwünsche der Wehrmacht überbrachten General Heye und Admiral Zenker. Auch die Direktionen derDeut - schon Reichsbahngesellschaft und der Reichsbank sprachen ihre Glückwünsche aus. Anlikriegspakl - Vorschlag. 2 Januar l928 Nach einer Meldung des New Pork Herold hat Staatssekretär Kellogg dem französischen Botschafter in Washington nunmehr einen ausführlichen Vorschlag überreicht, der den Krieg zwischen Frankreich und Amerika un möglich machen soll. In einem Begleitbrief gibt Kellogg der Hoffnung Ausdruck, datz nach der Unterzeichnung eines solchen Vertrages auch andere Länder dem Pakt beitreten mögen. Er stimme mit Briand darin überein, daß es notwendig sei, jeden möglichen Krieg zwischen beiden Ländern für un gesetzlich zu erklären. Dem New Port Herald zufolge kommentieren die offiziellen Washingtoner Kreise den Vorschlag des Staatssekretärs Kellogg und erklären, daß der neue Pakt eine ebenso große Be deutung hat, wie das Völkerbundsstatut und der Vertrag des internationalen Schiedsgerichtshofes. Das Projekt sei von Kellogg in Zusammenarbeit mit der auswärtigen Kommission des Senats ausgearbeitet worden. Es ist hervorzuheben, daß Artikel 2 des Paktvor schlages zur Voraussetzung hat, daß alle strittigen Fragen einem internationalen Schieds spruch nur unterbreitet werden können, wenn die Vereinigte n Sta aten sich da mit einverstanden erklären. Im Artikel 3 wird festgelegt, daß der Vertrag sich nicht auf inner politische Fragen bezieht und weiter Angelegenheiten , ausschließt, die die Interessen einer dritten Macht be- ' rühren. Alle Probleme, die mit der Monroe-Doktrin ! in Zusammenhang stehen, sollen ausgeschlossen sein. Eine französische Kritik. Das Echo de Paris kritisiert heute erneut lebhaft Lie französisch-amerikanischen Verhandlungen über den f Abschluß eines Antikriegspaktes. Zweifellos wolle , Briand, so meint das Blatt, die üblen Erinnerungen auswischen, die die beiderseitigen Erörterungen der ' Krisgsschuldenfrage hinterlassen hätten, und außerdem I ein besonderes französisch-amerikanisches Band schaffen. Erst die Zukunft werde zeigen, ob Briand in dem ersten Punkte Erfolg habe: was den zweiten anlange, so lasse die letzte amerikanische Mittei lung alle Hoffnungen Frankreichs ' schwinden, denn Amerika wolle allen anderen Lün- ; dern die Möglichkeit geben, einem derartigen Kriegsbann-Pakt beizutreten. Es handle sich also um ein System, das den Krieg ausschlietzt, aber keine Sanktionen gegen diejenigen vorsehe, die ihre Gelöbnisse nicht halten würden. Dadurch würde , die Wirksamkeit des Völkerbundsstatutes bezüglich Artikel 16 vermindert. Zudem seien die Vereinigten ' Staaten nicht geneigt, alle Fragen einem Schiedsgericht z zu unterwerfen, insofern als in Artikel 1«des amerika nischen Paktvorschlages ausdrücklich die Zustimmung der amerikanischen Regierung zu der Unterbreitung von Streitfragen dem H a a g e r .Schiedsgericht Vor behalten seien. Der Kampf gegen -ie elsässischen. Aulonomisren. 2. Januar 19-8 Der Kampf der französischen Behörden gegen die ' elsässische Autonomiebewegung geht weiter. So wird aus Straßburg die Verhaftung des elsässi-i schen Lehrers Wurtz in Dorlisheim und des , Straßburger Malers Solveen gemeldet. Wurtz . war Mitarbeiter mehrerer den Autonomisten freund licher Blätter. Dem „Journal" zufolge soll er den s Kreisen derjenigen Persönlichkeiten angehören, die im gegebenen Augenblick die „militärische Aktion gegen § das französische Elsaß" einleiten sollten. Solveen war ein Freund von Pinck, Hauß und angeblich auch von i Röchling. Er war ebenfalls schriftstellerisch für ver- j schiedene elsaß-lothringische Zeitungen tätig. Ferner wurde ein Haftbefehl gegen den sich angeb- i lich in Deutschland aufhaltenden früheren Straßburger Bankier Pinck erlassen: diesem werden Verbin- s düngen zu dem Herausgeber der „Elsaß-lothringischen * Mitteilungen" Robert Ernst in Berlin nachgesagt. Vor neuen Verhaftungen. Wie aus Straßburg gemeldet wird, soll die Sich- ! mag der beschlagnahmten Dokumente die Erhebung ' neuer Anklagen gegen Mitglieder der Autonomistcn- bewegung ermöglichen. So habe gestern ein protestantischer Pfarrer, dessen Name nicht genannt wird, ver haftet werden sollen. Er sei jedoch anscheinend flüchtig geworden. Ferner sei man auf der Suche nach einem gewissen Damser, der wegen Beleidigung Frankreichs in der autonomistischen Presse vor kurzem zu 32 000 Franken Geldstrafe und mehreren Monaten Gefängnis verurteilt worden ist. Die Prüfung der be schlagnahmten Papiere habe auch Ausschluß über die Geldgeber gegeben. Verschiedene Personen hätten ihre Ersetzung m den Anklagezustand zu erwarten, da ne die autonomistischen Stoßtrupps finanziert hätten. Das Jahr -er verpatzten Gelegenheiten. 2. Januar 1928 Aus London wird gemeldet: Das Jahr 1927 be zeichnet Earvin in einem längeren Rück- und Ausblick im „Oberserver" als das Jahr der verpatzten Gelegen heiten, innenpolitisch in erster Linie vom wirtschaft lichen Gesichtspunkt aus, außenpolitisch sei der Fehl schlag der Genfer Flottenabrüstungskonfsrenz der i schwerste Fehler einer britischen Regierung seit Jahr zehnten gewesen. Die Freundschaft mit Amerika müsse > das erste Ziel der britischen Außenpolitik sein und Genf ' sei wieder gutzumachen, wenn die britische Regierung fortfahre, auf amerikanische Flottenbauten durch I weitere britische Einschränkungen zu antworten. Diese Flottenreduzierung auf britischer Seite sei aber nach Garvin auch der Maßstab für die Aussichten einer allgemeinen Abrüstung. Auf der positiven Seite der letzten Jahresbilanz verzeichnet Garvin den überraschenden und fast unglaub lichen Fortschritt Deutschlands, der in mehr als einer Hinsicht ein leuchtendes Bei spiel für England sei. Ohne Verminderung der Rüstungen gebe es keine Steigerung der Sicherheit, ohne Revision des Ver sailler Vertrages keine ausreichende Sicherheit. Aber im Augenblick betrachte Frankreich jede mögliche Vertragsrevision als eine Sicherheitsverminderung. Die Rheinlandbesetzung belaste die europäische Politik, die Zukunft des Dawesplanes bleibe ungewiß. Ohne eine vollständige Verständigung zwischen Großbritan nien, Frankreich und Deutschland könne es keine dauer hafte Regelung in Europa auf der Basis eines gesicher ten Friedens geben. Garvin schließt damit: Es bestehe guter Grund für die Annahme, daß das Jahr 1928 ein Jahr der Prosperität und der Förderung der allgemei nen Verständigung werde. Voraussetzung hierfür sei aber, daß die Fehler des Jahres 1927 nicht wiederholt werden, und daß auf allen Seiten der Wille zur Ver ständigung und zum Ausgleich vorherrsche. Die Rheinlandräumung mutz kommen. Die Pariser Presse stellt fast allgemein loyale Neu jahrsbetrachtungen an, in denen ein breiter Raum der Finanzpolitik Poincares und den kommenden Wahlen gewidmet ist. Auf das Problem der deutsch französischen Beziehungen geht besonders ausführlich „Paris Midi" ein, der unter anderem schreibt: „Zweifellos ist in den deutsch-französischen Be ziehungen seit Thoiry ein gewisser Stillstand zu verzeichnen, aber gleichwohl hat das Jahr 1926 den völligen Eintritt Deutschlands in den europäischen Kon zern gesehen. Deutschland hat sich pünktlich seiner finanziellen Verpflichtungen aus dem Dawesplan ent ledigt Die Zeit ist zweifellos nicht mehr fern, wo inan der Räumung des linken Rheinufers und der endgülti gen Festsetzung der deutschen Schuld entgegensehen wird. Neue Kämpfe in Nicaragua. Ein Bataillon von den Rebellen gefangen genommen 2 Januar 1928 Nach Meldungen aus Managua in Nicaragua kam es in der Umgebung von Quilali zwischen etwa 600 Rebellen und einer Gruppe amerikanischer Marine soldaten zu einem heftigen Zusammenstoß. Die Ver luste an Toten und Verwundeten sind auf beiden Seiten beträchtlich. Während des Kampfes wurde ein zu sam menge st elltes Bataillon von amerika nischen Marinesoldaten und nicaraguanischen National garden vondenRebellengefangengenom- m e n. Die Regierung von Nicaragua glaubt, daß ausländische Offiziere die Rebellen aus bilden. Quilali ist der stärkste Stützpunkt des liberalen Führers Sandino, der die zwischen General Moncada und den Amerikanern, die den Präsidenten Diaz unter stützten, getroffenen Vereinbarungen ablehnt. Keine Neuwahlen in Braunschweig. Braunschweig, 2. Jan. Wie von maßgebender Seite gemeldet wird, besteht in politischen Kreisen nicht die Absicht, im Anschluß an das Urteil des Staatsgsrichts Hofes über die Ungültigkeit von Wahlordnungen für das Land Braunschweig Neuwahlen zu beantragen. Hungersnot in China. London, 2.'Januar. (Funkspruch.) Wie aus Peking gemeldet wird, teilt Sie chinesische Haudelskam- mer mit, daß in den Monaten November und Dezember in Peking 1200 Geschäfte geschlossen wurden. Ein Poli- -erbericht besagt, daß im Dezember über MO Chinesen den Hungertod fanden oder aus den Straßen erfroren aufgefunden wurden. Die Hilfsorganisationen zur Be seitigung der Hungersnot haben an alle Note-Krem z- Organisationen dringende Telegramme zur Unter stützung der Bevölkerung in Der Previn ; Schantnng ge richtet. Etwa vier Millionen Menschen find von oer Hnugerkatastrophe in Mitleidenschaft gezogen Vom Kampfe geg » sie englische Verfaisu^cr,)mmsisi>'-o für Indien. London, 2. Jan, (Funkspr.) Die „Times os India" machen den Vorschlag, d.e indische Opposition gegen die englische Verfassungskommission dadurch zu um gehen, daß vorläufig nur der Vorsitzende dieser Kom Mission, Sir John Simon, nach Indien kommen solle, um sich über die Lage zu unterrichten. Auf Grund dieser persönlichen Fühlungnahme würde Simon dann wohl in der Lage sein, dem Parlament die besten Me thodcn für die Durchführung der Aufgaben der Kom Mission zu empfehlens LVhnbeWbMKgen rmö Streiks. Die sächsischen KLittenarbstter lehnen den Schiedsspruch ab. 2. Januar 1928 Die Arbeitnehmer in der sächsischen Hüt0niuo'O.ll haben sich nach einer Mitteilung des Metallarbeiierver bandes in ihren Funllionärversammlungen am Sonntag einstimmig für die Ablehnung sires am 29. Dezember ge fällten Arbeitszeit- und Lohnschisdsspruche» erklärt.