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Wilsdruffer Tageblatt 2. Blatt. — Nr. 22 - Montag, den 27.Jan. 1930 Was ist Glück? Was ist das Glück. So hör ich manchmal fragen. Was Glück ist? Oh, ich weist es wohl zn sagen: Glück ist nicht Reichtum, Lust und Ruhm und Ehren, Auch nicht Erfolg wie viele ihn begehren. Nicht aus dem Taumelkelch ein trunknes Schlürfen, Glücklich sind die, die wenig nur bedürfen; Glücklich sind die, die sich in Liebe tragen. In Treuen eins sind in den tiefsten Fragen. Die für einander schaffen, sorgen, leben, Die sich in Not und Leid die Hände geben; Die froh die Flammen ihrer Liebe nähren, And keinem Mißton Eintritt je gewähren. Wer Einlaß will, muh Freund fein — oder gehen. Wir beide wollen fest zusammenstehen! — Wem solche Sehnsucht still am Herzen zehrt Der erst begreift des tiefsten Glückes Wett. Ella Boeckh - Arnold. Grandioses Rauchopfer. Köln in Tabakwolken. In Köln sind sie momentan im dicksten Karneval, aber das, was hier erzählt werden soll, ist kein Karnevals scherz, ist keine Dichtung, sondern Wahrheit. Es ist eine tolle Tabaksgeschichte, die das berühmte Tabakskollegium weiland Friedrich Wilhelms l., das in Wusterhausen aus langen und kurzen Pfeifen unendliche Tabakswolken zur Stubendecke emporpaffte, in gerechte Entrüstung versetzt hätte, wenn es sie hätte erleben dürfen. Man weiß vom Tabak, daß es sein Beruf und sein Schicksal ist, verbrannt zu werden und in Rauch aufzugehen, sei es als mehr oder minder echte Havanna, sei es als Zigarette oder sei es als solider Knaster, der auf zwei Kilometer in der Runde zu erriechen ist. Daß es aber mitten in Deutschland Men schen gibt, die in aller Gemütsruhe 56 000 Kilogramm Tabak mit einem Kreugerschen.Zündholz in Brand stecken und die gesamten Ballen nicht verpaffen, sondern sozu sagen verpuffen lassen, das ist wahrscheinlich noch nich oagewesen, und Kölner Zöllner dürfen sich rühmen, der staunenden Mitwelt diesen grandiosen Feuerzauber als erste dargeboten zu haben — müßig sah'n sie und bewun dernd diesen Tobak untergeh'n! Wir leben in einer Zeit, in der uns immer wieder ge predigt wird, daß wir für die Erhaltung aller Werte Sorge zu tragen hätten, und daß wir alles Verwendbare seiner natürlichen Bestimmung gemäß verwenden müßten. Und in so kritischer Zeit leisten sich Zollbeamte eine gro teske Umwertung wirtschaftlicher Werte, indem sie eine fabelhafte Menge Tabak, nur weil er nicht richtig verzollt worden ist, zu einem Scheiterhaufen und als Dampf zum Himmel emporlodern lassen. Wir nehmen ohne weiteres an, daß sie „dem Gesetze getreu" gehandelt haben, als sic dieses Rauchopfer brachten, mindestens dem Buchstaben des Gesetzes getreu, aber nicht selten geschieht es, daß dei Buchstabe tötet. Auf den Geist, auf die Auslegung des Gesetzes kommt es an, sollte es mindestens ankommen und der Gesetzgeber kann nie und nimmer gewollt haben, daß man 56 000 Kilogramm Tabak in Asche legt, ohne daß sie irgendwem Nutzen gebracht hätten: der Absender und der Empfänger oder vielmehi Nichtempfänger der Ladung hatten nichts davon, das große Volk der Raucher, das sich sicherlich gern an dem' Aufrauchen der 56 000 Kilo Tabak beteiligt hätte, hatte nichts davon, und die Zollbeamten hatten erst recht nichts davon, es wäre denn, daß sie schon zufrieden waren, das ihnen der Rauch lieblich in die Nase stieg. Wenn wir richtig informiert sind, haben wir zurzeit einen Spar kommissar unter uns, und man möchte wirklich gern wissen, was der zu der Kölner Tabakorgie gesagt haben mag Tabak ist kein Lebensmittel und es gibt bestimmt viele, die ohne ihn auskommen können, aber Tabak ist ein Genutzmittel, das vielen andern Spaß macht, und es hätten sich sicher viele Arbeitslose, die sich jetzt keine Zigarre oder Zigarette kaufen können, aufrichtig bedankt wenn ihnen etwas von dem dem Zollamt verfallenen Tabak gespendet worden wäre. Aber tüt nichts, der Taba: wird verbrannt! Wenn in Amerika drüben die Alkoholschnüffler sich hinstellen und ganze Bestände geschmuggelten Weines oder Schnapses in die Gosse gießen — man kann das hin und wieder im Film sehen —, so ist das zu verstehen und zu entschuldigen. In Amerika haben sie ja immerhin die Prohibition und das ist, wie man sonst auch darüber denken mag, ein Gesetz, das den Alkoholgenuß verbietet, Wonach sich jeder eben zu richten hat. Es gibt aber, soviel wir wissen, in der ganzen Welt noch kein Gesetz, das das Tabakrauchen verböte, und man hätte für den zu niedrig verzollten und deshalb mit Recht gepfändeten Tabak in Köln oder anderswo bestimmt noch andere Ver wendungsmöglichkeiten gehabt als die des planlosen Ver- brennens. Aber darauf scheint kein Mensch gekommen zu sein, und der heilige Bureaukratius hat sich da ein Stückchen geleistet, das eben nur durch den Karneval ent schuldigt werden könnte. Alaaf Köln! Regierungsumbildung in Preußen. Persone »fragen im Vordergrund. Zu einer wesentlichen Entscheidung hatten die Partei verhandlungen zur Bildung der „Großen Koalition" ir Preußen bis zum Wochenende nicht geführt. Es schien als wenn die wesentlichen politischen Momente mehr in den Hintergrund getreten wären und die sich vor drängenden persönlichen Fragen das Feld beherrschten Schulrat König. Bekanntlich soll der bisherige oemokrattfche Hanvets- minister Dr. Schreiber ersetzt werden durch den volks parteilichen Abgeordneten Leidig, während der eben falls den Demokraten nahestehende Kultusminister Becker als Nachfolger den sozialdemokratischen Land- ^agsabgeordneten und früheren Volksschullehrer Köniz erhalten soll. Der Besitzstand des Zentrums im bis herigen Kabinett soll nach dent Willen dieser Partei un verändert bleiben, über diese hin und her behandelten Personenfragen ist noch keine Einigung erzielt worden Ministerpräsident Braunhat den bisherigen Koalitions parteien und der neueintretenden Volkspartei mitgeteilt die Demokraten hätten ein Bedenkzeit erbeten und wollten Prof. Dr. Becker. erst am Dienstag ihre bestimmte Stellungnahme bekannt- geben. Es heißt, die Deutsche Volkspartei sei mit dem Eintritt des Sozialdemokraten König als Kultusminister einverstanden. Rutsch-polnische Roggenverständigung. Ein st weilen biszum 10. Februar. Der wirtschaftliche Ausschuß des polnischen Minister rates hat die Bestimmungen des deutsch - polnischen Roggenexportabkommens geprüft. Der Direktor des Handelsdepartements des Handelsministeriums ist nach Meldungen der deutsch-polnischen Presse nach Berlin ab- gercist, um dort ein vorläufiges deutsch-polnisches Roggen exportabkommen, das bis zum 10. Februar gültig ist, zu unterzeichnen. Direktor Sokolowski wird in Berlin die Verhandlungen über ein langfristiges Abkommen fortsetzen. Aus den polnischen Getreidemärkten haben die Preise schon etwas angezogen. In der jetzigen Gestalt handelt es sich zunächst um ein Privatabkommen der Getreide-Industrie- und Kom- misfions-A.-G. und der Bank Rolny in Warschau. Dis Einzelheiten dieses Abkommens können mit Rücksicht auf den beabsichtigten Zweck der Marktstützung nicht ver öffentlicht werden. Wenn aber in einigen Pressemeldun gen behauptet wird, daß hier ein Abkommen auf Kosten Deutschlands getroffen sei, so muß dem, wie amtlich er klärt wird, mit aller Schärfe widersprochen werden. Deutschland und Polen haben sich bisher in den nordischer Staaten, die in der Praxis allein als Abnehmer für deutscher Roggen in Frage kommen, in einer Weise unterboten, wie es volkswirtschaftlich nicht länger verantwortet werden kann Die Preise für polnischen und deutschen Roggen sind in der obigen Ländern vom Dezember bis m die letzten Tage vor 8,50 Gulden pro Doppelzentner auf 6,50 Gulden zurückgegan gen, d. h., Deutschland und Polen verschleuderten ihren Rogges zum Preise von 5,50 Mark pro Zentner und erleichterten da mit die Volksernährung in den Abnehmerstaaten. Autzerdeir lieferten sie damit billiges Futter für das Vieh, welches nach her nach Deutschland hereinkommt und auf die Märkte drückt Es ist geradezu katastrophal, daß wir in Deutschland für Hun derte von Millionen Futter in Form von Gerste und Maie eiuführeu nnd gleichzeitig unseren Roggen an die stärksten Konkurrenten der deutschen Land wirtschaft wegwerfen. Wenn nun auf deutscher und polnischer Seile Einigkeit dar iibcr besteht, daß ein solches Verfahren in steigendem Maßt unerträglich wiro und daß ein weiteres Wettrennen zu einen völligen Zusammenbruch des Roggeupreises führen muß, sc sollte mau diese Einsicht begrüßen. Man sollte verstehe, lernen, daß eine solche Lösung auch die beste Stütze für des Roggenmarkt in Deutschland ist. Das war das Wesen des jetzigen Abmachung. Die LniernaiwnaZe Oösrkonferenz. Unter Vorsitz des deutschen Gesandten Dr. Seeligc wurde in Breslau die Futcrnationalc Oderkonfcren, eröffnet, die sich zunächst lediglich mit Formalität? befaßte. Die Delegierten waren noch nicht vollzählig er schienen. Die Verhandlungen wurden in deutscher und französischer Sprache geführt. Auch Hamburg muß sparen. Der Reichssparkommissar entsendet Beamte nach Hamburg. Reichssparkommissar Minister a. D. Dr. Sämisch hat dem Hamburgischen Staat eine Anzahl Beamte zur Ver fügung gestellt, die einzelne große Behörden auf ihre Wirtschaftlichkeit überprüfen werden. Der Anfang wird mit der Baubehörde gemacht. Domgörgen bleibi Meister. Boxkämpfe im Berliner Sportpalast. In der abschließenden Begegnung nm die deutsche Mittelgewichtsmeisterschaft im Berliner Sportpalast trennten sich nach 15 Runden bewegten Kampfes Hein Domgörgen (Köln) und Franz Boja (Dortmund) un entschieden. Domgörgen bleibt damit im Besitz des Meistertitels. Eine Million Kronen für Krebsforschung. Rockefeller-Stiftung an Dänemark. Ein Kopenhagener Blau bring! die Mitteilung, daß dnS Rockefeller-Fnstitut beschlossen bat. dem Earlsbera-Konds eine So hab' ich Liebste dich gefunden Roma« von Margarete Elzer 83. Fortsetzung (Nachdruck verboten) Max Hoff sah gerührt auf Gundula, die mit einem so ungekünstelt glücklichen Lächeln von ihrer Liebe sprach. Welcher Reichtum an Liebe mutzte in der Frau wohnen, daß sie immer nur gab und gab, ohne je da für zu ernten, und doch nicht arm an Liebe wurde. „Aber ich glaube, mein liebes Fräulein Reichberger, wir dürfen Sie nicht länger aufhalten." „Ich habe mich gern mit Ihnen unterhalten, denn das Leben hat uns in einer so traurigen Angelegen heit zusamwengeführt, daß wir uns nicht Fremde blei ben können. Wer so viel miteinander durchlebt hat, kann nicht gleichgültig zusammenstehen und gleichgül tig sich wieder trennen. Auch ist mein Leben nicht so gesegnet mit Menschen, die mir näher stehen, daß ich eine Chance, mir neue Freunde zu werben, leichten Herzens von der Hand weisen will." Frau Berta sah mit einem müden Lächeln in ihr Gesicht: „Sie liebe Diplomatin! Sie wollen sich vielleicht noch bei uns bedanken für all den Kummer und die Un ruhe, die durch uns über Sie gekommen sind." Mit einem ruhigen Lächeln sah Gundula die alte Dame an: „So ähnlich! Seit meines Vaters Tod habe ich schmerzlich an meiner Vereinsamung und an einem Ueberflüssigkeitsgefühl gelitten. Und jetzt habe ich Pflichten und bin anderen Menschen von Nutzen." Hoff hatte sich zu den beiden Frauen an den Tisch gesetzt: „Wissen Sie, daß mein Neffe, Ler arme Berty, im mer außerordentlich von Ihnen geschwärmt hatte. — Meine Frau und ich glaubten, daß er Sie liebte." Gundula sah überrascht aus: „L nein! Wir waren nur Kameraden durch ein gleiches Schicksal, das wir gegenseitig erkannten, ohne je davon zu sprechen." „Ein gleiches Schicksal?" „Ja, Frau Hoff! Oder wußten Sie nicht, daß Berty Hofs Ihre Tochter liebte, schon geliebt hat, als sie drü ben in Xaver Lohneckers Haus Hochzeit hielt. An Xavers Hochzeitstag habe ich Berty Hoff sein Schicksal vom Gesicht gelesen, wie er mir wohl das meine. So etwas bindet und gibt Sympathie." Die alten Herrschaften waren ganz still und blaß geworden. Frau Berta wagte nicht einzugestehen, daß sie davon gewußt, und Herr Hoff murmelte ganz ge brochen: ' „Auch das noch! Zwei Menschen, zwei gute, wert volle Menschen!" Gundula hätte gern das vorschnelle Wort zurück genommen. Und Max Hoff mochte ihr ansehen, daß sie unter ihrer Erregung litt, deshalb ritz er sich zusam men und sagte mit leise zitternder Stimme: „Daß die gütige Vorsehung erlaubt, daß ein Mensch den anderen so unglücklich machen kann!" Dann murmelte er, noch immer ganz konsterniert: „Daß Berty uns nie davon gesprochen hat?" „Lieber, lieber, Herr Hoff! Das darf Sie nicht kränken. Welcher Mann spricht gern von seinen Wun den!" Ein schmerzlicher Seufzer entfloh Bertas Lippen: „Und an all dem Kummer sind wir mitschuldig!" „Sie?" „Ja! Weil Eltern schuldig sind an aller Not, die durch ihre Kinder in die Welt kommt. Wir haben un ser Kind nicht so Erzogen, daß es Herz und Verstand genug hatte, kein Unheil anzurichten. Glauben Sie mir, ich werde nie ohne schlechtes Gewissen meinem Schwiegersohn begegnen, und müßte ganz still halten, wenn er uns mit Vorwürfen überschütten würde." „Ich mützte Xaver sehr schlecht kennen, wenn ihm dieser absurde Gedanke kommen könnte. Ein erwachse ner Mensch steht doch selbst für seine Handlungen und Unterlassungen ein." „Inge war aber leider so erzogen, daß sie ewig ein Kind blieb, ein eigenwilliges und egoistisches Kind." Gundula aus ihrem guten Herzen heraus suchte nach einem Trost für dies Leid und sagte weich und sinnend: „Vielleicht war das ihr stärkster Reiz! Und Sie dür fen sich auch nicht unnütz quälen! Inge hat Xaver dock- glücklich zu machen verstanden auf ihre Art. Es war ein unglückseliger Zufall, der dies Glück zerstörte." Frau Hoff schüttelte den Kopf und weinte erneut auf. „Ihr Leben war eine Lüge, das werden Sie mir mit Ihren guten Herzen nicht wegsprechen können. Ich habe, als ich einsehen mutzte,daß ich mein Kind nicht richtig erzogen hatte, alles versucht, noch nachzuholen, was ich versäumte, aber auch gegen mich war Inge so kalt. Und das tut heute erst weh, glauben Sie mir. Wenn man sagt, der Tod löscht alles aus, ach nein, was man nicht mehr gutmachen kann, das lätzt er rie sengroß anwachsen. Ich hungere nach einem guten, herzlichen Wort von meinem Kind, und finde in ih rem glatten und unbewegten Gesicht keinen Trost für das alles." Hoff griff über den Tisch nach seiner Frau und bat leise: „Berta, du hattest mir doch so fest versprochen, dich zusammenzunehmen." „Ja, Max, aber es ist so schlimm, wenn jemand so ohne Gruß und liebes Wort aus Lem Leben geht." -Hoff stand auf: „Komm, wir wollen noch einmal zu Berty gehen Er hat uns ja jetzt noch so viel zu verraten." (Fortsetzung folgt.)