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Vom Balkan-Wetterwinkel. 2l. März 1927 Zu den letzten Pressemeldungen über Schritte der italienischen Regierung im Zusammenhang mit der Frage auf dem Balkan erfahren wir von unter richteter Seite, das; ein solcher Schrill auch in Berlin erfolgt ist. Die italienische Regierung hat dabei darauf hingewiesen, daß nach ihren Beobachtungen in Siid- slawien starke militärische Vorbereitungen mit Bezug auf Albanien getroffen würden. Die italienische Re gierung beabsichtige nicht, hierauf mit militärischen Gegenmaßnahmen zu antworten. Sie werde aber der deutschen Regierung ebenso wie den übrigen am Balkan interessierten Mächten zur Entkräftung der im Zu sammenhang mit diesen Rüstungen gegen Italien ein geleiteten Kampagne alsbald ausführliches Material vorlegen, daß dis tatsächliche Lage aufkläre. Hierzu wird weiter gemeldet: Die neue Zuspitzung der Beziehungen zwischen Italien und Südslawien wird im Auswärtigen Amte in Berlin selbstverständlich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Aber zu einem aktiven Eingreifen irgendwelcher Art liegt für die deutsche Regierung selbstverständlich weder eine Veranlassung noch eine Möglichkeit vor. Außerordentlich scharfe Sprache Mussolinis gegen Belgrad. Unter dem Titel W arnung veröffentlicht das faschistische Verordnungsblatt folgende, offen bar von Mussolini selbst stammende Note: Mit unbedingte Ruhe verfolgt- das faschistische Italien die Hetze der serbischen Militärkamarilla, an deren Spitze einige unberechenbare und von großen Plänen eingenommene Leute stehen. Seiner Kraft und seines Rechtes bewußt, hat Italien seine Kaltblütigkeit nicht verloren und wird sie nicht verlieren. Mit der gleichen Kaltblütigkeit betrachtet Italien die Solidari tätsbezeugungen und weiß, woher Belgrad Hilfe und Nat holt. Ganz mit seinem wirtschaftlichen Wieder aufbau und den gewaltigen Anstrengungen zur Schaf fung eines neuen Regimes beschäftigt, beabsichtigt das faschistische Italien in keiner Weise, den europäischen Frieden zu stören. Die ganze Welt weiß das, aber die ganze Welt muß auch wissen, daß das faschistische Italien keine Drohungen, Erpressungen oder Attentats dulden wird. Nachdem dies ein für allemal festgestellt ist, werden wir nicht mehr mit nutzlosen Worten auf dieses Argument zurückkommen, und unser Losungswort bleibt: Im stillen handeln. Die Lage an der Grenze. Eiornale d'Italia meldet aus Tirana: Die alba nische Regierung trifft im Hinblick aus die Vor bereitungen Südslawiens Verteidigungsmaß nahmen. Pläne für eine Zusammenziehung von Streitkräften im Norden werden mit Beschleunigung ge prüft. Die Vorbereitungen in Südslawien treten be sonders südlich Tfakova in Erscheinung. Sie begannen mit der angeblichen Fahnenflucht von Offizieren, die die Bergbewohner zum Aufstand und zur Banden bildung aufreizen. Die südslawische Regierung ließ an der albanischen Grenze ein Plakat anbringen mit der Aufforderung an alle Gegner der Regierung von Tirana, sich von der Grenze zu entfernen. Damit will die Regierung Europa beweisen, daß sie alles geian hat. um einen Aufstand oder einen Marsch von Aufständi schen gegen Tirana zu verhindern. Wer soll vermitteln? 21. März 1927 Im „Echo de Paris" bringt Pertinax den gestrigen Besuch des deutschen Botschafters vonHoeschbei dem Generalsekretär des Auswärtigen Amts Berthelot mit der eventuellen Aufgabe Stresemanns in Zu sammenhang, als Vorsitzender des Völkerbundsrais den Rat zur Lösung des jugoslawisch-italienischen Konfliktes einzuberusen. Das Blatt lehnt jedoch diesen Versuch einer Lösung ab und würde es lieber sehen, daß die Militärattaches der Mächte in Belgrad die Vermitt lungsrolle übernehmen. Jugoslawien mit der Völkerbunds-Intervention einverstanden? Wie der Belgrader Korrespondent des „Matin" aus zuverlässiger Quelle erfahren haben will, soll Jugo slawien geneigt sein, die albanische Frage dem Völker bund zu unterbreiten. Die jugoslawische Regierung soll auch damit einverstanden sein, im Falle von Un ruhen ein internationales Expeditionskorps nach Alba nien zu entsenden. Der Ernst der Lage. 2!. März 1927 Die englischen Morgenblätter beschäftigen sich weiter eingehend mit der Unruhe auf dem Balkan. Die „Times" schreiben unter anderem: Wenn man zwar auch nicht zu befürchten braucht, daß die gegenwärtige Unruhe zu einem Kriege auch nur kleinen Umfangs füh ren werden, so sollte doch die bloße Tatsache gewisser dunkler Bewegungen und Intriguen ge nügen. diese Gefahr zu beseitigen. Alle Möglichkeiten eines ernsten Mißverständnisses würden beseitigt, wenn der Vertrag von Tirana so erweitert werden könnte, daß die Stellung Jugoslawiens in Albanien derjenigen Italiens gleichgestellt würde. Es sei noch nicht zu spät, den italenisch-albanischen Vertrag so zu ergänzen, daß Jugoslawien ebenso wie Italien zum Ga ranten der albanischen Unabhängigkeit würden. — Der Daily Telegraph beschäftigt sich in einem Leitartikel mit. der Frage eines Einschreitens des Völkerbunds Er gibt der Auffassung Ausdruck, daß die Krisis ernst genug sei. um sämtliche europäische Staaten in Mitleidenschaft zu ziehen. Das Blatt ist der Auf fassung, daß weniger der italienisch-albanische Vertrag an sich als vielmehr dessen Tendenzen Gefahren in sich bergen. Keine bulgarisch-italienischen Vereinbarungen? Paris 21. März. Die bulgarische Gesandtschaft in Paris dementiert entschieden die aus Belgrad kommende Nachricht, wonach die bulgarische Regierung eine Ver einbarung mit Italien getroffen habe und die Absicht bestünde, den bulgarischen Außenminister Vuroff durch eine andere Persönlichkeit zu ersetzen. Der Populari-Führer Gaspari verhaftet. Rom, 21. März. Der frühere oppositionelle Abge ordnete und Führer der Populari, De Gaspari, ist in dem Augenblick verhaftet worden, als er im Begriff war, mit einem falschen Paß die jugoslawische Grenze zu über schreiten. Neue Umsturzgerüchte in Griechenland. Paris, 21. März. Nach einer Meldung aus Athen macht sich in den letzten Tagen in Offizierskreisen eine lebhafte Unruhe bemerkbar wegen der Absicht der Re gierung, die Zahl der Offiziere zu vermindern.. Gerüchte wollen wissen, daß der Führer der Unzufriedenen Gene ral Condylis einen Umsturz vorbereite um sich an die Stelle der gegenwärtigen Regierung selbst als Diktator einzusetzen. Siez -er KmtontruMN m Schanghai. 2'. März 192? Wie aus Schanghai gemeldet wird, ist die Front der Nordtruppen nach dem Sieqe der Kantonesen bei Sunkiana durchbrochen und erschüttert. Die Stellung der Kantontruppen erstreckt sich nunmehr von ungefähr 18 Meilen südlich bis etwa 80 Meilen westlich von Schanghai. Durch die Einnahme Sutschaus haben die Kantonesen praktisch die Kontrolle über alle wesentliche» Punkte der Schanghai—Nankinger Eisen bahn und damit den Schlüssel zur Einnahme von Schanghai in die Hände bekommen. Wie aus Schanghai gemeldet wird, sind die am Südtor der Stadt Nanking gelegenen Befestigungen von den Kantonesen genommen worden. Die Nordtruppen leisteten nur schwachen Widerstand und zogen sich in Richtung auf Schanghai zurück. Wie aus Schanghai gemeldet wird, ist das Keschütz- feuer der vorrückenden Kantontruppen bereits in Schanghai vernehmbar. In zwei Tagen werden die Kantoneser in Schanghai erwartet. Die Nordarmee hat nunmehr sowohl Sunkianq wie Wukiang den Siid- truppen überlassen, während Sutschau, das als Knoten punkt der Eisenbahn Nanking—Schanghai der wichtigste strategische Punkt für die Einnahme Schanghais ist, von der Schantungarmee seinem Schicksal überlassen wurde. Die Nordtruppen haben ihre Stellungen, ohne ernst lichen Widerstand zu leisten, preisgegeben. In Schang hai sind bereits 2000 Mann flüchtende Nordtruvpen an- qekommen und die Stadt ist überflutet von Flüchtlingen aus Nanking. Als Begründung für den überraschend geringen Widerstand der Nord truppen wird angeführt, daß verschiedene Untergenerale sich nur mit halbem Her zen für die Sache der Nordarmee einsetzen. Zwei Gene rale und ein Admiral sollen bereits zu den Südtruppen übergegangen sein und man erwartet, daß in Kürze auch der Verteidigungskommissar von Schanghai Gene ral Pi ihnen folgen wird. Die Truppen Tschangtsolins gehen nach ihrem Erfolg von Tschangtsau längs der Eisenbahnlinie Peking—Hankau vor und treiben die Streitkräfte Wupeifus vor sich her. Der christliche Gene ral Fcna befindet sich mit seinen Truppen westlich von Tschangtsau. Eine Kantonesex Armee rückt mit größter Beschleunigung von Südwest auf die Hupek-Honan- Erenze vor. um dem Vorgehen der Nordtruppen Einhalt zu gebieten. Schanghai gefallen? Berlin, 21. März. FunksprZ Nach einer Meldung der chinesischen Nachrichten-Agentur aus Han- kan ist Schanghai soeben von den Südtruppen be setzt worden. Die Bestätigung dieser Meldung steht noch aus. Bests Aufwertungs-Entwurf im Rechtsausschutz. 21. März 1927 Der Rechtsausschuß des Reichstags beschäf tigte sich in seiner letzten Sitzung mit Anträgen und Gesetzentwürfen zur Aenderung der Aufwertungs gesetzgebung. Der Abgeordnete Dr. Best, der der inzwischen aufgelösten völkischen Fraktion angehörte, be gründete den von ihm eingebrachten Gesetzentwurf über die Umwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen. Nach dem Entwurf Dr. Bests soll bei Ansprüchen, die vor dem 1. Januar 1919 durch die Veräußerung eines Grundstücks entstanden sind die Umrechnug durch die Verhältnisse bestimmt werden, in denen nach der Ansicht der Beteiligten der Erwerbspreis zum Werte des Grund stücks stehen sollte. Bei Industrie-Obligationen, Pfand briefen, Rentenbriefen, Kommunalobligationen und an deren Schuldverschreibungen soll an die Stelle des Tages der Entstehung der Tag der Aufwertung treten. Der Entwurf verlangt auf dieser Grundlage die Umwer tung aller Ansprüche, die auf vor dem 14. Fe bruar 1924 begründeten Rechtsverhältnissen beruhen und eine Schuldsumme zum Gegenstand haben, die durch die Inflation entwertet worden ist. In der Begründung seines Entwurfes suchte Dr. Best die Unbilligkeit der fetzigen Aufwertungsbe stimmungen an verschiedenen Beispielen nachzuweisen. Es sei ein Berliner Haus, das seit 1848 im Besitz einer Familie war, im Jahre 1921 an eine Firma für 25 000 M. verkauft worden, und diese Firma habe es an die Stadt Berlin für 770 000 M. weiter verkauft, ohne deyr Vorbesitzer aus dem Gewinn von 750 000 M. irgendwie zu entschädigen. Den Regierungsentwurf be zeichnet der Redner als ganz unzulänglich. Reichsjustizminister Hergt erklärte, die Reichsregierung wolle auf dem Gebiete der Kleinrentner fürsorge 25 Millionen Mark zur Verfügung stellen zur Verstärkung der Bezüge. Der Rückgriff auf das sonstige Vermögen des Kleinrentners soll verhindert werden, und ferner soll nach Möglichkeit bedürftigen Inhabern von aufgewerteten Hypotheken usw. durch Aufkauf ihrer For derungen sofort Geld verschafft werden. Der Minister wies dann die von Dr. Best geäußerte Annahme zurück, daß die Regierung auf den Reichs gerichtspräsidenten Simons mit Bezug auf seine brief lichen Aeußerungen zur Aufwertungsfrage irgendeinen Druck ausgeübt habe und verlas in diesem Zusammen hänge ein persönliches Schreiben von ihm an den Reichs gerichtspräsidenten. Wie man auch vor anderthalb Jahren zur Aufwertungsfrage gestanden habe, es müsse jetzt daran festgehalten werden, daß das vom Reichstag nach schweren Kämpfen geschaffene Aufwertungsgesetz ein Werk von Dauer bleibt. Deutscher Reichstag. Sitzung vom 19. März 1927. Den Platz des Abg. v. Tirpitz (Dnat.), der heute seinen 78. Geburtstag begeht, schmückt ein großer Blu menstrauß. Die zweite Lesung des Haushalts des Reichsministe riums des Innern wird beim Bildungswesen fortge setzt. — Abg. Löwenstein (Soz.) fordert Auskunft über das Reichsschulgesetz. — Abg. Dr. Heuß (Dem.) verweist auf die Not der Junglehrer. Reichsinnenminister v. Keudell antwortet auf ver schiedene Anfragen, u. a. auch wegen des Reichsschul gesetzes: Von vorzeitigen Erörterungen der mir gestellten Aufgaben kann ich mir keinen Vorteil versprechen. An gesichts der Entwicklung, die die Fragen der Lehrerbil dung in den einzelnen Ländern genommen haben, ist eine erneute Entscheidung der Reichsregierung erforder lich. Die Frage soll Mit möglichster Beschleunigung vor das Kabinett gebracht werden. Wenn die Verzögerung in der Frage des Reichsehrenmals dazu führen würde, daß in dieser Angelegenheit eine größere Eini gung herbeigeführt würde, so würde ich die Verzögerung nicht bedauern. Im übrigen ist die Reichsregierung sich bewußt, daß die Frontkämpferverbände, bei denen alle politischen Richtungen vertreten sind, ein ganz ge wichtiges Wort bei dieser Entscheidung mitzusprechen haben. Die kulturellen Hoheitsrechte der Länder werden beachtet werden. Abg. Dr. Rosenbaum (Komm.) fordert völlige Trennung von Staat und Kirche. - Abg. Fröhli ng (B. Vp.) hebt die Bedeutung der Leibesübungen für die Gesamtheit des Volkes hervor, besonders das Frauen turnen sei zu fördern, ebenso das Jugendwandern. — Abg. Dr. Spuler (Dnat.) warnt vor einer Zurück setzung der humanistischen Anstalten. — Abg. Seiffert (Völk.) bittet, im Unterricht mehr die deutsche Ver gangenheit zu berücksichtigen. Die Kommunisten haben inzwischen ein Miß traue nsvotu m gegen den Reichs mini st er v. Keudell eingebracht. Es folgt die Besprechung des Gesundheitswesens. Minister v. Keudell betont die Notwendigkeit einer eineitlichen Regelung des Hebammenwefens. Die Ausführungsbestimmungen für das Gesetz zur Bekämp fung der Geschlechtskrankheiten, das am 1. Oktober in Kraft tritt, sind in Vorbereitung. Die Tuberkulose bekämpfung von Reichswegen sei schwierig angesichts dec finanziellen Lage. Der Minister kündigt schließlich ein sogenanntes Landstreichergesetz an. Von den Völkischen, die, da sie keine Fraktion mehr bilden, nur fünf Minuten Redezeit haben,, wird Ver tagung beantragt und die Beschlußfähigkeit des Hauses bezweifelt. Da das Haus beschlußunfähig ist, muß die Sitzung abgebrochen werden. — Vizepräsident Esser beraumt aber sogleich eine neue für 10 Minuten später an. In der neuen Sitzung wird die Aussprache fort gesetzt. — Abg. Hem stör (Dnat.) fordert gesetzliche Bestimmungen der Länder, wonach Zigeuner mit Pferden und Hunden und anderen Tieren nur umherziehen dürfen, wenn sie einen polizeilichen Ausweis besitzen. — Abg- Dr. Moses (Soz.) verlangt mehr Aktivität des Reichs gesundheitsamts. Abg. Bickes (D. Vp.) begrüßt es, daß die Sterblichkeitsziffer auch im letzten Jahre zurückgegangen ist. Notwendig sei eine Reform des Krankenpflegewesens. — Abg. Frau Dr. Lüders (Dem.) verlangt eine bessere Ausbildung der Hebammen- — Abg. Frau Weber (Ztr.) hält ein Reichsgesetz z»r Bekämpfung der Tuberkulose für notwendig. Präsident des Reichsgesundheitsamtes Hamel dankt dem Reichstag für die Förderung der wissenschaftlichen Arbeiten des Reichsgesundheitsamtes. Er schildert die umfangreiche Tätigkeit dieses Amtes, das auch zum Döl kerbunde Beziehungen habe. Im Hygieneausschuß des Völkerbundes sind von 20 Sitzen zwei Deutschland zu gesprochen worden. Im allgemeinen sei es mit den Ge sundheitsverhältnissen besser geworden, aber es handele sich keineswegs um eine lückenlose Besserung. Die Sterb lichkeit in den deutschen Großstädten habe abgenommen. Der Gedanke der Reichsgesundheitswoche werde weiter verfolgt und erweitert. Ein Rahmengesetz für den Ver kehr mit Arzneimitteln sei in Vorbereitung. Wegen des Umherziehens der Zigeuner schweben Verhandlungen mit den Ländern. Die ärztliche Prüfungsordnung ist in Be arbeitung. Aus Anlaß der Typhusepidemie in Han nover hat die Reichsregierung ein Rundschreiben an die Länder gerichtet, in dem diese aufgesordert werden, der Wasser- und Milchoersorgung der Bevölkerung die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Abg. Frau Arendsee (Komm.) hält die traurigen Wohnungsverhältnisse für die Grundursache alles Uebels. — Abg. Petzold (Wirtsch. Vereinig.) hält es für be trüblich, daß im Etat für die Tierfürsorge dreimal soviel ausgeworfen sei, wie für die Menschenfürsorge. Damit ist das Kapitel Gesundheitswesen erledigt und die Verhandlungen werden auf Montag 1 Uhr vertagt-