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Marx versuchts noch einmal. 21. Januar 1927 Nach dem Beschluß der sozialdemokrati schen Reichstagsfraktion, daß sie grundsätzlich gegen ein Kabinett der Mitte nichts einzuwenden habe, i h r e letzte Entscheidung aber vorbebalten müsse, bis über Zusammensetzung und Programm eines solchen Kabinettcs Klarheit bestehe, war es klar, daß die Sondierungen des Reichskanzlers Dr. Marx den Boden für die Bildung eines Kabinettes der Mitte vorzubereiten, zum Scheitern verurteilt sind. In der entscheidenden Aussprache Mischen Herrn Marx und dem Führer der Neichstagsfraktion der Deutschen Volkspartei, Dr. SchoIz, am Donnerstag mittag wies der volksparteiliche Vertreter darauf hin, daß die aus weichende Haltung der Sozialdemokraten seine Fraktion zu der Ueberzeugung gebracht habe, daß eine Zu sammenarbeit nur nach rechts, also mit den Deutschnationalen die einzig ge gebene Möglichkeitsei, um zu stabilen Regie- rungsverhältnissen zu gelangen. Dr. Scholz erklärte dann weiter im Auftrage seiner Fraktion, daß die Sozialdemokraten, ohne Forderungen zu verlangen, eine künftige Regierung der Mitte zu jeder Zeit stürzen könnten und ein derartiges Kabinett also lediglich von der Sozialdemokratie abhängig sei. Der Reichspräsident von Hindenburg hat den ge schäftsführenden Reichskanzler Dr. Marx erneut be auftragt, die Bemühungen um die Bildung einer Ne gierung fortzusetzen. Der Auftrag wurde Dr. Marx in einem Schreiben übermittelt, das folgenden Wortlaut hat: Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Die außen- und innenpolitische Lage des Reiches erfordert eine arbeitsfähige und starke Regierung. Die Regierung wird am erfolgreichsten arbeiten können, wenn sie sich auf eine Mehrheit im Reichstag stützen kann. Die Bildung einer solchen Mehr heit unter Anschluß an die Linke ist, zurzeit wenigstens, nicht möglich. Der Versuch zur Schaffung einer nur aus die mittleren Parteien gestützten Regierung ist ge scheitert. Ich richte nunmehr an Sie. Herr Reichskanzler, das Ersuchen, die Bildung einer Regierung auf der Grundlage einer Mehrheit der bürger lichen Parteien des Reichstags mit tunlichster Beschleunigung zu über nehmen. Ich appelliere gleichzeitig an die hierfür in Frage kommenden Fraktionen des Reichstags, persön liche Bedenken und Verschiedenheiten der Anschauungen im Interesse des Vaterlandes beiseite zu stellen, sich zur Mitarbeit unter Ihrer Führung zusammenzuschließen und sich hinter einer Negierung zu vereinigen, die ent schlossen ist. nicht für und nicht gegen einzelne Parteien, sondern getreu der Verfassung für das Wohl des Vater landes zu arbeiten. Diese neue Regierung soll, wenn ihr auch Vertreter der Linksparteien nicht angehören, dennoch die besondere Pflicht haben, in gleicher Weise wie die anderen Staats notwendigkeiten die berechtigten Interessen der breiten Arbeitermassen zu wahren in dem Bestreben. Lem ge- kamten deutschen Volke in all seinen Schichten zu dienen und die vor uns stehenden wichtigen politischen, wirt schaftlichen und sozialen Aufgaben zu lösen. Mit der Versicherung meiner besonderen Wert schätzung bin ich Ihr ergebener v. Hindenburg. Das Zentrum zur Lage. Ueber die gestrigen Besprechungen der Zentrums fraktion des Reichstages wird folgende Mitteilung aus gegeben: Die Z e n t r u m s f r a k t i on des Reichstages hat am Donnerstag Berichte über die Regierungsbildung entgegengenommen. Sie erblickt in dem Scheitern der von ihr mit allem Ernst angestrebten Regierung der Mitte eine bedenkliche Verwickelung der politischen Lage. Damit ist ein Zustand geschaffen, der große staatspolitische Gefahren in sich schließt und länger nicht mehr verantwortet werden kann. Der erneute Rus an die Zentrumsfraktion, die Regierungsbildung führend zu beschleunigen, stellt die Fraktion vor eins überaus verantwortliche Aufgabe. Bei der Inangriffnahme dieser Aufgabe legt die Fraktion Wert darauf, dem Lande gegenüber ihre außen- und innenpolitischen Grundlinien unter Berücksichtigung der neu geschaffe nen Lage klar herauszustellen. Zu diesem Zweck wird die Fraktion am Freitag wieder zusammentreten. Frankreich und die deutsche Regierungsbikdung. Die heutigen Morgenblütter veröffentlichen aus führliche Berichte ihrer Berliner Korrespondenten über die Aussichten einer R e ch t s r e g i e r u n g. Auffallend ist dabei die Ruhe, nnt der einer solchen Regierung entgsgengesehen wird. Die „Ere Nouvelle" erklärt unter anderem, daß in Zukunft das Rhein st r o b l e m gewiß nicht mehr vor die Diplomaten, son dern vor die Völker kommen werde. Man werde cs nicht lösen, wenn man sich weigere, darüber zu sprechen. Frankreich brauche ein Sicherheitspfand und Deutsch land ein Pfand der Wiederversöhnung. Es sei unbedingt notwendig, daß Frankreich, wenn es Garantien für seine Sicherheit verlange, alle An strengungen machen müsse, um eine Wiedexversöhnung herbeizufllhren. Die Lage in China. 2l. Januar 1927 Unruhen in Amoy. Nach den letzten Nachrichten aus China ist es nun mehr auch in dem unter Verwaltung Kantons stehen den Vertragshafen Amoy zu Unruhen gekommen. Die Chinesen beanspruchen das Recht der Kontrolle im Europäer-Viertel. Das Konsularkorps hat Kanonen boote Mm Schutze der Europäer angefordsrt. Lin japanischer Kreuzer ist bereits nach Amoy ausgelaufen. Nach Meldungen aus Hankau wird von jedem Arbeiter in der Provinz Hapeh eine Kopfsteuer erhoben. Die Negierung hofft auf diese Weise 36 Millionen Dollar einzunehmen. Diejenigen Arbeiter, die die Steuer nicht zahlen, sind zum Eintritt in die Armee ver pflichtet. Portugiesische und weitere englische Kriegsschiffe. Nach der Entsendung des ersten englischen Kreuzer aeschwaders werden am 30. Januar wiederum zwei Kanonenboote und zwei Zerstörer nach China abgehen. Nach einer Meldung aus Lissabon hat sich die portu giesische Regierung bereiterklärt, ebenfalls zum Schutze der portugiesischen Interessen drei Kriegsschiffe nach China zu entsenden. Armbinden für die Deutschen in Schanghai. Nach Meldungen aus Peking tragen die Deutschen in Schanghai zum Schutze gegen Belästigungen Arm binden. die sie als Deutsche kennzeichnen. In Tsckwng- scha streikt in der europäischen Konzession das gesamte chinesische Dienstpersonal. 900V Mann Besatzung in Koblenz. 2>. Januar 19.7 Aus einem Verwaltungsbericht der Stadt geht her vor, daß gegenwärtig die Zahl der Besatzungstruppen in der Stadt 9000 Mann beträgt. Dazu kommt noch die Interalliierte Militärkontrollkommission. Rund 400 Privatquartiere sind in der Stadt beschlagnahmt. Von den öffentlichen Gebäuden sind das Oberpräsidium, der größte Teil des Regierungsgebäudes, die Diensträume der Strombauverwaltung, das Provinzialschulkollegium, das Konsistorium und ein Teil des städtischen Rathauses in Händen der Besatzung. Das Aachener Rathaus von der Besatzung geräumt. Die belgische Kommandantur und die belgische Wache haben gestern das Rathaus geräumt. Schutz vor Besatzungsübergrifsen. Mainz, 21. Januar. Um die Bevölkerung vor Uebergriffen einzelner Besatzungsangehöriger zu schützen, hat die französische Militärbehörde beschlossen, in den abgelegenen Stadtteilen nach Eintritt der Dunkelheit besonderen Patrouillendienst durch Militär und Gendarmerie einzurichten. Deutscher Reichstug. Sitzung vom 20. Januar 1926. Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um 3 Uhr. Vor Eintritt in die Tagesordnung beantragt Abg. Rosenberg (Komm.), einen Amnestieantrag seiner Partei sofort zu behandeln. Abg. Kling (B. Bauernb.) fordert die sofortige Behandlung des An trages auf Beseitigung der letzten Biersteuererhöhung. Beiden Anträgen wird widersprochen. Es folgt dann die zweite Beratung des Gesetzent wurfes über die Gerichtskosten und die Gebühren für Rechtsanwälte. Abg.' Dr. Wunderlich (D. Vp.) berichtet über die Verhandlungen des Ausschusses. Dieser verlangt in einer Entschließung u. a. die Aufhebung der Vorwegerhebung der Eerichtskosten vom 1. Januar 1929 ab. Inzwischen sollen Milderungen Platz greifen. Weiter befürwortet er eine angemessene Vermehrung der Zahl der heim Reichsgericht zugelassenen Rechtsanwälte. Die Vorlage bringt im wesentlichen eine Ermäßigung der Eerichtskosten für Streitwerte über 10 000 Mark im Zivilprozeß. Abg. Dr. Rosenfeld (Soz.) hält die Gerichtskostenvorschüsse für völlig unberechtigt. Sie sollten schon vom 1. April 1928 ab abgeschafft wer den. Staatssekretär Joel gibt zu, daß hier ein un erwünschter Zustand herrsche, wenn Rechtssuchende erst einen Vorschuß zahlen müssen, ehe in die Erörterung ihrer Angelegenheit eingetreten werde, aber die Auf hebung der Vorschüsse würde den Justizfinanzen der Länder das Rückgrat brechen. Preußen allein würde einen Ausfall von 15 Millionen haben. Abg. Dr. Frick (Völk.) erklärt, solche Vorschüsse seien eines Rechts staates unwürdig. Ein Antrag Dr. Rademachers (Dnat.), der eine Gebührenermäßigung für gewisse Straf verfahren verlangt, wird mit 180 gegen 139 Stimmen abgelehnt. Auch die anderen Anträge werden abge lehnt. Der Gesetzentwurf wird dann in zweiter und dritter Lesung mit den Entschließungen angenommen. Das Haus vertagt sich dann auf Freitag 3 Uhr mit der Tagesordnung: Bekämpfung der Geschlechtskrank heiten. Sächfttcker Landtag. Dresden, 2K Januar 1927. Die auf der Tagesordnung stehende allgemeine Aussprache über die Regierungserklärung fand anscheinend kein großes öffentliches Interesse, denn die Tribünen zeigten große Lücken, auch das Haus war anfangs nicht voll besetzt. Vor Eintritt in die Tages ordnung teilt der Präsident mit, daß der dem Landtag vorliegende Antrag auf Verminderung der Zahl der Ministerien wieder zurückgezogen worden sei. Es wur den sodann die Mitglieder zahlreicher Ausschüsse ver lesen. Bei dieser Gelegenheit bemerkt Präsident Schwarz, gegen die Tribüne gewendet: Das Beschauen mit Opernguckern ist in diesem Hause nicht zulässig! Abg. Kastner ruft: Lohnt sich auch nicht! (Allgemeine Heiterkeit.) Erster Redner ist Abg. Ewert (Komm.). Er be gründet die mit der Aussprache über die Regierungs erklärung verbundenen kommunistischen Anträge auf Auflösung des Land tags und betr. Mißtrauen gegen die Heldt-Regierung. Er verlangt Beseitigung der Regierung und Auflösung .des Landtags, denn diese Regierung werde nur die Reaktion unterstützen. Außerhalb des Parlaments müßten die Arbeitermassen gegen diese Regierung mobilisiert werden. Abg. Vöchel (Linkssoz.): Der Vorredner habe weniger gegen die Rechtsgefahr als gegen die Sozial demokraten gesprochen. Die Regierungserklärung be friedige nicht, denn sie besage überhaupt nichts. Das Volk solle getäuscht werden über die Absichten, die die sem Bürgerblock zugrunde liegen. Redner fordert Vor legung des Dokuments, nach dem am 1. Juli eine Um bildung der Regierung stattfinden solle. Das schlimmste sei, daß der Ministerpräsident von einer solchen Ab machung angeblich nichts wisse. Seine Partei werde den Sturz dieser Regierung mit allen Mitteln zu erreichen versuchen, bis dahin aber in schärfster Opposition ihr gegenüber stehen. Abg. Röllig (D. Vp.) gibt namens der Deut schen Volkspartei, der Wirtschaftspartei, der Demokra tischen Partei und der Altsozialisten folgende gemein schaftliche Erklärung ab: Die Regierungsparteien er blicken in der Regierungserklärung des Ministerpräsi denten Heldt eine geeignete Grundlage für ein ersprieß liches Wirken im Landtage. Unbeschadet dessen, daß die einzelnen Parteien der Koalition ihre besonderen Wünsche in bezug auf Wirtschafts-, Kultur-, Sozial und Rechtsfragen bei Beratung des Haushaltplanes vortragen werden. Sie stellen sich heute hinter die ab gegebene Regierungserklärung. Aus diesem Grunde lehnen sie sowohl den Mißtrauensantrag als auch den Antrag auf Auslösung des Landtages ab. Abg. Bethke (Altsoz.) entgegnet dem linkssozia- listischsn Redner, er habe durch seine Worte nur ver sucht. eine Niederlage zu bemänteln. Die SPD. als die stärkste Partei im Landtage habe Gelegenheit ge habt, eine starke politische Macht an sich zu reißen, habe aber kein Geschick gehabt und stehe nun mit leeren Hän den da (Abg. Liebmann (Linkssoz.) ruft: Wir werdens euch schon zeigen! Besser mit leeren Händen als mit euren hohlen Köpfen!) Seine Freunde könnten sich nicht für eine Koalition erklären, die sich auf die Kom munisten stützen müßte, denn diese dürften ja überhaupt keine eigene Meinung haben. Abg. Mack (Aufw.-P.) verliest eine längere Er klärung über die Ziele und Wünsche seiner Partei und bemerkt zum Schluß: Im großen und ganzen sind wir mit den Richtlinien der Regierungserklärung einver standen, nur zur Behandlung der Aufwertungsfrage müssen wir einige kritische Bemerkungen machen. Abg. v. Mücke (Nat.-Soz.) führt aus: Die Re gierungserklärung enthalte nur Phrasen und Sprüche, das Volk aber verlange Taten und diese würden wahr scheinlich ausbleiben. Man dürfe sich nicht auf die gegenwärtige Lage einstellen, sondern sie zu ändern suchen. Seine Partei werde der Regierung weder das Vertrauen noch das Mißtrauen aussprechen, sondern weiße Zettel abgeben; sie wolle erst sehen, was diese Negierung leiste. Vor leerem Saale beschäftigt sich hierauf Abg. Böttcher (Komm.) mit den Nationalsozialisten, die lebhaft gegen seine Ausführungen opponieren, Der übrige Inhalt seiner einstündigen Rede ist der altbe kannte. Gegen einen danach eingegangenen Antrag auf Schluß der Debatte protestiert Abg. Liebmann. Der Antrag wird abgelehnt. — Im weiteren Verlauf der Verhandlungen beschäftigt sich Abg. Edel (Linkssoz.) in der Hauptsache mit den Altsozialisten und den Kom munisten und tritt für die Auflösung des Landtages ein. Er meint, daß Neuwahlen eine andere Zusammen setzung der Regierung ergeben würden. Redner be spricht dann einzeln richterliche Urteile der letzten Zeit und bezeichnet sie als Schandurteile. I u st i z m i n i st e r Dr. Bünger weist diese Be leidigung der sächsischen Richter auf das schärfste zurück. In der kommunistischen Presse würden heute haarsträu bende Geschichten aus der Strafanstalt Waldheim mit- geteili. Er könne heute schon versichern, daß diese Vor fälle sich nicht jetzt, sondern im Jahre 1918 ereignet hätten Mit solcher Verlogenheit werde die Bevölke rung in verbrecherischer Weise aufgehetzt. Unser säch sisches Richtertum sei völlig intakt; seine Urteile seien gerecht und unparteilich. In seinem Schlußwort behauptet Abg. Ewert (Komm.), es werde bei den Urteilen mit zweierlei Maß gemessen. Daß Bünger die Urteile verteidige, sei selbst verständlich, denn er gehöre zu den reaktionärsten Ge stalten in der deutschen Justiz. Redner wendet sich dann besonders gegen die Ausführungen der linkssozialisti schen Redner, die nichts als Eiertänze aufgefllhrl hät ten. Wenn die Sozialdemokraten heute den kommuni stischen Anträgen zustimmten, so geschehe das nur auf Drängen der Arbeiterschaft. ' Abg. Dr. K a st n e r (Dem.) stellt gegenüber einer Behauptung des Abg. Edel fest, daß er sich nie.um ein Mandat in der Deutschnationalen Volkspartest bemüht Habs. Damit ist die Aussprache beendet. Der Landtag lehnte schließlich den kommunistischen Mißtrauensantrag gegen die Heldt-Regierung mit den Stimmen der Deutschnationalen, der Deutschen Bolkspartei, der Wirtschaftspartei, der Demokraten, der Aufwertungs partei und der Altsozialisten ab. Die beiden National sozialisten flüchteten bei der Abstimmung unter dem Gelächter des ganzen Hauses schleunigst aus dem Saal. Des weiteren wurde der kommunistische Antrag auf Auflösung des Landtags gegen die Stimmen der Kom munisten und Linkssozialisten abgelehnt. Auch die bei den Nationalsozialisten stimmten gegen die Auflösung. Schluß 7 Uhr. — Nächste Sitzung Dienstag, den 25. Januar, nachmittags 1 Uhr.