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Der englische Gewerkschafts kongreß. In Bristol ist in diesen Tagen der Kongreß der englischen Gewerkoereine zusammenge treten, die im öffentlichen Leben des Jnsel- reichs eine nicht zu unterschätzende Macht dar stellen. Zu dieser Feststellung bedurfte es nicht erst der ausdrücklichen Bestätigung des Munitionsministers Lloyd George, der als einer der leitenden Staatsmänner Englands selbst in Bristol erschienen war und daselbst einen tiefen Kotau vor den versammelten Gewerk schaftsvereinlern machte, die er sogar als die „ungekrönten Könige Englands" anzusprechen für nötig befand. Wer das letzte Jahrzehnt der englischen Geschichte kennt, weiß, daß es den Gewerkschaften gelungen ist, durch ihre parlamentarische Vertretung, die Unab hängige Arbeiterpartei, im Verein mit den Iren das alte Parteiwesen Englands zu zer setzen und ebenso manche wenig in den her gebrachten Rahmen englischer Staats- und Gesellschaftsordnung passende Forderung, wie beispielsweise den Mindestlohn für die Berg arbeiter, durchzudrücken. So verdient denn auch die letztverfloffene Tagung vollauf das Inter esse, das ihr Freund und Feind zugewendet haben. Was den Bristoler Verhandlungen das kennzeichnende Gepräge gibt, ist in erster Linie eine unbeugsame Klaffenselbstsucht, die für Uns Deutsche umso unverständlicher ist, wenn wir die vaterländische Opferwtlligkeit und lebendige Staatsgesinnung, wie sie in den weitesten Kreisen der deutschen Arbeiterschaft während dieses .Krieges zu Tage getreten sind, vergleichend dagegen halten. Diese Selbstsucht läßt die englischen Gewerkschaften mit der ganzen Zähigkeit, deren der englische Volkscharakter fähig ist, an den das Arbsits» und Wirtschaftsleben zunftmäßig einengenden Forderungen sesthalten, auch wenn die Not des Vaterlandes noch so dringend die wenigstens zeitweise Zurückstellung dieser Forderungen verlangt. Daher das Betteln Llopd Georges, die Gewerkoereine möchten doch gegenwärtig auch ungelernte Arbeiter und Frauen in den Munitionsfabriken zu lassen, wenn das auch den Gewerkschaftsregeln zuwiderlaufe. Nach dem Kriege sollten so fort die „normalen Arbeitsbedingungen" wtederbergestellt werden. „Wenn wir un gelernte Arbeiter nicht verwenden können, so rennen wir direkt ins Verderben. Wir können die kleinlichen Einwände der Gewerkschaften nicht gelten lasten. Jede Stunde Versäumnis bedeutet den Tod für unsere Soldaten." So klang es von feiten der Regierung. Ob die englischen Gewerkschaften sich durch diesen Notschrei und Flehruf von höchstberu fener Stelle erweichen lassen werden? Noch sieht es nicht so aus, wird doch sogar erst neuerdings wieder von Streikbewegungen unter den Bergleuten und Eisenbahnern in Südwales berichtet. Gleichfalls als ein Aus fluß der Selbstsucht und als bezeichnend für die Stellung, die der Engländer seit Jahr hunderten zum Staate und seinen selbstver ständlichen Forderungen einnimmt, muß die Verwerfung der allgemeinen Wehrpflicht seitens des Bristoler Kongresses angesehen werden. Die Gewerkoereine haben damit den Beifall der liberalen Presse Englands ge wonnen, während .Times' und.Daily Mail' gute Miene zum bösen Spiel machen und in der ablehnenden Beschlußfassung nicht das letzte Wort der Arbeiterklasse erblicken wollen. Nur,Daily Telegraph' besitzt den Mut der Wahrheit und erklärt den Entschluß des Kon greßes sür bedauerlich. Wir in Deutschland werden indessen gut tun, die ablehnende Haltung des Bristoler Gewerkschaftskongresses gegenüber der Ein führung der allgemeinen Wehrpflicht in Eng land nicht zu überschätzen und daraus keine zuversichtlichen Schlüsse auf die Friedens bereitschaft des englischen Volkes zu ziehen. Davor vermag uns schon ein Blick auf die sonstigen Verhandlungen des Kongrestes und den sie beherrschenden Ton zu bewahren. Was nämlich neben der Klaffenselbstsucht diesem Kongreste feinen Stempel aufprägte, das waren die hochgehenden Wogen nationalistisch- imperialistischer Strömung und ein blind wütiger Deutschenhaß. Wie Hetze, die von skrupellosen Werbern Jahr aus Jahr ein jenseit des Kanals gegen Deutschland ge trieben wurde, hat besonders auch innerhalb der englischen Arbeiterschaft reiche Früchte ge tragen. Und das ist ia auch ganz erklärlich. Verfügt schon der höherstehende Engländer über eine äußerst minderwertige Allgemein bildung, der zufolge sein geistiger Horizont nicht über die nebelumflossenen Küsten des englischen Eilandes hinausreicht, so ist das selbstverständlich beim englischen Arbeiter erst recht der Fall. Alle Lügen und Märchen können daher unter den Massen der englischen Jndustrie- bevölkerung aufs leichteste Wurzel fasten, und dazu kommt noch, daß naturgemäß die düsteren Schilderungen, wonach der deutsche Wett bewerb die Erzeugnisse des englischen Ge werbefleißes von den Auslandsmärkten zu verdrängen drohe, gerade bei den Arbeitern einen besonders empfänglichen Boden finden. So ergingen sich denn auch auf dem Bristoler Kongresse zahlreiche Redner in wüsten und unsinnigen Beschimpfungen Deutschlands und der deutschen „Barbarei", und man war sich völlig einig in dem Entschlusse, die eigene Re gierung in ihrer Werbearbeit sür den frei willigen Heeresdienst nach Kräften zu unter stützen und alles zu tun, um den Krieg zu einem für England siegreichen Ende zu führen. Selbstverständlich soll das Ziel erreicht werden ohne die allgemeine Wehrpflicht, die dem „englischen Ideal von staatsbürgerlicher Frei heit" durchaus nicht entspricht. Wenn hier und da in verdeutschen und neutralen Presse an die Tagung des Bristoler Gewerkschaftskongresses gewisse Folgerungen hinsichtlich des Friedens geknüpft werden, so muß unter allen Umständen betont werden, daß die Zahl der Friedensfreunde im Insel- reich doch noch recht klein ist. Und auch sie wollen nichts, als die Wiederherstellung des allgemeinen Zustandes in Europa, wie er vor dem Kriege war. Auf dieser Grundlage ist für Deutschland ein Frieden undenkbar; denn er würde die Einkreisung und Bedrohung, die Behinderung unseres Handels und die Ver hetzung aller Welt zu einer dauernden Ein richtung machen. Wir zogen das Schwert, um die Bande, die uns umschnüren, zu zer hauen. Wir werden es erst niederlegen, wenn dieses Ziel erreicht ist. Verschiedene Uriegsnachrichten. Von der mil.Zensurbehörde zugetosiene Nachrichten. Späte Erkenntnis. Die Londoner .Daily Mail' meldet aus Petersburg: Das Kriegsminislerium glaubt, daß die englischen Angaben die Stärke der deutschen Heere unterschätzen. Die er neuten kräitigen Angriffe der Deutschen an der Bahnlinie Dünaburg-Wilna beweisen die dringende Notwendigkeit, einig zu sein, und den Widerstand mit allen Mitteln ins Werk zu setzen. Italienische Beklemmungen. Der römische Korrespondent der,Stampa' meldet, die internationale Lage werde in Rom mehr denn je als heikel und schwierig angesehen. Die Regierung werde durch den Mund des Ministers Barzilai in einer Rede, die er in Neapel halten wird, auf die Schwierigkeiten Hinweisen lassen, mit denen sich die Diplomatie des Vierverbandes ab- mühe. Auch die auswärtige Politik Italiens werde kurz gekennzeichnet werden. Wie alle ähnlichen Veranstaltungen der Verbündeten werde auch die Rede Barzilais das feste Ver trauen Italiens in den Endsieg des Vierver bandes besonders betonen; das hindere aber nicht, daß in hohen politischen Kreisen Roms die beängstigende Schwierigkeit einiger internationater Fragen, besonders hin sichtlich des Balkans, anerkannt werden. * Rückgang der englischen Rekrutierung. Während der.Telegraph', die .Times' und andere Blätter behaupten, der jüngste Zeppelin angriff auf London habe den erhöhten Zu lauf von Kriegsfreiwilligen veranlaßt, legt der .Daily Chronicle' das Geständnis ab. daß die Zahl der Freiwilligen sich im laufenden Monat merkwürdigerweise stark verringert habe. Diese Angaben sind deshalb besonders glaubwürdig, weil der .Daily Chronicle' stets gegen die allgemeine Wehrpflicht eintrat und das Freiwtlligen- system befürwortete. * Ein Umschwung in Japan. Nach den neuesten Nachrichten scheint sich in Japan ein starker Stimmungswechsel zuungunsten des Vierverbandes vorzubereiten. Die Japaner kommen danach zur Erkenntnis, daß sie auf die falsche Karte gesetzt Haden. Sie erkennen die deutschen Leistungen unumwunden als bewundernswert an, während die Stimmung gegen das verbündete England immer ge reizter, gleichzeitig auch ein gewisses An- lehnungsbsdürfnis immer stärker wird. Aus mancherlei Anzeichen geht hervor, daß die Japaner mit Deutschland nicht ungern wieder in Beziehungen treten möchten, wenn sie einen ganobaren Weg daiür »änden. Zn Italiens 6ren?e. Vom südlichen Kriegsschauplatz. Zu den bemerkenswertesten Ereignissen in diesem Kriege vom rein militärischem Stand punkte aus gehören die Kämpfe an der italienischen Grenze, wenn sie auch für die Gesamtentwicklung der Dinge in Europa an Bedeutung den Ereignissen auf dem östlichen Kriegsschauplatz nachstehen. Seit Monaten mühen sich hier gewaltige italienische Truppen- massen vergeblich ab, Boden zu gewinnen, ohne daß es ihnen trotz ihrer bedeutenden zahlenmäßigen Überlegenheit gelingt, auch nur im geringsten vorwärts zu kommen. In den Berichten wiederholen sich ständig die Mel dungen von dem Angriffe italienischer Truppen auf diesem oder jenem Teile der Küsten- löndischen Front oder der Tiroler Grenze. So wenig ehrenvoll die ständigen Wiederholungen von dem Zurückweiseu italienischer Angriffe sür die Italiener sind, so ruhmreich sind sie für die österreichischen Soldaten, denn es sind schwere und erbitterte Kämpfe gegen einen starken Feind, in denen sich hier tagaus tagein die Österreicher mit ihren Feinden messen müssen und obsiegen. Seit dem Beginn dieses Monats kann man wieder eine stärkere Tätigkeit der italienischen Truppen feststellen. Das Haupt angriffsziel bleibt die lüstenländische Front, wo sich die Angriffe gegen den Tolmeiner Brückenkopf richten. Aber auch an den an deren Punkten der Grenze entwickeln die Italiener hin und wieder eine lebhafte Tätig keit, die über reines Artilleriefeuer hinaus geht. Besonders gegen den Kreuzbergsattel entfalteten die Italiener am 6. und 6. Sep tember eine hejtige Artillerietätigkeit und ver suchten dabei gegen die österreichischen Stellungen vorzugehen. Ungefähr 6 Bataillone griffen in der Gegend zwischen dem Burgstall und der Psannivitze an. Sie wurden aber unter schweren Verlusten zurückgeworfen und büßten dabei ungefähr UM Mann an Toten ein. Bei diesem Angriffe handelte es sich um den westlichsten Punkt der italienischen Norü- grenzs. Zeichnei die Kriegsanleihe? Auch weiter südlich kam es zu heftigen Geschützkämpfen, die schon seit Monaten kür die Italiener ergebnislos verliefen. Die Dolomitensront ist seit Beginn des Krieges heftig umkämpft und wird von den braven österreichischen Verteidigern gegen alle An stürme der Feinde gehalten. Hier haben die Italiener schon mehrfach heftige Niederlagen erlitten. Am Monte Christallo wurde erst in den letzten Tagen ein heftiger italienischer Angriff abgewiesen. Auch auf der Linie Lavarone—Folgart machen die Italiener hin und wieder Angriffsversuche, die elend scheiiern. Wir ersehen aus dieser Zusammenfassung der Kriegslage im italienischen Kriegsgebiet das eine, daß die Italiener keinerlei Aussicht haben, hier in absehbarer Zeit vorwärts zu kommen. Bedenkt man dabei, daß trotz der starken italienischen Angriffe die Österreicher im Verein mit unseren Truppen noch Ge legenheit und Möglichkeit gehabt haben, eine ungewöhnlich siegreiche Offensive gegen d!^ Russen zu ergreifen und tast ganz Galizien und ganz Polen von der Russenherrschast zU befreien, dann wird man mit aller Klarheit erkennen, wie völlig belanglos die Unter stützungen unserer Feinde durch die italienische Kriegserklärung an Österreich ist. Die Erwartungen Italiens, daß Österreichs Haupt kräfte auf dem Kriegsschauplatz im Osten fest gehalten seien, daß den Italienern nun ein leichter Raubzug tief in Österreichs Gebiet Lineinwinke, ist surchtbar enttäuscht worden. Der italienische Marsch nach Wien und Triest ist noch soweit im Felde, daß die Jialiener selbst bereits alle Hoffnungen begraben haben. cZEert! O. K. d. M.c politische Aunälcbau. Italien. *,Nuova Anialogia' weist darauf hin, daß bei monatlich 600 Millionen Lire Kriegsaus^ gaben die Staatsschuld am Ende des Jahres öMilliarden betragen werde, von denen bis jetzt nur 2 Milliarden ge deckt seien. Wenn eine große Anleihe von wenigstens 3 Milliarden gelingen sollte, so wären jährlich 300 Millionen Zinsen zu zahlen, die nur durch neue Steuern aufgebracht werden könnten. Große Sparsamkeit sei am Platze. Russland. * .Rjetsch' führt in einem Artikel über dis gegenwärtige Lage aus: Zwei Wege sind offen, entweder tatenloses Geüenlassen oder Organisierung aller Kräste. Eine unruhige Stimmung verbreitet sich im ganzen Land. Die Bauernschaft will helfen, weiß aber nicht, womit. Sie erwartet eine Leitung von der Regierung, die sich nicht einigen kann. Falls nicht Durchgreifendes geschieht, wird Rußland der Panik und Angst ver fallen. *,Echo de Paris' meldet aus Rom über den russischen Gesandtenwechsel: Der ehemalige Botschaftsrat in Konstantinopel Gulkewitsch wird wahrscheinlich zum russischen Gesandren in Sofia ernannt werden. Sein Vorgänger Sawinski soll Gesandter beim belgischen Hofe werden. Der dortige Ge sandte Prinz Kudatschew ist zum russischen Botschafter in Madrid ausersehen. Balkan stauten. * Der römische Korrespondent des ,Karriere della Sera' kritisiert scharf die Politik des Vierverbandes gegenüber dem Balkan. Er bestätigt, daß allgemein Un gewißheit hinsichtlich der bevorstehenden Er eignisse herrsche, und klagt die Diplo maten unglaublicher Langsamkeit an. Sie hätten den günstigen Moment, Rumänien zu gewinnen, verpaßt, eine Unterlassung, die heute, angesichts des großen Rückzuges der Russen, weniger denn je wieder gut zu machen sei. Auf Serbien, das allen Konzessionen gegenüber sich reserviert zeige, hätte man ganz anders einwirken müssen. Auch die letzte Ant wortnote sei ungenügend und ausweichend. Auf Griechenland könne man gar nicht zählen, weil dieses sich ganz nach den anderen Balkan« stauten richte, namentlich nach Bulgarien. Der Vierverband müsse sich eben nunmehr ganz aus seine eigene Krast verlassen, und das be ruhe letzten Endes auf Fehlern seiner Diplo maten. Amerika. * .Central News' melden aus Washington: Pierpont Morgan hat dis französischen und englischen Finanzleuie zusammen mit 176 Ban kiers und sonstigen hervorragenden Geschäfts leuten zu einem Empfangsseste eingeladen. Man hält es für sicher, daß es dem Vier verband glücken wird, eine fünfprozentige Anleihe von 100 Millionen Pfund (etwa 2 Milliarden Marl) aufzunehmen. Die deutsche Presse Amerikas tadelt scharf den Anleiheplan und bezeichnet es als eine schwer wiegende Verletzung der Neutralität. *Die .Frankfurter Zeitung' schreibt: Wie man erst jetzt aus den amerikanischen Zeitungen ersieht, hat die Regierung in Washing ton gegen die Erklärung von Baumwolle als absolute Bannware einen formellen Protest nach London gerichtet. In eng« liichen Blättern ist von diesem Protest nie be richtet worden. 6me Üerrennatur. A Roman von Henriette v. Meerheimb (F-rtsetznng.) „Das ist ja ein richtiger Glückstag heute!" sagte sie und lehnte sich in den Wagen zurück. Die roien Rosen an ihrem weißen Kleide glühten. Unter der Krempe ihres aufge bogenen schwarzen Huies lachten ihre strahlen den Augen ihn an. Das Gewirr der engen Straßen wurde trotz der häufigen Verkehrsstockungen bald überwunden. Die Sonne goß Ströme von Gold in die Landschaft. In Starnberg angekommen, in dem das Treiben mit Lem Sinken der Sonne etwas abnahin, stiegen sie aus. Es ging sich so schön in den einsamen Waldwegen unter dem lichten Grün der Buchen. Auf dem Rasen blühten Rhododendronsträucher wie Riesenbuketis. Eine Bank an dem großen See war leer. Nadine, die leicht ermüdete, denn das bestän dige Stehen vor der Staffelei ist angreifend, setzte sich. „Wie wohl di« Stille mir tut — und wie schön ist das zitternde Blätterspiel über dem Rasen! Welch ein Genuß, das einmal wieder zu sehen. Ich Hobe in Weimar oft die ganzen langen Frühlingstage im Park zu- gedracht, bin nur zu den Mahlzeiten ins Haus gegangen. Um mich herum flöteten die Amseln, manchmal setzte sich mein Vater zu mir und las mir aus Goethes Werken vor. Seitdem ich in München bin, habe ich kaum «in Buch ausgemacht. Mir ist, als könnte ich jetzt nichts verstehen, ohne die Erklärungen meines Vaters." Er sah sie teilnehmend an. „Ich verlor mit meinem Vater alles," ant wortete sie auf seine unausgesprochene Frage hin einfach. „Heimat, Stellung, Familie — ich stehe ganz allein und muß dankbar sein, daß Professor Olhardt um alter Zeiten willen so viel Interesse an mir nimmt. Bis jetzt habe ich an München nicht gehangen — das kann ich nicht leugnen. Heimweh, Sehnsucht nach Stille, Schönheit und Ruhe foltern mich beständig." „Und ich habe mich gesehnt hierher," fiel er lebhaft ein. „Ruhe und Stille Habs ich genug genossen — sür ein langes Leben ausreichend. Die paar Studenten- und Reisezeiten abgerech net, bin ich als einziges Muttersöhnchen zärt lich-ängstlicher Eltern auf einem Landgut auf- gewachsen." „Sie Glücklicher!" „Glücklich? — Meins Eltern, vor ollem mein Vater, verstehen mich gar nicht. Man kann auch in der Heimat heimatlos sein, Fräulein Dadine' Hier in diesem gleichen Streben mit Kunstgenossen finde ich, was ich stets vergeblich bei den Meinen gejucht habe: Verständnis und Anregung." Wieder wie am gestrigen Abend glitt ein ironisches Lächeln über ihr Gesicht. „Sie ide alisieren Ihre Kunstgenossen," meinte sie ruhig. „Glauben Sie mir, die meisten suchen in der Kunst nur den Broierwerb. nichts weiter. Sie finden hier ebenso viel Neid, Eifersucht und Kleinlichkeit wie in anderen Berufen. Das kann ja auch nicht anders sein. Die Riva- Ittät ist eine zu große. Wenn Sie erst mehr hinter Lie Kulissen gesehen haben werden, werden Sie merken, wie viel Protektions- Wirtschaft und Jntrigenzetieleien hier herr schen." „Gleichviel — ich finde doch dieselben Jnier- essen." „Bei Ihren Eltern fanden Sie Liebe." „Ja, aber eine Liebe, die durch Verständ nislosigkeit zur Qual wird." Es tag ihm auf der Zunge, von der aufge- zwungsnen Braut zu sprechen, aber er unter drückte es wieder. Es kam ihm vor, als spiele er bei diesem Vorgang eine lächerliche Rolls, die eines dummen Jungen, der stumpf sinnig über sich verfügen ließ. Um keinen Preis hätte er dies ironische Lächeln, das so leicht um Nadines roten Mund zuckie, sehen mögen, wenn es ihm selber galt. „Der einzige, an den Sie sich unbesorgt anschließen können, ist Norbert," fuhr Nadine fort. „Der ist eine ehrliche Seele. Mit seinem bißchen Geld hilft er noch beständig dem un glücklichen Werner aus." Georg nickte beistimmend. Trotzdem be rührte ihn das Lob, das Nadine Norbert spen dete, nicht angenehm. „Wollen wir beide nicht einen Freundschaftsbund schließen, Nadine?" schlug er lebhaft vor. „Sie kennen mich frei lich noch nicht lange, aber Sie können mir vertrauen. Lassen wir doch all den steifen Formenkram beifeite, seien wir einfach zwei Menschen, die dem gleichen Biele zuwandern und sich dabei gegenseitig fördern möchten. Wollen Sie?" Er nahm die schmale Hand, die, mit den Rosen spielend, in ihrem Schoß, lag, und drückte sie. Sie sah in sein schönes, lebhaft bewegtes Gesicht und erwiderte den Druck seiner Hand. „Wenn Sie mir wirklich ein Freund sein wollen," sagte sie ernst, „kann ich nur dankbar dasür sein. Ich bin sehr arm an Freunden. Lucy O'Retlly ist ein gutes Ding, aber nüchtern, banal in allem Denken und Handeln. Ihr ganzes Streben ist darauf gerichtet, einmal als Zeichen- und Mallehrerin angestellt zu werden. Dies Ziel wird sie wohl erreichen. Wenn man ein Ziel nicht weit und hoch steckt, gelangt man schon hin." „Und Sie? Was ist Ihr Ziel?" „Ack, ich bin eine Närrin, wie mir Pro fessor Olhardt oft versichert, ich habe kein Ziel, keinen Ehrgeiz — nur Hoffnungen und Träume. Ich möchte still sür mich allein malen, einen Sonnenstrahl. Ler den Rasen smaragdgrün schimmern läßt, ein paar vom Maiwind verwehte Rhododendronblüten, 6s stilles, graues Wasser, in das die Weide ihre silbern schimmernden Zweige hänat —" „Nadine — Nadine!" Durch Georgs ver haltene Stimme klang die ganze Leidenschaft, die ihn vom ersten Sehen an zu diesem schönen, eigenartigen Mädchen hinzwang. Sie lächelte ihm freundlich zu. In den Kreisen, in denen sie hier lebte, dachte man freier. Es war nichts Ungewöhnliches, sich von einem Herrn beim Vornamen nennen zu lassen und schon nach kurzer Bekanntschaft Fahrten und Wanderungen mit ihm zu unternehmen. Trotzdem schreckte sie unwill kürlich etwas zusammen, a!s ein dunkler Schatten plötzlich lang über den sonnigen Kies weg vor ihnen fiel. „Guten MeM"