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186 PAPIER-ZEITUNG. N? 12 Eine Briefmarkenbörse ist die neueste Errungenschaft der Kaiserstadt. Ihr Ent stehen verdankt sie einem Herrn Th. Lang held, der dieselbe „zur Bequemlichkeit der Herren Markensammler behufs Kaufes und Tausches aller Sorten von Briefmarken“ eingerichtet hat. Wer bei dem Worte Briefmarken an Spielereien flatterhafter Knaben denkt, würde sehr bald anderen Sinnes geworden sein, wenn er am ver gangenen Sonntag sich nach dem Erd geschoss des Hauses Michaelkirchplatz 18 begeben hätte, wo in den Mittagsstunden die erste Versammlung dieser neuen Börse stattfand und in trefflichem Rothwein die festliche Weihe empfing. In der Privat wohnung des Unternehmers hatte sich eine kleine, aber gewählte Gesellschaft von Männern eingefunden, welche das Sammeln von Briefmarken theils als Geschäft theils als Liebhaberei betreiben. Einige handels lustige Knaben, welche Einlass begehrten, wurden als noch nicht börsenfähig zurück- gewiesen. Die Börse unterschied sich wesentlich von derjenigen in den weiten Hallen des Sandsteinpalastes an der Burg-1 Strasse: sämmtliche Papiere waren in natura vorhanden und ihr Werth oder Unwerth i war ihnen auf die Stirn „gestempelt“. Der allgemeine „Nothstand“ hat nicht verfehlt, auch auf den Verkehr in diesen zierlichen,! mit Köpfen, Wappen und Emblemen in tausend Farben schillernden Werthzeichen niederdrückend zu wirken. In der Ver- 1 Sammlung am Michaelkirchplatze lagen Al-1 bums zur Ansicht aus, welche mit staunens- werther Sorgfalt angelegt sind. Eine Samm lung des Herrn Pohl erregte verdiente Be wunderung und wurde von Sachverständigen auf 2000 Mark geschätzt. Ein Amateur legte seine vor kaum Jahresfrist begonnene Sammlung vor, in welcher sich elfhundert Marken und hundert Couverts befinden. — Die Börse eröffnete matt, woran indess weniger die orientalische Verwickelung, als vielmehr der Umstand die Schuld trug, dass das neue Unternehmen noch nicht hin reichend in den Kreisen der Interessenten bekannt geworden. Anfangs beschränkte sich das Geschäft zumeist auf Tausch. | Achteckige Marken aus der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV., deren Nennwerth fünf Silbergroschen beträgt, waren gesucht, behaupteten aber einen so hohen Preis — | bis 30 Mark das Stück — dass die Lieb-1 haber dieses, von einem eingewebten seide- 1 nen Faden durchzogenen Werthpapieres I vom Kauf abgeschreckt wurden. Marken, deren Echtheit durch den amtlichen Stem pel ein grösseres Vertrauen erweckten, [ waren begehrter als ungestempelte. Die I Marken der neuesten Emission von Correio | (Portugal) über fünf Reiss, welche das Auge durch ihre prächtige Ausführung und die glänzenden Farben entzückten, fanden zu 250 Pfennig das Stück gleichwohl keine Abnehmer, ebensowenig „Genfer Timbre double“ zu 50 Mark das Stück; andere' Schweizer waren massenhaft angeboten,' aber unverkäuflich und ohne Begehr. Die lebhafte Nachfrage nach „Schah von Per-' sien“ blieb unbefriedigt. Aufsehen erregte eine vollständige Sammlung von Prince Edwards, die ihr Dasein dem Fleisse eines kleinen Knaben verdankt, aber im Privat- j besitze eines „Kunstverständigen“ verbleibt. | Gegen den Schluss der Börse hin wurde das Geschäft belebter, und wurden nament lich Dänen, Schweden, Portugiesen, Japa nesen und Levante-Post gekauft resp. ein getauscht. Auf einem recht niedrigen Kurse — 15—50 Pf. — blieben die Marken des verflossenen Kirchenstaates, deren Aus stattung allerdings die „Armuth“ des heili gen Vaters aufs Schlagendste kennzeichnet, denn sie sind von recht gewöhnlichem, bunten Papier gefertigt. Steigende Tendenz bekundeten die Marken der verunglückten konföderirten Staaten von Nordamerika, welche, anfänglich zu 15 Pf. angeboten, rasch in die Höhe gingen. Auf gewöhn liche Amerikaner blieb die jüngste Bot schaft des Präsidenten nicht ohne Einfluss; sie erhielten sich fest auf 5—10 Pfennigen. Finnen wurden zu 40 Pf., Hawaiianer zu 5 Mark notirt; Engländer und Russen blieben still. Die älteste Postkarte der Welt vom Jahre 1871, diejenige der American Post Card Company, einer Privat gesellschaft, war sehr gesucht; dagegen konnten die massenhaft auf den Markt ge worfenen Postkarten der verflossenen Ber liner Brief- und Druckschriften-Expedition, welche vor einigen Jahren den Instituten des Generalpostmeisters Konkurrenz zu machen sich unterfing, zu zwei Mark pro 100 Stück keine Abnehmer finden und wur den darin nur einige unbedeutende Einzel verkäufe zum Nennwerth erzielt. Die rege Nachfrage nach „Dreipencemarken mit dem Kleeblatt“ fand keine Befriedigung. Alle Geschäfte wurden haar abgeschlossen, so dass das Schreckgespenst des Ultimo die Herren Briefmarkensammler ihres Schlafes nicht berauben wird. Die Börse, welche I in Zukunft jeden Sonntag von 11 bis 1 Uhr im bezeichneten Lokale stattfinden wird, schloss zu allseitiger Zufriedenheit. Berliner Tageblatt. Photographische Depeschen. Man be- i richtet aus Paris, dass die dortige Sicher heitsbehörde vor einigen Tagen Versuche I mit einer neuen Erfindung angestellt hat, I welche allen angehenden Mördern, Dieben, Defraudanten und sonstigen Spitzbuben sehr unangenehm werden dürfte. Es handelt sich um nichts Geringeres, als um das Be fördern von photographischen Bildnissen durch den elektrischen Draht in der Weise, dass gleichzeitig mit dem Steckbriefe die Photographie des Flüchtlings in alle Welt telegraphirt wird. Der Papierstreifen, wel cher jetzt gewöhnlich die telegraphischen Zeichen oder Buchstaben empfängt, wird breiter geschnitten und nimmt das telegra phische Porträt in der Grösse eines sil-, bernen Fünf-Frankenstücks auf; dasselbe erscheint als Umrisszeichnung, also ohne Schattirung, aber mit aller wünschens- werthen Schärfe und Treue. Am besten angelangt sei, und auf Verlangen wurde dasselbe nach Paris zurücktelegraphirt, wo der Chef des Sicherheitsbureau das Vergnü gen hatte, sein Konterfei unter den Schlä gen des elektrischen Apparates auf dem Papier entstehen zu sehen. Gleich darauf telegraphirte der Lyoner Polizeichef das Bild eines wirklichen Flüchtlings, eines Bankbeamten, der mit der Kasse durch gegangen war, und sein Pariser Kollege konnte die Agenten, welche er sofort zum Lyoner Bahnhof schickte, mit dem Porträt des Defraudanten versehen. Die zum Te- legraphiren von Porträts dienenden Apparate sollen nun bei allen Präfekturen und Unter präfekturen Frankreichs aufgestellt werden und dürften zum Aerger der bei der Sache „betheiligten Kreise“ die Reise um die Welt machen. Die neue Erfindung hat übrigens auch bei den Inhabern der „Agences ma trimoniales“, jener Heirathsbureaux, welche sich zu einer wichtigen sozialen Institution der Seinestadt entwickelt haben, Aufsehen erregt. Welch ein Fortschritt, einem un geduldigen Heirathskandidaten das Bild einer reichen Erbin aus Amerika per Kabel zukommen lassen zu können! III. W. Chinesische Visitenkarten. Während die Visitenkarten bei uns erst seit Anfang dieses Jahrhunderts als ein specieller Luxusartikel aus Paris eingeführt und erst in den letzten 40 Jahren allgemeines Volksgut geworden sind, können sich die Chinesen rühmen, dass bei ihnen die Visitenkarten bereits seit 4000 Jahren im Gebrauche sind. Die Visitenkarten gehören bei ihnen zu einem Gegenstand der Etiquette und seit tausen den von Jahren ist jedem einzelnen Stande vorgeschriehen, wie gross seine Visitenkarte sein darf. Der Hof und die höchsten Hof beamten haben eine Visitenkarte von der Grösse einer Hausthür und lassen dieselbe durch eigenthümlich gekleidete Diener, welche nur zu diesem Zwecke bestimmt sind, hinter sich hertragen. Nach dem Stande werden die Karten immer kleiner, so dass die geringsten nur die Grösse eines preussischen Eisenbahnbillets haben; Leib eigene, Sklaven, der Ehre Verlustige, dürfen überhaupt keine Visitenkarten tragen. Die Grösse der Visitenkarte ist durch Polizei gesetze aufs Genaueste vorgeschrieben; es giebt 95 verschiedene Grössen, die den ver schiedenen Ständen zugetheilt sind. Ueber- tretungen in diesem Punkte werden nur polizeilich bestraft, d. h. es erhält der Uebertreter 50 Hiebe mit dem Bambus, die gewöhnlichste und auch billigste Polizei strafe in diesem grossen Lande, welches sich auf Eintreibung von Geldstrafen und Gefängnisshaft auf einige Tage nicht ein lassen kann. Stand und Rang bildet keine Ausnahme für die Empfänger der Strafe. eignen sich daher zur telegraphischen Transmission photographische Aufnahmen in Profil. Der Versuch der Pariser Polizei direktion wurde in Gegenwart einer Kom mission, an deren Spitze sich der Polizei präfekt und der Chef des Sicherheitsbureau befanden, derart angestellt, dass das Profil bildniss des letzteren nach Lyon telegra phirt wurde. Nach einigen Minuten kün- ■ digte der Telegraph an, dass das Bild die ses fingirten Uebelthäters glücklich in Lyon Früher oder später drängt sich manchem Ehemanne die Ueberzeugung auf, dass er sich die Liebe seines Weibes nicht frisch erhalten kann, ohne ihr elegante Toiletten anzuschaffen. The Times wurde am 28. Novbr. 1814 zum ersten Male mit Dampfkraft gedruckt und zwar auf der von König & Bauer in Oberzell erfundenen und gebauten Schnell presse.