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100 PAPIER-ZEITUNG. N® 7 Die Berliner Papier- und Pappwaaren-Industrie. Nachdem wir oft und viel über die Papier-Industrie anderer Länder berichtet haben, ist es an der Zeit, dass wir unseren Lesern auch die heimischen Fabrikate vor führen. Keine Stadt Deutschlands kann sich in Bezug auf die Menge und Vielseitigkeit ihrer Leistungen im Papierfache mit Berlin messen, und in manchen Zweigen wird von hier aus der Weltmarkt beherrscht. Gerade jetzt, wo man der deutschen In dustrie so viele, theils gerechte, theils ungerechte Vorwürfe macht, ist es mehr als je Pflicht der Presse, nachzuweisen, dass wir in manchen Fächern keinem Volke nachstehen, und sogar alle anderen über bieten. Der Leserkreis unseres Blattes besteht zwar zu mehr als einem Drittheil aus Ausländern, doch glauben wir unseren deutschen Lesern mit den beabsichtigten Beschreibungen eben so viel Neues zu bieten, als den Russen, Skandinaviern u.s. w., weil viele unserer ersten Firmen von jeher jede Art von Bekanntmachung vermieden haben. Sie wurden ja von allen, die ihre Waare brauchten, doch gefunden, hatten stets genügenden Absatz und konnten die öffentlichen Anpreisungen gut entbehren. Dazu betrachtet man in vielen deutschen j Kreisen noch jede Anpreisung der eigenen Fabrikate oder sogar Angebote durch öffent-1 liehe Blätter, als Marktschreierei, und viele unserer besten Häuser haben eine beinahe ängstliche Scheu vor allem, was irgendwie | als „Reklame“ gelten könnte. Durch diese Zurückhaltung ist bewirkt worden, dass viele der besten deutschen Fabrikate nur in Fachkreisen bekannt wurden, und dass das Publikum im grossen Ganzen keine Ahnung davon hat, was in Deutsch land geleistet wird. Diese Unkenntniss trägt auch gewiss dazu bei, dass man sich bei uns daran gewöhnt hat, englische und | französische Fabrikate zu verlangen, wenn | man etwas Gutes kaufen will, denn die ( französischen und englischen Fabrikanten fürchten sich weniger vor der sogenannten | Reklame, sie suchen auf jede mögliche Art I dem Publikum ihre Namen einzuprägen. Wir verstehen unter „Reklame“ nicht unparteiische Beurtheilung, sei sie auch noch so lobend, sondern nur bezahlte Lob hudelei. Die von uns ausgesprochenen oder geschriebenen Ansichten sind, wie schon mehrmals gesagt, nicht käuflich und werden es niemals sein, und wir glauben deshalb nicht, befürchten zu müssen, dass unsere Beurtheilungen oder Beschreibungen für „Reklame“ gehalten werden könnten. Wir erklären dies ausdrücklich mit Rück sicht darauf, dass viele der bedeutendsten Fabrikanten jeder Besprechung ihrer Fabrik oder Erzeugnisse abgeneigt sind, weil sie selbst den Schein der Reklame vermeiden möchten. So gestattete uns Herr W. Hagel berg mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit die Besichtigung seiner Fabrik, gab aber zu einer öffentlichen Besprechung erst die Erlaubniss, als wir ihn überzeugen konnten, dass sie nicht missdeutet werden könne und vielleicht zur Richtigstellung der deutschen und speziell der Berliner Industrie in den Augen der Welt ein Scherflein bei trage. Nachdem die Bewilligung jedoch | einmal ausgesprochen war, zeigte uud er- ' klärte man uns Alles mit einer Freimüthig- keit, die wir dankend anerkennen. Luxus - Papier - Fabrikation. Unter dieser Bezeichnung sind Industrie zweige verstanden, welche durch Bedrucken, Prägen, Ausschlagen und Bemalen Waaren aus Papier fertigen, die selbst wieder bei Papparbeiten und dergleichen Verwendung finden oder auch direkt in die Hände der Verbraucher kommen. Hierzu gehören z. B. Gratulatipnskarten, Heiligenbilder, Cotillonorden, Borden, Bilderbogen, Hüllen für Bonbons und Chocolade, Briefpapiere und Papeterien, die mit Bildern oder Prägung geziert sind, und manche andere Artikel, die bei der Beschreibung der ein zelnen Fabriken genannt werden sollen. Wenn auch noch in einigen anderen deut schen Städten derartige Fabriken bestehen, I so ist es doch unzweifelhaft, dass Berlin als der Hauptsitz dieses Industriezweiges zu betrachten ist, nicht nur als der Haupt sitz für Deutschland, sondern für die ganze Erde. Die überwiegende Menge dieser Fabrikate wird nämlich von hier nach allen Ländern ausgeführt und besonders der Export nach England fällt sehr schwer in die Waagschale. Dort, wo die Waaren aller Völker in freier Wettbewerbung Zu sammentreffen, haben die hiesigen Luxus papiere längst schon den Sieg davon ge-1 tragen und erweitern fortwährend das von ihnen beherrschte Gebiet. IP. Hagelberg, Marienstr. '21. In den ausgedehnten fünf Stockwerk hohen Ge-1 bäuden sind jetzt etwa 500 Arbeiter und ausserhalb noch gegen 100 mehr beschäftigt. I Die Prägepressen und andere schwere Ma schinen befinden sich im Erdgeschoss, die | lithographischen Pressen, die Säle für die j leichteren Arbeiten in den oberen Stock werken und der Transport der Waaren auf- und abwärts wird durch Aufzüge mittelst Dampfkraft bewirkt. Wir wollen die Fabrikation nicht in der Reihenfolge | beschreiben, wie sie sich beim Durchwan dern des Hauses von unten nach oben oder umgekehrt zeigt, sondern wie sie nach und nach aus dem rohen Papier die Kunster zeugnisse schafft, welche wir im Lager be-1 wunderten. ringste Veränderung in der Textur oder gar in der Farbe kann dessen Werth voll ständig in Frage stellen. Es ist begreiflich, dass die Luxuspapier-Fabrikanten bei den bewährten Lieferanten, auf deren Papiere sie eingearbeitet sind, wenigstens für die besseren Sorten, verbleiben, denn eine mit neuen Sorten möglicher Weise auftretende schlimme Erfahrung würde mehr Verlust bringen, als eine Preisverminderung des Papiers aufwiegen könnte. Ebenso kann auch nur derjenige Papierfabrikant eine stets gleichbleibende gute Waare liefern, der es durch jahrelange Erfahrung und günstige Verhältnisse zur Fertigkeit ge bracht hat, und der die Sorten womöglich fortwährend anfertigt. Wir heben dies aus drücklich hervor, um immer wieder an die Nothwendigkeit der Theilung der Arbeit, d. i. der ausschliesslichen Anfertigung einer | oder weniger Sorten zu erinnern. Damit das zum lithographischen Druck bestimmte Papier die Farben besser auf- | nimmt, wird es zunächst mit einer Mischung von Schwerspath (blanc fixe) und Leim überzogen. Ehe dies geschieht und überhaupt als erste Aufgabe,muss man dasMuster entwerfen, welches aufzudrucken ist. Zuerst wird daher beschlossen, wie es ungefähr aus sehen soll, und ein Maler mit dem Entwurf in Oel, Aquarell oder in Zeichnung beauf tragt. Wir freuen uns, hier sagen zu können, dass die schönsten Bilder von deutschen Künstlern stammen, selbst die Zerrbilder (Carrikaturen), werden von einem, allerdings seit vielen Jahren in Paris leben den Deutschen geliefert. Gerade weil wir den feinen Geschmack der Franzosen sehr schätzen, ist es angenehm zu wissen, dass wir ihnen wenigstens in diesem Fache sicher nicht nachstehen. Die Originale der vielen lieblichen, zarten Bildchen, die wir in allen möglichen Fabrikaten wieder finden, sind sämmtlich deutschen Ursprungs und leicht an der überall angebrachten Marke der Firma zu erkennen. Herr Hagel berg gibt sich nicht dazu her, wie es leider viele deutsche Fabrikanten thun, seine Waaren ohne seine Marke oder gar unter fremder Bezeichnung zu verkaufen, und aufmerksame Beobachter können sein W. H. vielfach an den hübschen Zier bildchen mancher Arten von Pariser Waaren Die wesentlichsten Arbeiten der Fabrik bestehen in lithographischem Farbendruck und in Veränderung der Oberfläche und Form des Papiers durch Prägung und Aus-1 stanzen oder Schlagen. Ihre Waaren; kommen theils vollendet in die Hände der Verbraucher, theils aber dienen sie Fabri kanten von Pappwaaren und dergl. als Rohstoff. Das Endergebniss der Papier fabrik, das fertige Papier dient hier als wichtigster Rohstoff und, um sich gut zu Luxuspapier zu eignen, muss es von ganz vorzüglicher Qualität sein. Nur gleich mässig gearbeitetes, aus reiner Faser be-1 stehendes geleimtes Papier kann mit Vor theil beim Farbendruck Verwendung finden, da weniger gute Sorten unter dem Einfluss der Feuchtigkeit ihre Gestalt verändern und das gewünschte Bild in verzerrtem | Zustande wiedergeben. Ebenso ist es noth wendig, dass das Papier stets genau so ausfalle, wie das gehabte, auf welches die Fabrik einmal eingearbeitet ist. Die ge ¬ linden. Die eingereichten Originale müssen, sobald sie zufriedenstellend sind, zunächst auf Stein gebracht werden, und damit sind etwa 30 Lithographen in der Fabrik und ungefähr 10 äusser dem Hause beschäftigt Da jeder Stein nur eine Farbe aufnehmen und abdrucken darf, so muss das Papier so oft und mit so vielen Steinen bedruckt werden, als Grundfarben in dem Bilde vor kommen. Von der einmal auf Stein oder Papier gebrachten Zeichnung wird daher ein negativer Abdruck genommen, der zur Uebertragung auf so viele Steine als nöthig sind, d. h. zum „Umdruck“ dient. Beim Drucken fängt man mit der hellsten Farbe an und fügt mit jedem Stein einen etwas dunkleren Ton zu. Wenn man bedenkt, dass zu manchen Bildern bis 22 Farben, also eben so viele lithographische Steine nöthig sind und dass jedes Muster behufs neuer Auflagen eine Zeit lang vorräthig bleiben muss, so kann