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MMufferTageblati Nr. 280 — 91. Jahrgang Wilsdruff-DreSden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt- Mittwoch, den 30. November 1932 Postscheck: Dresden 2640 Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen des Amts gerichts und des Stadlrats zu Wilsdruff, des Forstreniamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft. Das „Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 8 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— AM. trei Haus, bei Postbestellung 1,80 NM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpsg. Alle Postanstalten und Post boten, unsere Austräger u. ,,- , Geschäftsstelle, nehmen zu Mer Zeil Bestellungen ent- Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend gegen. Im Falle höherer Gewalt, Krieg od. sonstiger Betriebsstörungen besteht kein Anspruch aus Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. Rücksendung eingesandter Schriftstücke ersolgt nur, wenn Rückporto bestiegt. für Bürgertum- Beamte- Angestellte u. Arbeiter Fernsprecher: Amt Wilsdruff Nr. 6 Lckftch^°L^ durch Fernruf übermittelten Anzeigen übern wir keine Garantie. Jeder Rabattanspruch erlischt.^wenn dn Bettag durch Klage eingezogen werden muß oder der Auftraggeber in Konkurs gerät. Ich ei« ZsWMinett LWA? Gelände-Erkundung. Langsam rollt die Regierungskrise weiter, und man hat es sich allmählich abgewöhnen müssen, bestimmte Ter mine vorher als „Entscheidungen" festlegen zu wollen. Jedenfalls das eine darf man aber sagen: der Reichs präsident gibt sich die allererdenklichste Mühe, einen Weg zu finden, auf dem es nicht zu einem erneuten und ebenso scharfen Ausbruch des Konflikts zwischen Regierung und Neichstag kommt wie lisch den Wahlen des 31. Juli. In Der ersten Etappe der Entwicklung versuchte Hindenburg, Lie Bildung eines Kabinetts herbeizuführen, das über «ine Mehrheit der Volksvertretung verfügen würde. Die Absage Hitlers führte zum Abschluß dieser er st en »Etappe; denn der darauffolgende Versuch des Zen- -trumsvorsitzenden Dr. Kaas war unter diesen Umständen Don vornherein zum Mißerfolg verurteilt. Und nun er wartete man — auch die grundsätzlichen Gegner eines Präsidialkabinetts taten dies resigniert — nichts anderes mehr, als daß Hindenburg das Schwergewicht der politi schen Macht wieder in eine solches Kabinett zurückverlegen würde. Toch „erstens kommt cs anders und zweitens als man Lenkt". Das „Zwischenspiel Schleicher" setzte ein und die Aussichten schwankten tagelang hin und her, ob dieses Spiel unter der Leitung des jetzigen Reichswehr ministers in zwar sehr dünne und kümmerliche, aber doch hörbare Harmonien mit der Musik hcrüberklingen würde, die vom kommenden Reichstage angcstünmt werden könnte. Oder, deutlicher gesprochen: Schleicher suchte durch Ver handlungen vor allem mit den wirtschaftlichen Großorga- Disationcn eine Art Tolerierung im und durch den Reichs tag vorzubcrciten, und das Wort vom „Waffenstill stand" tauchte auf. Dabei sollte regierungsseitig die Politische Konzession gemacht werden, man wolle die be sonders kitzligen fragen der Neichsresorm vorläufig ruhen lassen und sich hauptsächlich auf das Problem des Heute, Morgen und übermorgen konzentrieren: die Arbeits beschaffung. Die andere Seite hingegen sollte möglichst durch Vertagung des Reichstages nach seinem Zusammen tritt dem Kabinett eine „Anlanfsfrist" gewähren, — alles letzten Endes mit dem Ziel, irgendwie eine womöglich noch gesteigerte innenpolitische Zuspitzung und die damit verbundene wirtschaftliche Beunruhigung zu vermeiden, vor der erst kürzlich der Neichsvcrband der Deutschen Industrie so dringend gewarnt hatte. Was Schleicher vorläufig erst mal tun sollte und tun wollte, war eine Gelände-Erkundung, die er aber natürlich auch auf die politischen Parteien bis zu den Sozialdemokraten hinüber ausdehnte. Was er dort er fahren würde, konnte er sich ja eigentlich im voraus denken, weil es sich — wie so oft im deutschen Partei leben — um „Grundsätzliches" handelt und man dabei kaum an ein Zusammengehen denkt, das man nämlich gleich als „Kompromiß" bezeichnet Das von Schleicher „erkundete" und von Hindenburg in dieser Art wohl auch geplante übergangskabinctt soll und will sich aber ganz över vor allem auf die eine wirtschaftliche Aufgabe der Arbeitsbeschaffung beschränken, und an der Inangriff nahme dieser Aufgabe möglichst nicht durch einen offenen überscharfen Konflikt mit dem Reichstag gehemmt oder gehindert werden. über die Ergebnisse der Verhandlungen mit den wirtschaftlichen Großorganisationen, Gewerkschaften usw. drangen nur Andeutungen in die Öffentlichkeit, während die meisten politischen Parteien ihre Stellungnahme mehr oder weniger offen mitteilten. Allerdings könnte auch hier erst eine „Feldschlacht" im Reichstag selbst endgültige Klarheit schaffen. Besonders schwierig war es für den Neichswehrminister, seine Erkundung auch auf die Nationalsozialistische Partei auszudchnen, weil dort die zur Verhandlung eingeladenen nächsten Berater Hitlers dem Minister erklärten, daß die Entscheidung über die Vorschläge Schleichers nur der Führer ihrer Partei treffen könne. Von dem Verhalten der Nationalsozialisten im Reichstag wird es aber abhängen, ob der von Hindenburg und Schleicher angestrebte „Waffenstillstand", also eine vorläufige „Tolerierung" eines Kabinetts mit dem von Schleicher vorgesehenen Sonderprogramm zustande kommt oder ob wieder der offene Konflikt mit der Reichstags mehrheit ausbricht. Da die Vorschläge des Reichswehr ministers auch dahingehen, durch Abänderung bestimmter sozialpolitischer Teile der letzten Notverordnung national sozialistischen Forderungen entgegenzukommen, so fällt Lie Entscheidung tatsächlich erst mit einem unzweideutigen „Nein" Hitlers. Das aber würde auch ein Ende für LieBemii Hungen Hindenburgs bedeuten, wenn auch nicht eine Brücke, sondern eine Art Notstcg zwischen Präsidialkabinctt und Volksvertretung zn bauen. Wirischastskreise und Kabinettsbildung. Der Reichsverband der Deutschen Industrie teilt mit: Bm Hinblick auf wiederholte Pressemeldungen, daß die Wirtschaftskreise bei der Kabinettsbildung um ihre Auf fassung gefragt wären oder einen Einfluß auszuüben versucht hätten, ist festzustellen, daß weder der Reichs verband der Deutschen Industrie noch die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in dieser Richtung irgendwie in Anspruch genommen worden sind oder eine Betätigung ausgeübt haben Reue Aussprache Wer-Schleicher. Ein Zwischenbericht an Hindenburg. Die politischen Besprechungen, die am Dienstag über die Regierungsbildung in Berlin geführt wurden, waren begleitet von sensationell aufgebauschten Nachrichten, die davon wissen wollten, daß die Verhandlungen des Ge nerals von Schleicher Schiffbruch erlitten hätten, und daß Reichskanzler von Papen in sein Amt zurückkehren würde. Die dann umzubildende Reichsregierung sollte als Kampfkabinett gegen den Reichstag einge setzt werden, der evtl, aufgelöst werden sollte. Neuwahlen sollten verschoben werden. Hindenburg, so hieß es weiter, würde sich mit einer Proklamation an das deutsche Volk wenden und Unterstützung der Regierungspläne für die kommenden schweren Wintermonate fordern. Alle diese Gerüchte wurden von offiziöser zuständiger Stelle als falsch oder zumindest als übereilt h i n - gestellt. Feststeht, daß General von Schleicher am Dienstag den Führer der nationalsozialistischen Reichs- tagsfraltion, TM Frick, zu einer Aussprache empfangen hat, um mit ihm über eine etwaige Tole rierung der neuen Neichsregierung und über den beab sichtigten politischen Nichtangriffspakt über die Wintcr- monate zu verhandeln, über das Ergebnis dieser Unter redung wird strengstes Stillschweigen bewahrt, doch ver lautet, daß Dr. Frick dem Neichswehrminister gegenüber erklärt hat, seine Partei würde sich einem Kabinett Schlei cher gegenüber nicht anders verhalten als gegenüber einem Kabinett Papen. Doch soll er hinzugcfügt haben, daß er zu politischen Verhandlungen gar nicht ermächtigt sei, daß solche Verhandlungen vielmehr nur von Hitler selbst ge führt werden könnten. Daraufhin soll sich General von Schleicher nochmals anHitlergewandt und ihn gebeten haben, so schnell wie möglich nach Berlin zu kommen, damit hier mit ihm über die Frage des politischen Waffenstillstandes gesprochen werden könnte. Jedenfalls wurde in Regierungskreisen erklärt, daß der Reichspräsident eine Übereilung der Ent scheid u n g für u n r i ch t i g h a l t e. Er werde vielleicht erst auf Grund weiterer Verhandlungen und auf Grund einer neuen Heranziehung von Parteiführern zu den Be sprechungen die sehr schweren und ernsten politischen Maß nahmen am Donnerstag treffen. Diese offiziöse Erklärung erfolgte nach einem Empfang des Reichskanzlers von Papen und des Reichswehrministers vonSchleicher durch Hindenburg, der sich von ihnen einen Zwischenbericht über die politische Lage und die von ihnen geführten Verhandlungen mit Politikern und Wirtschafts-* sührcrn geben ließ. Bei dieser Gelegenheit wird Neichswehrminister von Schleicher auch auf die Aussprache hingewiesen haben, die tzr mit dem Führer der Zentrumspartei, dem Prälaten Kaas, am Montag hatte. Von Zentrums seite wird hierzu mitgeteilt, daß Schleicher in der etwa zwei Stunden dauernden Unterredung den Prälaten Kaas über die Art und den Umfang des ihm vom Reichspräsi denten zuteil gewordenen Auftrages berichtet habe. Wie es heißt, soll die Unterredung beim Zentrnmsführer einen günstigen Eindruck hinterlassen haben. Bei der Aussprache, die Schleicher mit den Gewerkschaftsführern hatte, soll der Neichswehrminister ein starkes Entgegenkommen hinsicht lich der sozialpolitischen und lohnpolitischen Notverord nungen, zum Teil sogar auf ihre Aufhebung zugesagt haben. Da die Bayerische Volkspartei und die Deutsche Volkspartei nicht abgeneigt sein dürften, ein Kabinett Schleicher zu tolerieren, so hängt die Entscheidung über das Zustandekommen eines Übergangskabinetts Schleicher und damit eines politischen Waffenstillstandes für die Wintermonate nicht zuletzt von dem Ergebnis der Ver handlungen ab, die der Neichswehrminister mit den Nationalsozialisten führt. Hitler kommt nach Berlin. Wie von zuverlässiger Seite gemeldet wird, hat Hitler sich entschlossen, dem Wunsche Schleichers zu entsprechen und Mittwoch zu einer Aussprache über die politische Lage nach Berlin zu kommen. Der genaue Zeitpunkt der Ver handlungen wird im Interesse einer ungestörten Aus sprache gchcimgchaltcn. Wenn die Verhandlungen scheitern ... Sollten die in Aussicht genommenen weiteren Ver handlungen nicht zu dem angestrebten Ergebnis eines „politischen Waffenstillstandes" kommen, dann gilt nach wie vor eine Wiederbetrauung Papens als das wahr scheinlichste, obgleich Herr von Papen auf Grund der Besprechungen, die er seinerseits geführt hat, sich offenbar nur ungern zu einer neuen Übernahme der Kanzlerschaft entschließen würde. Auf jeden Fall würden Sicherungen dagegen getroffen werden, daß der Reichstag, der selbst außerstande ist, die Krise positiv zu lösen, nicht die Arbeit des neuen Kabinetts stört. Die Entscheidung über diese Maßnahmen liegt beim Reichspräsidenten. Es stehen mehrere Gedankcngänge zur Erwägung: 1. Auflösung des neuen Reichstages nach seiner Konstituierung (diese Konstituierung selbst betrachtet man als zwingend von der Verfassung geboten) und dann ent weder Nenwahlen innerhalb der verfassungsmäßigen Frist von 60 Tagen oder Hinausschiebung der Neuwahlen mit Rücksicht aus den Staatsnotstand, der angesichts der gesamten Lage bestehe. 2. Vertagung. Weiter steht die Möglichkeit zur Erörterung, den Reichstag nach seiner Konstituierung auf Grund des Artikels 48 und des gegebenen Staatsnot- standes zwangsweise auf eine gewisse Zeit zu vertagen, an deren Schluß sich dann das neue Kabinett in der üblichen Weise dem Reichstag stellen würde. Außerdem ist beabsichtigt, daß sich Reichspräsident von Hindenburg unmittelbar an das deutsche Volk wendet, um diesem in einer Rundfunkrede oder einem Aufruf klar zulegen, weshalb er sich genötigt gesehen hat, die Maß nahmen zu ergreifen, zu denen er sich entschließen würde. * Oie Haltung der Nationalsozialisten. Die Münchener Nationalsozialistische Korrespondenz veröffentlicht unter der Überschrift „Mut zur Wahrheit" einen Artikel des Pressechefs der NSDAP., in dem es u. a. heißt: Der Weg der NSDAP, führe nur über Adolf Hitler. Wer gegen ven Führer der Be wegung sei, der müsse wissen, daß er auf unerbittliche Feindschaft stoße. Man sollte meinen, daß diese selbst verständliche Konsequenz auch den amtlichen Kreisen und den Ratgebern an erster Stelle inzwischen klargeworden sein müßte. Es müßte ihnen wenigstens die Erfahrung gezeigt haben, daß bisher noch jedes Präsidialkabinett zum Scheitern verurteilt gewesen sei, das geglaubt habe, ohne und gegen die Nationalsozialisten regieren zu können. Ein „W a f f e n st i l l st a n d" in diesem Augenblick würde ein Freibrief sein für weitere Negierungsexperi mente. Nachdem die Unmöglichkeit der Ausschaltung der nationalsozialistischen Bewegung aus der Regierungs führung erwiesen sei, würde eine neue Verschleierungs- und Verschleppungstaktik nur neues Unheil über das deutsche Volk heraufbeschwören. Die NSDAP, könne es vor dem deutschen Volk nicht vertreten, sich zu einem solchen ebenso aussichtslosen wie verhängnisvollen Be ginnen herzugeben. * Ein Dementi Görings. Keine Besprechung Schleichers mit Strasser und Frick. Wie Neichstagspräsident Göring mitteilt, hat ent gegen anderslautenden Berichten am Dienstag leine Besprechung oder anderweitige Fühlungnahme zwischen General von Schleicher und den Abgeordneten Strasser und Dr. Frick von der NSDAP, stattgefunden. Auch keine andere Persönlichkeit der NSDAP, hatte eine Be sprechung mit dem Neichswehrminister. * Zentrum hält an einer Not- und Arbeitsgemeinschaft fest. Die neue Zentrumsfraktion des Reichstages hat, wie die Germania mitteilt, auf ihrer ersten Sitzung am Dienstag die Haltung der Parteiführung, wie sie in den politischen Verhandlungen der letzten Wochen zum Ausdruck gekommen war, einmütig gebilligt. Die Fraktion halte ferner an dem Ziele der Schaffung einer Not- und Arbeitsgemeinschaft zwischen allen in Betracht kommenden Parteien fest. Nur auf diesem Wege könne dem Reiche in dieser gefahrvollen Zeit eine sichere, vom Volksvertrauen getragene, verfassungstreue und soziale Staatsführung und dem erschütterten Wirt- schaftsleben die notwendige Beruhigung gegeben werden. * Vor der neuen Unterredung Schleicher- Hitler. Berlin, 30. November. Von den Berliner Blättern wird allgemein auf die große Bedeutung hingewiesen, die der für heute (Mittwoch) erwarteten Besprechung des Reichswehr ministers v. Schleicher und dem Führer der NSDAP ,u- kommt. Die „D.A.Z." weist darauf hm, daß die Preutzenfrage innerhalb der Besprechung von Schleicher Hitler siche* einen wichtigen Punkt bilden werde. Von nationalsozialistischer Seite werde ergänzend bemerkt, daß die Besprechung wohl vorwie gend den Plänen gelte, den Reichstag nach seiner Konsti tuierung zunächst bis zum 10. Januar zu vertagen, um Raum für neue Verhandlungen über die Regierungsbildung zu ge»