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I Wilsdruffer Tageblatt I 2. Blatt. Nr 53 - Donnerstag, 3 März NV2 Tagesspruch. Anfang, Mitt und En-d allein, laß Gott in allen Sachen sein, denn was mit Gott wird -angefangen, ist niemals übel ausgegangen. Zul. Sturm. Oie Wahlftibüne. Wahlvorschlag Duesterberg in Ordnung befunden Die Presseabtcilung des Stahlhelmbundesamts teilt mit: „Der Wahlvorschlag Duesterberg für die Reichspräsi dentenwahl wurde am Mittwoch mittag im Ramen des Kampfblocks Schwarz-Weitz-Rot mit allen Unterlagen dem Reichswahlleiter übergeben und in Ordnung befunden." Aufruf des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes. Der Allgemeine Deutsche Beamtenbund verbreitet einen Aufruf zur Reichspräsidentenwahl, in dem es u. a. heißt: Beamte! Der 13. März entscheidet auch über euer Schicksal. Wer in der Stunde höchster Not und Gefahr als Beamter der Republik versagt, wer Hitler, Thälmann, Duesterberg oder einem anderen Kandidaten als Hinden burg seine Stimme gibt, der stärkt die Front aller staats feindlichen Elemente und treibt damit Staat und Wirt schaft in das Chaos. Entscheidet euch für Hindenburg und verhelft der Republik und dem deutschen Volke zum Siege!" Landvolkpartei beteiligt sich an keinem . Brüning-Block. Entgegen den Nachrichten, wonach Bestrebungen im Gange seien, vom Zentrum bis zur Landvolkpartei einen sogenannten Brüning-Block für kommende Wahlen zu bilden, teilt die Reichsparteileitung des Deutschen Land volkes (Christlich-nationale Bauern- und Landvolkpartei) mit, daß der Deutschen Landvolkpartei solche Bestrebungen nicht bekannt geworden sind. Die Landvolkpartei wird ge treu ihrer bisher eingenommenen Haltung auch in Zukunft ihre Ziele in absoluter Unabhängigkeit und Selbständig keit verfolgen. Zentralstelle für Zensur der Wahlplakate. Der Reichsinnenminister hat die Länderregierungen gebeten, mit der Zensur der Wahlplakate für die Präsi dentenwahl eine Zenlralstelle zu beauftragen, deren Ent scheidung für das ganze Land gelten soll Nach den bis- herigen Bestimmungen mußten derartige Plakate bekannt lich jeweils von den örtlichen Polizeibehörden zugelassen werden. Um eine einheitliche Handhabung über die Zu lassung der Wahlplakate herbeizuführen, ist die vorliegende Bitte an die Länder gerichtet worden. Die Bitte des Reichsinnenministcrs hat für Preußen jedoch keine Be deutung, da cs eine Zentralstelle dieser Art für Preußen bereits gibt. Ein Wahlaufruf der NSDAP. Die Reichslenung der Nationalsozialistischen Deut schen Arbeiterpartei erläßt einen Aufruf zur Präsidenten wahl, der mit dem Satze beginnt, daß der l3. März über das Schicksal der deutschen Nation entscheiden werde. Nach dreizehn Fahren furchtbarer materieller und seelischer Not — so heißt es weiter — sei jetzt durch Ablauf der Amtsdauer des Reichspräsidenten der letzten sieben Fahre die Möglichkeit gegeben, das Schicksal zu wenden Die Stunde der Abrechnung sei jetzt gekommen Der Aufruf richtet dann sehr scharse Angriffe gegen Sozial demokratie, Demokratie, Zentrum und Bayerische Volks- Partei und gegen die „spießbürgerlichen Geldsackpatrioten, Trabanten und Steigbügelhalter des schwarzroien Systems". Mit ihnen allen soll abgerechnet werden. Der Ansrus erinnert daran, daß an: I3. März vor zwei Jahren Hom»» von Msrllso Sonnovorv leni «cz r: oKsr) ^opvr>ktn dv Eselin 19ZI >39 Die Gedanken erfüllten Frau Barbara, während die Orgel ihre brausenden Akkorde durch die hohe Halle der Kirche strömen ließ und der alte Pfarrer seine Rede hielt. So war ihr nicht ausgefallen, daß .Hell, nach kurzer Ent schuldigung an seine Dame, so vorsichtig wie möglich sich fortbegeben hatte. Nun aber, als das Amen des Pfarrers erklang, ehe noch die Einsegnung begann, durchzog ein Lallt von wunder barer Feinheit und Innigkeit den weiten Naum — klar, rein, schwebend schlossen sich weitere an, gebaren eine herr liche Melodie, die über die erstaunten Festteilnehmer sich legte mit der Süße eines verwehten Rosendnstes, mit der Kraft eines durch die Wolken brechenden Sommersonnen strahles. Sie erkannten fast alle au oer Melodie die zu grunde liegenden Worte — uno jedenfalls war Hell gewiß, daß Alice sie kannte; hatten er und sie in den fernen, schönen, vergangenen Zeiten dies Lied doch so manches Mal miteinander gespielt, gesungen, sich rief, schelmisch, ernsthaft suchend, künftigen Glücks sicher, dabei in oie Augen gesehen. „Ich liebe dich, so wie du mich, Am Abend und am Morgen, So war kein Tag, da du und ich Nicht teilten alle Sorgen..." Hell hielt sich nicht ganz an den großen Komponisten. Er blieb auf dem ersten Satz hängen. „Ich liebe dich ..." Kunstvoll variierend, in prachtvollen Akkorden, wieder holte er die Töne, die diese Worte umrankten, immer von neuem. Sie — er war dessen sicher — empfand für ihn nichts mehr als Gleichgültigkeit. Bestenfalls! Vielleicht sogar Abneigung, Haß, Verachtung, Ueberdruß. Hindenburg seine Unterschrift unter die Gesetze zur Durchführung des Noung-Plans gesetzt habe „An diesem Tage," so sagt der Aufrus, „greift das seine Lebensrechte anmeldende junge Deutschland, verkörpert in seinem Führer Hitler, nach der Macht im Staate und wird die alten, zu neuem Leben untauglichen Parteigebilde hin wegfegen." Der Aufruf schließt mit den Worten: „Hitler wird siegen, weil das Polk seinen Sieg will!" -i- In einer Versammlung in Hamburg führte Hitler u. a. aus: Es Haudele sich nicht darum, daß das deutsche Volk einen neuen Reichspräsidenten erhalte, der überparteilich sei, sondern darum, daß dieser Reichs präsident Wegbereiter eines neuen Deutschland sei. Wenn nicht der Generalfeldmarschall kandidiert hätte, dann hätte auch er, Hitler, nicht kandidiert. Aber in dem Augenblick, in dem man diesen ehrwürdigen Namen dazu gebrauchte, oie Kandidatur derer anzunehmen, die ihn einst abgelehnt hätten, in diesem Augenblick sei es für ihn, -Hitler, selbstverständlich gewesen, daß er sich als Führer seiner Bewegung als Gegenkandidat habe auf stellen lassen. * Sitters militärische Vergangenheit. In einem Prozeß gegen das sozialdemokratische Ham burger „Echo" unterbreitete Hitlers Vertreter dem Gericht zahlreiche eidesstattliche Erklärungen von früheren Gene ralen, Kommandeuren und Frontkameraden, in denen Hitlers soldatische Tüchtigkeit bestätigt wird. Gegenüber dem Vorwurf der Fahnenflucht legte der Verteidiger eine amtliche Bestätigung vor, wonach .Hitler am 5. Februar 1914 in Salzburg zum Waffen- und Hilfsdienst als untaug lich befunden wurde. Hitler lebte dann in München und lichtete bei Kriegsausbruch ein Gesuch an den König von Bayern, der ihm den Eintritt in das bayrische Heer ge stattete. * Prälat Kaas zum 13. Mrz. Prälat Kaas nahm in einer Vertreterversammlung der Berliner Zentrumspartei zu der großen Entscheidung des 13. März, ihrer geschichtlichen Bedeutung und ihrer Vorgeschichte Stellung. Kaas verteidigte die Politik Brünings gegen die im Reichstag gegen sie erhobenen Vorwürfe und ging dann auf die Vorgeschichte der Kandidatur Hindenburgs ein. Es könne nur eine Verirrung sein, wenn von der Gegenseite der Versuch gemacht wurde, als Bedingung ihrer Unter stützung des Reichspräsidenten den Rücktritt Brünings zu fordern. Über die Harzburger Front äußerte sich Kaas wie folgt: Wenn die zahlenmäßig stärkste Gruppe der unter dessen bereits in Kündigung begriffenen Front nichts an deres beabsichtigt, als zunächst einmal Mitläufer zu be kommen, um nachher gegen die eigenen Weggenossen nicht nur das Mehrheits-, sondern auch das Gewaltprinzip spielen zu lassen, dann mutz Hugenberg, muß Duesterberg wissen, ob und wie sie sich mit derartigen Methoden ab finden. Wir Zentrumsleute haben Zeit, zu warten, bis sich zeigt, daß der Weg dieser Leute nicht aufwärts, sondern abwärts führt. Kaas sagte zum Schluß: Morgen oder übermorgen können wir den blutigen Bürgerkrieg haben, wenn wir nicht kraftvoll und endgültig Schluß machen — und zwar mit allen Mitteln der Staatsgewalt — mit der Vorbe reitung dieses Bürgerkrieges durch den intellektuellen Bruderkampf. Seien wir uns klar darüber, worum cs geht. Dieser Kampf ist der entscheidendste, den wir bisher aus gefochten haben. Amerikas berühmtestes Kind entführt Große Aufregung im Hause Lindbergh. Charles Augustus Lindbergh, der 19 Monate alte Sohn des berühmten amerikanischen Ozeanfliegers und Nntionalhelden Lindbergh, ist aus der Wohnung seiner Eltern in Hopewcll im Staate New Jersey aus bisher noch unaufgeklärte Weise entführt und bisher trotz eifrigster Suche, an der sich sozusagen ganz Amerika be teiligt, nicht wieder ausgesunden worden. Als Oberst Lindbergh Dienstag abend vor dem Schlafengehen noch einmal das Kindcr.zimmer betrat, nm nach seinem Söhn chen zu sehen, machte er die Entdeckung, daß das Kind ge raubt worden war. Die Entführer haben den Weg durch das Fenster eines neben dem Kinderzimmer liegenden Raumes genommen. Lindbergh benachrichtigte sofort die Polizei, die die Nachricht durch Rundfunk an alte ameri kanischen Polizcistationen wcitergab. überall sind starke Polizeikräste eingesetzt worden. Sämtliche Autos auf den Landstraßen in New Jersey wurden angchalten und «ntcrfucht. Kindesentführungen sind in den Vereinigten Staaten nichts Außergewöhnliches; sie werden meist zu Er pressungszwecken in Szene gesetzt. Im Falle „Baby Lind bergh" dürfte es sich jedoch, wie man allgemein annimmt, kaum um eine Entführung aus solchen Gründen handeln, da die Entführer nicht so töricht sein dürsten, anzunehmen, daß sie in diesem sensationellen Falle mit Erpressungen Glück haben könnten. Man ist daher auf die Vermutung gekommen, daß vielleicht eine hysterische Frau den Plan erdacht haben könnte, um das berühmteste Kind Amerikas in ihre Gewalt zu bekommen und zu betreuen. Aber das ist, wie gesagt, nur eine Annahme. Die Besitzung Lindberghs liegt vier Kilometer vor der Stadt Lambertsville in einer ziemlich einsamen Gegend. Daraus erklärt sich, daß die Kindesrüuber un behindert flüchten konnten. Eine Leiter, die sie zum Ein steigen in das Landhaus benutzt hatten, lehnte noch am Fenster, als die Polizei erschien. Die Kindesentführung hat im ganzen Lande größtes Aussehen erregt und alle anderen, auch die wichtigsten politischen Er eignisse weit in den Hintergrund gedrängt. Ganz Amerika ist mobilisiert, und es gibt kaum einen Amerikaner, der sich nicht in irgendeiner Weise an der Jagd oder an den Nach forschungen nach den Entführern beteiligt. Der Polizei präsident von Newyork übernahm persönlich die Oberleitung der Fahndung. Es wird noch berichtet, daß Frau Lindbergh im Mai einem neuen freudigen Ereignis entgegensetze. Todesstrafe aus Menschenraub beantragt. Fast unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Ent führung ging beim Kongreß in Washington ein Antrag ein, in dem verlangt wird, daß fortan das Ver brechen des Menschenraubes der Gerichtsbarkeit der Einzelstaaten entzogen und der Bundesgesetzgebung unter stellt werden soll. Ein solches Verbrechen soll nach dem Willen des Antragstellers mit dem Tode des Täters gesühnt werden. Linvbcrghs cmsührlcs Baby. SO VOS Dollar für das Lindbergh-Baby. Die Familie Lindbergh hat für die Rückgabe ihres geraubten Söhnchens 5V OW Dollar ausgesetzt. Präsident Hoover hat das amerikanische Justizdeparte ment beauftragt, die Suche nach dem Kinde Lindberahs in jeder Weise zu unter st ützen. Hell wußte wohl, daß auch sein Herz nicht untröstlich bleiben würde. Hatte er auch all die kleinen Flirts und Scharmützel auf dem Fechtboden der Liebe in den letzten Jahren mehr aus Trotz und Verzweiflung als aus Pläsier an der Sache gehalten, war die Liebe zu Alice in ihm gewesen wie ein hartnäckiger Eigensinn des Herzens, solange noch ein Funken Hoffnung blieb, daß eine Versöhnung zustande kommen könnte — nachdem er es sich abgerungen hatte, ihr die Treue seiner Seele in einem abschiednetzmenden Be kenntnis zu offenbaren, denn er war ja sicher, aatz es sie nicht erschüttern, vielleicht kaum rühren würde ...: nach alledem war er sich darüber klar, daß er einen Strich zu machen haben würde unter das Gewesene. In seinen Gedanken vane sich in letzter Zeit zuweilen freundlich und tröstlich ein schmales, dunkles, knabenhaftes Mädchengcsichi mit flammenden Augen und heischendem, korallenrotem Mund geltend gemacht. Und Hell war sechsundzwanzig Jahre alt. Er fühlte sich ein wenig des Kampfes müde, des Kampfes um seine Ideale, oie zu haben er sich niemals selber so recht gestand. Einen tapferen Kameraden an seine Seite ziehen und mit ihm Wege und Ziele beraten! Seine Geige sang ihr wundervolles Lied, sang dem verflossenen Jugendtraum, sang der heranziehenden Zu kunft, der Zukunft der Geliebten dort am Altar an der Seite eines anderen, den sie — zweifelsohne — aus voller und reiner Liebe gewählt. Und ach, war es nicht der bessere Mann? Sang ein wenig auch der eigenen Zukunft. Leiden schaft ist süß. Kameradschaft ist besser. Ich liebe dich, so wie du mich, Am Abend und am Morgen, Noch ward kein Tag. ba du und ich Nlchi leckten alle Sorgen Drum Gottes Segen über dich, Du meines Lebens Freude... Leise verklangen die letzten Akkorde, wie verblassende Lichtstrahlen, die bewegten und berauschten Zuhörer um spielend, sie verlassend. Eine Minute schien das tiefe Schweigen, das diese ver ebbenden Töne hinterließen, die Halle der Kirche zu durch rauschen. Dann riß sich der Pfarrer — wie alle anderen durch das herrliche Geigenspiel umfangen wie von einem Traum — los und begann die Einsegnung zu vollziehen. Es achtete eigentlich keiner so recht auf die Braut. Bleich, bleicher noch als zuvor, regungslos und ohne die Lider zu heben, hatte sie die Töne sich umfluten lassen. Sie hätte, auch wenn Hell ein anderes Lied gewählt, feine Botschaft verstanden. Wer besser als sie wußte, was es ihn kostete, mit seiner Kunst hervorzutreten? Dies Opfer war ein Opfer der Liebe. Dies Spiel ein Geständnis. Dieser Abschied ein Abschied in Tränen. Uno ein eisiger Schmerz, ein unausdenkliches Grauen preßte ihr Herz zusammen. Sie waren aneinander vorbeigegangen, von Miß verständnis zu Mißverständnis, waren voneinander forl- gewanderi, bis es kein Zueinander, kein Sichverstündigen mehr gab — sie blieben getrennt ein ganzes langes Leben hindurch durch ihre Schuld; sie allein mar die Trotzige ge wesen, die Harte, oie Beleidigte, oie Unversöhnliche. Sie wußte wohl: allgemein gab man Hell die Schuld an ihrem Zerwürfnis. Und lächelnd hatte er sie auf sich genommen. Sie hatte gemeint: aus Gleichgültigkeit. Aber nun sprach dies Lied zu ihr, dies Opfer, das er brachte, dies Geständ nis, das sein wundervolles und zartes Geschenk enthielt; es riß oie letzten Rebel von ihren Augen hinweg und sagte ihr, unerbittlicher, als Hell es ahnte: Deine Schuld — deine Schuld allein, wenn du hier an oer Seite eines dir fremden Mannes vor dem Altar stehst, wenn du untreu werden mußt, ehe du noch vermählt bist, wenn du ein ganzes langes Leben, so viele, viele Jahre — denn du bist noch so jung — ohne ihn leben mußt, ohne ihn, ohne — ohne ihn! Mechanisch sprach sie ihr „Ja". Mechanisch verließ sie am Arm ihres Gatten die Kirche. Draußen stand allerlei Volk herum. Allerlei Laute und Worte klangen an ihr Ohr. Sie empfand, daß es nicht Worte der Teilnahme, der Güte waren. Aber sie beachtete sie kaum. (Forts, folgt.)