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Dokrifche Aunälckau. Deutschlimd. *Der Kaiser wird sich gegen Ende November zu mehrtägigem Aufenthalt nach Wies baden begeben. * In Regierungskreisen ist von einer Kanzlerkrisis, von der in letzter Zeit viel geschrieben und geredet wurde, nach einer halbamtlichen Meldung nichts be kannt. *Wie verlautet, hat der Preuß. Landwirt schaftsminister v. Podbielski abermals seine Amtsenthebung erbeten und diese soll be reits erfolgt sein. * Großherzogin Eleonore von Hessen ist am Donnerstag von einem Prin zen entbunden worden. * Prinz Joachim Albrecht von Preußen, der zweite Sohn des verstorbenen Prinzen Albrecht, Regenten von Braunschweig, wurde in die kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Südwe st-Afrika versetzt und wird schon mit einem der nächsten Schiffe dort hin abgehen. * Im Bundesrat wurden den Aus schüssen überwiesen der Entwurf einer Ver ordnung betr. Abänderung der Ausführungs bestimmungen zu dem Gesetze über die Kriegs leistungen, femer der Gesetzentwurf betr. die Feststellung eines Nachtrags zum Reichs haushaltsetat für das Rechnungsjahr 1906, sowie der Gesetzentwurf betr. die Fest stellung eines Nachtrags zum Haushaltsetat für die Schutzgebiete auf das Rechnungs jahr 1906. * Das Deutsche Weinparlament ist in Berlin zusammengetreten. Im Vorder grund seiner Beratungen steht die Frage einer Beschränkung des bei der Weinbereitung bisher zugelassenen Zuckerzusatzes. Osterreich-Ungarn. * Kaiser Franz Joseph empfing den Herzog vonCumberland und dessen Sohn Prinzen Georg Wilhelm in besonderer Audienz. *Jm österreichischen Abgeordneten hause trat der Ministerpräsident Frhr. von Beck in längerer Rede für die Annahme der Wahlreform ein. Er ermahnte auch die Gegner der Reform, sich ihren Zweck und ihren bleibenden Wert vor Augen zu halten und nicht zu vergessen, daß das Werk, als einzig dastehendes in der österreichischen Verfassungs geschichte, aus dem Zusammenwirken aller Volks kräfte hervorgegangen sei. Frankreich. * In der Deputiertenkammer stand die Kreditforderung für das neue Arbeits ministerium zur Beratung. Der von Clemenceau ernannte Arbeitsminister Viviani rechtfertigte hierbei in einer wirkungsvollen Rede, deren öffentlicher Anschlag beschlossen Wurde, die Errichtung dieses Ressorttninisteriums. Seine Pflicht sei es, so führte er aus, die Bedürfnisse der Arbeiter vorauszusehen und ihnen die Freiheit zu erhalten. Die Arbeiter sollten wissen, daß die Verbesserung ihrer Lage nicht gewaltsam, sondern durch ständiges Be mühen erreicht werde. Der Eindruck von Vivianis Ausführungen war so stark, daß das Arbeitsministerium mit 512 gegen 20 Stimmen zur Annahme gelangte. Clemenceau konnte seinen Ministerkollegen, der eine wertvolle Stütze des neuen Kabinetts sein wird, unter großem Jubel des ganzen Hauses zur Minister bank führen. England. *Das Frauenwahlrecht ist das Schreckgespenst des gegenwärtigen Ministeriums in London. Im Unterhaus« brachte Keir Hardie (Soz.) einen Gesetzentwurf ein, durch den den Frauen das Wahlrecht gewährt wird. Hardie führte aus, 420 Mitglieder des Parla ments hätten bei den Wahlen versprochen, für die Erteilung des Wahlrechts an die Frauen zu stimmen, hätten aber keine Schritte getan, um die Erfüllung ihrer Versprechungen zu sichern; deshalb falle die Verantwortlichkeit für die jüngsten stürmischen Austritte auf sie. Redner forderte die Regierung auf, eine Erklärung in dieser Angelegenheit abzugeben. Eine Re gierungserklärung erfolgte jedoch nicht. (Der Gesetzentwurf hat nicht die geringste Aus sicht, in dieser Session angenommen zu werden.) Italien. *Das Parlament wird sich, wenn es dem nächst seine Arbeiten wieder aufnimmt, vor ein umfangreiches Reformprogramm der Regierung gestellt sehen, in dem die Sorge für den weiteren Ausbau der militärischen Kräfte des Landes den ersten Platz ein nehmen dürfte. Wer auch auf die Pflege der wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung ver spricht das Ministerium nach Kräften bedacht sein zu wollen, und es kann mit Stolz darauf Der Preuß. Landwirtschaftsminister v. Podbielski. Hinweisen, daß die Volksvertretung bei der außerordentlich günstigen Entwickelung der Staatsfinanzen auch vor sehr erheblichen Mehr ausgaben nicht zurückzuschrecken braucht. Der Ministerrat beschloß, in diesem Sinne mit den Parteiführern noch vor der Eröffnung des Parlaments in Vorverhandlungen einzu treten. * Der Papst hat einem in Nom weilenden französischen Prälaten erklärt, daß jedes Zu geständnis an die französische Regierung in Sachen des Trennungsgesetzes unnütz wäre, und daß der Amtsantritt Clemenceaus die Ereignisse beschleunigen werde, die, so hoffe er, ein erfreuliches Ergebnis für die Kirche haben dürsten. Holland. * Das Haager Schiedsgericht wird in den nächsten Tagen zusammentreten, um die zwischen Schweden und Norwegen schwebende Streitfrage wegen der Fischerei gerechtsame zu erledigen. Norwegen. * Die „vereinigte Linke", die neugebildete Regierungspartei, beschloß, die Besprechung über das Frauenstimmrecht als Dringlichkeits antrag im Storthing einzubringen. Spanien. * Der Vertreter .des Papstes in Madrid überreichte dem Auswärtigen Amt eine Protest - note des Vatikans gegen das Rund schreiben des Justizministers in der Frage der Zivilehe. Ruhland. *Der Finanzminister schlägt eine Einkommensteuer vor, die auf Selbst einschätzung beruhen und von 1 bis zu 5 Pro zent ansteigen soll. *Der Gencralgouverneur von Bialystok ordnete aus Anlaß desIahres - tages des Manifestes vom 30. Oktober die Freilassung von 39 Verhafteten an. (Das ist in der Tal ein Vorfall, der besondere Be achtung verdient — wenn die Meldung auf Wahrheit beruht!) *Da die Behörden es abgelehnt haben, die Verhöre mehrerer wegen polititischer Vergehen Verhafteter umgehend vorzunehmen, ist ein Hunger st reik in dem Gefängnisse zuLodz ausgebrochen. Balkanstaaten. * Die serbische Regierung hat einen vorläufigen Vertrag mit Schneider in Creuzot (Frankreich) wegen der Liefemng vonKanonen unterzeichnet. Finanzminister Dr. Patschu hat sich in Angelegenheit der Anleihefrage nach Frankreich begeben. Amerika. * Präsident Roosevelt hat die Auf lösung des Negerbataillons des 25. Regiments angeordnet, weil es sich weigert, die Schuldigen an dem Aufruhr in Brownsville (Texas) am 13. August v., durch den der Tod von Bürgern veranlaßt worden ist, anzugeben. Ebenso hat er bestimmt, daß alle Neger, die im Heer oder in der Flotte in Zivilstellungen be schäftigt werden, keine Waffen wagen dürfen. * Bei den Wahlen in Pennsyl- vanien haben die „Bergarbeiter von Amerika" einen bemerkenswerten Erfolg er rungen ; zwei ihrer Führer find in den Kongreß und sechs ihrer Mitglieder in die gesetzgebende Versammlung des Staates Pennsylvanien ge wählt worden; alle acht sind Demokraten. Afrika. * Trotz der energischen Proteste der fran zösischen Regierung sind die Verhältnisse in Marokko noch immer unverändert. Aus Tanger wird darüber berichtet: Die elektrische Beleuchtung ist noch immer nicht wieder in Betrieb, da die Rebellen immer noch das Werk daran hindern, sich mit dem nötigen Wasser zu versehen. Ben Mansur, ihr Anführer, fährt auch fort, in dem ausschließlich von Europäem, besonders Franzosen, bewohnten Stadtteile willkürliche Steuern zu erheben. Diese Steuern sollen angeblich zu Straßenverbesserungen ver wandt werden. Man ist in Tanger überzeugt, daß eine Ausschiffung von Mannschaften keine Verwickelungen herbeisühren, sondern die Ordnung in der Stadt und ihrer Umgebung wieder Her stellen würde. Asten. *Der Kaiser von Japan hat dem neuen Schulgesetzentwurf zugestimmt, wonach der Schulunterricht in allen Schulen unentgeltlich erteilt werden solle. Die Gesetzes vorlage wird noch in diesem Jahre im Parla ment zur Beratung gelangen. * Durch einen Erlaß des Kaisers von China wurden drei hohe Würdenträger ihrer Ämter als Mitglieder des Staatsrates ent hoben, weil sie sich den Reformfragen, die jetzt die stete Sorge der chinesischen Re gierung bilden, ablehnend gegenüber verhielten. f)erero-8amm elf teilen. über den weiteren Verlauf der Sammlung der noch im Felde befindlichen Hereros meldet der Gouverneur nach der ,Tgl. Rundsch/, daß Missionar Olpp die schon früher in Aussicht ge nommene Herero-Sammelstelle in Otjosongombe Ende Juni d. eingerichtet hat. Ws der großen Anzahl der Hereros, die sich in der kurzen Zeit gestellt haben, sowie der Gewehre, die ab gegeben wurden, kann geschloffen werden, daß sich das Vorschieben der Sammelstellen nach dem Osten des Hererolandes bewährt hat. So wird auch Missionar Diehl, bisher in Otji- hasnena, gleichfalls weiter nach Osten, und zwar nach Okamitombe, nördlich Gobabis, vor rücken. Missionar Olpp traf am 29. Juni d. in Otjosongombe ein. Sobald die ersten der Boten, die er in Omburo ausgesucht hatte, ein getroffen waren, sandte er zwei Trupps ins Feld, denen dann allmählich, je nach Eintreffen, weitere folgten. Die Leute waren unterwegs durch Krankheiten aufgehalten worden, er reichten aber schließlich alle ihr Ziel. Im ganzen werden sechs Botentrupps mit je etwa 20 Mann, deren Frauen und Kinder in Otjo songombe wohnen, unterhalten. Die Zahl der bisher nach Otjosongombe Eingebrachten beträgt 727 Köpfe. Abgenommen wurden 73 Gewehre. Gleich durch den ersten Botentrupp wurden drei gefährliche Männer, darunter ein mehrfacher Mörder, eingebracht, die bisher als wesentliches Hindernis für die friedliche Sammelarbeit ge golten haben. Um sie in sicheren Gewahrsam zu verbringen, wurden sie unter militärischer Bedeckung nach Waterberg überführt. Ein freiwilliges Herbeiströmen Kriegsmüder oder durch Mangel an Lebensmitteln zur Er gebung Gezwungener, wie dies anfänglich von Omburo und Otjihaönena gemeldet wurde, hat in Otjosongombe nicht stattgefunden. Die Ein gebrachten mußten sämtlich unter Anwendung von Überredungskunst oder unter Drohung mit Gewalt zum Mitgehen bewogen werden. Auf ausreichende Bewaffnung der Boten kann daher nicht verzichtet werden. Die Mehrzahl der Ein gebrachten befindet sich in gutem Ernährungs zustand. Nachttäglich wurden bis zum 15. August noch 39 Männer, 56 Frauen und 43 Kinder mit sechs Gewehren nach Otjosongombe ein gebracht. X?on unö fern. Zu der Meuterei an Bord des Dampfers „Syfang" im Hafen zu Stettin, die die Verhaftung von fünf Rädelsführern, sämtlich Chinesen, zur Folge hatte, wird weiter berichtet, daß die Verhafteten auf Ver wendung eines nach dort gekommenen Attaches der chinesischen Gesandtschaft in Berlin wieder auf freien Fuß gesetzt worden sind, da ein Fluchtverdacht nicht vorliegt. Ihre Bestrafung wird wahrscheinlich durch die chinesischen Gerichte erfolgen. Selbstmord oder Unglücksfall? Ein rätselhafter Fund wurde dieser Tage ans der Berlin-Stettiner Bahnstrecke zwischen den Wärter häusern 75 und 76 bei Station Schönermark gemacht. Man fand dort eine etwa fünfzig jährige unbekannte Dame, die nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab und auf dem Trans port nach dem Bahnhofe in Angermünde ver starb ; der Tod war durch einen Schädelbruch herbeigeführt worden. Die Tote, die ihrer Kleidung nach den besseren Ständen angehörte, war im Besitz einer einfachen Fahrkarte dritter Klaffe Berlin—Stettin und hatte ein wild ledernes Beutelportemonnaie bei sich, in dem sich ein Barbettag von 285,75 Mk. befand; doch fehlte jeder Ausweis über ihre Persönlich keit. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Dame während der Fahrt aus dem Zuge gestürzt ist und überfahren wurde; für einen Selbstmord liegt anscheinend keine Veranlassung vor. Mit Knappschaftsgeldern durchge brannt. Der Knappschaftsbeamte Schäfer aus Bochum ist mit einer Summe von 7500 Mark flüchtig. Schäfer sollte in Wattenscheid die Knappschaftsgelder auszahlen, erschien auch pünktlich und entfernte sich wieder mit dem Be merken, er habe einen falschen Geldbeutel mit gebracht. Man nimmt an, daß er sich nach Holland gewandt habe. Verhaftung eines gefährlichen Ver brechers. Ein seit Wochen von der Danziger- Polizei gesuchter Verbrecher ist wieder dingfest gemacht worden. Die Kriminalpolizei verhaftete den aus der pommerschen Irrenanstalt Lauen burg vor drei Wochen entsprungenen geistes kranken Verbrecher, den Arbeiter Höhlandt aus Stettin, der mit zwei Genossen 14 schwere, höchst gewagte und geschickte Einbrüche ausjührte. Bei manchem dieser Einbrüche fielen den Dieben Werte bis zu 4000 Mk. in die Hände. I« der Verzweiflung. In Kleinwnlknitz bei Dessau erschoß Frau Plauge ihren zwei jährigen Sohn, verwundete ihr einjähriges Töchterchen durch einen Revolverschuß und ver suchte sich zu erhängen. Sie wurde jedoch ins Leben zurückgerufen. Aus Verzweiflung dar über, daß ihr Mann an Scharlach gestorben war, soll die Frau die unselige Tat begangen haben. Ot Paul unä Paula. 5) Novelle von Helene Stökl. Kortsttzimg.) „Ob im Sonnenschein oder im Regen," pro testierte Paul, „Venedig muß immer schön bleiben." „Ich hoffe, du wirst dich während unsrer Anwesenheit hier nicht vom Gegenteil über zeugen müssen. Ich werde den Eindruck nie vergessen, den Venedig auf mich machte, als ich es zum erstenmal sah. Ich kam von der Landseite, von Mestre her, und stieg bei skömendem Regen hier aus. Der düstere Bahnhof, die schmutzigen, schlüpfrigen Stufen zum Wasser hinab, me geschlossenen Gondeln, welche schwarzen Särgen täuschend ähnlich sehen und in denen man zusammengekauert sitzen muß, das trübe Wasser der Kanäle, die unheimliche Leblosigkeit und Sülle der Stadt, die ge schwärzten Häuser mit den ausgebrochenen Fensterkreuzen, den verrosteten eisernen Toren und den schlammüberzogenen Türschwellen, das alles war nicht geeignet, mir eine günsüge Meinung von der Stadt Venedig beizubringen. Venedig ist eben eine Schönheit, die man nicht im Negligö aufsuchen darf." „Für mich ist und bleibt sie die Königin im Purpurmantel und Diadem." „Die aber beides bei schlechtem Wetter ablegt." „Ich möchte Venedig im Regen scheu, nur um dich widerlegen zu können." „Du weißt nicht, was du dir wünschest! Wasser von oben und Wasser von unten, das ist zu viel. Übrigens haben wir vorläufig keinen Regen zu befürchten. So lange die Fortuna dort oben —" er wies auf eine Marmorgestalt, die, mit einem Fuß auf einer Kugel stehend und in ihren Armen ein auf gespanntes Segel haltend, die Spitze einer schlanken Säule schmückt, — „das Gesicht der Stadt zuwendet, kann man mit Gewißheit auf schönes Wetter rechnen; sobald sie sich aber abwendet, kommt Regen oder Wind. Ich hoffe, sie wird uns gnädig zugewandt bleiben." Und sie bueb ihnen zugewandt. Ein reinerer Himmel und eine mildere Luft umgaben Venedig vielleicht nie, als in den Tagen, in denen Kon stantin und Paul hier weilten; diese erkannten dankbar Fortunas Gunst und brachten Venedigs Schönheiten ein offenes und zur Bewunderung geneigtes Herz entgegen. Mit ehchrrchtsvollen Schritten durchwandelten sie die Hallen der Kirchen, in denen alle Marmorpracht und aller Bilderreichtum der Welt vereint zu sein scheint; sie wellten stunden lang in dem Dogenpalaste und suchten sich in die Zeiten zurückzuversetzen, da die lange Reihe der Dogenbilder an den Wänden noch nicht ge schlossen war und die hochgehenden Wogen republikanischer Herrlichkeit diese mächtigen Säle, diese geschmückten Treppen und Hallen durch fluteten. Sie besuchten Paläste, die von außen unheimlich und vernachlässigt aussahen, deren Inneres aber mit blendender Pracht ausgestattet ist von Venetianischen Familien, deren Reichtum den Fall Venedigs überdauerte. Sie ließen sich in die Glas- und Mosaikfabriken führen, und sahen mit neugierigem Interesse, wie haarfeine, farbige Glasstäbchen, eines an das andre ge reiht und in die Lavamasse gesteckt, die wunder vollen Mosaikarbeiten bilden, auf die Venedig stolz ist; sie sahen Blumen und Moose, die zu duften und zu leben schienen, vor ihren Augen aus Glas entstehen, und wie die großen Muscheln des zarten Rosa, das ihr Inneres umkleidet, beraubt werdm, damit es geschnitten und geschliffen sich in zarte Schmucksachen ver wandle. Sie promenierten auf dem Markusplatze und stellten sich der Scharen schwarzer Tauben, die so zahm sind, daß sie jedem, der sie füttert, auf Schultern und Arme fliegen und die Körner furchtlos von seiner Hand picken. Sie fuhren stundenlang auf den Lagunen innher und west hinaus in das Meer, dem sanft über das Wasser ziehenden harmonischen Gesänge der Gondeliere lauschend. So sehr aber Paul danach verlangt hätte, in Venedig zu verweilen, und so tief der Ein druck war, den die fremdartige Schönheit des selben auf ihn machte, so schien er sich doch nicht ganz glücklich fühlen. Seine Stimmung war ungleich und wechselnd. Die schnell«: Übergänge von freudigem Ent zücken zu tiefer Niedergeschlagenheit und der jähe Farbenwechsel seines Antlitzes flößten Konstantin ernstliche Besorgnis um seine Ge sundheit ein, die Paul jedoch stets lächelnd zu zerstreuen wußte. Bald vertrauensvoll seine Gedanken vor Konstantin erschließend, bald scheuer als je sich in sich selbst zurückziehend, hatte er bis jetzt die Beantwortung der Frage, die Konstantin auf dem Dampfer an ihn gestellt hatte, noch immer hinauszuschieben gewußt. Es war an einem heiteren Vormittag, als sie auf den Markusturm süegen, oder vielmehr gingen, denn die steilen Wege im Innern des Turmes ziehen sich stufenweis bis zur Spitze hinauf. Ohne einer Gesellschaft junger Eng länder, die sich oben befanden, Aufmerksamkeit zu schenken, gaben sie sich dem Anblick des in stolzer Ruhe zu ihren Füßen lagernden Venedigs hin. Dicht neben ihnen erhoben sich zu fast gleicher Höhe mit dem Turme die fünf ge waltigen Kuppeln der Markuskirche, gerade unter ihnen breitete sich der Markusplatz und diePia- zetta mit ihrem Menschengewühle aus. „Wenn man hier hinunterstürzte!" sagte Paul, einen schaudernden Blick über Vie Brüstung werfend, „der bloße Gedanke daran ruft Schwindel hervor." „Nicht bei jedem," bemerkte der Türmer, der, diese Worte hörend, näher trat; „sehen Sie diese Kante?" Er wies auf einen kaum fußbreiten Vorsprung, der sich unter der kleinen Plattform, auf der sie standen, rings um den Turm zog. „Es gibt Engländer, welche es lieben, darauf einen Spaziergang um den Turm zu machen." „Es ist nicht möglich!" wollte Paul entsetzt mfen, aber schon stand einer der Engländer neben ihnen. „An dieser Stelle?" fragte er, hinunter sehend. „Ich werde es auch versuchen." Und schon stand er auf der Brüstung. „Es ist verboten, mein Herr," rief der Türmer.