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Ottendorfer Zeitung : 14.11.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Privatperson
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190611146
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19061114
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19061114
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-11
- Tag 1906-11-14
-
Monat
1906-11
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 14.11.1906
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X Ter Herr Direktor als Einbrecher. Unter dem Verdacht von schweren Einbruchs diebstählen verhaftet wurde der Direktor und Teilhaber der Meininger Wach- und Schließ- ßesellschaft, Paul Schweizer in Hof in Bayern. Der Verhaftete, welcher Schlosser von Beruf ist, dflegte sich selbst Dietriche anzufertigen, um mit deren Hilfe schwere Einbrüche in der Stadt Nürnberg zu verüben, während man den sauberen Direktor für „Sicherheit" in Meiningen oder Hof vermutete. Die gestohlenen und polizeilich beschlagnahmten Waren haben ein Gewicht von mehreren Zentnern und einen Wert von etwa 1000 Mk. Schweizer war früher Maschinist in Erlenbach, bis er sich zum Direktor und Teil haber der genannten Gesellschaft „durchentwickelt" hatte. x Ein Liebesdrama ans offener Eisen bahnstrecke. Ein Doppelselbstmord wird aus Eisenstein in Bayern gemeldet. In der Nähe der dortigen Bahnstation warfen sich der 11jährige Bergarbeiter Joseph Trohaska und dessen Geliebte, die 16 Jahre alte Anna Lepschi, vor einen daherbrausenden Personenzug, nachdem sie sich zuvor mit einem Gürtel zu- iammengeschnallt hatten. Beide wurden gräßlich verstümmelt; der Bursche war sofort tot, das Mädchen, dem Arme und Beine abgefahren Maren, verstarb nach wenigen Stunden. Anlaß zu dieser traurigen Affäre hat wieder einmal die moderne Modekrankheit „Liebeskummer" gegeben. Grubenunglück. Bei einem Pfeilerabbau ist eine Anzahl Bergleute auf dem Kriegsschacht der Königsgrube bei Kattowitz verunglückt. Ein Mann war sofort tot; ein zweiter starb auf dem Transport. Ein Praktikant ist schwer, die übrigen Bergleute sind leicht verletzt. über die geheimnisvolle Ermordung der Aran Medizinalrat Molitor in Baden- Baden, die auf offener Straße hinterrücks er schossen wurde, werden noch verschiedene, ein ander recht widersprechende Einzelheiten ge meldet, die die Tat und deren Urheber noch geheimnisvoller erscheinen lassen. So wird von einer Seite aus Baden-Baden berichtet: Die Ermordete wurde vor einiger Zeit telegraphisch Nach Paris zu einer dort wohnenden Tochter gerufen. Da sich später das Telegramm als gefälscht erwies, ließ Frau Molitor nach dem Aufgabeformular der Depesche amtlich suchen. Donnerstag wurde sie nun telephonisch benach richtigt, daß dieses Formular beim Postamt in Baden-Baden eingetroffen sei. Es handelte sich ober wiederum um eine Irreführung, da tatsäch lich der Eingang des betreffenden Formulars nicht erfolgt war. Frau M. begab sich in Be gleitung ihrer Tochter auf den Weg, offenbar gefolgt von dem Attentäter, welcher aus aller nächster Nähe hinterrücks einen Revolverschuß auf sein Opfer abfeuerte. Die Kugel drang in Re Herzgegend ein und führte den sofortigen Tod herbei. Der Täter entfloh. Die Leiche der Erschossenen wurde in das Krankenhaus gebracht. Dbr Mordbube dürfte zweifellos da- vtit vertrant gewesen sein, welchen Weg Frau M. in die Stadt zu nehmen pflegte. Auch muß er Kenntnis von den angestellten Nachforschungen nach dem Telegrammformular gehabt haben. Er ist flüchtig, dieTochterderErmordetenunverletzt. Nach den bisherigen Ermittelungen scheint es sich um ein vor langer Hand vorbereitetes Ver brechen zu handeln. Anders lautet eine Meldung aus Frankfurt a. Bk., wonach sich die Tochter der Frau Molitor gar nicht in Baden- Baden befand, sondern sich gegenwärtig in London aufhält. Der Rechtsanwalt Karl Hau aus Bernkastel, der als der Täterschaft ver- dächtig von der Karlsruher Staatsanwaltschaft fleckbrieflich verfolgt wird, hat vom 3. bis 5. d. in einem Frankfurter Hotel am Hauptbahnhof gewohnt. Seine Fran und sein Kind reisen nicht mit ihm, sondern befinden sich in London, hau hat, wie die Kriminalpolizei feststellte, seine Ankunft daselbst telegraphisch für Donnerstag öder Freitag angezeigt. Er hat in Frankfurt bei einem Friseur Bart und Perücke gekauft Nnd ist heimlich abgercist, indem er sein Gepäck vorher auf den Bahnhof bringen ließ. Frau hau, eine Tochter der Frau Molitor, war mit 'hier Mutter zerfallen und hatte sich schon vor einigen Jahren von Hause entfernt. Hau ist erst 25 Jahre alt, seine Frau 32 Jahre. Flammentod dreier Personen. In dem Orte Schnauhübel bei Schönlinde (Böhmen) kamen bei einem nachts ausgebrochenen Brande, der infolge heftigen Sturmes sehr schnell um sich griff, eine 60jährige Frau und zwei Kinder im Alter von 7 Jahren und 8 Monaten in den Flammen um. Ein Einwohner und dessen Frau entgingen nur mit knapper Not dem gleichen Schicksal. Überschwemmung in Tirol. Infolge eines Dammbruches am Albolabache in Inns bruck ist ein Teil der Stadt überschwemmt. Viele Häuser stehen in Wasser. Der Bahnverkehr ist eingestellt. Warum das Unterseeboot „Lutin" «nterging. Nunmehr ist die wahre Ursache des Unterganges des Unterseebootes „Lutin" erforscht worden. Bei der genauen Durch suchung des Unterseeboots „Lutin" fand man, daß ein haselnußgrotzer Stein das vollständige Verschließen des rückwärtigen Wasserballastdeckels gehindert hatte. Der Stein wies unverkennbare Spuren der Einklemmung auf, so daß nunmehr die Ursache der Katastrophe aufgeklärt erscheint. Politischer Diebstahl. Im Pariser Palais des pensionierten Generals Jacquin, nächst dem Ministerium des Innern, wurde ein nächtlicher Einbruch verübt. Wichtige Papiere des Gene rals wurden gestohlen. 4t Eine „Cousine des Zaren" im VariötH. In einem Londoner Variötö zeigt sich eine Gräfin Olga Romanow als „lebende Statue" und findet vielen Beifall. Sie be hauptet, eine Cousine des Zaren zu sein und gibt sich als älteste Tochter der verstorbenen Gräfin Feodorowna aus, die den Großfürsten Sergius zur linken Hand heiratete. Sie wurde dem Zaren bei Hofe vorgestellt und erzählte, daß sie in recht gutem Einvernehmen mit ihm gestanden habe. Dann habe sie einen Garde offizier, den Grasen Romanow, geheiratet und habe sehr glücklich mit ihm gelebt, bis ihr Gatte bei einem Bombenattentat getötet worden sei nnd sie selbst sich in furchtbarer Angst aus Ruß land geflüchtet habe. Sie sei nach England ge kommen, um hier eine bekannte Familie zu be- wchen, und da sie völlig mittellos sei, habe sie auf Anraten eines bekannten Bildhauers sich da zu entschlossen, „lebende Statuen" zu stellen. ob. Liebe einer Brigantenfrau. Als eine Wteilung von zehn Karabinier! bei San Vito-de-Cagliani auf Sardinien das Dickicht nach Briganten untersuchten, entdeckten sie in einer Hütte den Führer der Räuber, Salvatore Miles, und seine Frau. Die Aufforderung, sich zu ergeben, beantwortete Miles mit einem Flintenschuß. Der Brigant hatte aber keine Munition mehr, um sich zu verteidigen, da nahm seine Frau einen großen Stein, warf ihn gegen die Angreifer und rief: „Ihr werdet ihn nicht fangen, solange ich noch am Leben bin!" Dann stellte sie sich vor ihren Mann, um ihn vor den Schüssen der Gendarmen zu schützen. Die Karabinieri feuerten und tödlich getroffen sank die Frau zu Boden. Eine zweite Salve tötete Miles, der als „der Schrecken von Sardinien" bekannt war. Zwei andre Räuber fielen lebend in die Hände der Behörden. ob. Streik aus eigenartiger Ursache. Ein Verlobungsring verursachte vor einigen Tagen in einer Venetianischen Baumwollspinnerei einen Streik der Spinnerinnen. Eins der Mädchen hatte sich verlobt und die übrigen sahen sich den Verlobungsring an und ließen die Arbeit ruhen. Darüber wurden sie von einem Aufseher hart angefahren, der sogar ein Mädchen schlug, und im nächsten Augenblick hatten alle Spinnerinnen die Arbeit verlassen. Bombenattentat auf einen russischen Postzug. Als auf der Wiener-Bahn-Station Rogow der Zug passierte, der Wien um 7 Uhr abends am Mittwoch verlassen hatte, wurde unter den Postwagen eine Bombe geschleudert. Der Postwagen wurde gänzlich zerstört und auch der nächste, der Militärbehörde gehörige Waggon durch Feuer eingeäschert. Einige Postbeamte und 15 Soldaten sind getötet oder tödlich ver letzt worden. Das Attentat war von Revo lutionären organisiert, die den Zug gründlich aus plünderten. Es ist ihnen eine Geldsumme von etwa eineo Million in die Hände gefallen. Den Räubern gelang es zu entfliehen. Der Zug konnte nicht weiter befördert werden. Beraubung eines Postwagens in Ruß land. Ein nach Borissowka im Gouvernement Kursk gehender Postwagen ist um 26 000 Rubel beraubt worden. Großer Weindiebstahl. Bei der Unter suchung eines aus Kachelten in Tiflis einge troffenen Weintransportes wurde festgestellt, daß 7000 Eimer Wein gestohlen und durch Wasser ersetzt worden sind. Der Schaden beträgt 50 000 Rubel. Wieder ein Opfer des unvorsichtigen Umgehens mit dem Revolver. Als der Sohn des rumänischen Gesandten in Paris einem Freunde einen Revolver zeigen wollte, entlud sich plötzlich die Waffe. Das Geschoß drang dem jungen Manne in die Lunge und verletzte ihn schwer. Beobachtungen von riesigen Meteoren. In New Jork ankommende Schiffe berichten von ungeheuren Meteoren, die auf hoher See niedergegangen sind. So sah der erste Offizier des deutschen Dampfers „Vrasilia" in kurzer Entfernung von dem Schiff ein Meteor ins Meer stürzen, dessen Durchmesser er auf fünf Meter schätzt. Als es das Wasser erreichte, schossen große Dampfwolken zum Himmel. Außerdem beobachtete er drei kleine Meteore, die kurz hintereinander in die See fielen. » Eine Zeitschrift für Blinde. Aus New Dort wird berichtet: Eine reiche Dame Mrs. William Ziegler, deren verstorbener Gatte mehrere arktische Expeditionen ausgestattet hatte in der Hoffnung, daß die amerikanische Fahne als die erste am Nordpol wehen würde, hat ein großes philanthropisches Unternehmen ins Leben gerufen. Sie gibt eine monatlich er scheinende Zeitschrift für Blinde heraus, die in New Jork hergestellt und über das ganze Land hin unentgeltlich verbreitet werden wird. Es ist die erste Zeitschrift dieser Art in Amerika; sie enthält eine Zusammenfassung der wichtigsten Neuigkeiten und kurze Geschichten, die aus oen führenden Monatsrevuen mit deren Erlaubnis nachgedruckt werden. Eine besondere Verbindung soll zwischen den verschiedenen staatlichen Blinden anstalten gepflegt werden, deren Insassen sich durch Briefe und Schilderungen an dem Inhalt der Zeitschrift beteiligen dürfen. Jedes Heft umfaßt hundert Seiten und wird in zwei ver schiedenen Methoden des Blindendruckes herge stellt, die beide in Amerika in Gebrauch sind. Die Zeitschrift nimmt sich in vieler Hinsicht das in Edinburg erscheinende Blindenjournal ,Hora Jocunda' zum Vorbild. Mrs. Ziegler läßt auch unter Tausenden von Blinden die beiden Alphabete der Blindenschrift verteilen, damit sie lesen lernen können. Auch die Einrichtung von Leihbibliotheken für Blinde soll bald erfolgen. Die Pest. In Rio de Janeiro ist ein Pestfall festgestellt worden. Der Erkrankte starb nach 24 Stunden. Eine verheerende Feuersbrunst hat in Kanton (China) mehr als 500 Häuser zerstört. Die Niederlassung der Europäer war bedroht, ist aber außer Gefahr. Gerrcktskalle. Landau (Pfalz.) Das Kriegsgericht verurteilte den Oberleutnant Röder vom 17. Infanterieregiment in Germersheim wegen dienstlicher Falschmeldung und fahrlässigen Meineides zu neun Monat zwei Tagen Gefängnis und zu Dienstentlassung. Bern. Die Strafkammer des Schweizer Bundes gerichts sprach einen Mann aus Wien namens Blazek schuldig, sich an der Herstellung von Spreng stoffen zu verbrecherischen Zwecken beteiligt zu haben, nnd verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis und lebenslänglicher Verweisung aus dem Gebiet der Eidgenossenschaft. bme lckicksalslckwere Vergangenheit hat nach der ,Schl. Ztg/ trotz seiner Kleinheit das Schulschiff „Grille", das zur Vornahme einer Grundausbesierung in Danzig als Bei schiff des Flottenflaggschiffes „Deutschland" durch das Schiffsjungenschulschiff „Nixe" ersetzt worden ist. Die „Grille" ist das älteste Schiff der Marine und kann im nächsten Jahre den 50. Jahrestag seines Stapellaufs begehen. Als Schraubendampfjacht nach Plänen des Prinzen Adalbert bei Normand in Havre erbaut, wo es am 9. September 1857 vom Stapel lief, war das Schiff die erste Jacht des obersten Kriegs herrn der damals noch preußischen Marine. Es hat bei einer Länge von 52, einer Breite von 7,4 und einem Tiefgang von 2,8 Metern eine Wasserverdrängung von 353 Tonnen und ent wickelt mit den 730 Pferdestärken die für die damalige Zeit sehr beträchtliche Geschwindigkeit von 13 Seemeilen. Sowohl 1864 wie 1870/71 hat die „Grille" an Gefechten teilgenommen. So hatte sie am 14. April 1864 bei Jasmund ein Rekognoszierungsgefecht unter Prinz-Admiral Adalbert gegen die dänische Fregatte „Torden- skjold", die zum Rückzug gezwungen wurde, und am 24. April nochmals ein siegreiches Gefecht ebenda mit derselben Fregatte. Ferner hatte sie am 17. August 1870 mit drei Kanonenbooten zusammen ein Gefecht gegen ein französisches Panzergeschwader bei Hiddensöe (Rügen). Am 5. Juni 1864 hielt König Wilhelm I. an Bord der „Grille" seine erste Flottenparade über die entstehende preußische Marine und später am 21. September 1875 bei Warnemünde über die junge, aber stark emporwachsende deutsche Flotte ab. Erwähnt sei auch, daß die „Grille" mit den Schiffen „Hertha", „Elisabeth", „Arcona" und „Delphin" das Geschwader bildete, das den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, nachmaligen Kaiser Friedrich III. zur Teilnahme an der feierlichen Eröffnung des Suez-Kanals am 17. September 1869 geleitet hat. Nicht weniger als 20 Jahre hat das Schiff bis Fertigstellung der alten „Hohenzollern" als königliche bezw. kaiserliche Schraubendampfjacht Dienste getan. Seit 1878 ist die „Grille" dann anderweitig verwendet worden und sie besitzt, nach wieder holten Umbauten, noch heute nach fast fünfzig jähriger Tätigkeit eine bewunderungswürdige Leistungsfähigkeit. Alljährlich im Frühjahr schifft sich ein Teil des Admiralstabes auf ihr ein, um nach den Anweisungen des Chefs deS Admiralstabes mehrere Admiralstabs-Übungs reisen in den deutschen Gewässern auszuführen. Vurnes Allerlei. 4t Ein König, der warten kann. Aus Anlaß des Einzuges des neuen Herrn in das französische Ministerium des Äußern erzählt der Ml Blas' folgendes Geschichtchen, das zur Zeit eines Vorgängers von Pichon, Hanotaux, spielt. Eines schönes Tages zur Zeit der Kongo-Debatten erschien im Ministerium ein respektabler Herr, dessen breiter Panamahut einen wohlgepflegten stattlichen weißen Bart be schattete, und wanote sich an dem Huissier vom Dienst. „Könnte ich die Ehre haben, vom Herrn Minister empfangen zu werden?" Der Hussier warf einen verächtlichen Blick auf den Herrn mit der anmaßenden Forderung und ant wortete : „Seine Exzellenz ist beschäftigt. Warten Sie." Der Besucher setzte sich und wartete ge duldig, wartete länger als eine Stunde. Seine Exzellenz war noch immer beschäftigt. Endlich öffnet sich eine Tür, und ein Beamter kommt heraus: „Sie wünschen den Minister zu sprechen? Ihr Name bitte?" Der Besucher reicht ihm fast demütig eine kleine Karte, auf der zu lesen stand: „Der König von Belgien." Wäre ein Funke m ein Pulverfaß geschlagen, der Effekt hätte nicht größer sein können. Der Beamte fiel beinahe in Ohnmacht. Alle elektrischen Klingeln im Hause begannen, von unsichtbaren Händen gerührt, schrillend zu läuten, und Hano taux stürzte in eigener Person heraus und führte den königlichen Besucher in sein Kabinett. * * * Auf der Entenjagd. Förster: „Nun, Herr Varon, nichts geschossen?" — Baron: „O doch, ich sah ganz deutlich, wie nach meinem Schuß mehrere Federn flogen." — Förster: „Nein, Sie irren, Herr Baron, es flogen alle Federn." (,T°nb?) „Um so besser!" Er schwang sich hinüber und begann nun die Runde. Paul stand, mit leichenblassem Gesicht vor sich hinstarrend da; erst als ein triumphierender Ruf ihm verkündete, daß die Tour aus Tod und Leben glücklich vollendet sei, wagte er auf zuschauen. Sein Blick fiel auf Konstantin, der sich über die Brüstung neigte, als wolle auch er das Wagnis unternehmen. Mit einem Sprunge stand Paul neben ihm und riß ihn ungestüm zurück. „Du darfst nicht hinuntersteigen, ich leide es nicht I" rief er in leidenschaftlicher Erregung. Konstantin sah ihn überrascht an. „Und wenn ich es aber doch tue?" Pauls Züge zuckten und seine Augen blitzten entschlossen. „In dem Augenblick, in dem du dort hinuntersteigst, springe ich vom Turm, so war wir Gott helfe." Erschüttert streckte Konstantin ihm beide Hände entgegen. „Könntest du wirklich glauben, daß ich mein Leben so freventlich auf das Spiel setzen würde?" Aber Paul eilte, ohne seine Hände zu er greifen, an ihm vorüber und den Turm hinab. Konstantin folgte ihm und fand ihn, den Kopf an die kalte Wand des Ganges gelehnt, m unterdrücktem Schluchzen erbeben. „Mein armer Paul," sagte er bewegt, „so hast du mich doch ein wenig lieb? Ich dachte immer glauben zu müssen, dir sei nicht viel an wir gelegen." Paul blieb den ganzen Tag lang nachdenk ¬ lich und traurig. Vergebens suchte Konstantin ihn zu erheitern. Während dieser am Nach mittage im Dogenpalast verweilte, um eine an gefangene Skizze zu vollenden, verließ ihn Paul, um die Markuskirche zu besuchen, deren dämmernde Hallen besser für sein unmhiges Herz paßten, als die goldstrotzenden Säle. Vom War her scholl Gesang, als Paul die Kirche betrat. Weihrauchwolken zogen durch den weiten hohen Raum, nur gedämpft fiel das Sonnenlicht durch die gemalten Fenster, breite, bunte Streifen auf den Mosaikboden zeichnend. Leise nahte er dem Altar und lehnte sich an eine der alten geschnitzten Säulen. All die dunklen Fragen über Zeit und Ewigkeit und die Rätsel unsres Daseins kamen mit einer Ge walt über ihn, daß er in die Knie sank, das Antlitz in die Hände verbergend. Es war ihm, als umdrängten ihn die Schatten derer, die noch kommen sollten. — Wo waren sie hin, die diese Kirche bauten, diese Mauern türmten, diese Säulen meißelten und die Kuppeln wölbten? — Wo waren sie hin, deren irdisch vergäng licher Geist diese Kirche dachte, und wo waren die, deren irdisch vergängliche Hand diesen Ge danken in Stein und Marmor verkörperte? Wie viele Tausende und Abertausende hatten kniend auf diesen Stufen gelegen, hatten hier gelitten und geweint und mit sehnendem Herzen das Diesseits mit dem Jenseits durch die Brücke des Glaubens zu verbinden gesucht! Der wellige Steinboden hat ihre Fußtritte bewahrt, aber sie selber, wo sind sie nun hin? Wie eine überirdische Antwort auf seine Fragen klangen die Stimmen der Knaben jubelnd vom Chore her. Paul neigte sein Haupt tief herab. Jetzt verstummte der Gesang, die An dächtigen verließen ihre Plätze und zerstreuten sich leise, die Kerzen vom Altar wurden ver löscht, Mr die ewige Lampe brannte mit mattem Schein. Leise Md allmählich kehrte Frieden in Pauls erschütterte Seele zurück. Eine Ruhe, wie er sie all' diese Tage hindurch nicht gekannt hatte, kam über ihn, wie Nebel hob es sich vor seinen Augen, und klar und deutlich lag der Weg vor ihm, den er zu wandeln hatte. „Ist es nicht leicht, unsre Fehler und Schwächen vor dem Auge Gottes auszubreiten und sein vergebendes Lächeln auf uns ruhen zu fühlen?" dachte er. „Wenn wir aber ihn nicht fürchten, den Heiligen und Gerechten, warum sollten wir uns vor denen scheuen, die schwach und irrtumbefangen sind, wie wir selber? Dies Leben ist zu kurz Md flüchtig, als daß wir es wissentlich einander trüben sollten. Was kann ein Mensch dem andem geben, als Liebe und Wahrheft? Kann man auch einen Fehler sühnen, ohne ihn zu be kennen? Nein, es soll Klarheft herrschen zwischen mir und ihm. Und wenn er sich mit Verachtung von nur wendet? Er wird es nicht, denn er liebt mich. Er darf es nicht, denn ich liebe ihn. — Gestern noch suchte ich mich selbst darüber zu täuschen, heute aber, als ich glaubte, er würde in die Tiefe stürzen, da wußte ich, daß sein Leben mein Leben, sein Tod mein Tod ist." Die Schatten in der Kirche wurden immer tiefer, Pauls Geist überließ sich willig dem träumerischen Zuge seiner Gedanken. Unterdessen hatte Konstantin seine Skizze be endet und Paul überall gesucht. Er konnte gar nicht glauben, daß derselbe noch in der Kirche weile, ging aber trotzdem auch dorthin. Er hatte schon den größten Teil der Kirche spähend durcheilt, als er ihn auf den Mar- stufen halb kniend, halb liegend, schlummernd fand. Konstantin beugte sich über ihn. Nie war ihm die Schönheft seiner Züge so aufgefallen, wie heute. „Armer Knabe!" sagte er weich, als er die schweren Tropfen sah, die noch an seinen dunklen Wimpern hingen. „Er hat sich in den Schlaf geweint. Was für eine Sorge mag ihn be drücken, daß er sich scheut, sie mir anzuver- irauen?" Er legte die Hand auf seine Stirn. „Ich will, ich will," murmelte der Schlafende. „Paul, es ist Abend, du mußt aufwachen." Erschrocken fuhr dieser in die Höhe, den Blick voll ängstlichen Forschens auf Konstantin gerichtet. „Hab' ich dich erschreckt, Paul?" Dieser seufzte tief auf. „Du hast Kummer. Warum lässest du mich nicht wissen, was dich traurig macht?" „Ich will, ich will," entgegnete dieser noch einmal. „Habe nur noch ein wenig Geduld mit mir, du sollst alles hören, was ich dir zu sage» habe." PP» (Fortsetzung folgte
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