Volltext Seite (XML)
Vie „Vttendoifer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners, tag und Sonnabend abends. Bezugspreis^ vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen ,,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Aloritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahmt v»n Inseraten di, vormittag zo Uhr. Inserate werden mit <o Pf fkr dl« Spaltzeil« berechne Labellarischer^Satz nach besonderem Tarif Druck UN- Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla Ar. 137. Mittwoch, den 14. November 1906. 5. Jahrgang* Oertliches und Sächsisches. Vttcndorf.Dkrilla, den zz. November MS. —* Das Herannahen des Jahresschlusses bildet für jeden Geschäftsmann eine Mahnung, seine Außenstände aus ihre Verjährung hin zu prüfen. Man schiebe dies nicht bis in die letzten Wochen oder Tage des Jahren auf, da erfahrungsgemäß am Jahrcsschluß die Gerichte mit Arbeiten oft überhäuft sind und es vor kommen kann, daß ein zu spät beantragter Zahlungsbefehl dem Schuldner nicht mehr zu- gestellt wird, was die Verjährung der Forderung zur Folge hat. Es empfiehlt sich auch, vor der Einleitung gerichtlicher Schritte noch einen letzten Versuch zu machen, auf gütlichem Wege zu seinem Gelde zu kommen. Königsbrück. Am Montag Morgen ent leibte sich durch Erhängen der auf dem Bad- Iveg wohnhafte Sägeschmied Putsch. Meißen, Der Ueberschuß vom großen Mostscste der hiesigen Militärvcreine zum Besten des König-Albert-Denkmals wird rund 3000 M. betragen! Großenhain. Allen Anschein nach an gelegt gewesen ist das Schadenfeuer, welches am Sonntag Abend gegen 8 Uhr in dem HauSgrundstücke an hiesiger Berliner Straße Ecke der Kroncnstraße (Nr. 42) auskam, aber so rasch von der herbeigeeilten Feuerwehr und hilfsbereiten Nachbarn gelöscht wurde, daß nur der Dachstuhl und nicht die angrenzende, das Straßenbild allerdings s hr verunzierende Doppelscheune eingeäschcrt wurde. Das Haus- besitzerchepaar wurde wegen Brandstiftungs verdachts polizeilich in Haft genommen und bereits am Montag dem Amtsgericht zur Ver nehmung zugeführt. Stroga. Unweit von hier wurden am Montag Vormittag auf der nach Großenhain führenden Straße die Pferde eines Grödener Heuwogens scheu, aus dem der Besitzer mit seinem Sohne saß. Letzterer stürzte so un glücklich vom Wagen, daß ihm dessen Räder über den Kopf gingen. Nach Großenhain durch den hiesigen Milchwagen verbracht, ver starb dort der junge Mann an den erlittenen Schädelbrüchen. Dippoldiswalde. Am Freitag hat sich im hiesigen großen Teiche die in der Mitte der dreißiger Jahre stehende geschiedene Frau Nitzsche mit ihren beiden Kindern, einem acht Monate alten Zwillingspaar, ertränkt. Die Frau betrieb hier eine kleine Gastwirtschaft. Ihr Ehemann war dauernd in einer Anstalt für Epileptische untergebracht und sie hatte unter diesen Verhältnissen eine Liebschaft mit einem Wanderen Mann angeknüpst, welcher die Kinder entsprossen waren. Deshalb wurde sie im April dieses Jahres von ihrem Ehemann geschieden. Da auch in ihrem Restaurations betriebe unzulässige Sachen vorgekommcn waren, so mußte ihr die Konzession entzogen werden, In der Befürchtung, nun existenzlos zu werden, beging sie die Tat. Sie fuhr die Zwillinge tm Kinderwagen in den Teich und stürzte sich dann selbst hinein. Leipzig. In einem Restaurant in der Elisenstraße gab am Sonntag vormittag gegen 11 Uhr ein in der Nürnberger Straße wohnhafter russischer Student der Chemie aus eine Kellnerin aus einem Revolver mehrere Schüße ab. Das Mädchen erlitt glücklicher Weise nur leichte Verletzungen am linken Arm Und an der linken Seite. Der Attentäter kam in Haft. In dem Restaurant war zur kritischen Zeit nur nach ein Gast anwesend. Eifersucht dürfte der Beweggrund zu der ver brecherischen Tat gewesen sein. — Hierzu wird noch folgendes gemeldet: Der Revolverheld war der 21 Jahre alte Student der Chemie Wladimir Gatschetschiladze aus Kwirili in Rußland, der seil 2 Jahren an der hi.sigen Universität immatnkuliert ist. Er hatte mit dem Mädchen, das er im Februar 1S05 kennen gelernt schon längere Zeit ein Liebesverhältnis. Vor wenigen Tagen hatte dieses, die 23 Jahre alte Kellnerin Cäcilie Kuhnt aus Greulich, in dem Restaurant „Zur Sachsenhalle" Stellung ge nommen, was Gatschetschiladze wenig zusagte. Er gab sich alle Mühe die Kellnerin zum Verlaßen dieser Stellung zu bewegen, doch ohne Erfolg. Am Sonntag vormittag besuchte er wieder die Sachsenhalle und bot der Kellnerin wiederholt an. sie zu unterstützen, wenn sie die dortige Stellung aufgäbe. Das Mädchen ging auch diesmal nicht auf die Vorschläge ein. Als der Ruße einsah, daß er wenig Erfolg habe, sagte er zu seiner Ge liebten, er habe einen Brief in der Tasche, und fragte ob sie ihn lesen wolle. Als diese bejahte, zog er den Revolver hervor und gab drei Schüße ab. Der erste Schuß streifte ganz leicht den linken Oberarm des Mädchens und versengte die Bluse. Die Getroffene brach zusammen. Der Student gab dann auf die vor ihm Liegende noch zwei Schüße ab; der erste streifte das Korsett während der zweite glücklicherweise ganz fehl ging. Mittlerweile >ief ein Gast aus dem anderen Teil des Lokales nach der Kellnerin. Diese raffte sich daraufhin auf und begab sich in den Neben- raum- Gatschetschiladze zog jetzt seinen Ueber- zieher an und verließ unbehelligt das Lokal. Er begab sich in seine Ga>conwohnung, Nürn berger Straße 6, und schrieb dort an die Kellnerin einen Brief, -in dem er seine Tal bereute und diese Tat als Dummheit be zeichnete. Ebenso erklärte er sich in diesem Schreiben bereit, den ganzen Schaden wieder aut zu machen. Kurz danach wurde der Student verhaftet. Die Kellnerin war bereits am Sonntag abend wieder in der Sachsenhalle tätig. Brettingen-Regis. Hier wurde am Wegübergange beim Stationgebäude ein durch- gegangenes, mit zwei Pferden bespanntes Geschirr, daß beim Nahen des Leipzig-Hofer Schnellzuges dis geschloßene Schranke durch brach, vom genannten Zuge überfahren. Der Wagen wurde gänzlich zertrümmert und ein Pferd sofort getötet, das andre Pferd mußte abgestochen werden. Personen sind nicht ver letzt worden. Annaberg. Die Identität des im hiesigen Stadtwäldchen aufgefundenen menschlichen Skeletts ist nunmehr festgestellt. Es stammt von dem seit S. Juli 1897 aus der elterlichen Wohnung in Frohnau verschwundenen 20 Jahre alten Fabrikarbeiter Max Stapp. An den in der Nähe der irdischen Reste liegenden Gegenständen haben die Angehörigen den Toten erkannt. Zwickau. In der Nacht zum Sonntag er schien in der viercen Stunde in einem hiesigen Weinrestaurant ein Offizier in eleganter Uniform, mit klirrenden Schleppsäbel, Manie und hochgeschlagenem Kragen, ließ sich an einem Tische nieder, und bestellte Getränke, wozu er seine Havanna schmauchte. Schließlich kam den übrigen Gästen die Sache denn doch nicht recht geheuer vor und man benachrichtigte einen Polizeibeamten. Dieser machte nicht viel Federlesens und forderte den Herrn „Offizier" freundlichst zum Mitgehen auf. Es erregte nun große Heiterkeit, als der Offizier in Begleitung des Schutzmanns den Weg zur Wache antrat. Dort protestierte er zunächst energisch gegen seine Verhaftung, wies auch Vie Frage ob er „Handarbeiter" sei, entrüstet zurück und antwortete auf den Wunsch der Beamten, seinen Namen zu wißen, er sei der „Hauptmann von Köpenick." Nachdem dem Herrn „Hauptmann" die Uniform abgeknöpst worden war, stellte sich heraus, das der Herr „Hauptmann" ein stellenloser Schreiber, Th. v. H. war. Unter der Uniform trug er seine Zivilsachen, die Sporen waren mit Nägeln festgeschlagen. Allem Anschein nach hat man es mit einem Schwachsinnigen zu tun. Falkenst'ein. Ein Schreiber annonymer Briefe, der sich hier schon öfters bemerkbar machte, und Karten wie Briefe mit unflätigem Inhalte versandte, beunruhigt wieder zur Zeit die Bewohner eines ganzen Straßenteiles. Ein Hausbesitzer setzt zur Ermittlung des annonymsn Schreibers eine Belohnung von 50 M. aus. Johanngeorgenstadt. Bei der Aus besserung eines 35 Meter hohen Schornsteins der Starkschen Montanwerke in Kasnau stürzte der Maurer Franz Gura in das Innere 'des Schornsteins und blieb als zerschmetterte Leiche am Boden liegen. Plauen. Vor den Augen zahlreicher Spaziergänger sprang am Sonntag nachmittag in junger Mann vom mittleren Bogen der iber 70 Meter hohen Elstertalbrücke hinab in die Tiefe. Der Lebensmüde schlug unten mit urchtbarer Gewalt mit dem Kopfe auf, der Tod trat aus der Stelle ein. Die Personalien des Selbstmörders konnten bis zur Stunde noch nicht festzestellt werden. Dies ist der zwanzigste Selbstmord, der seil Erbauung der Elster talbrücke verübt worden ist. Mit Aus nahme eines einzigen waren bisher alle Fälle ;ödlich. Nus der Woche. Wohin man auf dem Erdball blickt, all überall Ministerkrisen, wenn nicht gar wankende Kabinette, In England, Spanien, Norwegen Rußland, in Deutschland, Serbien, Amerika! Nur allein in Frankreich ist das Ministerium anscheinend fest gefügt und daü Kabinett wird von der Menge umjubelt. Vor einem halben Jahre konnte man den Gang der Ereignisse voraussthcn. Als Herr Clemenceau noch ein mal die Dreyfußaffäre mit Wärme vor der Kammer behandelte und für sich — was vor echs Jahren ein Ding der Unmöglichkeit ge wesen wäre — eine ungeheure Mehrheit ge wann, als er die Verbindung mit England einleitete und mit geschickter Hand die allzu festen Fäden löste, die die Republik an Ruß land banden, und als er endlich über den Sozialistsnführer Jaures in gewaltiger Rede schlacht einen allgemein bejubelten Sieg im Parlament davontrug, wußte man, oder hätte man wißen können: Der schlichte Arzt, der sich aus einer unscheinbaren Gaffe in Paris empor gearbeitet hatte zu einem Mediziner von Ruf und einem Politiker, der sich Geltung zu ver schaffen wußte, ist der kommende Mann in Frankreich! Und was er dem Lande von seiner Politik versprach, hat er bisher ge treulich gehalten, hat schon im Ministerium Sarrten eine Führerpolitik vertreten die den Arbeitern vieles verhieß und schon manches brachte, und hat endlich in gefahrvoller Stunde, als, durch das Grubenunglück in Courrieres veranlaßt, der Aufruhr den Norden des Landes durchtobte, gezeigt, daß er mit starker und doch milder Hand rasendem Volke Zügel anzulegen versteht. WarS da ein Wunder, wenn Sarrien in kluger Einsicht seinen Präsidentensitz dem Manne überließ, dessen Politik er doch schließlich trieb und nur mit seinem Namen deckte Allerdings eine harte Nuß hat auch Herr Clemenceau zu knacken: Die Durchführung des Trennungsgesetzes. Zwar hat er bei allen möglichen ^Gelegenheiten erklärt, das Gesetz werde strenge durchgeführt werden, aber über das „Wie,, ist er sich offenbar nicht einig und es scheint, daß die Regierung in diesem Punkte sich nicht ganz sicher, d. h. nicht ganz auf dem Boden des von ihr sonst so laut verkündeten Rechts befindet. Die Zeit wirds lehren, ob sich der gewandte Kabinettschef auch mit dieser heiklen Angelegenheit abzufinden wermag. — Daö liberale Ministerium in England hat an Ansehen arge Einbuße erlitten. Ob gerecht oder ungerecht, läßt sich von den Fernstehenden schwer beurteilen. Die Matrosenmeutereien in Portsmouth, die in der Geschichte der englischen Marine ohne Beispiel sind und an die traurigen russischen Ereignisse in Wladiwostock und Odessa erinnern, werden dem Ministerium zur Last gelegt. Und nicht minder wird Sir Edward Grey, der Mann der äußeren An- elegenheiten, verantwortlich gemacht für den Nißerfolg der englischen Politik in Persien; denn es wird nachgerade zum offenen Geheim nis, daß der asiatische Vertrag, den England angeblich mit Rußland vor einiger Zeit ge- chloffen hat, nur aus dem Papier steht und m übrigen gar keine Bedeutung hat. Dazu kommen die Zwistigkeiten im Innern. Wie chon so häufig, läßt sich wieder einmal wischen dem Oberhaus und dem Unterhaus über eine Gesetzesvorlage keine Einigkeit er- ielen. Das Unterhaus hat ein neues Schul gesetz, daß die Trennung des Religionsunter richts von der Schule vorsieht, mit über wältigender Mehrheit angenommen, und das Oberhaus hat es mit gleicher Mehrheit abge lehnt. Da ist es freilich begreiflich, daß Herr Campell-Bannermann die berühmte Minister krankheit „Gesundheitsrücksichten" bekommen hat, die in den letzten Tagen noch heftiger ge- word n ist, seit die türkische Regierung höflich, aber energisch die freundlichst angebotene Vermittlung Englands im türkisch-persischen Grenzstreit abgelehnt hat. Es ist daher fraglich, ob die Gesundheit des Herrn Campbell- Bannermann ihm erlauben wird, noch lange die Politik des JnselreicheS zu leiten. — In Spanien und Norwegen sind die Ministerkrisen mit einigen Neubesetzungen abgetan worden und ebenso in Serbien; ob freilich dadurch die schwebenden Fragen, die solche Krisen hervor riefen, erledigt sind, scheint mehr als zweifel haft. — In Amerika hat der Wahlstreit aus- gktobt, der besonders in New Aork äußerst zeftig war. Diese „Gouverneurswahlen" werfen bezeichnende Streiflichter auf die nächste Präsidentenwahl. Wenn nicht alles trügt, wirds heiß hergehen um den Stuhl Theodore Roosevelts, denn im ganzen Lande haben die Demokraten — die letzten Wahlen haben es gezeigt — seit der letzten Präsidentenwahl, in der ihr Kandidat Bryan unterlag, groß- Fort schritte gemacht. — Während die Parlamente ich anschicken, die Marokkoabmachung einer Besprechung zu unterziehen und den in Algeciras entworfnen Vertrag gültig zu er klären, befindet sich das Land des schwarzen Sultans schon wieder in einem unglaublichen Zustand. Räuberhorden haben sich eines Teils der Hauptstadt bemächtigt und brandschatzen die Eingeborenen. Raisuli, einst Räuberhauptmann, dann vom Sultan zum Gouverneur ernannt und jetzt zweifelhafter Beschäftigung, hat, — aus welchen Gründen ist nicht recht klar ge worden, — die Stadt ihrer Beleuchtung be raubt, indem er dem Elektrizitätswerke die Waflerzufuhr abschnitt. Nach langen Unter handlungen ist nun ein französisches Geschwader von Tanger eingetroffen; aber es landen keine Soldaten, weil man mit Recht befürchtet, die übrigen am Marohkohandel beteiligten Mächte könnten, von Eifersucht getrieben, darin eine Verletzung des so mühsam in Algeciras nach langen Verhandlungen geschloffenen Friedens er blicken. Es tut dringend not, daß da» Marokko-Abkommen in Kraft tritt, denn seine Bestimmungen haben keinen Wert solange sie nur auf dem Papier stehen. — In Deutschland spricht man in unsern Tagen ebenfalls viel von einer Ministerkrise. Allerdings der preußische Landwirtschaftsminister ist gegangen, weil ein hartnäckiges Gichtleiden ihm ein weiteres Verweilen' im Amte unmöglich macht; aber eg heißt, daß auch Fürst von Bütow das Reichskanzlerpalais verlaßen wolle. Hier heißtS, er fühle sich gesundheitlich nicht mehr stark genug, dort sagt man, er könne die Politik nicht mehr vor dem Reichstag vertreten — und in Berlin sagt man (das trifft den Nagel auf den Kopf): „Nichts Gewißes weiß man nicht!"