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Die „Vtlendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. 8 ezug spreis vierteljährlich t Mark. Durch dir Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahm« »«» Jnsnat.n bi, »««mittag in Uhr. ^Inserat« werden mit >o ps str di« Spaltz«ile b«r«chn« LabellarischnhSatz nach d»s»nd«r«m Laris Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla Nr. 128. Mittwoch, den 24. Oktober 1906. 8. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Vttendorf.Dkrilla, den 23. Gktobcr Ms. — Da» Verhalten der Soldaten bei dem Raub im Rathaus zu Köpenick bietet Anlaß zu allerlei Betrachtungen. Es heißt jetzt in den Zuschristen an die Blätter, wenn rin Unteroffizier das Kommando geführt hä te, so hätte der Gauner sicher keinen Erfolg gehabt. Etn Unteroffizier hätte auf jeden Fall erklärt, es müsse ein Mann mit der Meldung, wohin und Gunter wessen Befehl die Abteilung Maschicre, nach HauS in die Kaserne geschickt werden. Vor zwei Jahren versuchte ein Schwindler in Offiziersuniform vor dem Gebäude der Militärhauptkafie einen ähnlichen Trick. Er befahl einem Soldaten, der eine größere Geldsumme für einen General abzu heben hatte, er solle sie ihm einhändigen, Exzellenz habe ihn, den Offizier, mit der Ueberbringung beauftragt. Der Soldat stand Kramm, erklärte aber, ohne direkten Befehl des Generals dies nicht tun zu wollen, und als der Gauner dringender wurde, holte der brave Bursche einen Schutzmann. Leider fehlte dem Gefreiten, der die elf Soldaten süh-te, soviel U-berlegung. Im Publikum scheint man sich darüber zu wundern. Aber Man sollte nicht vergassen, daß der Gefreite aus der Aera der zweijährigen Dienstzeit etwas ganz anderes ist, als sein Namensvetter aus früheren Tagen. Heutzutage bekommen die Leute, wenn sie einigermaßen tüchtig sind. Nach Schluß ihres Rckrutenjahrs die Knöpfe, und da wir eben erst den Monat Oktober schreiben, verfügte der Führer der Abteilung wohl nur über eine Vorgesetztenerfahrung von wenigen Wochen. So tragikomisch der ganze Vorfall auch ist, so enthält er doch für Ein jährige und Zweijährige, für Polizisten und Reserveoffiziere die ernste Mahnung, sich ein mal gründlich die militärischen Vorschriften Über Verhaftung und vorläufige Festnahme an zusehen. Wenn dann noch das elfte Gebot, „Du sollst dich nicht verblüffen lassen", be folgt wird, dann bleibt uns die Wiederholung der Köpenicker Schwänke in Zukunft hoffentlich erspart. — Zum Streik der Elbeschiffer wird aus Bodenbach vom 21. d. M. geschrieben: Die Situation hat sich für den Verkehr nicht schlechter gestaltet- Auf dem Aussiger und dem Rosawitzer Umschlagsplätze wird normal gearbeitet und die Kähne schwimmen in ge wöhnlicher Anzahl ab, sodaß der Streik aus diesen beiden Plätzen fast gar keinen Einfluß ausübt, zumal auch die beteiligten Bahnen den Verkehr nach dem Aussiger Umschlagsplätze er öffnet haben. Dazu kommt auch noch daß'drr Streik auf den Dampfern dadurch beseitigt wurde, daß man neues Personal einstellte und alle dem Verbände nicht angehörenden Hnzer ihren Dienst wieder angetreten haben. Kahn raum ist genügend vorhanden. Ein Streik der Kohlenverlader ist kaum zu erwarten. — Auf der Elbe sind in den letzten Tagen zwei weitere Schisssunfälle eingetreten. Em Mit Mauersteinen beladener, aus der Fahrt talwärts begriffener Kahn geriet bei Kreinitz aus dem Fahrwasser und fuhr dermaßen auf dem Kreinitzer Elbheger fest, daß er nicht wieder flott gemacht werden konnte. Erst nach dem ein Teil der Ladung auf ein anderes Fahrzeug abgeleichtert worden war, gelang es, den Kahn abzubringen. In der Nähe von Beigern erlitt der mit Kanthölzern und Brettern beladene, nach Hamburg bestimmte Kahn des Schiffseigners M Zilschmann aus aus Königstein durch Ausfahren auf eine Buhne schwere Havarie. Die gesamte Ladung Mußte zwecks Weitertransports aus ein andere» Fahrzeug übeigeladen werden. Schandau. Zu dem Raubanfall un Mord wird weiter gemeldet: Man hofft die Frau Emiile Richter, die auf dem Wege von Herrnslretschen nach Schandau in der Nähe der Brüche 107 und 108 unweit Postelwitz von einem etwa 26 bis 28 Jahre alten Mann ausgesordert wurde, ihm ihr Portemonnaie auszuhändigen, dann als sie sich widersetzte, gewürgt und durch mehrere Messerstiche schwer verletzt wurde, am Leben zu erhalten. Dem Räuber sind 8 Mark in die Hände gefallen. Die verletzte Frau schleppte sich trotz des er- ittenen enormen Blutverlustes noch bis nach Postelwitz wo sie im ersten, Herrn Hacke ge längen Hause Unterkunft und die erste Hilfe and. Um 1/212 Uhr mittags wurde die Inglückliche ins hiesige Krankenhaus trans- lorticrt- Von dem Räuber, der von Schandau am, wo er die Nacht verbracht haben soll, ehlte bis Sonnabend mittag noch jede Spur. — Wie gleichfalls schon erwähnt, fiel diesem Scheusal noch ein blühendes Menschenleben zum Opfer. Der Räuber scheint nach Ver übung der ruchlasen Tat an der Frau Emilie Richter durch den Zahnsgrund und den Nassen Grund entflohen zu sein und sich von da nach dem Lichtenhainer Wasserfall gewandt zu jaden, denn im Laufe des Mittags ist auf dem Wege vom Lichtenhainer Wasserfall nach Lichlenhain die zwölfjährige Tochter des in der Lichtenhainer Mühle wohnhaften Werkfühiers Tiermann überfallen, vergewaltigt und er mordet worden. Auch diesmal gelang es dem Mörder zu entkommen. Das Mädchen wurde tot in die elterliche Behausung gebracht. Zittau. Die Fleischnotdetition, die das jiesige Stadtverordnetenkollcgium einstimmig angenommen hat, lautet wie folgt: „Das Stadtverordnetenkollegium ersucht den Stadtrat, bei der hohen Königlichen Staatsregierung whin zu wirken, daß dem stetigen Steigen der Fleischpreise Abhilfe geschaffen wird dadurch, daß unter Beobachtung aller sanitären Vor schriften zuzeiten die Grenze geöffnet werde für die Einfuhr ausländischen lebenden Viehes, — unter spezieller Zugrundelegung des Rück ganges der Volksernährung mit Fleisch, da es dem Mittel-, kleinen Beamten- und Arbeiter stand fast unerschwinglich wird, Fleisch zu kaufen." Zittau. Erschaffen hat sich hier am Sonn tag abend der 66 Jahre alte Kaufmann AlverdeS, der eine Leinengarn-Handlung be trieb, die früher in bester Blüte stand, aber immer mehr zurückging. AlverdeS befand stch seit längerer Zeit in schwieriger finanzieller Lage. Als er am Sonntag nachmittag von seinem Rechtsanwalt die Mitteilung erhielt, daß er einen Prozeß verloren habe, bei dem es sich um große Summen handelte, begab er sich in sein im Garten belegenes Bienenhaus und tötete stch durch einen Schuß in die rechte Schläfe. AlverdeS war seit Jahren von seiner Frau geschieden. Als Bienenzüchter war er weit und breit bekannt. Priestewitz. Der vormalige Landbcies- träger beim hiesigen Postamte Ramsch, der, am 28. Juli d. I. einen Geldbetrag von reichlich 140 M. den ihm eine Zottewitzer Frau zum Absenden mittels Postanweisung gleichzeitig mit einem Briefe übergeben hatte, auf der Dresdner Vogelwiese teilweise verjubelte und den B'ief unterdrückte, wurde vom Königlichen Landgericht zu Dresden zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, zwei Monate gelten als verbüßt. Der Großvater des Angeklagten hat die veruntreute Summe ersetzt. Burgersdorf b. Frauenstein. Am Sonn abend vormittag brach in der Stellmacher werkstatt von Hofer ein Brand aus, der sich durch Flugfeuer auf daö Göpfertsche Gut ver pflanzte und fünf Gebäude einäscherte. Das Feuer soll durch Kinder verursacht sein. Chemnitz. Der Gemeindevorstand Bäcker aus Helbersdorf, dec vor einigen Tagen nach erfolgter Kassenrevision durch die Königliche Amtshauptmannschaft von seinem Amte sus pendiert wurde, ist am Montag mittag durch den Distriktsgendarm verhaftet und unter dem Verdachte der Unterschlagung im Amte dem hiesigen Untersuchungs-Gefängnis zugesührt worden. Clausnitz. Wegen Urkundenfälschung ver haftet. Der Lehrer Menzel von hier wurde wegen Urkundenfälschung verhaftet und an das Amtsgericht Sayda obgeliefert. Es handelt ich um einen ziemlich hohen Betrag, um den er einen hiesigen Besitzer gebracht hat. Werdau. Erschaffen aufgefunden wurde am Dienstag vormittag in einer Ziegelei in Leubnitz der daselbst beschäftigte und aus Benn- )orf in Lippe-Detmold gebürtige, von seiner Ehefrau getrennt lebende, 55 Jahre alte Ziegeleiarbecker Allersmeyer. Kurz vor der angesetzten Beerdigung wurde nun die Leiche behördlich beschlagnahmt, da sich an derselben auch noch eine tiefe Schnittwunde am linken Handgelenk vorfand. Man nimmt an, daß A. daö Opfer eines Verbrechens sein könne. Es rst aber auch nicht ausgeschlossen, daß der Tote, ehe er den Schuß auf sich abgab, ver acht hat, sich durch Ausschneiden der Puls ader das Leben zu nehmen. Jedenfalls wird die gerichtliche Untersuchung das Nähere hier über ergeben. Werdau. Die Kgl. Kreishauptmannschafl Zwickau hat das Verfahren wegen Einführung des Achtuhr-Ladenschluffes angeordnet und dem Bürgermeister Sachse zum Kommissar ernannt. Mittweida. Am Montag abend ver- üchten zwei Handarbeiter einen Kollegen, der wegen Widerstands von einem Tanzlokal weg zur Polizeiwache gebracht werden sollte, zu be freien, indem sie die Schutzleute tätlich un- griffen. Die letzteren waren schließlich ge nötigt, von der blanken Waffe Gebrauch zu machen, wobei der Hauptbeteiligte an den Widersetzlichkeiten eine starkblutende Kopfwunde und eine Verletzung an der Hand erlitt. Die Täter befinden sich nun sämtliche in Haft. Lauter. Die Firma sächsische Emaillier und StanzSwerke vormals Gebr. Gnüchtel, Aktien-Gesellschaft, gibt bekannt, daß sie für alle ihre Arbeiter- und Arbeiterinnen, die mindestens fünf Jahre bei der Firma in Arbeit stehen, die Staatseinkommensteuer aus eigenen Mitteln bezahlt. Aus der Woche. Die Wogen der Erregung über die Ver öffentlichung der Denkwürdigkeiten des Fürsten zu Hohenlohe-Schillingsfürst haben sich nun einigermaßen geglättet. Allerdings muß in Betracht gezogen werden, daß der Urheber dieses „größten politischen Skandals", nämlich der Prinz Alexander, Bezirkspräsident in Kolmar, nach einer Rücksprache mit dem Reichskanzler, sowie wahrscheinlich auf Anraten des Chefs des Zivilkabinetts des Kaisers seinen Abschied genommen hat. Es ist daher wohl nicht ausgeschloffen, daß der streitbare und ehrgeizige Diplomat noch einmal von sich reden machen wird, um so mehr als eine ganze Anzahl von Stimmen im Inland wie im Ausland sich gegen die geschichtliche Wahrheit der Hohenloheschen Denkwürdigkeiten erklärt hat- Besonders bemerkenswert unter diesen Stimmen ist ein Artikel, den der Sohn des ehemaligen imlienischen Ministerpräsidenten Crispi in einer der angesehensten Zeitungen veröffentlicht. Es wird darin ausdrücklich ge sagt, daß Bismarck in der bulgarischen Frage nach den Berichten Crispis (dessen Denkwürdig keiten sein Sohn demnächst veröffentlichen wird) nicht habe den Dreibund im Stiche lassen und mit Rußland gehen wollen. Der eiserne Kanzler hat vielmehr ausdrücklich er klärt, daß Deutschland im Falle eines Krieges um die bulgarische Frage neutral bleiben würde, solange Frankreich neutral bliebe. Die Aufregung, die sich der Gemüter der Hohen loheschen Denkwürdigkeiten wegen bemächtigt hatte, ist aber in den Schalten gestellt durch ein Ereignis, das lebhaft an russische Ver hältnisse erinnert. In Köpenick, also gewisser maßen vor den Toren der Reichshauptstadt hat ein Gauner einen Streich vollführt, der alles übertrifft, was die kühnste Phantasie an Verbrecherromantik ersinnen kann. Ein Erz gauner hat sich die Uniform eine» Garde- Hauptmanns zu verschaffen gewußt und hat mit Hilse von Soldaten, die natürlich in die Rechtmäßigkeit seine« Befehls keinen Zweifel setzen, das Köpenicker Rathaus besetzt. Der geniale Gauner ließ den Bürgermeister und den Rendanten unter militärischer Eskorte nach Berlin transportieren; er selber aber legte Beschlag auf die Sladlkass«, die er, um Un regelmäßigkeiten zu vermeiden, vorsichtshalber mitnahm, und — verduftete. Man glaubt in weiten Kreisen nicht, daß der „Herr Haaptmann" das beschlagnahmte Geld irgendwo abliefern wird. Dieses eigenartige Verbrechen, daß der Gaunerwelt völlig neue Ausblicke eröffnet und den Sicherheilsorganen oller Länder verstärkte Wachsamkeit empfehlen wird, bildet das Welt gespräch der letzten Tage. — In England hat das Ministerium einen schweren Stand, die Freude am Liberalismus ist nicht mehr «in« so begeisterte, wie sies unter Campell-Banner- mann bisher gewesen ist. Die Koloniolpolitik des englischen Weltreiche, die nicht mehr so glänzende Erfolge aufzuweistn hat wie unter Chamberlein, befriedigt die ehrgeizigen Eng länder augenscheinlich nicht. Dazu kommt, daß die ^Friedenspolitik der Regierung durch den Kriegsminister Haldane in ihren Grundzügen vor dem Auslande bet-übrnd, bloßgestellt worden ist. Die Welt weiß, daß John Bull nicht an Abrüstung denkt, denn es wird jenseit» de» Kanals flott gerüstet. — In Frankreich ist nach wie vor das Trennungsgesetz das Sorgen kind der Republik. Zwar hat der Minister des Innern schon verschiedene Mal« erklärt, man werde dieses unheilvolle Gesetz strengsten» durchführen; aber zu der Tat hat man sich noch nicht ausraffen können. — Die Aus gleichsverhandlungen zwischen Oesterreich und Ungarn haben, wie vorauszusehen war, bisher zu keinem Ergebnis geführt. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß der österreichische Minister de» Auswärtigen Goluchowski, deffen energisches Auftreten in den Verhandlungen bei den Ungarn arge Mißstimmung bervorrief, von seinem Amte zurücktreten wird. Wie viel Diplomaten werden noch auf der Strecke bleiben, ehe es in Oesterreich-Ungarn einen wirklichen Frieden gibt. — Im Lande de» Väterchens ereignet sich nichts Neue». Da» alte Willkürregiment ist wieder im vollen Um fange eingeführt. Außer den regierungs freundlichen sind alle Parteien verboten worden. Unter solchen Umständen kann das Volk vom Zusammentritt der neuen Reichrduma nicht erwarten, um so weniger als alle Unter zeichner de» Wyborger-Ausruf», der sich gegen die Auflösung der ersten Duma richtete, unter Anklage gestellt worden sind. Nach russischem Gesetz sind nun solchermaßen Angeschuldigte weder wahlfähig noch wahlberechtigt. Herr Stolypin wird also vielleicht eine Duma nach seinem Gefallen zusammen bekommen. Daß dieses Parlament mit der breiten Masse des Volkes keinerlei Verbindung hat, bedarf wohl kaum der Erwähnung. — Auf dem weiten Erdenrund, wohin man blickt, Flottenvermehrung und HeereSverstärkung. England, Frankreich, Rußland, Schweden, Norwegen, Spanien, Italien, die Schweiz, die Türkei, Bulgarien, Serbien, China, Japan und nicht zuletzt Deutschland — allüberall wird gerüstet, ver mehrt, erneut und verbessert. Die im nächsten Jahre zusammentretende Fciedenskonfereuz im Haag wird zagend sich eingestehen müssen: die Dinge sehen in der Theorie anders aus, wie sie in der Praxis durchgesührt werden können, und die schönsten Friedenswünsche halten der Wirklichkeit nur stand, wenn eine starke Streit macht ihnen jeden Augenblick Geltung ver schaffen kann,