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Die „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich l Mark. Durch die.Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahm« »»n Inserat«« bi, »»«mittag l» ^Inserate werden mit ,o Pf fiir di« Spaltzetle berechn» LabellarischerzSatz nach besonderem Tarif Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Okrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Okrilla Nr. 89. Mittwoch, den 25. Juli 1906. 5. Jahrgang. Oerttichrs und Sächsisches. Gttendorf-Dkrilla, den 24. Juli MS. — Der vorläufige Entwurf einer Reform der gesetzlichen Vorschriften über den Wechsel protest ist laut „Nordd. Allg. Ztg." im Reichs justizamt fertiggcstellt und wird in seinem Wortlaut vom „Reichsanzeiger" demnächst publiziert werden, um den beteiligten Kreisen Gelegenheit zur Kritik und zur Geltendmachung ihrer Wünsche zu bieten. Der Entwurf sieht eine Reform vornehmlich nach zwei Richtungen hin vor. Die Postbeamten sollen die Zu ständigkeit zur Protesterhebung erhalten, und zwar unter Haftung der Postverwaltung für etwaige Versehen ihrer Beamten. Außerdem werden die Förmlichkeiten bei Erhebung ves Protestes vermindert. Dresden. Der Leichnam des Kontoristen Hentschel, der, wie gemeldet, vor einigen Tagen in Blasewitz bei der Rettung eines Kindes aus dem Elbstrom seine edle Tat mit dem eignen Leben bezahlen mußte, ist gefunden worden, da wo sich das Unglück ereignete. Das bestätigt die Annahme, daß der als guter Schwimmer bekannte Hentschel von einem starken Strom- Wirbel erfaßt und rettungslos mit in die Tiefe gerissen wurde. Wie eben bekannt wird, hat Hentschel bereits drei Menschenleben gerettet. Für die in den dürftigsten Verhältnissen lebende Familie des Verunglückten sind bereits namhafte Beiträge durch freiwillige Sammlungen auf gebracht worden. — Der ehemalige Geh. Kommerzienrat Viktor Hahn, Inhaber des Bankhauses Rocksch Nachf. in Liquidation, welcher vor etwa zwei Jahren wegen Verstößen gegen das Depotgesetz zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden war und seitdem seine Strafe in der Gefangenen anstalt zu Bautzen verbüßte und dort auch auf Titel und Orden Verzicht leistete, befindet sich seit gestern wieder in Dresden auf freiem Fuße. Er wurde auf sein Gesuch mit Rücksicht aus seinen körperlichen Zustand vom Königlichen Justizministerium beurlaubt. — Die „Leipz. N. Nachr." schreiben: Ein erbitterter Kampf um eine Erbschaft von 850000 Mk. spielt sich gegenwärtig vor der 8. Zivilkammer des Dresdner Landgerichts ab. Gegen Ende des vorigen Jahres verstarb in Dresden ein reicher Junggeselle, Martin Greif, Besitzer einer der größten Treibriemen- und Lederfabriken Deutschlands, im Alter von Jahren. Der Verstorbene, ein alter Sonderling und echter «slk macke man, hatte aus kleinen Anfängen zu einem hervor- Agenden Industriellen gebracht und bei seinem Tode hinterließ er ein großes Vermögen. Zu keinen nächsten Angehörigen, die in sehr be scheidenen Verhältnissen in Bernburg, Leipzig und Hamburg leben, stand der alte Herr in sehr guten Beziehungen. Desto größer aber war die Enttäuschung der „Erben" als sich deim Tode des Onkels herausstellte, daß er chnen nur ein Legat von — sage und schreibe: ^0 Mark ausgesetzt hatte. Dagegen hatte er seine Vaterstadt Pirna zur alleinigen Erbin seiner etwa ein« Million Mark betragenden Hinterlassenschaft eingesetzt. Die Enterbten fochten sofort das Testament an, während die der Stadt Pirna zugefallene Erbschaft zu Händen des Testamentsvollstreckers gelangte, ^an versuchte zunächst eine Einigung mit der glücklichen Erbin herbeizusühren und diese zu bewegen, einen wenn auch nur geringen Tei der großen Erbschaft an die direkten An- Wrigen der Verstorbenen herauszukehren. Stadt Pirna wies aber alle Einigungs- dersuche prinzipiell zurück, und deshalb blieb Enterbten nichts anderes übrig, als den ^ageweg zu beschreiten. Der Rechtsvertreter „klagenden" Angehörigen hat unter Beweis Mellt, daß der Verstorbeue bei Abfassung und uichtung des Testaments nicht mehr im ^Ubesitze seiner Geisteskräfte gewesen, zudem llohoiiker und erblich belastet gewesen sei. Es haben bereits 'mehrfach Verhandlungen stattgefunden. Das Gericht hat nunmehr be schloßen, mehrere medizinische Sachverständige von Ruf über die Zurechnungsfähigkeit des Testators zu vernehmen. Nach Schluß der Gerichtsferien soll dann das mit Spannung erwartete Urteil verkündet werden. Dohna. Am Sonnabend wurde das Fuhr werk des Fleischermeisters Brcmme, beladen mit frischem Fleisch, durch die Mügeln-Birkwitzer Fähre über die Elbe transportiert. Am Birk- witzer Ufer angelangt, sollte daS Pserd die Ladung die ansteigende Straße in Birkwitz sinausziehen, ließ sich aber nicht dazu bewegen, sondern machte kehrt und fuhr mitsamt den Wagen in die Elbe hinein. Hierbei zerbrach die Vorderachse des Wagens, das Pferd selbst ertrank und vom Fleische konnte nur ein Teil gerettet werden, während der andere Teil eine Speise für die Fische geworden ist. Stadt Wehlen. Ein Zechpreller aller chlimmster Sorte gab in den letzten Tagen seine Gastrollen. Am 16. und 17. d° M. logierte sich im Gasthaus zum „Marien- zarten" in Rathen ein gut gekleideter Herr ein )er sich unter den Namen Kaufmann Kunze n das Fremdenbuch einschrieb. Plötzlich ver- chwand er von dort unter Hinterlassung einer Schuld für Verpflegung von über 15 Mark. Am 18. d. M. versuchte er dasselbe Manöver in Stadt Wehlen, wurde aber glücklicherweise von der Gendarmerie rechtzeitig abgefaßt und dingfest gemacht. Der wirkliche Name des Schwindlers ist Kaufmann Hüttig aus Oschatz, ein von der Gendarmerie wegen ähnlicher Ver gehen längst gesuchter Missetäter. Hüttig, 28 Jahre alt, ist der Sohn des ehemaligen Bahnhofsinspektors Hüttig, der längere Zeit (bis 1890) in Pirna, amtierte und 1895 in Döbeln verstarb. Oschatz. In einer hier stattgehabten Wirte versammlung wurden eine Erhöhung für den ganzen Bezirk der Amtshauptmannschaft Oschatz im Prinzip beschlossen. Bemerkenswert ist da bei, daß, wie in der Versammlung berichtet wurde, die Generaldirektion der sächsischen Staatsbahnen auf eine Eingabe des Vereins sächsischer Bahnhofswirte anerkannt hat, das die Bahnhofswirte die Preiserhöhung nicht tragen könnten und daß ihnen deshalb die Genehmigung zu einer Verkleinerung der Maße nicht vorenthalten werden würde. Döbeln. Durch Blitzschlag wurde in Mockwitz bei Döbeln das Wohnhaus des Wirtschafts- besitzerS Kühne in Brand gesetzt und eingeäschert. Döbeln. In der Ehlertschen Papierfabrik zu Techwitz wollte in der Nacht zum Montag der 25jährige Lumpenkocher Zschoche den Dampfkocher öffnen, da der Dampfdruck zu stark war. Als der Mann über die Kessel anlage kletterte, warf der Dampf den Deckel mit einem starken Knall in die Höhe, und ein Teil des Kocherinhaltes wurde herausgeschleudert. Zschoche, aber stürzte, wahrscheinlich vor Schreck in den Kocher. Durch den hinzueilenden Nachtwächter und andere Leute wurde er zwar alsbald aus der siedenden Maße befreit, er war aber bereits derart verbrüht, daß er am Vormittag nach gräßlichen Schmerzen im hiesigen Stadtkrankenhause verstarb. Freiberg. Die Aktion der Bierpreise erhöhung scheint hier vollständig ins Wasser gefallen zu sein. Nicht nur, daß die meisten Wirte das Bier zum alten Preise in den alten Maßen verkaufen, auch die Brauereien haben den Preis für Flaschenbier infolge der rapiden Abnahme des Konsums wieder herabgesetzt. Freiberg. Zwei schwere Gewitter gingen gestern abend begleitet von heftigen Sturm und mit Hagel durchsetztem Platzregen über der hiesigen Gegend nieder. Es ist mannigfacher Schaden angertchtet worden. In Freiberg schlug ein Blitzstrahl in ein Haus auf der Breitfeldstraße ein und richtete, ohne zu zünden größeren Schaden an. An einem anderen Hause wurde eine dicht daneben stehende Birte zerschmettert. In Niederschöna hielt das Gewitter 2 Stunden lang an. Das aus Wohnhaus, Scheune und Seitengebäute bestehende Gehöft des Gutsbesitzers Partzsch wurde eingesächert; 2 Stück Jungvieh verbrannten. Markersdorf. Zum Brand der Spinnerei von C. A. Tetzner in Schweizerthal bei Markersdorf wird berichtet: Die Brandstätte war am Sonntag das Ziel Hunderter von Ausflügler» aus weiter Umgebung. Noch den ganzen Sonntag über war die Feuerwehr am Platze beschäftigt; die Brand- und Einsturz fahr ist noch nicht beseitigt. Die weithin be kannte Fabrik, die in kurzer Zeit ihr hundert jähriges Bestehen feiern kann, ist in ihren Jnnenräumen völlig ausgebrannt. Der Brand schaden ist bedeutend größer als zuerst ange nommen wurde. Hunderte von Spindeln und 16 Selfaktoren, von denen jeder 9500 Mark wert ist, sind vernichtet, der Schaden, der durch Versicherung gedeckt ist, beträgt mehr als Million Mark. Der Betrieb der Fabrik kann vor Dezember nicht wieder ausgenommen werden. Für die arbeitslos gewordenen 150 Arbeiter hat der Fabrikherr gesorgt. Der Brand entstand durch Blitzscklag. Der Blitz schlug kurz hintereinander dreimal ein und zündete an zwei verschiedenen Stellen. Chemnitz. Am Sonnabend kurz nach 10 Uhr abends ist auf der Landstraße unweit Ober wiesa der 36 Jahre alte, aus Deuben gebürtige Böttcher Hermann Otto Herscher von einem Automobil, welches von dem Besitzer, einem auswärtigen Färbereibesttzer, geleitet wurde, überfahren und schwer verletzt worden. Der Verunglückte ist mit demselben Automobil so gleich in das hiesige Stadtkrankenhaus gebracht worden; hier ist er am Sonntag nachmittag 4 Uhr den erlittenen schweren inneren Ver letzungen erlegen. '^Leipzig. Wie von einem Druck befreit atmete am Sonnabend Spätnachmittag die Bevölkerung auf, als bekannt wurde, daß man den Mörder des Schutzmanns Tag, den Tischler Köhler, und dessen Geliebte, die Schauspielerin Lange, in Hannover verhaftet habe. Auch die Geliebte des sofort ergriffenen Reetz ist, und zwar in Berlin, verhaftet worden. Das ganze Gelichter wird sich hier zu verantworten haben. Meerane. In einer abgehaltenen Ver sammlung beschloßen die hiesigen Gastwirte, ebenfalls eine Erhöhung der Bierpreise eintreten zu laßen, indem sie an Stelle der bisher ge führten °/ia Gläser ^/ia Gläser unter Bei behaltung der bisherigen Preise einführen. Aus -er Woche. Die Zeit der Fürstenreisen ist gekommen. Der deutsche Kaiser hat in diesem Jahre seine gewöhnliche Nordlandsreise unternommen, die er mit Rücksicht aus den norwegisch-schwedischen Kronstreit im Vorjahr unterlaßen hat. Der Vertreter des mächtigen Deutschen Reiches und der „Herr König" des Nordlandes haben einige Worte hergebrachter Höflichkeit getauscht, die jedem unverbindlich klingen mußten, der da weiß, daß nicht die Monarchen, sondern die Regierungen die Politik machen. Aber trotzdem die Ansprachen der beiden Monarchen einen die übliche Höflichkeit übertreffenden warmen Ton nicht enthielten, ward jenes selbstverständliche Ereignis der Monarchen-Begegnung in Dront- heim nicht nur von England, sondern auch von Rußland mit einigen nicht günstigen Worten besprochen; die Phantasie einiger um Schreib stoff verlegener Zeitungsmacher verflieg sich so gar zu der amüsanten Vermutung, Kaiser Wilhelm suche für sein Land im hohen Norden Bundesgenoßen, da der „Dreibund" längst in seinen Grundpfeilern erschüttert sei. Es lohnt nicht der Mühe, solche Schreibereien ernsthaft zu widerlegen. — Ein merkwürdiges Versteck spiel leistet sich — wahrscheinlich zur Belebung der ereignisarmen Sommertage — die englische Diplomatie mit dem Besuch König Eduards in Deutschland. Die Nachrichten, die aus London über ein Zusammentreffen zwischen Kaiser Wilhelm und König Eduard kommen, widersprechen sich so, daß man wohl oder übel in Versuchung kommt, den Plan jener Zusammen kunft für eine Erfindung zu halten, um so mehr, als die deutschen amtlichen Stellen sich in undurchdringliches Stillschweigen hüllen. So- viel aber ist sicher: Zur Taufe des jüngsten Zollernprinzen wird König Eduard nichl kommen Und was die übrigen Gerüchte von einer nahe bevorstehenden Zusammenkunft der beiden Monarchen anbelangt, gilt wohl das geheimnis- schwere Berliner Wort: „Nichts Gewißes weiß man nicht!" — Auch Frankreichs Oberhaupt der Präsident Fallieres, macht sich auf eine Besuchsreise, nachdem die peinliche Angelegen heit des nummehrigen Majors Dreifus zu einem Gerechtigkeitsakt ersterOrdnung gestempelt worden ist. Der französische Staatschef wird König Eduard und dann König Viktor Emanuel be suchen. Aus mancherlei Gründen unterbleibt Herrn Fallieres Reise nach Petersburg. Viel leicht sind für diese Unterlassung dieselben Gründe maßgebend, wie für den plötzlich rück gängig gemachten Befnch des englischen Ge schwaders in Kronstadt. Die russische Regierung — die endlich zum Bewußtsein ihr Schwäche und inneren Unhaltbarkeit gekommen zu sein scheint — glaubt offenbar, es könnten sich ge legentlich eines solchen Besuches „Zwischenfälle" ereignen, die möglicherweise sine Störung der angenehmen Beziehungen Englands und Rußlands zur Folge haben könnten. — Das Schicksal der Wahlr eformvorlage für Böhmen ist trotz langandauernder und mit unermüdlichen Eifer geführter Unterhandlungen immer noch nicht entschieden. Es scheint aber, als ob alle Ver mittelungsversuche gescheitert seien, denn aus Wien kommt die überraschende Meldung von einer abermaligen Ministerkrise. Man kann nachgerade daran zweifeln, daß es irgend einem Ministerpräsidenten noch einmal gelingen wird die unheilvolle Frage zu einem alle Teile gleicherweise befriedigenden Abschluß zu bringen. — In Rußland stehen die Angelegenheiten sehr bedenklich. Zwar haben die Debatten in der Duma viel an Heftigkeit verloren, ja die Mehr heit der Volksvertretung hat sich sogar in der „Bauernfrage" auf einen sehr gemäßigten Boden gestellt, aber der Feuerbrand der Revolution hat zu mächtig auf dem platten Lande um sich gegriffen, als daß noch irgend welche Hoffnung auf friedliche und parlamentarische Lösung dieser Lebensfrage russischer Landeskinder genährt werden kann. Und wie die Regierung seit dem Ausbruch des unglücklichen Krieges immer und immer wieder von einer „Unmöglichkeit" zur andern griff, um ihre verlorene Stellung nach außeu wie nach innen zu wahren, so macht sie's auch jetzt in solchem entscheidenden Augenblick: Sie greift wieder zu Gewaltmaß regeln. Man hat sich in den bekannten Kopf losigkeit angesichts der fortwährenden Meutereien entschlossen, über alle bedrohten Gouvernements den Kriegszustand zu verhängen! Und das in einem Lande, dessen junge Volksvertretung kaum mit gewaltiger Mehrheit die Abschaffung der Todesstrafe beschloßen hat! --Japan zieht in unliebsamer Weise die Augen der handel treibenden Welt auf sich. Trotz aller Ver sprechung, Korea und die Mandschurei nicht mit irgend welchem Vorrecht zu behandeln, läßt sich die japanische Regierung angelegen sein, alle Nationen nach Möglichkeit auszu schließen, wo es sich um die wirtschaftliche Er schließung der fraglichen Gebietsteile handelt. Man muß den 1. September abwarten, ob Japan dann sein Versprechen, Niutschwang oder Dalny allem Handel unter gleichen Be dingungen zu eröffnen, halten wird. Es sieht nicht danach aus. Die klugen Eroberer wißen wohl, daß sie noch einmal 1^/, Millionen Mann ins Feld stellen können und daß jeder Angriff eine doppelt so große Flotte findet wie 1 damals Rußland.