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Ottendorfer Zeitung. Die „Dttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen ,,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Rioritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahm» von Jnsrraten bi, ».»mittag i» UhrH »Inserat« werden mit »o Pf für di« Spattzrtlr b«r«chn« LabellarischerZSatz nach besonderem Tarif Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla Nr. 77. Mittwoch, den 27. Juni 1906. 5. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. ivttendorf-Dkrilla, den 2ü. Juni M6 -ä. Am vergangenen Sonntag hielt der Turnverein „Jahn", Ottendorf-Moritzdorf sein diesjähriges Sommervergnügen, vom schönsten Wetter begünstigt, im Gasthof zum schwarzen Roß ab. Das schon in den frühen Vormittagsstunden unter der bewährten Leitung des Herrn Tmnwarts Hübler stattfindende Wettturnen bei welchem Herr Gauturnwart Röhnitz als Preisrichter fungierte, zeigte, daß der Verein über gut« Kräfte zu verfügen hatte. An Preisen errang sich Herr Skorepa den I., Herr O. Zeiler den II und Herr Döscher den III. Preis. Von Zöglingen errangen Wolf den I., Hübner den II. und Hamann den III. Preis. Das am Nachmittag stattfindende Sommerfest mit seinen so verschiedenen Dar bietungen, zeigte, daß sich die Vereinsleitung vor allem Herr Vorstand Richter keine Mühe hatte verdrießen lassen um den Wünschen «er schienener Art gerecht werden zu können. Der am Abend stattfindende Ball, welcher durch turnerische Uebungen sowie durch Auftreten des CabaretS „Seesenblase", welches allgemeinen Beifall erntete, unterbrochen wurde hielt die Festteilnehmer bis in die frühesten Morgen stunden zusammen. Dem Turnverein „Jahn" aber wünschen wir ein weiteres Blühen und Gedeihen. „Gut Heil." — Es sei auch an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß ob 1. Juli die zurzeit im Orts- und Nachbarortsverkehr bestehenden Aus nahmetarife für Postkarten, Drucksachen, Ge- fchästspapiere und Warenproben aufgehoben werden- Von kommenden Sonntag ab sind diese bezeickneten Versendungsgegenstände nach der Ferntaxe zu frankieren. ES kostet von da ab die Frankatur für alle Postkarten 5 Pfg., für Drucksachen bis zu 50 Gramm 3 Pfg., bis 100 Gramm 5 Pfg. usw. Die blauen 2-Psg.-Postkarten können unter Aufklebung einer 3-Psg.»Marke weiter verwendet werden. Außerdem wird vom 1. Juli ab die Gebühr für außergewöhnliche Zeitungsbeilagen für je 25 Gramm jedes einzelnen Beilage-Exemplars von einviertel auf einen halben Pfennig erhöht. — Immer wieder ziehen in jetziger Zeit fremde Leute hauptsächlich auf dem Lande her um, welche sich anbieten, Blitzableitungen zu prüfen und die Spitzen zu vergolden. Vor diesen Personen hüte man sich, denn mit einem GalvanoScop ausgerüstet, suchen sie den Grund stücksbesitzern Sand in die Augen zu streuen. Obwohl man mit diesem Instrument Mängel in der Leitung finden «.kann, so ist doch ein Feststellen des Ausbreitungswiderstandes der Erdleitung gänzlich ausgeschlossen, und das ist gerade die Hauptsache, denn eine BlitzablritungS- anlage mit hohem Erdwiderstand ist eher ge fährlich als nützlich. Es ist daher sehr zu empfehlen, Blitzableitungsprüfungen und Re paraturen nur bekannten Firmen zu übertragen welche auch die Gewähr bieten, daß das Publikum nicht übervorteilt wird. Königsbrück. Auf dem Gefechtsschießplatz bei Königsbrück wird das König!. 2. Grenadier- regimcnt in der Zett vom 26. Juni bis mit 12. Juli täglich von 6 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags Schießen in größeren^ Ab teilungen abhalten. — Am 3. Juli findet Nachtschießen des 2. Grenadierregiments und der 1. Maschinengewehr-Abteilung Nr. 12 statt Ersteres schießt von 7 Uhr 30 Min. bis 9 Uhr 30 Min. nachmittags, letztere von 9 Uhr 30 Min bis 11 Uhr nachts. Kamenz. Polizeilich aufgelöst wurde am Freitag Abend hier eine sozialdemokratische Volksversammlung, in welcher der ehemalige Geistliche Stern seinen bekannten Vortrag: Gibt es einen Gott? hielt. Die Auflösung erfolgte, als die Sozialdemokraten durch Schreien und Lärmen einen Gegner nicht zu Worte kommen ließen. Elstra. Ein höchst beklagenswertes Unglück hat die Familie des Herrn Schneidermeister Ernst Scheibe hier betroffen. Am Freitag abend gegen 7 Uhr ertrank beim Baden im Kriepitzer Teiche dessen 14 jähriger Sohn Edwin. Derselbe war Konfirmand und in folge seiner guten Begabung acht Jahre hin durch Klassenerster in der Schule. Die Mit badenden konnten ihn nicht retten, als Hilfe durch Erwachsene kam, war bereits der Tod eingetreten und der Knabe in die Tiefe ge sunken. Der schwer heimgesuchten Familie wendet sich allerseits mitfühlende Teilnahme zu. Zeithain. Einen grauenhaften Anblick, so erzählt «in Augenzeuge dem „Riesaer Tagebl" gewährte das Unglück auf dem Artillerie- Schießplätze am letzten Freitag. Von dem Pferde, an d-m das Geschoß auftraf und explodierte, blieben nur Kopf und Beine übrig alle übrigen Körperteile wurden in Stücke zer rissen. Alles, was in der Näbe sich befand, war über und über mit Blutspritzern und Flcb'chteilchen bedeckt. Der Geschützführer, zur Zeit deö Ereignisses ein Einjährig-Freiwilliger flog ein betiächtlichcs Stück weg und kam mit dem Schreck davon, während sein Pferd ge tötet werden mußte, Dem seinen Verletzungen erlegenen Soldaten war der Unterleib ausge rissen, sodaß die Eingeweide herauStraten. Dem Unfall ist noch ein drittes Pferd, das verletzt worden war, zum Opfer gefallen. Nach einer allerdings unverbürgten Mitteilung soll ein Bedienungsmann mit Staubabwischen an dem Geschütz beschäftigt gewesen sein. In dem Augenblick, wo er hierbei die Sicherung außer Funktion gesetzt, habe ein Pferd ausgeschlagen und das Geschütz getroffen, worauf durch die Erschütterung das Geschoß aus dem Rohre ge gangen sei, Die genaue Feststellung muß natürlich der Untersuchung Vorbehalten bleiben. Strehla a. d- Elbe. Auf eine Zuschrift der Gesellschaft für gleislose Bahnen, Max Schiemann und Co., Wurzen, beschloß der Stadtgemeinderat einstimmig, sich an der ge wünschten Zinsgarantie, bezw. an einem BetriebS- zuschuße einer gleislosen elektrischen Bahn Strehla — Riesa, nicht zu beteiligen. Oschatz Die Aussperrung der organisierten Maurer und Zimmerer im Bezirke des Arbeitgeberverbandes Oschatz-Döbeln-Waldheim ist beendet- Der Arbeitgeberverband macht bekannt, daß nach dem vereinbarten neuen Lohntarif die Wiedereinstellung von Maurern und Zimmerern stattfinde. Der neue Lohntarif soll den streikenden Maurern und Zimmeren in Döbeln und Waldheim eine Lohnerhöhung bis zu 35 Pfg. pro Stunde sofort zubilligen Weitere Lohnerhöhungen im ganzen Verbände stehen zum 1. Januar n. I. in Aussicht. Chemnitz. Am Sonnabend abend stürzten hier ein 45 jähriger Schieferdeckermeister sowie ein 27 jähriger Handarbeiter, die eine Dachrinne auf der Wettiner Straße zu reparieren hatten, infolge Zerbrechens einer Pfoste von einem 12 Meter hohen Gerüst herab. Der Meister erlitt einen schweren Bruch des rechten Schulter blattes, eine Verletzung der Wirbelsäule sowie am rechten Ohr, daß ihm völlig abgetrennt wurde. Der Arbeiter wurde leichter verletzt. Borna. Der Kaiser hat dem hiesigen König!. Lehrerseminar als Anerkennungen für die Beteiligung an der Flottenspende ein mit eigenhändiger Namensunterschrift versehenes, auf die Feier der silbernen Hochzeit de« Kaiserlichen Paares bezügliches Bild durch das Kaiserliche Oberhofmarschallamt übermitteln lassen. Pauschwitz. Am Freitag Abend ereignete sich am Muldenwehr ein aufregender Unglücks fall, bei dem mehrere Menschenleben in Gefahr waren. Ein Boot mit vier Insassen (drei Herren und eine Dame,) die auf der Mulde ruderten, war dem Wehr zu nahe gekommen und wurde mit der Strömung über dasselbe getrieben. Im nächsten Augenblick kämpften die Herausgeschleuderten mit den Wellen. Eiu Herr konnte sich durch Schwimmen retten, während ein anderer soviel Geistesgegenwart und Kraft besaß, die Dame und den des Schw'mmens unkundigen dritten Herrn über Wasser zu halten. Glücklicherweise war Hilfe nicht weit. Augenzeugen des Unglücks eilten mit einem Kahn den Bedrohten zu Hilfe. Trotzdem ihr Fahrzeug bedeutend Wasser in dem Strudel schöpfte, gelang das RettungSwerk. Stahmeln. Aufregende Szenen konnten Sonntag abend gegen 1o Uhr Fahrgäste der Wagen der Außenbahnlinie Lützschena—Leipzig in der Nähe der Schule in Stahmeln erleben indem donselbst ein gutgeklcideter Mann aus dem Straßengraben herausstieg und sich wieder holt vor einige in voller Fahrt dahinsausende Straßenbahnwagen auf die Schienen warf, Nur mit Aufbietung aller Kräfte mehrerer Leute konnte dieser Mann, welcher heftig um sich schlug, von den Schienen gerissen werden. So bald er jedesmal weggerissen und in die Höhe gerichtet ward, rannte er ein großes Stück fort und warf sich vor andere die Strecke fahrende Straßenbahnwagen, sodaß der Verkehr wieder holt gestört wurde. Dieses Manöver vollführte er an einem Wagen mehrere Male. Nur der Geistesgegenwart und Umsicht der betreffenden Wagenführer ist es zu danken, daß kein Un glück geschehen ist, trotzdem die Wagen in voller Fahrt fast jedesmal direkt vor diesem Manne zum Halten gebracht werden mußte- Nach dem letzten Versuche in der Nähe der hiesigen Schule, als alles wieder ruhig geworden war, verschwand er im Dunkeln auf der Straße nach Lützschena- Ob der Mann geisteskrank oder betrunken war oder nur simulierte, konnte nicht sestgestellt werden. Aus der Woche. Durch die weite Welt tönen FritdenS- schalmeien und Verbrüderungsmelodien. Alles möchte sich befreunden und verbrüdern und wenn jemand, der lange auf einsamer Insel, menschensern und weltfremd, gelebt hat, plötzlich in das politische Getriebe unsrer Gegenwart gestellt würde, er würde weich gestimmt in mitten all der Friedenssehnsnchi, bei all der FreundschastSlust. Aber, wenn man mißtrauischen Blickes einmal hinter die Kulissen des Welt theaters sieht nehmen sich die Dinge doch ein wenig anders aus. Der „mitteleuropäische Kaisrrbund", wie man seit Italiens Entgleisung auf der Marokkokonferenz in intimem Kreise den Dreibund nennt, schließt sich eng aneinander, weil England, Frankreich und Rußland nach langwierigen Unterhandlungen sich entschieden haben, einen andern Bund zu schließen, der bestimmt ist, den Dreibund mit seinen Garantien zu ersetzen und die vorherrschende Stellung Deutschlands aufzuheben. — Da vergißt die englische Regierung sogar ihre Stellungnahme gegenüber Serbien und wenig folgerichtig lehnt sie es ab, sich irgendwie über die Menschen schlächtereien in Bialystock zu äußern, die doch die ganze Welt mit Schaudern und Entsetzen erfüllt haben. Und während Vertreter der deutschen Presse als Gäste in England weilen, um „bessere Beziehungen" zwischen ihrer Heimat und dem meerumspielten Weltreich anzubahnen macht sich die engliche Preße eines neuen Attentats aus Deutschland schuldig, indem sie unbekümmert darauf loslüge, Deutschland ver suche dem Bau der Vagdadbahn einen politischen Hintergrund zu geben. — Rußland steht in dieser Frage aus demselben Standpunkt, nur ist es in seinen Aeußerungen zurückhaltender da die Lage im Innern des Zarenreiches trost loser denn je ist. Die Regierung, unfähig und unschlüssig vom Tage ihrer Berufung an, trägt sich mit Rücksichtsgedanken, die Reichsduma stellt mit jedem Tage, der ihr eine Ablehnung erhobener Forderungen bringt, neue und uner füllbare Ansprüche und endlich haben auch die Soldaten verschiedene,. Regimenter, des traurigen Schauspiels im Taurischen Palast gründlich müde, wieder den Gehorsam aufgekündigt. Es scheint, als stehe Väterchens Land am Vorabend einer neuen und gefährlichen Katastrophe und aller Augen sind nach Paris gerichtet, wo Witte zur Zeit weit vom Schuß ein beschauliches Da sein führt. Ist er wirklich regierungsmüde oder wartet er nur auf die Gelegenheit einer aber maligen Berufung? — In Frankreich ist seit den Wahlen Ruhe eingekehrt; die Radikalen sind Herren der Lage. Der wortgewandte Minister des Inneren hat nach zweitägiger Redeschlacht die Sozialisten zur Kapitulation gezwungen, nachdem ihr Führer Jaurcs von dem Minister vorher im gewaltigen Rededuell niedergeworsen worden war. Alle Parteien standen mit einem Vertrauensvortum von 410 Stimmen geschlossen hinter dem schneidigen Wortfechter, der nun in Ruhe abwarten kann, bis ihm der Ministerpräfidentensessel und einst vielleicht noch eine Würde winkt, von der Amerikas Präsident Mc. Kinley einst gesagt hat: „Es lohnt sich, des Präsidentensefsels wegen geboren zu sein." —Italien ist zur Ruhe und Besinnung gekommen. Wenn auch der „Afrika-Dreibund" England- Frankreich- Italien dem südlichen Stiefel insofern Kopf schmerzen macht, als sich Deutschland in seine Angelegenheiten, Abessiniens betreffend, gemischt hat, so ist man diesbezüglich in Rom nicht so ängstlich wie in Paris, »o kürzlich erst der „Temps" schrieb, Deutschland wolle mit Gewalt aus der „abessynischen Frage" ein zweites Marokko schaffen. — Uebrigens die Marokko- Angelegenheit, die man nunmehr für endgültig erledigt hielt, erfährt noch einmal eine recht überraschende Wendung. Malmusie, der italie nische Teilnehmer in Algeciras, war bekanntlich wegen seiner vortrefflichen Kenntnisse der marokkanischen Verhältnisse dazu ausersehen worden, dem Sultan die Verhandlungsakte von Algeciras zur Unterzeichnung vorzulegen. Im großen und ganzen billigt der „Herr der Wüste" auch die Abmachungen, nur wünscht er die Hinzufügung einer Bestimmung, wonach er als unabhängiger Herrscher Marokkos das Recht haben soll, alle Europäer, die an der Reform seines Landes irgendwie beteiligt sind, in dem Augenblick zu entlaßen, da Ruhe, Ordnung und Sicherheit in Marokko eingekehrt sind. Das wird den Mächten natürlich eine harte Nuß sein, denn damit fiele ihre Mühe sich im Lande einzunisten, einfach ins Waßer, sie würden sich schon beim Eintritt selbst den Stuhl vor die Türe setzen. — Norwegen steht in dieser Woche im Zeichen der KönigSkr önung. An demselben Tage an dem jim Vorjahr dem Schweden könig Norwegens Krone ziemlich unsanft ent wunden ward, setzt sie sich der junge Dänen prinz aufs Haupt, von einer ganzen Welt be glückwünscht. Auch Deutschland ist bei den Festlichkeiten durch Prinz Heinrich vertreten. Herr Roosevelt, der seit etwa einem Jahre häufig heftige Kämpfe gegen den Senat in Washington zu führen hatte, hat endlich wieder die Oberhand bekommen. Sein „Fleisch skandal" und die von ihm zur Beßerung vor geschlagenen Maßnahmen haben ihm seinen guten Ruf zum großen Teil nicht nur in Amerika wieder gewonnen, daß gleiche kann man von dem so heftig durch „Theddy" an gefeindeten „Chicagoer Rauchfleisch" nicht sagen. Das „Blechbüchsenfleisch" wird jetzt in der ganzen Welt mit scheelen Augen airge sehen. — Die Japaner machen mit der Aufsaugung Koreas glänzende Fortschritte. Der Kaiser, der sogenannte Herrscher von Korea, stand bei der japanischen Regierung im Verdacht, die Grenzprovinz Handa an Rußland abtreten zu wollen. Aber die flinken Japaner bekamen Wind von dem beabsichtigten Geschäft und nahmen sofort umfangreiche Ver haftungen vor. Unter anderem wurde auch der Minister des Innern hinter Schloß und Riegel gebracht. Zu seinem Schmerz muß Koreas Kaiser erfahren, daß die ihm von Japan garantierte „Freiheit nur in dem Reich der Träume ist,"