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Vie „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners, tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bt» vormittag i» UhrH jJnserate werden mit w Pf für dir Spaltzetle berechn» Tabellarisch« Satz nach besonderem Tarif Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-GkriLa. Für dis Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla Nr. 65. Mittwoch, den 30. Mai 1906. 5. Jahrgang. Impfung vetr. Im laufenden Jahre sind der Impfung mit Schutzpocken zu unterziehen: 1. Die im Jahre 1905 geborenen Kinder, sofern sie nicht nach ärztlichem Zeugnis die natürlichen Blattern überstanden haben, 2. die in früheren Jahren geborenen Kinder, deren Impfung ohne gesetzlichen Grund unterblieben oder erfolglos gewesen ist. 3. die in den Jahren 1892—1894 geborenen Kinder unter denselben Voraussetzungen wie zu 1 und 2. Die öffentlichen Impfungen finden für Erstimpflinge Montag, den 11. Juni 1906, nachmittags 3 Uhr für Mitderimpflmge Dienstag, den 12. Juni 1906. nachmittags 3 Uhr und die Nachschau für Erst- und Wedermjiflinge Dienstag, den 19. Juni 1906, nachmittags 3 Uhr im Saale de» Gasthofes M schwärst« Noß, hier statt. Die Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, deren Kinder und Pflegebefohlene ohne ge setzlichen Grund und trotz erfolgter amtlicher Aufforderung der Impfung entzogen geblieben sind, werden nach H 14 Abs. 2 des Reichsimpfgesetzes mit Geldstrafe bis fn 50 Mark oder mit Kast bis ?u 3 Tagen bestraft, wenn die Befreiung von der Impfung nicht durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen wird. Aus einem Hause, in dem Scharlach, Masern, Diphteritis, Kroup, Keuchhusten, Flecktyphus, rosenartige Entzündungen oder die natürlichen Pocken herrschen, dürfen Impflinge nicht zum allgemeinen Impftermine gebracht werden, auch haben sich Erwachsene aus solchen Häusern vom Dermin fern zu halten. Die Kinder müßen mit rein gewaschenem Körper uud mit reinem Kleidern zur Impfung und Nachschau gebracht werden. Auch nach dem Impfen ist möglichst große Reinhaltung des Impflings die wichtigste Pflicht. Vttendarf-Mmhdorf, am 25. Mai 1906. —Der Gemrindevorstand» Oertlichrs und Sächsisches. Gttcndorf-Vkrilla, den 2z. Mai 190s Dresden. Der angebliche geisteskranke Mörder Lederarbeiter Max Dittrich hat ein überraschendes Geständnis abgelegt. Ansang Mai bezichtigte er sich, wie bekannt, der Täterschaften zehn Morden. Durch Zusammen arbeiten der Dresdner und Berliner Behörden ist so viel Belastungsmaterial herbeigeschaffi worden, daß Dittrich mehrere, darunter zweier in Sachsen verübten Morde nahezu überführt erscheint. Als in Sachsen begangene Morde kommen bekanntlich in Betracht: Der am 26. Mai 1899 bei Riesa begangene Lustmord der sechsjährigen Hedwig Schönherr und der am 17 Oktober im Walde zwischen Gohrisch ünd Königstein begangene Mord, dem die Privata Opitz nach einem Sittlichkeitöverbrcchen -um Opfer fiel. Er sei oft, sagte Dittrich aus, von unwiderstehlichem Drange zu Gewalttaten getrieben, tagelang umhergeirrt, bis er endlich ein Opfer fand. Bei Berlin habe er zwei Frauen ermordet, in Böhmen fünf Morde ver übt, auch Frau Opitz und die kleine Schönherr seien unter seinen Händen gestorben. Alle anderen könne er ertragen, die blutige Leiche des kleinen Mädchens sehe er stets vor Aug-n, da» sei ihm fürchterlich. Und nun gab er eine ganz ausführliche Beschreibung der einzelnen Verbrechen zu Protokoll. Von großer Wichtigkeit für die weiteren Feststellungen wurden seine Angaben über den Verbleib verschiedener dabei geraubter Sachen. Bei der Vernehmung über andere Mordtaten in die Enge getrieben, äußerte Dittrich am Sonnabend, er wolle es sich noch überlegen, ob er nochmals ein Geständnis ablegen solle, Sittlichkeitsverbrechen könnte er noch mehr eingestehen. Dresden. Die nach Radebeul einberufene Vereinigung der Bürgermeister und beruf- mäßigen Gemeindevorstände des Königreichs Sachsen beschloß, in der wichtigen Angelegenheit der Denkschrift des Finanzministers Dr. Rüger über die Sparkaffen Sachsens eine außer ordentliche Sitzung einzuberufen. Für diese Wurde als Referent Gemeindeoolstand Reinhardt- Toffebaudt und Bürgermeister Richard-Rade beul als^Korreferent bestellt. Ferner wurde be- schloffen, eine Revision der kleinen Städtever ordnung und der revidierten Landgemeinde ordnung in die Wege zu leiten, um uuü ihnen viele unzeitgemäße Bestunmungcu zu entfernen. — Hier wird am 31. Mai ein Kongreß sämtlicher Zigarettenindustrieller Deutschlands tagen, um sich mit den durch die Banderolen steuer geschaffenen neuen Verhältnissen zu be schäftigen. Bischofswerda. Die Glasarbeiter der Firma Eibenstein haben am Sonnabend früh mit geringerem Erfolge die Arbeit wieder aus genommen. Stadt Wehlen. Von einer verheerenden Wasserkatastrophe, wie sie seit 1897 nicht wieder zu verzeichnen gewesen ist, wurde am Freitag in den Abendstunden Stadt Wehlen heimgesucht. Etwa von ^8 Uhr an fluteten ganz plötzlich und fast unvermittelt ungeheure lehmige Waffermaffen, große Steinblöcke, Holz und Gesträuch mit sich fortreißend, aus dem Grundbach nach der Stadt herein. (Die Gebirg- bäche de» Schleifgrundes, Uttewalder Grundes, Zscherrgrunde» und des Teufelsgrundes ver einigen sich im Wehlener Grunde zu einem Wasserlauf, der im allgemeinen Grundbach ge nannt wird und in Stadt Wehlen in die Elbe mündet.) Der donnerähnliche Lärm, den diese Waffermaffen mit den mitgeführten Steinblöcken verursachten, war weithin vernehmbar. Die Stadtverwaltung ließ sofort die freiwillige Feuer wehr alarmieren, welche die über den Grund bach führenden Brücken der Stadt, sowie die im Wehlener Grunde gelegenen besetzte und absperrte. Im Stadtgebiet hat das Wasser verhältnismäßig wenig Schaden angerichtet. Weit schlimmer hat es aber im vorderen Teile des Wehlener Grundes, Eigentum des Forst- flskuö, gewütet. Dort hat das Wasser gleich vorn die Holzbrücke, die den erst im Laufe des vorigen Jahres neuerbauten Promenadenweg mit der Grundstraße verbindet, fortgesegt und ersteren arg zerstört. Die Ufermauern des Grundbaches mit stellenweise Eisengeländer sind fortgerissen und Straßenteile demoliert. Eben so ist die erst fertiggestellte, unweit des Ein gangs zum Teufelsgrund gelegene Holzbrücke zerstört. Die Ursache dieser Wafferkatastrophe ist der Niedergang eines Wolkenbruches in Rathewalde und Umgebung, wo das Wasser geradezu entsetzlich gewütet hat. Am schlimmsten ist wohl die gern und viel besuchte Rathe- walver Mühle, ein sehr beliebter Kaffeeschank, zerstört. Die Wände der Häuser sind einge drückt, das Inventar vom Wasser fortgeführt oder vernichtet. Der schöne urationsgarten ist ein wildes Chaos; jvor dem Hause haben sich meterhohe Holztrümmer, die das Hochwasser mitführte, aufgetürmt. Die Wirtsleute und Sommerfrischler der Mühle konnten ihr Leben nur durch schleunige Flucht retten. Der schöne Amselgrund bis zum Amselfall ist jetzt eine Wildnis. Hohenstein-Ernstthal. Ein schwerer Unfall mit tödlichem Ausgang trug sich im nahen Grüna zu. Das 2*/, Jahre alte Kind des Herrn E. Trints lief in die Hinterräder eines vorüberfahrenden schweren Holzwagens. Dem Kinde wurde der Hinterkopf vollständig zerquetscht, so daß das Gehirn auf der Straße lag. Den Geschirrführer soll keine Schuld treffen. Leipzig. Sonnabend nachmittag machte sich der 12 Jahre alte Sohn des in L.-Klein zschocher wohnhaften Straßenbahn-Schaffners Max Böhler, während er sich allein in der elterlichen Wohnung befand, an der 'Küchen- seuernng zu schaffen, indem er in eine von ihm selbst entzündete Flamme Petroleum goß Hierbei explodierte die Petroleumkanne, sodaß die Kleider des Knaben in Brand gesetzt wurden. Am ganzen Leibe brennend, lief der Knabe in seiner Angst auf die Treppe, wo ein Nachbar auf ihn aufmerksam wurde. Leider zu spät; denn der Unglückliche, dessen Kleider vollständig verbrannt waren, hatte fast am ganzen Körper schwere Brandwunden erlitten. Mittels Krankenwagens erfolgte seine Ueber- führung in das Krankenhaus. Sein Zustand ist hoffnungslos. Zwickau. Dem sicheren Tode entrissen wurde ein 12 jähriger Knabe, der beim Umher- tammeln in einen Schlammteich des Vereins glückschachtes geraten und bereit« im Versinken begriffen war, er wurde von erwachsenen Personen noch rechtzeitig bemerkt und aus seiner bedrohlichen Lage befreit. Aus der Woche. Aus dem Nordland kam eine erschütternde Kunde — ein Held der Zeder, ein Denker und Bildner, der größte lebende Dramatiker Henrik Ibsen ist am 23. d. in Christiania ge storben. Mit seinem letzten Werk „Wenn wir Toten erwachen" hat er ein unendlich reiches Menschenwerk abgeschlossen, aus dem Tausende und Abertausende Mut und Kraft, künstlerischen Genuß und ernste Belehrung schöpften und allezeit schöpfen werden. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes der Umgestalter des Welt dramas geworden, ein Führer und Wegweiser auf dem dornigen und gefahrvollen Wege des suchenden Geistes — um ihn trauert wie selten in der Geschichte eine ganze Welt! — Der deutsche Reichstag hat in dritter Lesung die Reichsfinanzreform erledigt und wir haben nun )aS erhebende Bewußtsein, daß in absehbarer Zeit die „trostlosen Finanzen" unsres Vaterlqndes einigermaßen ins Gleichgewicht kommen werden. Nachdem diese wichtigste Aufgabe der gegen wärtigen Sitzungsperiode glücklich und zur Zu friedenheit des Kaiserlichen Herrn gelöst war, hat sich der Reichskanzler zur gewohnten Kur nach Nordeney begeben. Hoffentlick wird die wohlverdiente Erholung dazu dienen, den Fürsten gänzlich wiederherzustellen; denn es will scheinen, als ob in absehbarer Zeit der Mann am Steuer des Staates wieder mit ganzer Krast wird am Werke sein müssen. — In Oesterreich- Ungarn hat sich die Lage trotz der genialen Vermittelungskunst des Prinzen zu Hohenlohe noch nicht im mindesten gebessert. Während man anfänglich, um eine Grundlage für den notwendigen Ausgleich zu schaffen, die strittige Militärfrage ganz aus den Ver handlungen ausgeschaltet hatte, ist nun um eine gänzlich neue Frage ein neuer unheilvoller Zwiespalt ausgebrochen. Die ungarische Regierung will plötzlich anstelle des Handelsbündnisses mit Oesterreich nur einen Handelsvertrag schließen; d. h. mit andern Worten: sie will die auf Grund des Handelsbündnisses von Oesterreich geschloffenen Handelsverträge nicht anerkennen. Daß in diesem Falle das Recht auf feiten Oesterreichs liegt, sieht jeder ein, der mit einiger Aufmerksamkeit der Entwickelung in Cis- und Translsithanien gefolgt ist. Aber den ungarischen Magnaten ist eben jedes Mittel, auch das ver abscheuungswürdigste, recht wenn sie iyr Ziel, die Wahlreform zu stürzen, nur erreichen. Hohenlohe tat, was in diesem Falle ihm nur zu tun übrig blieb, er legte sein Portefeuille in die Hände des Kaisers zurück. Da aber ein andrer Mann ebenfalls nicht geeignet schien, die rabiaten Herren der „peinlichen Reichshälfte" zur Vernunft zu bringen, so verweigerte Kaiser Franz Joseph seinem Ministerpräsidenten die Entlassung. So blieb die Welt vor dem Schauspiel bewahrt, in Oesterreich die Minister nach italienischen Muster wie in einem Taubenschlage kommen und gehen zu sehen. — Väterchen hat sich wieder ein Hintertürchen offen gelassen. Zunächst verweigerte der große Zar die Entgegennahme der Adresse der Volks vertreter und ließ erklären, sein Premier minister werde demnächst die Antwort in der Reichsduma geben. Dieser Ausweg ist echt russisch. Man kennt die Adresse nur aus dem Parlamentsberichten, aber man entschließt sich, sie vom Regierungstisch aus zu beantworten. Warum auch nicht! Oder hat vielleicht das russische Volk im Ernst geglaubt, daß es ver möge der Reichsduma irgend welchen Einfluß auf die Gesetzgebung erlangen könne. In seinem Widerstande wird aber Väterchen noch bestärkt durch die Offiziere der Garderegimenter die sich gegen die Reichsduma zum Schutze des Selbstherrschertums verschworen haben Es wird die Welt nicht wunder nehmen, wenn eines Tages inmitten der gereizten Volk»-. Vertreter ein starkes Truppenaufgebot erscheint, die Hauptnögler verhaftet und die anderen einfach nach Hause schickt. Der Zar kann sich das — nach TrepowS Meinung — erlauben; denn er hat ja keine Verfassung beschworen. Das junge Parlament benimmt sich zur Zeit diesen Machenschaften gegenüber noch muster haft, aber die Entwicklung der Dinge ist nicht abzusehen, wenn der Wortbruch der Regierung zur Gewohnheit wird. — Aengstliche Ge müter in England haben sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob die angekündigtr Abrüstung schon jetzt in ^die Wege geleitet werden sollte, ihnen wurde vom Regierungstisch im Unterhaus eine überaus beruhigende Antwort: „Die nationale Verteidigung und d;e Erhaltung der Weltmachtstellung Englands seien dem Kabinett selbstverständlich geheiligte Pflicht." Da übrigens der Marineminister Thompson trotz seiner an fänglichen Begeisterung für die Abrüstung sich in der französischen Kammer in ähnlichem Sinne ausgesprochen hat, so wird die Welt wohl bald dahinter kommen, welchen lieblichen Maienscherz John Bulls sie einen Tag lang ernst genommen hat. — Die Mächte, die sich in den Frühlingstagen 1906 in Algeciras den Kopf über Marokko zerbrochen haben, können auf ihr dort geschaffenes Werk nur mit ge mischten Gefühlen sehen. Während nämlich in Marokko die Polizeitruppe ausgebildet wird und im Augenblick, da sich der schweizerische Inspektor dieser Truppe anschickt, auf Posten zu gehen, kommen aus dem Lande der neusten europäischen Schmerzen recht erbauliche Nach richten. Die Riffpiraten, seit Jahrhunderten bekämpft und 150 Jahren engerisch von Amerika geschlagen, treiben in den marokkanischen Gewässern mit nennenswertem Erfolge und mit staunenswertem Eifer ihr dunkles Geschäft. Französische, englische unv amerikanische Handels schiffe werden ihrer Ladung beraubt, Mann schaften zu Gefangenen gemacht und Schiffe sogar versenkt. Der Sultan weiß und merkt natürlich nichts — und mit Recht. Seitdem Europa seine Geschäfte übernommen hat, kann er mit seinem Schicksal ganz zufrieden sein. Er ist wie der Großsultan in der Türkei ein milder Herrscher, der seine Landeskinder gern gewähren läßt, wenn's, auf Kosten andrer geschieht