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k"' »Jane, du bist grausam!" ries er leidenschaftlich. „Das beabsichtige ich nicht zu sein, glaube mir, Herbert. Ich meine es nur gut mit dir, und aus diesem Grunde will ich nicht sprechen, sondern singen." „üove not! üove not! IRo tbinZ zwu lovs maz? oban^s", begann sie mit ihrer klaren, süßen Stimme, durch welche ein leises Tremulo klang. Herbert unterbrach sie sofort. „O, nicht das — um aller Barmherzigkeit willen", rief er fast rauh. „Solche melancholischen Lieder dürfen nur frobe Menschen singen." Mit einer heftigen Bewegung schloß Jane den Flügel und stand auf; bevor er sie daran hindern konnte, mar sie hinausgerauscht. Sie ging auf ihre Zimmer und blieb auch dort, wie Herbert sich überzeugte. Trotzdem lieb er sich nicht täuschen. Sie hatte einen Brief von John Norwood empfangen, das war zweifellos. Auf diesen Brief mußte etwas folgen — früher oder später — das war ebenso sicher. John Norwood hatte auf seiner Vergnügungsreise alles von Jane erhaltene Geld verausgabt — er brauchte neues, und wenn er es nicht bekam, würde es einen furcht baren Eklat geben. Lady Jane sab am nächsten Morgen schrecklich blaß und verstört aus. Herbert, der sofort ahnte, was das zu bedeuten hatte, schlüpfte gleich nach dem Frühstück in seinen Ulster, versah sich mit Zigarren und begab sich auf seinen Lauscherposten im Obstgarten. Er hatte nicht falsch gerechnet, denn kaum war eine Stunde vergangen, als Jane wieder durch jene Seitentür des Schlosses trat; diesmal in einen langen pelzgefütterten Mantel gehüllt, ein einfaches Hütchen mit dichtem Schleier tief in die Stirn gesetzt. In den letzten Tagen war es beinahe Winter ge worden; es hatte viel geregnet, und heute wehte ein rauher Wind, welcher die wenigen welken Blätter, die noch vereinzelt an den kahlen Asten der Bäume hängen geblieben waren, mit Heftigkeit entführte und sie so lange in der feuchten Luft umberwirbelte, bis sie irgendwo auf den nassen, schmutzigen Boden niederflatterten. Dis schlanke Gestalt im Pelzmantel schauerte leise zusammen; nichtsdestoweniger eilte sie schnellen Schrittes durch den Garten und schlug ohne Zögern den Weg nach dem Ladywald ein. Heute wagte es Herbert, ihr in ganz kurzer Entfernung zu folgen. Wenn sie ihn bemerkte, hätte er schlimmstenfalls als Grund angegeben, daß er es nicht für ratsam hielt, ein schutzloses Mädchen bei solchem Wetter allein gehen zu lassen, und da sie seine Begleitung wohl nicht akzeptiert haben würde, wenn er sie ihr an geboten, fo habe er es für seine Pflicht gehalten, ihr selbst gegen ihren Willen nahe zu bleiben. Doch Jane sah sich nicht um; sie betrat an derselben Stelle wie das erstemal das Gehölz und langte bald bei dem bewußten Schuppen an, in welchem sie sofort verschwand. Herbert näherte sich so dicht wie möglich der Hinter- wand der elenden Bretterhütte und — mochte Jane sich heute sicherer fühlen oder zu aufgebracht sein, um sich be herrschen zu können — kurz und gut, sie sprach so laut, daß Herbert imstande war, jedes Wort zu verstehen. In fünf Minuten wußte er ihr ganzes trauriges, jammer volles Geheimnis. Mehr bedurfte es nicht; jetzt konnte er handeln. Schnell eilte er nach dem Ausgange des Wäldchens, wo er die Rückkehr seiner Cousine erwartete. Bald ließ sich leises Rascheln in dem Unterholz vernehmen, und in der nächsten Minute tauchte Janes bleiches Gesicht zwischen den dunklen Bäumen auf. Als sie ihren Vetter erblickte, fuhr sie mit einem Ausruf des Schreckens zurück; Herbert trat jedoch schnell auf sie zu, ergriff ihre Hand und zog sie durch seinen Arm. „Meine arme Jane", flüsterte er innig, „warum wolltest du dein Geheimnis allein tragen, wo du doch wußtest, daß ich bir so gern jede Last erleichtert hätte?" „Du weißt alles?" stieb sie angstvoll und doch mit einem Seufzer der Erleichterung hervor. „Ja, mein Herz. Um deinetwillen spielte ich die mir sonst so verächtliche Rolle des Spions; in diesem Falle huldigte ich dem Grundsatz: der Zweck heiligt das Mittel.. Und weißt du, was du jetzt zu tun hast, Jave?^ .. . „Nein", erwiderte sie, mit sehnsüchtiger Spannung in seine Augen blickend. „Du mußt mich auf der Stelle heiraten und mir somit das Recht geben, dich gegen jenen brutalen Menschen zn schützen. Wenn er erfährt, daß er es mit mir zu tun bekommt, anstatt mit einem schwachen, furchtsamen Mädchen, dann wird er bald genug einen anderen Ton anschlagen." „Aber Herbert, du kannst mich jetzt doch nicht heiraten!" „Gib du mir nur die Gelegenheit dazu, an meinem Können soll's nicht fehlen." „Es ist unmöglich. Ich kann es nicht zulassen, daß du nur solch ein Opfer bringst." „Das zu beurteilen überlasse gefälligst mir", ent gegnete er mit fester Stimme. „Du liebst mich, Jane, nicht wahr? — Nun, das genügt; ich bin von nun an dein natürlicher Beschützer. Um dich aber ein für allemal aus den Händen jenes Schurken zu befreien, ist es un bedingt notwendig, daß du mein Weib bist. Wir heiraten also in der nächsten Woche." „In der nächsten Woche?" wiederholte Jane in un gläubigem Staunen. „Ja, das ist durchaus nicht zu früh. Wir können uns in aller Stille trauen lassen und sofort nach Italien abreisen. Ich bin sicher, daß dein Vater nichts dagegen haben wird, er Mit täglich mehr, wie sich das heran nahende Alter bemerkbar macht, und die Sorge um dich verursacht ihm groben Kummer." „Aber Herbert, du vergißt, daß er unsere Heirat nicht mehr wünschen wird, wenn er alles erfahren hat", sagte Jane, die Augen zu Boden geschlagen. „Mein Kind, ist es denn nötig, daß er alles erfährt? Es würde sein Tod sein." „Ach, das fürchte ich ja auch, sonst hätte ich ihm längst mein Herz ausgeschüttet", flüsterte Jane erbebend. „Was würde aber damit gewonnen sein?" meinte Herbert nachdenklich. „Diese Sache betrifft ja nur dich und mich. Dein Vater ist wirklich nicht mehr kräftig genug, um so etwas zu überwinden. Lassen wir ihn seine letzten Tage in Ruhe und Frieden verleben. Nein — ec darf es auf keinen Fall erfahren, hörst du, Jane? — Du solltest es zwar nicht wissen, aber ich muß es dir jetzt sagen: dein Vater leidet an Herzschwäche — ein grober Schreck könnte ihm sehr schaden. — Also, mein Herz, Mr behalten unser Geheimnis für uns. Wenn wir beide an der Last gemeinsam tragen, wird sie uns nicht zu schwer werden." „Bist du dessen so sicher?" fragte Jane schwer seufzend. „Ach, ich habe so furchtbar daran zu tragen gehabt, daß ich manchmal glaubte, zusammenbrechen zu müssen. Wenn man nur John Norwood zum Schweigen bringen könnte!" „Mache dir keine Sorgen, mein Lieb; ich werde schon einen Ausweg finden, ihn zufrieden zu stellen und ihm gleichzeitig den Mund zu schließen.. Wenn ich nur früher alles gewußt hätte — dir wäre viel Kummer erspart ge blieben." „Ach, ich wagte es dir nicht zu sagen, Herbert!" (Fortsetzung folgt.) . Oer 8ckrecken einer ^ackt. Von Karl Lorensen. - ' (Nachdruck verboten.) Plötzlich wurde Friedrich totenblaß, und die Zeitung entfiel fast seinen zitternden Händen. „Was ist dir? Was hast du?" „Ich", stammelte er, „ich hielt das Ganze für Unsinn, für einen sonderbaren phantastischen Traum. Jetzt aber, — gräßlich! Jetzt weiß ich, daß es Wirklichkeit war. Ent setzliche Wirklichkeit! Doch höre. Ich will dir mein schreckliches Abenteuer erzählen, so gut es eben möglich ist, Grauen und Todesangst in Worten wiederzugeben. Vor wenigen Tagen hatte ich in P . . stadt zu tun. Ich wollte vor Abend wieder fort sein. Wie's aber schon so kommt, ein Kunde hielt mich so lange auf, daß ich den letzten Zug versäumte und im Orte übernachten mußte. Ver drießlich ginaich in das einzige mHändigLKotek, daS der Ort haf, uno^ab schor, einen lanxweMenNbend und »in gekommen war. 'M UMMA WWW V Liebe und Hochachtung können durch kein , s Gesetz erzwungen, sie müssen erworben ^werden. Zschokke. kommen, da ich wieder von meinem Wahne besessen bin, dem ich unwiderstehlich folgen muß. Fürchten Sie nichts. Es soll nicht Ihr Leben kosten. Lassen Sie mich gewähren. Hindern Sie mich aber an meinem Werk oder schreien Sie, so schieße ich Ihnen erbarmungslos eine Kugel durch den Kopf." Grauen und Entsetzen lähmten mich. Widerstandslos ergab ich mich. Ich war in der Gewalt dieses Wenschen seelisch und körperlich, und stumpf fügte ich mich meinem Schicksal. Nun begann der Wahnsinnige sein Werk an mir. Mit unheimlicher Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Zuerst fesselte er mich. Dann riß er das Fenster auf, hob mich mit übermenschlicher Gemalt empor, hinauf auf das Fensterbrett, knotete einen Strick an meine Fesseln, stieß mich zum Fenster hinaus und ließ mich, den Strick in seinen Händen haltend, mit höhnischem Lachen wie einen Sack abwärts gleiten. Langsam sank ich tiefer und tiefer. Mein Zimmer lag im zweiten Stock. Das Hotel grenzte mit der Hinterfront an einen Bach. Ich hörte ibn unter mir rauschen. Jetzt fühle ich, wie das eisigkalte Wasser meine gefesselten Arme und Beine bespülte, immer tiefer sank ich, ich keuchte, nun hatte ich keine Luft mehr — ich war versenkt bis auf den Grund des Baches und wurde von dem reißenden Gefälle nach abwärts geschleppt. Eine Ohnmacht umfing mich. Was weiter mit mir geschah, das weiß ich nicht. Am Morgen weckte mich der Hoteldiener zur fest gesetzten Stunde. Er erzählte mir, er hätte eine Viertel stunde an mir herumrütteln müssen, so fest wäre mein Schlaf gewesen. Ich erhob mich, betastete mich. War das Vorkommnis der Nacht Traum oder Wirklichkeit gewesen? Bettdecke und Kopfkissen waren feucht. Meine Nachtwäsche war von Feuchtigkeit getränkt. Aber es konnte ja ebenso gut ein heftiger Nachtschweiß gewesen sein. Ich hatte mir ja schon während der Reste eine ziemlich heftige Er kältung geholt und am Abend einen Grog nach dem anderen getrunken. Ich zog mich schnell an und ging in den Hotelsaal hinab, um zu frühstücken. Da saß schon der Irrenarzt in tadelloser Toilette. Er begrüßte mich freundlich, reichte mir lächelnd die Hand und meinte: „Na, Sie haben gestern wacker getrunken! Man sieht es Ihnen an; Sie haben wohl einen tüchtigen Katzenjammer?" Ich bejahte mit erzwungenem Lächeln und sah mir den Mann immer wieder an. Dann sagte ich mir: „Unsinn. Dieser ruhige besonnene Mensch, der so glänzend zu er zählen versteht, kann kein Geisteskranker sein. Es ist nun klar. All' die Schrecknisse der Nacht hat dir ein Traum vorgegaukelt." — „Nun, und was weiter?" fragte ich Friedrich, der plötzlich inne hielt. „In Erinnerung dieses läppischen Traumes wurdest du vorhin so totenblaß?" Friedrich reichte mir die Zeitung, und ich las folgende Notiz: „Vorgestern wurde in einem Hotel in P . . stadt ein fchwer Geisteskranker festgenommen, der vor etwa zwei Wochen aus der Irrenanstalt in Sternberg aus georochen ist. Der Kranke, der sich in P . . stadt als Irrenarzt ausgab und einen durchaus intelligenten Ein druck machte, war in der Nacht in eines der Hotelzimmer gedrungen, überfiel dort einen Passagier und brachte ihm mit einem Taschenmesser erhebliche Verwundungen an Armen und Beinen bei. Glücklicherweise vernahm das Hotelpersonal die Hilferufe des überfallenen, und es gelang, den Passagier noch rechtzeitig aus den Händen des Wahnsinnigen zu befreien, der sicherlich sein Opfer zu Tode gefoltert hätte. Bevor man jedoch den Kranken fesseln konnte, zog er einen Revolver und gab mehrere Schüsse auf das Hotelpersonal ab. Ein Hoteldiener wurde nicht unerheblich am Beim verwundet." Nun verstand ich, warum Friedrich so blaß geworden war. Sein phantastisches Nachtabenteuer war also doch nicht Traum, sondern schreckliche Wirklichkeit gewesen. Und er konnte Gott danken, daß er mit dem Lebe« davon schlechteS Abendessen vor mir. Aber in beiden hatte ich mich geirrt. Die Gesellschaft in dem kleinen Speisesaal — drei Herren und zwei Damen — war unterhaltend und daS Esten sogar vorzüglich. Das Gespräch kam sehr schnell in flotten Gang. Schließlich wendete sich die Unterhaltung gewissen Geschehnissen zu, bei denen die Frage: geistig normal oder nicht? eine Rolle spielt. Besonders interessant wurde daS Thema noch dadurch, daß wir einen Herrn in unserer kleinen Gesellschaft hatten, der sich als Irrenarzt vorstellte und außer scheinbar hervorragender Sachkenntnis eine hervorragende Darstellungsgabe besaß. Er schilderte eine Unzahl von Fällen, die ihm aus seiner Praxis be kannt waren; von Kranken, die gutmütig waren, von anderen, die sich bösartig zeigten, gab er Anekdoten und Vorkommnisse zum besten, und wir alle horchten gespannt zu, oft zu schallendem Gelächter hingerissen, oft mit Gruseln erfüllt. Schließlich, als interessierte ihn diese Spezies be sonders, erzählte er mit einer fanatischen, suggestiven Bered samkeit von einem Geisteskranken, der von dem furchtbaren Wahn besessen war, andere mit einer wahrhaft satanischen Grausamkeit langsam zu Tode zu quälen. Vevor dieser Kranke in das Irrenhaus gebracht worden sei, habe er seinen eigenen Bruder nachts überfallen, gefesselt und ge knebelt und über einer brennenden Kerze Glied für Glied geröstet. Im übrigen aber wäre dieser Geisteskranke völlig normal erschienen, ja, er habe sogar eine außerordentliche Intelligenz und Willenskraft besessen — doch nur bis zu dem Augenblick, da ihn der unabweisbar blinde Trieb zur Grausamkeit überwältigt habe. Ich weiß nicht warum; schließlich erfaßte die ganze Gesellschaft ein Unbehagen. Niedergedrückt, abgespannt gingen wir ziemlich zeitig zu Bett. Da ich einen sehr tiefen Schlaf habe und besonders, in frühen Morgenstunden durch Klopfen sehr schwer zum Aufwachen zu bringen bin, habe ich von jeher die Ge wohnheit, meine Zimmertür weder zu versperren noch zu verriegeln. Ich beauftragte den Hoteldiener, zur be stimmten Zeit an mein Bett zu kommen und mich auf- zurüttetn. Lange konnte ich an jenem Abend nicht einschlafen. Weiß der Teufel warum! Die Geschichten des Irren arztes gingen mir eben nicht aus dem Kopf, und dabei sah ich diesen Menschen mit seinen leuchtenden Augen und lebendigen, fast wilden Gesten im Geiste fortwährend vor mir. Endlich schlief ich ein. Doch mein Schlaf war ein drückender Halbschlummer, in dem mich die wirrsten Bilder plagten. Ich hörte Irre in der Zwangsjacke stöhnen. Ich sah, wie sich einer mit Hohnlachen selber die Hand ab hackte. Verzerrte Gesichter umtanzten mein Bett. Kurz, es mar, als wäre mein Hirn besessen gewesen von den Geschichten des Irrenarztes. Plötzlich schien es mir, als würde meine Zimmertür geöffnet. Ich erhob mich halb. Dunkle Nacht; also konnte es noch nicht der Hoteldiener sein, der mich wecken sollte. Ich versuchte, das Dunkel zu durchdringen. Aber nichts konnte ich sehen. Entweder war es wirklich stock finster in der Stube, oder meine Augen waren von der Müdigkeit halb gelähmt. Nach einigen Augenblicken ver nahm ich Schritte. Sie kamen näher, bis an mein Bett. Hände tasteten herum auf dem Nachtkästchen. Ich wollte aufspringen, da blitzte ein Streichholz auf, die Kerze wurde angezündet, und vor mir stand der Irrenarzt und lächelte. Ich war starr vor Erstaunen. Bevor ich aber noch eine Frage an ihn richten konnte, beugte er sich über mich und raunte mir zu: „Ruhig, mein Herr, erschrecken Sie nicht. Ich bin nicht der Irrenarzt, für den ich mich ausgab. Ich selber bin der Geisteskranke mit dem unwiderstehlichen Trieb zur Grausamkeit; jener Geisteskranke, der seinen eigenen Bruder zu Tode gefoltert hat." Du kannst dir denken, daß mich diese Erklärung nicht sonderlich erfreute. Ich beherrschte mich jedoch und er widerte nur: „Mein Herr, das hätten Sie mir auch morgen früh erzählen können!" Dann wollte ich mich erheben. Der Mann aber drückte mich mit eiserner Gewalt in die Kissen zurück. Ein Revolver olitzte plötzlich in seiner Hand, und er rief mir zu: „Hüten Sie sich, mir Wider stand entgegenzusetzen oder um Hilfe zu rufen!" — „Ja, was wollen Sie denn von mir?" stammelte ich. — „Ängstigen will ich Sie. Qualen sollen Sie durch mich erdulden", kreischt? er mir ins Ohr. „Die Leit ist es-