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Der I^ola-Krunnen. Ein Sommerroman von August Marck. (Fortjezung.) S tark gehustet — eigentlich, oder un eigentlich — bitte deutlicher," bat Wegmeister. „So wars" — Die meisten hör ten zn, während Frau Goldam ¬ mer sprach. — „Sie gingen alle drei am Morgen bis zu einer Bank auf der Espla nade, dicht unter unserm Ballon, saßen da längere Zeit und unterhielten sich ziemlich laut. Der Papa ist Wohl schwerhörig —" „Nicht etwa über intime Familien sachen, dann wären wir davon gegangen," ergänzte die Gesellschafterin. „Nein, meine Freundin hat recht. Und doch wieder über sehr Intimes mit einer Feinfühligkeit, meine Herren, wie sie nur aus reinem Herzen kommt —. Und wie Vater und Tochter sich stehen! Bei jungen Mädchen ist dies Zart-Innerliche trotz man cherlei noch heute öfter zu finden, wenn aber ein älterer Mann, bei der Dürre seiner Arbeit — wie ich höre sogar bureaukratischen Arbeit — sich so ausfreuen kann über einen hüpfenden Buchfinken, oder einige Glocken blümchen, so rührt mich das. Ich gönn' es diesen seltenen Leuten, und ich könnte sie beinahe —" „Beinahe beneiden?" fragte Wegmeister mit Ungeduld im Ton. „Nein, das nicht, aber," sie schluckte her unter, was ihr noch aus der Zunge schwebte. „Man selbst fordert so viel mehr, man ist so anders. Wir sahen doch in Mittel-Amerika vom Dampfer aus in den Uferwäldern Hunderte von buntfarbigen Fittichen, Liz zie, was sagten wir dazu?" „Wenn ich mich richtig erinnere, Madame, , so erregten wir uns darüber sehr wenig." Bei den Herren mußten vielfach die Schnurrbärte herhalten, während die junge Frau sich äußerte. Bei den ganz unreifen brachte ein Gespräch, das so altfränkisch war, von einfachen Gefühlen zu handeln, eine gewisse Verlegenheit hervor, die man am besten hiMntertrank oder kichernd ver steckte. Der Badedirektor wiederholte. „Buch fink, Glockenblumen", um es sich einzuprä gen. Im Grunde verärgert über diese Süßlichkeit strich der Direktor sich die Wein tropfen aus dem Bart, warf die zerdrückte Serviette hin und sprang eilends auf. „Den Finkenfreund bring' ich Ihnen." „Um Himmelswillen, auf die Art geht cs nicht;" Frau Goldammerwolltc ihn zucllck- halten. „Einige Personalien hab' ich nun ja. Ich bitte Sie, ich bin doch keine Fürst lichkeit, die Cercle abhält und diesem oder jenen zu sich beordert. Mal durch Zufall —" „Was, warten Sie etwa auf den? Da kann man lange lauern," wandte er ein und kehrte ihr auf halbem Wege das stark- zügige Gesicht nochmals zu. „Ich werd's schon machen." . Und richtig! Bald bahnte er sich einen Weg durch die Menge, an jedem Arm eine der Liederschen Damen. Der Herr Geheim rat folgte. Wie er die Familie zu der etwas gewalttätigen Vorstellung bewog, bleibt schleierhaft, doch gemacht wurde sie. Die Gewandtheit von Frau Marguerite half über jede Verlegenheitspause fort. Der Badedirektor konnte seiner Leidenschaft be kannt zu machen im Großen nachgeben: die Damen setzten sich zusammen, der Geheimrat nehm seine Tochter, so daß Frau Goldam mer sein angenehmes Gesicht gegenüber hatte. Es verlor ein wenig durch den lee- reu Ausdruck der Augen. Die Ohrmuschel durfte er sich in Gesellschaft auch nicht hal ten. Seine Frau packte der neuen Bekannten in diesem Falle nicht Familienglück, son dern — Unglück aus. „Ihr Unglück mit der Taubheit des Mannes; „ihr" Unglück mit Lolas Zustand, der im Laufe der Jahre so schlimm wurde. Vergebens strebte Mar guerite dem Gespräch durch Hinzuziehen der Tochter eine objektive Färbung zu geben. Das kleine Intermezzo mit dem Be- lauschen der Finkengeschichte brachte Lola dem Papa aber doch bei. Er lächelte sehr verbindlich und pries die Schönheit des klei nen Sängers nochmals mit aller Beobach tungstreue. Die Gattin warf eine böse Bemerkung dazwischen von „lächerlich machen". Sie veranlaßte ihn, Lola ängst- -lich zu fragen: „Meinte Mama etwas?" worauf seine Tochter ihn beruhigte. „Sie sagt: solche Tierchen sind wirklich sehr niedlich." Jetzt endlich ging die Rät'n auf Allge meinheiten ein. Miß trommelte „6oä savs tbo tzuoeu" auf dein Tisch, und wenn Augen wie Hände Freimaurer-Zeichen aus tauschen können, taten es die von Lola und Marguerite. Weitere Tanzaufforderungen lehnte Fräu lein von Lieders ab; die Bleischwere ihrer Glieder warnte sie davor. Und die Paare Wirbelten weiter, sonst blasse Gesichter wur den wie geschminkt, Anämische schien es an dem Abend kaum in Hassental zu geben. Aber der schnöde verlassene Kreis konnte Beobachtungen anstellen. Wie die fremde exzentrische Frau — eine Bekannte Weg meisters von früher — Lieders entgegen kam. Die. suchte gewaltsam Anknüpfung, des' Titels wegen. Sie warf sich förmlich auf. Wer wußte was von ihr? Keiner? Aha, dort balanzierte Stürmer ein Tablett mit Limonade über den Häuptern der tan- zcnden Paare. „Herr Ober, Herr Ober", flüsterte die Frau Rechtsanwalt, „wer ist denn die graue Dame bei Geheimrats?" „Mon Nepos, Witwe, sehr vermögend," gab er kund und entschlüpfte. „Aha, hm, hm." Gekräuselte, gepuffte, gewellte Häupter steckten sich zusammen. Gewagte, sehr gewagte Möglichkeiten wur den geäußert. Gerade dieser Punkt hätte noch mehr auf geregt, wenn Fräulein Lisbeth nicht in zwischen ihren Kavalier fand in Doktor Rit ter. Mit dem Heiratsantrag an Lolachen stimmte es doch wohl nicht. „Ec kommt Lisbethel beinahe zu ausfallend näher," seufzte ihre Mutter. Das schlaue Ding wußte den Schüch ternen — von dem Mützelstein sagte, „er tanzt wie ein tollgewordenes Heupferd" — sehr zu nehmen. Was machte Baldur? Sie schwärmte sür so große Hunde. Und er hatte Wohl sehr viel zu tun? Besonders mit Kindern? Nun, das war eine Empfeh lung für ihn. Liebe zu Tieren und Kin dern, verriet ein gutes Herz. So kamen sie in der Tat ein hübsches Endchen vorwärts. Als es ein Uhr schlug, gab der Chefarzt,, der sich als stiller Zuschauer in eine Ecke verkroch, das Zeichen zum Aufbruch. Man war schließlich nicht in Hassental, um da die ungesunde Angewohnheit später Stunden fortzusetzen. Wegmeister, der längere Zeit im Hintergründe mit Berliner Börsianern angelegentlich sprach, wollte dagegen an, wurde jedoch überstimmt. Die Teilnehmer rüsteten zum gehen. Am Ausgang saßte Mützelstein Posten neben einem Tisch, auf dem die vom Generaldirek tor gestifteten wundervollen Sträuße la gen. Seinen Händedruck veränderte er bei den verschiedenen Damen, sagen tat er je der dasselbe. „Zum mitnehmen. Die Ro sen der Schönsten." Das Publikum nannte das Fest gelun gen, und lobte Arnold Wegmeister aus allen Tonarten, weil er auch dabei die treibende Kraft war. Ein hohler Wind trieb gegen Morgen Wolken zusammen. Als Brösicke — er sühlte sich gegen die Militär-Konkurrenz zurückge setzt — die gewohnte Anfangs-Hymne in tonierte mit „Ach wie flüchtig, ach wie nich tig sind die Dinge dieser Welt," fielen erste schwere Tropfen auf die vielzackigen Blät ter der Riesenkastanien vor dem Kurhause. Auch auf Lolas Fensterbrett machte es dripp, dripp, dripp. Ein Geräusch, in das durch die Monotonie sich Wehmut mischte. Für die Gemütsverfassung paßte es. Bei achtzehn Jahren hat oft Melancholie etwas Süßes, und ihr kam es durch den Vater, wenn sie annahm: die Natur tut mit bei all' unsern Freuden und Leiden. Das Dripp, Dripp, Dripp klang auch nicht nur trübselig. Mit jungem, bei ihr recht verschämten Enthusiasmus dachte sie an Frau Goldammer; die lud freundlich ein, sie bald zu besuchen. Der Regen in Hassental war beharrlich. Die ersten breiten Tropfen machten bald einem sanfteren Fall Platz, der mit zähem Gleichmut die sommerliche Erde umspülte, durchrieselte, erweichte und dem man den Namen Landregen gibt. Zahllose Gerinn sel liefen aus den Wäldern herab und ver einigten sich auf den Promenadenwegcn zu Pfützen. Phantastisch geformt hing näs sender Höhenrauch über den Bergen. Dampfende Nebelschwaden bevölkerten Wie sen und Gelände mit wunderlichen, wech- selnden Gebilden. Der Wind triefte; wer sich im Uebermut dennoch hineinwagte, ge riet unter eine Naturdousche. So suchte denn die Damenwelt imprägnierte Mäntel und Galoschen hervor, um aus dieser unbe grenzten Feuchtigkeit wenigstens in die be grenzte ihrer Badewannen gelangen zu können. Die Bibliothek des Ortes mußte einen wahren Ansturm aushalten, und lange ver nachlässigte Stickereien gediehen zur Voll endung. In die dumpfen Hotel-Zimmer kamen Gäste. Man. besuchte sich gegen seitig zum Kaffee; größere Parteien scharten sich im mäßig großen Kurhaus- salon zusammen — so Antonie von Lie ders und ihr Anschluß. Auch im Lese zimmer versuchten manche durch Lektüre das graue Elend der Tage zu überwinden. Lola von Lieders war darunter. Lis beth Speier hatte ihr keckes Näschen in Nummer fünfzehn hincingesteckt. „Hier lasse ich Sie nicht," ries sie, die stockige Lust des Raumes aufzichcnd, „hier ist es mäch tig ungesund, hier wachsen Pilze." Lisbeth war seit kurzem sehr auf Hygiene aus. . . . „Und ich glaube, Sie selbst begießen diese abscheulichen Schmarotzer auch noch. Stür- zen wir uns unten auf Journale." Dabei musterte sie die rotumränderten Augen ihrer neuen Freundin. Die stritt unberechtigter Weise Tränen ab und folgte widerstrebend. Ja, sie weinte. Frau Antonie überschüttete sie seit dem Fest