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Minuten erkannt habe, wie ick, dich liebe — wie tief, daS kann ich nicht einmal aussprechen. Noch ist es, als ob es mir an Worten fehlte, so neu, so unfaßbar, so tief wurzelt es in mir, meine süße, teure Iris!" »Du bedenkst nicht, daß jedes Wort mich trifft, weil ich nur selbst am meisten vorzuwerfen habe. Alles zu sammen habe ich verschuldet, ich allein!" Sie konnte kaum die Worte hervorstoßen. .Das war immer, noch bis vor wenigen Minuten mein steter Gedanke. Ich bin, ich will nicht sagen, für diesen Gedanken gestraft, weil ich um alles diese Augen blicke nicht missen möchte; aber nun habe ich eine ganz andere Ansicht davon. Frage die Liebe, wohin sie geht?" .Du liebst mich also — gegen deinen Willen!" sagte sie, mit dem Kopf an seiner Brust — so süß, so rührend erschien ihm das alles, daß alle seine Gedanken dabei stehen blieben. .Ich glaube fast, daß du recht hast — unbewußt habe ich dagegen gestritten; ich halte es für unmöglich, daß ein so mächtiges Gefühl, wie es mich jetzt beherrscht, m kurzen Augenblicken Hervorbrechen kann! — Iris! sieh mich an — kannst du nicht aus allen meinen Zügen lesen, wie sehr ich dich liebe!" Es entstand Unruhe in dem großen Haus. .Besuche meine Mutter — kannst du? Dort können wir allein zusammen sprechen." .Ich bin noch nicht ausgegangen — aber morgen." .Ja, morgen! — Lebe wohl bis dahin, geliebte Freundin!" O, sich trennen zu müssen. Frau Hilmar wartete und wartete und begriff nicht, wo Sophus blieb. — Wenn auch ihm etwas zugestoben wäre! Sie sah vergrämt aus. — Die letzten acht Tage hatten sie mehr angegriffen als die vergangenen acht Jahre. Aber sie war gefaßt, wie es ein Mensch sein kann, der alles in Gottes Hand legt. Vielleicht lag auf dem Grund ihres Herzens der beste menschliche Trost, den sie finden konnte, daß sie doch noch Sophus bei sich hatte. Gut, daß er hier im Land ein Amt gefunden, so blieb er doch daheim. Das war Trost im Leid. — Endlich kam er. Auf den ersten Blick sah sie, daß etwas mit ihm oor- gegangen war. Aber sie konnte nicht erkennen, ob es Freude oder Trauer war; die Symptome wiesen auf beide hin. .Was ist geschehen, lieber Sophus?" fragte sie mit geheimer Angst. .Ja, Mutter, du darfst nicht bange, allzu bange werden!" .Aber, mein Gott, was ist es denn? Sage es gleich heraus. Du weißt, alle unnötige Spannung ist mir zu wider!" — „Nun ja, liebe Mutter! — Ich komme vom Ministerium " .Ich meinte, du kämest von Iris!" fiel sie ein. .Das tue ich auch. Aber ich beginne mit dem letztern. Ich habe auf das mir hier daheim zugedachte Amt ver zichtet und kehre morgen wieder zu meinem alten in Amerika zurück. Der letzte Termin ist da; aber ich konime noch gerade recht, bevor die letzte Frist ver strichen ist." Frau Hilmar schlug die Hände zusammen: .Sophus, was tust du! — Daß du das über dich bringen kannst!" Da sah sie eine Erscheinung, die ihr altes Herz wie in Todesangst zittern ließ. Ihr geliebter, vergötterter Sohn hatte sich, mit beiden Händen das Gesicht bedeckend, auf das Sofa geworfen, und an den Bewegungen der Brust und der Schultern sah sie, daß er — weinte. .Sophus!" schrie sie. .Was ist geschehen? Nicht alles läßt sich tragen. Du mußt sprechen; ich halte es nicht aus." Mit einem Satz stand er auf. Er umschlang den Hals seiner Mutter und legte seine Wange an die ihrige, wie damals, als er noch Kind war und recht vertraulich mit ihr sprechen wollte. .Mutter! — Ich liebe fiel" .Iris!" schrie sie. — „Ich dachte mir's, daß es so enden würde!" Dann streichelt? sie ihm beruhigend die Wange. „Und darum reise ich fort!" „Warum fort mit — ihr?" Sie verstand es nicht. „Nein, Mutter, ohne sie!" „Hat sie hat sie —". Frau Hilmar schnappte nach Luft, „auch meinen anderen Sohn zugrunde gerichtet! — dir einen Korb gegeben?" „Dann brauchte ich nicht zu reisen." Jetzt verstand sie auf einmal seinen Gedankengang. Er konnte nicht unter einem schmerzlichen Schatten leben. Und sie konnte den Gedanken, daß er unglücklich werden sollte, nicht aushalten. .Lieber Sophus! Selbst wenn Hermann sich wieder erholt, so ist doch Iris für ihn verloren — nach meiner Überzeugung hat sie immer dich und nur dich geliebt." „Das letztere weiß ich jetzt, und es macht mich glück lich; das erstere habe ich mir selber schon gesagt. Aber der Gedanke an das, was dahinter liegt, würde nie von mir vergessen werden, mich immer peinigen — und schließ lich seinen Schatten zwischen mich und Iris werfen. Ich habe auch daran denken müssen, ob sich die Sache für mich anders gestalten würde, wenn ich nicht Geistlicher wäre. Jetzt nicht. — Ich würde nicht mehr Entsagung predigen können, ohne einen Stich dabei zu fühlen; es gibt Menschen genug, die das nicht beachten; aber ein Pastor darf nicht direkt "gegen dasjenige handeln, was er anderen einprägt, und nie mehr, das weiß ich sicher, würde ich Achtung vor mir selber fühlen, wenn ich nur nach meinem eigenen Glück suchte. Wenn ich jetzt aufbreche — und noch kann ich es — ja, noch! — so werde ich mich nicht selber preisgeben " „Man kann es mit sich selber auch zu genau nehmen, liebes Kind! — Viele Menschen würden deine Handlungs weise nicht einmal verstehen, geschweige billigen, und vergiß nicht, daß du das Lebensglück eines andern — das Lebens glück der armen Iris — zerstörst." „Versuche mich nicht, Mutter! du weißt nicht, was es mich kostet, nachzugeben; aber ich kann nicht anders. Ich kenne mich selber und weiß, daß ich als das Gegenteil meines eigenen Jchs leben müßte; könnte ich da Iris wohl etwas bieten? Aber ich werde sie lieben bis zu meinem Tod — und nun verstehe ich, was Hermann gelitten haben muß. Es ist unmöglich, sie zu vergessen!" „Was sagt Iris selbst dazu?" fragte Frau Hilmar. — „Noch weiß sie es nicht. Ich schreibe einen Brief, den sie nach meiner Abreise erhält." „Du solltest es ihr wenigstens sagen, nicht schreiben. Was ist ein Brief für einen solchen Anlaß? Es könnte sie töten, Sophus; ich kenne dich nicht in dieser Sache!" .Du solltest mich kennen, liebe Mutter, gerade hier; du, die weiß, daß es im gleichen Augenblick, in dem ich mit meinem Glauben und meiner Überzeugung in Konflikt käme, mit mir vorbei wäre." Frau Hilmars Haubenbänder, vorher in heftiger Be wegung, beruhigten sich wieder. Er batte recht. Nur sie allein kannte völlig seine Liebe dafür, auf geradem Weg zu wandeln. Ihres eigenen, ungeheuren Verlustes erwähnte sie mit keinem Wort. Am nächsten Morgen reichte er seiner Mutter beim Abschied einen Brief für Iris — ohne alle Vorbereitungen sollte er ihr übergeben werden. An Iris! Das Leid hat stärkere Bande als die Freude. Wir beide trennen uns nie mehr von einander. So lange ich atme, nahe oder fern, werde ich Dich lieben. Jeden Tag werde ich den Hauptinhalt aufzeichnen und jede Woche erhältst Du meinen Brief, so daß Du immer weißt, wie ich denke und lebe und wie mein Leben ver läuft. Keine Arbeit und keine Unterbrechung, ausgenommen Krankheit, soll mich daran verhindern. In diesem Augenblick drohte mir das Herz zu brechen über die Trennung von Dir; vielleicht erscheint es Dir als Feigheit, abzureisen, ohne Dir Lebewohl zu sagen. Ich tue es, um uns beide zu schonen, und ich will Dir keine. Fessel mehr auferlegen; Du sollst mir freiwillig geben, was Du geben willst. Du sollst nur wissen, daß ich nie auf- hören werde, Dich zu lieben. All das Beste in mir gehört Dir und immer nur Dir. Ich will zu ergründen suchen, wie weit zurück ich meine Liebe zu Dir verfolgen kann — unbewußt muß dieses Gefühl wohl schon lange in mir geschlummert haben, ehe ich darüber zur Klarheit kam Jeden kleinen Moment will ich durchgehen und die Fäden zusammenknüpfen, bis ich Gewißheit erlangt habe. Erinnerst Du Dich noch, wie wir das erstemal draußen im Tiergarten beisammen waren? Unsere Augen be gegneten sich in einem langen Blick — ich dachte mir, daß ich noch nie solche Augen gesehen hätte, wie die Deinigen, so dunkel und strahlend zugleich, und mir fiel der alte Spruch ein, daß stille Wasser tiefen Grund haben, und dieser Gedanke beschäftigte mich lange. Ich glaube, daß ich bei diesem Moment beginnen muß, trotzdem ich bestimmt weiß, daß ich Hermanns wegen Zorn gegen Dich fühlte, weil diese unerforschlichen Augen ihn an Dich gezaubert haben. Ja, ich weiß, daß ich so dachte, und ich gab mir redlich Mühe, um diese Empörung festzuhalten. Und immer war ich überzeugt, daß mir dies gelungen wäre, bis — ja, Du weißt, Iris, bis der Augenblick kam, wo ich mich ergeben mußte. Und denke an den Schmerz, den Hermann fühlen mußte, wenn seine Augen zu sehen wähnten, was sein Herz nicht tragen konnte. Und nicht wahr, meine liebe, geliebte Iris, Du verstehst, daß ich, nachdem ich ihm mein Versprechen und die Hand darauf gegeben habe, nicht meinem eigenen Glück leben kann und darf, oder besser, kein Glück auf dem meinem Bruder gebrochenen Ver sprechen aufbauen darf. Ob das Leben einmal eine Lösung diesem schmerz lichen und widerstreitenden Gefühle bringen wird, weiß ich nicht — jetzt kann ich es nicht glauben. Und Du wirst verstehen, daß ich mich nicht als geistiges Wrack Dir hingeben darf. Das würde eine zu grobe Last für Dich werden und ich würde, wie ich Dir schon gesagt habe, als Prediger in meinem Gottes verhältnis, in meinen Gefühlen, in allem, was mein eigenes Selbst bildet, gehemmt werden. Sobald ich mich ein wenig gefaßt habe, schreibe ich an Mutter. Ich weiß, daß sie mich vollkommen verstehen wird, sobald ihr erster Kummer über die Trennung sich gelegt hat. An jenem Tag, an dem Dein Vater begraben wurde, da wußte ich, ohne Deine Stimme je früher gehört zu haben, daß Du sangest. Mein Herz sagte es mir. Nun werde ich diese Stimme jederzeit wiedererkennen; diese milde, herrliche, so wehmütige Stimme! Jetzt nur ein kurzes Lebewohl, bis Du mehr von mir hörst, — wenn Du diese Zeilen liest, ziehe ich mit schmerz licher Seele und sehnsuchterfülltem Geist hinaus nach dem groben Meer; aber wir beide treten unter das Gebot der Liebe, von dem es heißt, daß es allen Verstand über trifft. Dein Sophus. Schön und glücklich in ihrem Trauergewande, war sie in Frau Hilmars Zimmer getreten. Er kam ihr nicht entgegen. Und die Art, wie seine Mutter sie begrüßte, machte ihre Wangen vor banger Ahnung erbleichen. Frau Hilmar reichte ihr den Brief, den sie zitternd aufriß. — Was mochte er doch enthalten? Frau Hilmar ließ sie in Ruhe. Stille, wie ihr Wesen war, las sie ihn, während grobe Tränen aus den Augen brachen und langsam die Wangen herabftofsen. Es war gleichsam ein Tauwetter aus dem kalten Herz ves Winters; aber aus einer vereinzelten Tränenflut wird kein Frühling geboren — da gehört mehr dazu —, und die Entsagungslitanei hat mannigfaltige Phasen in einem einzelnen Menschenleben. Iris erkannte, daß, wenn sie ihn nicht auf ewig ver lieren wollte, so mußte sie sich seinem Beschluß, an dem nichts zu ändem war, fügen. Sie verstand, daß der Seelenkampf, den er stritt, um zur Klarheit und zum Frieden mit sich selber zu gelangen, von ihm, so lies religiös, wie er war, ausgekämpft werden wollte. Und sie verstand, daß er auf Grund seines festen, männlichen Charakters nicht beeinflußt sein wollte. Noch weniger wollte er, geplagt von ewigen zu beständiger Selbstquälerei führenden Vorwürfen sich ihr hingeben. Im Lauf der Zeit hätte dies ihm wie ihr nur ein zweifelhaftes Glück bereiten können. Das hieß ihn verlieren. — Das hieß scheiden. Alles andere, nur nicht das! ! Ihr Blick fiel endlich auf Frau Hilmar, die ruhig und still dasaß, aber ihre Haltung, ihre Gestalt und ihr Gesicht zeigten einen so erhabenen Ausdruck von Traurig keit, Entsagung und — Gleichgewicht, daß Iris erkannte, was sie von dieser Mutter, bewußt und unbewußt, als Grundlage der Entwicklung, ja, der ganzen Lebens anschauung, die nun ihr eigen war, empfangen hatte. „Hier in diesem Heim habe ich in Wirklichkeit meine einzige Erziehung erhalten", sagte sie zu sich selber, „ja, meine einzige!" Sie faßte sich, ging hin und schlang die Arme um sie. „Es ist Entsagung — nicht Trennung! Es ist Prüfung — nicht Tod!" flüsterte sie ihr zu. „Nun ist mein Platz hier bei dir — ich darf wohl „du" sagen — und ich weiche nicht von hier. Hier will ich auf ihn warten, wenn er kommt — ein mal muß er kommen — ich fühle es." Ihr Kopf fiel auf Frau Hilmars Schulter; und — — Iris hatte seinen brennenden Wunsch erraten. — E n d e. — Me die kinäe^ lesen. Saht ihr einmal — wie freilich solltet ihr! Doch schade drum, denn hold und lustig ist es! wenn meine Kleine, siebzehn Monden alt, In Vaters Büchern oder Briefen liest? wie sie das Ving schon so verständig anfaßt, Den Zeilen emsig mit dem Finger folgt , Und ihren ganzen winzigen Wörtervorrat: Papa, Mama und Baba und Baubau Mit ungemeiner Wichtigkeit und mit Nicht mindrer Modulierung an den Mann bringt - (Venn wie natürlich, kennt sie noch kein Iota!) Und wir, die Litern — lach' uns aus, wer mag! - wir horchen wie aufs Evangelium Und sagen: „Ci, wie schön kann Eva lesen!" Vann blickt sie stolz und glücklich zu uns au Mir aber wird oft wunderlich dabei 3u Mut - und auf dem Bänkchen neben ihr Mein' ich ein ganzes großes Publikum 2n gleiches Lesewerk vertieft zu sehen: Gar alt und hochgelahrte Männer drunter (Kuch, daß es niemand übel nimmt, mich selbst, Obwohl ich eben keins von beiden bin) - Und halten tausend klein' und große Bücher, Nicht etwa Märchen und Romane nur, 2m Gegenteil! recht oollgewicht'ge Bänder Der Künste Buch wie das der Wissenschaft, ven dicken grauen Tröster „Weltgeschichte", Selbst jenes größte - schwer nur klappt sich'» aus! - Var aste, das Natur betitelt ist . - Und lesen ernst und laut einander vor Und leiten zeilenweis sich mit den Fingern, — Vie Größern nämttch — Kleinste hören zu, — Doch mancher, fürcht' ich, hält das Buch verkehr» Und K bis 3 steht lustig auf den Köpfen. ver große Vater aber, denk' ich mir. Sieht lächelnd nieder auf die kleine Welt Und streichelt manches kluge Lockenköpfchen. Kls spräch' er: „Wie das Kind schon lesen kann!" 2m Süllen aber sagt er: „warte nur, Nehm' ich dich erst aufs Knie, und lehre dich, Vann lernst du'« anders!" Hugo Freiherr von Blomberg.