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MchMatt für WM DeUage zu Nr. 87. Dienstag, äen 28. Juli 1914. Politische Runäsebau. veutscbes keicb. , * Zu der Nachricht von der beabsichtigten Einführung eines deutschen Zigarettenmonopols erklärt Unterstaats sekretär Jahn aus dem Reichsschatzamt: „DaS Reichs- Matzamt selbst besitzt keinen ausgearbeiteten Entwurf. Man weiß heute noch nicht, wann das Reich großer Mittel bedarf und ob es schon jetzt geneigt sein wird, dem Drangen von verschiedenen Seiten nachzugeben. Es läßt Ml. um so weniger etwas sagen, als der Finanzbedarf des Reiches für 1915 noch nicht festgestellt ist. Beim Zusammen- r t ar? Reichstags im Herbst wird sich voraussichtlich Aue Klärung der ganzen Frage ergeben. Irgendwelche Beschlusse liegen bisher nicht vor.' X Die aus italienischer Quelle stammenöen^NerÜchte von einer Abdankung des Fürsten werden von zu ständiger Quelle glatt dementiert. Der Fürst bleibt auf seinem Posten, gleichgültig was kommt, Die geplante Reise des Fürsten nach Valona ist vorläufig aufgeschoben worden. Der osterrerchlsch-ungarische Kreuzer „Sankt Georg* und der englische Kreuzer „Defence" haben ihre Ankerplätze für alle Falle naher an die Küste verlegt. " Kuncl um clie Mocke. Daß die Balkan-Angelegenheiten trotz eines zweimaligen Waffenganges noch lange nicht zur Ruhe gekommen sind, wußten wir längs. Auf der gefährlichen Halbinsel glaubt kein Mensch daran. Erst in dieser Woche haben wir es gesehen: die Türkei rüstet, Bulgarien rüstet. Von Rumänien und Griechenland hört man weniger, aber stille Wasser sind tief, das hat sich gerade an diesen beiden Mächten erst vor kurzem gezeigt. Albanien ist noch immer ein Herd des Wirrwarrs. Fürst Wilhelm will nicht abdanken, und die Rebellen sind offenbar nicht stark genug, um Durazzo zu stürmen. So bombardieren denn beide Teile die Großmächte mit Hilfe rufen, Geldgesuchen und „Apellen" an die Humanität, die Solidarität, die Autorität und sonst etwas. Man soll nicht prophezeien, aber man möchte meinen, daß es noch ein paar Wochen so weiter gehen wird. * Poii care ist zur rechten Zeit nach Petersburg ge- fahren. Wenn der französische Präsident und der russische Zar sich etwas anderes zu sagen hatten, als in den offiziellen Trinksprüchen laut wurde, so war die Gelegen- heit zu bindenden Abmachungen für die nächste Zukunft gerade die richtige. Natürlich wird nichts davon gesagt, was der Chef der Franzosen nach Niederlegung des silbernen Säbels am Grabe des Zar-Befreiers in seinem Portefeuille mit nach Hause nimmt. Vor allem wohl eine projektierte Anleihe. Amerika, du hast es besser. Der böse Huerta hat unter Umarmungen und Küssen sein Mexiko verlassen und ist abgedampft, wohin? Unbekannt, ist auch gleichgültig. Und sein Nachfolger ist nicht Carranza oder Villa oder sonst ein Räuberhauptmann geworden, sondern ein in den weitesten Kreisen unbekannter junger Mann namens Carbajal Was doch manche Leute für Glück haben. Dieser Carbajal war Advokat und wurde Abgeordneter. Vom Abgeordnetensesscl siedelte er, was ja in Mexiko nicht so schwer fällt, auf einen Ministerplatz über. Er hat wohl selbst nicht geglaubt, daß die Exzellenzherrlichkeit lange dauern würde. Aber nun dankte Huerta plötzlich ab, nach dem er sich lange genug gesträubt hatte, und es soll mexikanische Tradition sein (wer soll alle die „Traditionen" bei den alljährlichen Präsidentenwahlen der südamerika- Nischen Kreolenrepubliken kennen?), daß in solchem Falle der Minister des Auswärtigen provisorisch die Prästdenten- geschäfte übernimmt. Vielleicht bleibt er es. Wilson, der Herr von Washington, hat es doch nicht riskiert, die lateinische Nachbarrepublik zu verschlucken, es ist bet ein Paar Katzbalgereien in Tampico und Veracruz geblieben Möge der Mann, der so unerwartet auf den Thron von Mexiko geschneit ist, seinem Volke ein Retter werden! Europas 8cbickfalsftunäe. Krieg zwischen Österreich und Serbien, an- Meinend ein kleines Feuerchen, bas uns weltenfern, in Wirklichkeit ein Brand, der auch unser Haus bedroht, ja Fum Weltenbrande emporlodern kann. Österreich mit Serbien im Kriege, Serbien vielleicht im Rucken von dem ssEachtigen Bulgarien bedrängt, das bedingt eine Unterstützung von feiten Rußlands. Schon wird "'.Petersburg genau sv mit dem Sabel gerasselt m Wien und in dem Falle ruft uns die Bündnis- Pflicht an Österreichs Seite, Frankreich und vielleicht auch England Seite Rußlands. Dann haben wir den europäischen Krieg, einen Kampf aller gegen alle. Was bleibt noch ruhig: die skandinavischen Reiche, Holland, Belgien, Spanien, Portugal. Italien, wer weiß? Die Balkanstaaten gewiß nicht. Europa starrt in Waffen und Ströme Blutes tränken die Erde. Ein trübes, trauriges Zukunftsbild. Wo liegen die Wurzeln des Zerwürfnisses zwischen Österreich und Serbien? Es soll hier nicht von dem An laß zu dem jetzigen Zwist gesprochen werden. Er ist in grausigen Lettern «es in die Seele der ganzen zivilisierten Menschheit gegraben. Der Fürstenmord von Serajewo berschte schwere Sühne und das ge heime Einverständnis der leitenden serbischen Kreise mit der Verschwörers«» ist eine dauernde Bedrohung des großen Nachbarreiches. Aber auch Serbien glaubt Gründe zur Feindschaft gegen Österreich zu haben. Während die L-erben ihren groben nationalen Kampf gegen die Türkei ausfochten, stand Österreich die ganze Zeit Gewehr bei Fuß und in drohender Haltung im Rücken. Und dann Bosnien! Dies altserbische Land hat Österreich 1878 genommen, nach dem Orientkriege, an dem es nicht teilnahm; es hat das Land nach dreißigjähriger Okkupation dann 1908 förmlich annektiert. Mit diesem Schritt entschwand für Serbien jede Hoffnung, in abseh barer Zeit ein Nationalstaat zu werden. Das können und werden die Serben nicht verschmerzen. Selbstverständlich wird Österreich, trotz seiner italieni- ,chen Erfahrungen, niemals Bosnien freiwillig aufgeben. Uns zwingt nun die Nibelungentreue uns vielleicht mit Rußland, Frankreich und selbst mit England blutig aus einanderzusetzen, weil die Länder zwischen der Sawe und der Adria strittig sind zwischen Wien und Belgrad. Es liegt anscheinend keine Logik drin, so wird man vielfach sagen. Aber die Sache erhält ein anderes Gesicht, wenn wir daran denken, daß die ganze unglückselige Lage des waffenstarrenden Europa, in dem Rüstung auf Rüstung folgt bis zur Uner träglichkeit, im letzten Grunde auf nichts anderem beruht als auf der empörenden Haltung, die unser westlicher Nachbar seit 1871 eingenommen hat. Frankreich, dessen Napoleon gerade das Nationalitätenprinzip proklamiert hat, wollte es auf Elsaß-Lothringen, die urdeutschen Länder nicht angewendet wissen. Auf Frankreich fällt die Verantwortung für die ungeheure Rüstung ganz Europas. Auf Frankreich fällt die Verantwortung für den Zwiespalt zwischen den einander bedrohenden euro päischen Staatengruppen, die durch Bündnisse auf Gedeih und Verderb aneinandergeschmiedet sind und für deren jeden scheinbar fernliegende Fragen zum Kriegsgrund werden können. Europas Schicksalsstunde hat geschlagen. Die Kanonen sind längst geladen, und niemand braucht sich zu verwundern, wenn sie endlich einmal losgehen. Kommt der Weltenbrand, dann wird Frankreich schließlich auch der Hauptfeind sein, mit dem wir abzurechnen haben. Möge dann, wenn es nicht anders sein kann, die Welt geschichte ein Weltgericht werden! Das abgeleknte Ottimaium. Was man befürchtete und mit ziemlicher Bestimmtheit voraussehen konnte, nachdem sich die Dinge durch die österreichische Note an Serbien aufs äußerste zugespitzt hatten, ist eingetroffen. Serbien hat sämtliche öster reichischen Forderungen glatt abgelehnt. Damit ist der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Serbien und Österreich erfolgt und es bleibt nur noch der Appell an die Waffen übrig. Jetzt werden die Kanonen sprechen und das Ende der Geschehnisse in Europa ist vorläufig noch nicht abzusehen. Serbiens Antwort. Genau nach Ablauf der 48stündigen Frist ist die Antwort der serbischen Regierung bei der österreichischen eingegangen, nachdem Serbien vorher noch einige Vor sichtsmaßregeln getroffen hatte. Wien, 26. Juli. Gestern abend wurde den Vertretern der Presse im hiesigen Auswärtigen Amte offiziell folgende Mitteilung gemacht: „Um V-3 Uhr nachmittags haben die serbische Negierung, König Peter und die Behörden Belgrad ge räumt und sich nach dem Süden zurückgezogen. Um 6 Uhr wurde die Antwortnote der serbischen Regierung über reicht: da sie unseren Ansprüchen nicht genügt, hat der Gesandte Baron v. Gicsl Belgrad verlassen. Der Kriegszustand ist »och nicht cingctrcten, sondern nur der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Lbstcr- reich-Ungar» nnd Serbien, doch zweifelt niemand daran, daß die nächsten Stunden uns den Krieg bringen werden." Belgrad, 26. Juli. Ministerpräsident Paschitsch erschien gestern wenige Minuten vor 8 Uhr in der k. nnd k. Gesandtschaft in Belgrad nud erteilte eine »«genügende Antwort ans die österreichisch-nngarischr Note. Baron Giesl notifizierte ihm hieranf den Abbruch der diplomatischen Beziehungen und verlies; mit dem GesandschaftSperfonal Belgrad. Damit ist der Stein ins Rollen gekommen und der Kampf muß nun die endgültige Entscheidung bringen. Österreich war eben zu sehr von seinem serbischen Nachbar gereizt und beleidigt worden, als daß ein Zurück im letzten Augenblick noch möglich wäre. Begeisterung in Österreich. Gewaltige Straßenkundgebungen. Wien, 26. Juli. Die entscheidende Mitteilung wurde den zahlreichen, im Ministerium des Äußern in den Nachmittagsstunden ver sammelten Pressevertretern gestern um Vi8 Uhr abends gemacht. Um diese Zeit war die nervenaufpeitschende Stimmung in Wien bis zum Siedepunkt gestiegen. Diese Spannung war um so größer, als die „Neue Freie Presse" um Vs3 Uhr ein Telegramm ihres Spezial korrespondenten aus Belgrad veröffentlicht hatte, worin gesagt wurde, daß Serbien in allen Punkten nachgegeben habe. Die Nachricht vom Abbruch der Beziehungen mit Serbien verbreitete sich mit außerordentlicher Schnelligkeit i» der Stadt. Bor dem Haupttclegraphenamt, in dem die Korrespondenten der auswärtigen Blätter zu arbeiten pflegen, hatte sich eine sehr große Menschenmenge angesammelt. Als ein Journalist die vom Auswärtigen Amt erlangte Nachricht dem Publikum mit- teilte, wurden brausende Rufe laut» „Hoch Österreich", die sich auf der Straße fortpflanzten. In den Nachmittagsstunden sammelten sich bereits, namentlich ans der Ringstraße und vor den Redaktionen, große Menschenmengen an, die mit fieberhafter Ungeduld die entscheidende Nachricht erwarteten. Abends kurz nach 8 Uhr strömten gewaltige begeisterte Menschenmengen über die MinnstrabL Woher Serbien den Mut hat. Zu der auffallend schroffen Haltung des kleinen Serbien gegen das übermächtige Österreich schreibt uns ein Kenner der serbischen Verhältnisse: Die serbische Ne gierung konnte eigentlich gar nicht nachgeben, denn wenn sie sich der scharfen Forderungen Österreichs unterwarf, so war eine Revolution im eigenen Lande zu erwarten. Daß die Serben ein rabiates Volk sind, die mit ihren Dynastien nicht allzu sänftlich um springen, ist allgemein bekannt, und die jetzige Dynastie Obrenowitsch wird ja wohl noch ganz genau wissen, wie sie auf den Thron gekommen ist. Eine Wiederholur-g dieser Vorgänge wäre ihr gewiß nicht angenehm. Da empfiehlt sich natürlich das eingeschlagene Ver fahren weit mehr: man lehnt stolz ab und — weicht dann der Gewalt. Wenn erst die Österreicher Belgrad genommen haben und im Lande stehen, wird ja wohl Väterchen Zar intervenieren, und dann kann man getrost verhandeln. Das Volk hat dann wenigstens gesehen, daß seine Machthaber gern den Feind geschlagen hätten, wenn er eben nicht stärker gewesen wäre. sinter äen Kulissen der MeltpoUtik. cs. Berlin, 26. Juli. Uber die Vorgeschichte des österreichischen Ultimatums teilt uns eine politische Persönlichkeit, die weitreichende Beziehungen in den Kreisen der internationalen Diplomatie hat, folgende Einzelheiten mit: Der Entschluß, mit Serbien und damit, wenn »Stig, mit Rnßland endgültig abzurechnen, stand in Wien seit dem Attentat in Serajewo fest und erhielt durch die Er gebnisse der Untersuchung gegen die Attentäter nnr eine Bekräftigung. Damit war der Inhalt des Ultimatums, der znm mindesten dem serbischen Störenfried jedes Znrück unmöglich machen sollte, gegeben. Kaiser Franz Josef hat seine Zustimmnng zu de» entscheidende» Schritte» nicht erst in den letzte» Tage», sondern bereits nm die Mitte des Monats herum gegeben. Die Verzögerung in der Überreichung des Ultimatums bis zum 23. d. M. erklärt sich aus der Absicht, vor Beginn der Mobilmachung die Ernte tunlichst unter Dach zu bringen. Die Frage der Versorgung der Doppel monarchie, und wenn nötig ihrer Verbündeten, mit Nahrungsmitteln ist naturgemäß von vornherein besonders ernst. Die internationale Lage war folgende: Italien er klärte sich bereit, gegebenenfalls der Aktion Österreichs und der sonstigen Verbündeten Mächte und Staaten mit seiner ganze» Macht beizutreten. Es erwartet Ent schädigungen im Balkanbereich. Englands Neutralität war gesichert. Frankreich hat, wie man wußte, nur sehr geringe Neigung, sich gegenwärtig in eine» Krieg ver stricken zn lassen. Den Krieg wollte, wie mau ferner wnßte, allein Rnßland. Dieser Kriegslust stehen in Petersburg jedoch gewisse Besorgnisse im Hinblick auf die Kriegsbereitschaft der Armee gegenüber. Der Konflikt ist Rußland zu früh gekommen. Auf dem Boden dieser Erwägungen sind Tonart und Tag der Übergabe der österreichisch-ungarische» Note festgestellt worden . . . * * * 2rvifcken den beiden flöten. Vergebliche russische Vermittlung. Wien, 25. Juli. Wie amtlich bekannt gegeben wird, hat die russische Negierung der österreichischen das Ersuchen unterbreitet, die in der Note an Serbien gestellte Frist um einige Tage zu verlängern. Demgegenüber vertrat die österreichische Regierung ihre» Standpunkt dahin, daß die Anseinaudersetzung mit Serbien ciuc Angelegenheit sei, die nur Österreich und Serbien angche. Österreich war, wie weiter erklärt wird, von Anbeginn an entschlossen, diesen Standpunkt unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. Demgemäß wurde der russische Jnterventionsversuch zurückgewiesen. Vayerilcke Kundgebung für Ökterreick. Glückauf zum Kampf. München, 25. Juli. In der heutigen Sitzung der bayerischen Abgeordneten kammer kam der Verkehrsminister v. Seidling bei Be sprechung der wirtschaftlichen Lage auch auf das ver bündete Österreich zu sprechen: „Österreich steht in schwerer Stunde der Ent scheidung. Wir alle wünschen dem uns eng befreundeten Nachbarlande, daß es, wenn es zum Kriege kommt, den durch ungeheuerliche Vorkommnisse ihm aufgezwungenen Kampf glücklich und siegreich besteht!" Diese bemerkenswerten Ausführungen des Ministers wurden von den bürgerlichen Parteien mit lautem Beifall ausgenommen. Der bayerische Landtag ist das zurzeit allein tagende deutsche Parlament. Dadurch gewinnt die wohl verabredete Kundgebung der bayerischen Regierung eine besondere Bedeutung. Vie Vetren bei den Arbeit. Französisch-russische Preßstimmen. Petersburg, 25. Juli. Die „Nowoje Wremja" bezeichnet die österreichische Note als eine gegen Rußland gerichtete Provokation, auf die Rußland mit Taten antworten müsse. Der „Peters-' burski Kurier" behauptet^ daS Ultimatum beweise, daß man mit Rußland als Großmacht nicht rechne oder den Krieg wolle. Rußland müsse sofort mobil machen. Andere Blätter erblicken in Deutschland den Anstifter. / Paris, 25. Juli. ( Besonders gehässig zeigen sich natürlich di« Pariser