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Deutsche und Englische Papier- Verhältnisse. London im November 1880. Vor nicht vielen Jahren exportirte eine Reihe Deutscher Papierfabriken ansehnliche Quantitäten Papier nach Grossbrittannien, was heutzutage leider beinahe ganz aufgehört hat, da nicht nur der Engländer dem in seinem Vaterlande producirten Papier bei gleichen Verhältnissen durchaus den Vorzug gibt, sondern überhaupt nur dann ausländisches Papier kauft, wenn es wesentliche Vor theile bietet. Ausserdem aber hat auch die englische Fabrikation derartige Fortschritte gemacht, dass sie, einige Spezialitäten abgerechnet, eine auslän dische Concurrenz fast ganz unmöglich macht. Der deutsche Papier-Fabrikant ist seit geraumer Zeit bemüht, den Hadem-Ausfuhrzoll wiederher gestellt zu sehen; er hat einen erhöhten Eingangs zoll auf ausländische Papiere erzwungen; er arbeitet durchgehends mit verhältnissmässig billigen Arbeits und vielfach sehr schönen Wasserkräften. Die Ver hältnisse des deutschen Papiermarktes haben sich aber seit der grossen Gründerperiode in keiner Weise verbessert, sondern liegen sehr im Argen. Dass von der Einführung des Hademausfuhrzolls eine Besserung der Papierindustrie zu erwarten sei, wird wohl Niemand im Ernst glauben, dass es aber den Herren Papierfabrikanten sehr ange nehm wäre, das genannte Privilegium zu erhalten, bedarf keiner weitern Versicherung. Abgesehen davon, dass immer noch eine grosse Ueberproduk- tion von Papier in Deutschland stattfindet, welche empfindlich auf die Preise einwirkt, sind die deutschen Papier-Fabrikanten auch bei weitem mehr conservativ wie ihre englischen Collegen, sowohl in Bezug auf Verbesserung und Neu-Anschaffung von Maschinen, wie auch in Bezug auf Aufsuchen und Verwendung neuer zur Papierfabrikation geeigneter Rohstoffe. Ich erwähne beispielsweise nur Espartogras, welches fast wöchentlich in Schiffs ladungen hier angebracht wird, und aus dem zu einem sehr hohen Procentsatze mehrere der hie sigen grössern Zeitungen, wie »DailyNews“ u. a. m., bestehen. Wie viele Papierfabrikanten giebt es aber in Deutschland, die den Unternehmungsgeist haben, sich eine Schiffsladung Esparto kommen zu lassen. Man wird entgegnen, der deutsche Papierfabri kant erhält in der Regel kleinere Aufträge wie der englische, muss also naturgemäss in seinen eigenen Anschaffungen vorsichtiger sein; bis zu einem gewissen Grade ist dies auch wirklich ier Fall. Braucht der deutsche Papierhändler 10 Ctr. einer bestimmten Papiersorte, so eröffnet ar gleichsam eine Submission, stellt grosse Ordres in Aussicht und — nachdem er den Preis auf alle mögliche Weise gedrückt hat — bestellt er nicht etwa seinen ganzen Bedarf, sondern vorab einen Theil davon, in der Hoffnung, es liesse sich einige Wochen später noch etwas am Preise drücken. Hat hingegen der englische Papierhändler oder grössere Consument, wie Buchdrucker etc., den ihm am vortheilhaftesten scheinenden Lieferanten ausfindig gemacht, so schliesst er in der Regel Verträge auf Ablieferung in gewissen Zeitpunkten ab. Der darin für beide Theile liegende Vor theil liegt klar zu Tage. Ein dritter auf die deutschen Papierverhältnisse drückender Factor ist der deutsche Papierverbraucher; er legt bedeutend weniger Werth darauf, ein ge diegenes, festes Papier zu seinem täglichen Consum verwandt zu sehen, wie der Engländer. Man ver gleiche nur die von deutschen und englischen Ge schäftshäusern verwandten Postpapiere und Briefum schläge, man vergleiche nur das Papier der grossen englischen Zeitungen mit den entsprechenden deutschen und eine Anzahl anderer Gegenstände. Der Vergleich wird nicht zu Gunsten des in Deutschland gefertigten ausfallen. Um ein Beispiel anzuführen, sei mir erlaubt zu be merken, dass die verehrliche Redaktion der Pa pier-Zeitung vor einigen Jahren die Papierzeitung auf ein bedeutend kräftigeres Papier zu drucken pflegte, wie jetzt, und sende ich beifolgend, um einen Vergleich zu ermöglichen, einige britische Fachzeitungen zur gefl, Ansicht. R. M. C. Erwiderung d. Red. Der Einsender vor stehender Mittheilung verfällt in den bei uns Deutschen leider allzu verbreiteten Fehler, dass er sich rasch für das Fremde, Ausländische, begeistert und die Leistung des eigenen Volkes unterschätzt. Bei einer Vergleichung der britischen und deutschen Papier-Verhältnisse müssen vor Allem die thatsächlichen Verhält nisse richtig erkannt, ausserdem aber auch die geschichtliche Entwicklung der Industrie und der Wohlstand beider Länder berücksichtigt werden. Unser geschätzter Correspondent hat in all’ diesen Punkten gefehlt, und wenn wir seine Mittheilung hier abdrucken, so geschieht es nur, weil sie uns Gelegenheit giebt, derartige, oft gehörte und ziemlich verbreitete An schauungen richtig zu stellen. Zunächst ist es unrichtig, dass unser Papier- Export nach England aufgehört hat, wie wir durch Mittheilung der britischen Einfuhr- Statistik vor Kurzem dargelegt haben und durch die deutsche Ausfuhr-Statistik bald gründlich zu beweisen hoffen. Es ist ferner unrichtig, dass die deutschen Papierfabrikanten weniger geneigt seien, Ver besserungen einzuführen und neue Rohstoffe aufzusuchen. Eine Correspondenz aus Russland in No. 48 d. Bl. sagt u. A., dass deutsche Maschinen und Einrichtungen dort allmälig die britischen in der Papierfabrikation verdrängen. Dies ist um so bemerkenswerther, als die Engländer viele Jahrzehnte in Russland sowohl wie in den meisten anderen Ländern allein das ganze Feld beherrschten, da sie die Papier maschine lebensfähig gemacht und in die Praxis eingeführt haben. Wenn wir aber im Stande sind auf neutralem Gebiet, wie in Russland die Engländer aus dem Felde zu schlagen, so ist damit unwiderlegbar bewiesen, dass wir ihnen in der Technik der Papierfabrikation zum Mindesten ebenbürtig, theilweise sogar „über" sind. Auch in Bezug auf Aufsuchung und Verwendung neuer Rohstoffe steht die deutsche Papierfabrikation keineswegs gegen die britische zurück, sie hat sich jedoch in richtiger Würdi gung der lokalen Verhältnisse auf Rohstoffe geworfen, die im eigenen Lande in genügender Menge vorkommen und deren Verarbeitung in der Hauptsache mit einheimischen Hülfsmitteln ausgeführt werden kann. Wenn wir auf dem Weltmarkt mit der britischen Papierfabri kation in Wettbewerbung treten wollen, so kann es nicht durch Verarbeitung von Esparto gras und Alfa geschehen. In diesem von den Engländern erschlossenen Rohstoff haben sie eine zwanzigjährige Erfahrung, sie beherrschen den Markt darin, und können ihn für billige Fracht zu Wasser nach Hause bringen, weil er den Kohlenschiffen als Rückfracht dient. Ueber- dies sind nirgends auf Erden die wesentlichen zur Umwandlung von Esparto in Papier nöthigen Chemikalilien, Soda und Chlorkalk sowie Kohle so billig und so unmittelbar zusammen zu finden wie in England. Verschiedene deutsche Papierfabrikanten haben versuchsweise Esparto in grösseren Mengen verarbeitet, doch ist es stets bei den Versuchen geblieben, sei es, dass dieselben ans Mangel an Erfahrung nichtglückten, oderdass sie aus den vorhin angeführten Gründen kein vortheilhaftes Ergebniss lieferten. Wir wollen damit nicht behaupten, dass die in solch’ kolossalen Mengen in Algier, Tunis u. s. w. vorkommende Alfa nicht an manchen Punkten Deutschlands mit Vortheil verarbeitet werden könne, sondern' entwickeln nur die Gründe, warum es bisher nicht geschehen ist. Wenn wir auch unseren britischen Fach genossen und besonders Herrn Routledge in Sunderland das Verdienst der Einführung des Espartos als Papier-Rohstoff rückhaltslos zu erkennen und auch zugeben, dass Espartogras in der Rangstufe der Papierfasern den Hadern zunächst steht, so glauben wir trotzdem für Deutschland ein mindestens ebenso grosses Verdienst in Anspruch nehmen zu können. Die rein deutsche Erfindung der Holzschleiferei hat uns denjenigen Rohstoff’ geschaffen, der es möglich macht trotz des zunehmenden Hadern- mangels das zur Volkerziehung und zur Tages literatur nöthige Papier zu Preisen herzustellen, welche man früher für unmöglich gehalten hätte. Während Esparto zu den feineren, ge wissermassen aristokratischen Rohstoffen ge rechnet werden muss und im grossen Ganzen auch beinahe ausschliesslich in Grossbrittanien verarbeitet wird, ist das geschliffene Holz so recht ein demokratischer Rohstoff, eine Faser masse für das Volk. Seine Erzeugung istnichtwie die des Espartostoffs von gleichzeitig billigen Frachten, Kohlen und Chemikalien abhängig, sondern es kann überall mit Vortheil fabricirt werden, wo sich Wasserkräfte und Holz zu sammenfinden. Die Erfindung ist deshalb auch nicht im Besitzedes deutschen Volkes geblieben, sondern über die ganze Erde verbreitet worden, mit alleiniger Ausnahme Grossbrittaniens, welches weder die dazu nöthigen Wasserkräfte, noch genügendes Holz besitzt. Abgesehen von der hohen Bedeutung der deutschen Erfindung für die Volkserziehung, beträgt auch der Handels- werth der aus geschliffenem Holz auf der Erde erzeugten Papiere und Pappen jetzt schon viel mal mehr als der Werth des aus Esparto her gestellten Papiers. Wenn die deutsche Papierfabrikation während des neunzehnten Jahrhunderts den Völkern der Erde nur die Holzschleiferei gegeben hätte, könnte sie wohl mit sieh zufrieden sein — sie hat jedoch noch mehr gethan! In Deutschland wurde zuerst das vorher gedämpfte und nach her geschliffene Holz erzeugt, welches die so genannten Lederpappen und braunen Pack papiere liefert, und viele Millionen sind theils mit, theils ohne Erfolg auf den Bau von Zell stoft-Anlagen, d. h. zur chemischen Gewinnung von Papierfasern aus Holz, Stroh und dergl. verwandt worden. Auch diese Zweige sind zu grosser Ausdehnung und Vollkommenheit gelangt und lassen uns den Mangel der Esparto- fasern bei besseren Papieren weniger schmerz lich empfinden. Noch siud auch die Erfindungen auf dem Gebiet der Verarbeitung von Holz zu Papier nicht abgeschlossen, und es mögen sich zwischen geschliffenem Holz und Holzzell stoff noch Stufen finden, die grosse Bedeutung erlangen. Bei seiner Vergleichung des Papier-Gross handels und den Bemerkungen über die Qualität der üblichen Papiere hat unser Correspondent wohl manche Thatsache richtig angeführt, jedoch ganz vergessen, dass Grossbritannien ein Land ist, welches ohne jede Störung durch innere Kriege seit vielen Jahrzehnten die Schätze der Erde zusammenträgt. Er hat vergessen, dass es eine um 50 Jahre ältere politische und in dustrielle Entwicklung besitzt als das bis vor Kurzem zerrissene und durch Fesseln jeder Art in der Entwicklung behinderte arme Deutsch land. Wenn die Engländer hiernach für alle Nebenbedürfnisse, besonders aber für Luxus- gegenstände, mehr Geld aufwenden können und an bessere Qualitäten gewöhnt sind, so ist dies nur natürlich und kann uns Deutschen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Wir waren von Hause aus an die beschränktesten Verhältnisse gewöhnt, waren gezwungen in allen, auch in den unscheinbarsten Dingen möglichst zu sparen und haben es erst mit Hülfe dieser Sparsam keit und deutschem Fleiss in den letzten Jahr zehnten zu verhältnissmässigem Wohlstand ge bracht. Der Brite ist in Folge seines Reich thums an gute Waare und Luxus gewöhnt, während der Deutsche sich erst nach und nach aus der strengsten Sparsamkeit dazu empor- arbeiten kann. Jeder Fachmann wird es he; klagen, dass man in geschäftlichen Kreisen bei uns zu wenig Werth auf ein Briefpapier leg 1 ’ welches der Würde und Stellung des Schreibers entspricht: wer aber gerecht ist, wird dies der historischen Entwicklung, nicht etwa schlechten Eigenschaften des deutschen Volkes zuschreiber Dass übrigens der Geschmack des deutscheu Publikums für gute und hübsch ausgestattete Briefpapiere sich schon weit mehr gehoben hat,