Volltext Seite (XML)
948 PAPIER-ZEITUNG Nr. 27 Spitzen-Papier Eigen -Bericht »Der Luxus«, sagt Alexander Dumas, »ist die grösste Krankheit unseres Jahrhunderts.« Kaum zur Zeit des »roi soleil« kam soviel rauschende Frou-Frou-Seide, soviel Brillanten- Reichthum, soviel echte Spitze zur Anwendung, als wir beispiels weise im letzten Winter auf den tonangebenden Bällen sahen. Die Vorliebe für Spitzen ist es vornehmlich, in welcher das Luxus-Bedürfniss der modernen Welt zum Ausdruck kommt. Die zierlichen Valenciennes-, Brüsseler und Alenon-Spitzen können nicht in solchen Mengen herbeigeschafft werden, um der Nachfrage zu genügen, von der kostbaren Erzgebirgs-Spitze verwendet die vornehme Dame zu einer einzigen Toilette soviel, dass eine Familie aus jenen armen Distrikten das ganze Jahr von dem Gelde leben könnte. Für die echten Points de Venise und die unbezahlbare Buranospitze opfern Modedamen einen Theil ihres Vermögens. Die ganz auffällige Schwärmerei, welche Frau Mode augen blicklich für Spitzen an den Tag legt, übt auch nicht geringen Einfluss auf die Papierspitzen-Industrie. Da man doch schliesslich Geflügel, Fische, Ragouts nicht auf echten Points serviren kann, so ist für die Papierspitze ein grosses Feld geöffnet. Ein Blick in die Musterbücher der Firma B. Fadderjahn, Berlin SW, die wohl zu den grössten auf dem Gebiet der Spitzen-Herstellung gerechnet werden darf, liefert uns den Beweis, dass auch bei diesem Industriezweig grösstmögliche Verschiedenheit in Stil und Form angestrebt wird. Neben steifen griechischen Borden sehen wir hübsch gezackte Blumen- und Blüthen-Muster, fein verschlungene Rokoko-Formen, von 2 cm Breite aufwärts bis zu 10 cm und darüber. Form und Grösse wechseln je nach der Platte, für welche die Spitzen-Unterlage bestimmt ist, es giebt eckige, ovale, kreisrunde, von der Grösse eines Mark stückes aufsteigend bis — nun wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, bis zur Grösse eines Gartenbeets, denn es kommt nicht selten vor, dass amerikanische Firmen für ihre Riesen-Kuchen derartige ungewöhnliche Tortenpapiere bestellen. In die linke Ecke wird auf Wunsch die Firma eingeschlagen oder aufgedruckt. Von den Hotels ersten Ranges, in welchen die Gourmands zu essen pflegen, werden Spitzenpapiere in grosser Menge gekauft. Darf doch auf den Nickel- oder Silberplatten niemals die dünne Spitzen-Unterlage fehlen, die mit ihrer fein ge schweiften Borte leicht über den Rand des Geschirrs hinausragt. Ja, wenn der Luxus nicht wäre! Warum soll perlgrauer Ural-Kaviar oder Gervais-Käse nicht auch schmecken, wenn man ihn auf schlichtem Porzellan darreicht? Dem Nicht-Ver wöhnten gewiss! Der Feinschmecker aber, der die Radieschen nur um die Weihnachtszeit und den Spargel nur im Februar geniessbar findet, dem für diese und ähnliche Liebhabereien stets ein gefülltes Portemonnaie zur Verfügung steht, betrachtet zuerst die zierlich gefaltete Kartonnage und dann den Inhalt. Es soll vorkommen, dass ein Uebersättigter, die Delikatesse verächtlich zurückschiebt, weil er die Papier-Umhüllung ge schmacklos findet. Solchen Launen Rechnung tragend müssen immer wieder Neuheiten in der Musterung ersonnen werden, doch erscheint es uns zwecklos, bei der Beschreibung derselben zu verweilen, da in diesem Falle nur die Illustration ein an schauliches Bild geben kann. Tortenpapiere für silberne und goldene Hochzeit werden mit entsprechenden Verzierungen bedruckt, ferner bringt die Firma B. Fadderjahn (Inh. Otto Henning) als Neuheit ein Torten- oder Baumkuchen-Papier mit bunten Ecken. Dasselbe besteht aus zwei kreuzweis über einander liegenden Vierecken, sodass je eine bunte Spitzenecke mit einer weissen wechselt, was eine recht gefällige Wirkung giebt. Neben den Spitzen- Auflagen für Platten giebt es allerlei höchst phantastisch ge formte Kartonnagen, die für hors d’uvres, Eis, Creme, kandirte Früchte, Ananasscheiben usw. bestimmt sind. Einige dieser hübschen Spielereien, denn anders kann man sie wohl kaum nennen, werden mit farbigen Rüschen von gekrepptem Seiden- Papier eingefasst, was ihnen einen ganz eigenen Reiz verleiht. Eine blassblaue Rüsche sieht einer Vergissmeinnicht-Guirlande ähnlich, eine violette erinnert an einen Veilchenkranz, kornblum blaue Rüschen wurden für die verflossenen Festtagen recht lebhaft verlangt. Seidenes Kometenband, zu Rosetten oder Schleifen verknüpft, dient als weiterer Ausputz. Für Havannah- Kistchen, Seifen-, Parfüm- und Konfekt-Schachteln kommen schmale oder breite Spitzen - Einfassungen und ganz dünne Seidenpapier-Schleier (zum Bedecken) in Verwendung. Die Mitte derselben wird entweder durch ein besonders reiches Muster ausgefüllt oder für den Firmen-Aufdruck frei gelassen. Für feine Bonbonnieren sind auch farbige rings herum aus gefranste Seidenpapier-Schleier beliebt, darunter auch solche, die in mehreren Farben wechseln. — Doch genug von den lukullischen Genüssen! Während ein Theil der feinen Spitzenpapiere unter groben Fettflecken sein Dasein aushaucht, ist es das Loos der anderen, die holden Kinder Floras zu umschliessen. Auf diesem Gebiet freilich hat Frau Mode grossen Wandel geschaffen. Wer erinnert sich nicht aus der Kinderzeit der symmetrisch gebundenen, wagenradähnlichen Sträusse, die wir dem Onkel oder der Tante als sinnige Geburtstagsspende brachten! Die steife Manschette aus Glacepapier, die das Ganze wirkungsvoll umschloss, existirt zwar heute noch, aber sie ist auf ein bescheidenes Maass zu sammengeschrumpft und hat sich auch im Uebrigen den modernen Bedingungen fügen müssen. Man verwendet viel Mühe darauf, die Blumendüten neu und eigenartig auszustatten, die Ränder werden häufig gebogen, gewellt oder gezackt. So unterscheidet man Federblatt-Düten, bei denen jede Spitze die Gestalt einer langen Feder hat, Rosenblatt-Düten (mit Rosenblatt-Musterung), Farrenkraut-Düten (mit Farren-Musterung), Eichenlaub-Düten, ganz aus nachgeahmten, grünen Eichenblättern bestehend, Falten-Düten, Stern-Düten usw. Die vorherrschende Farbe ist weiss, dann folgen mais, ecrü, chamois. Weisse Spitzen werden oft mit buntem Seidenpapier unterlegt. Auch sieht man Ränder, die mit Puffen von Seiden-Mousseline verziert oder mit seidenem Band umtollt sind, an das sich eine schmale Blonde schliesst. Ansätze von breiten Blonden in Weiss, Gelb oder Ecrü kommen für die besseren Papierdüten in Anwendung. Viel beliebter als der Rundstrauss sind die schlank ge bundenen, flachen Sträusse. Die Blumenbinderei folgt dem Zug der Mode, die das steife Einerlei hasst und das Zwanglose be günstigt. Solch ein ovales Sträusschen mit chic verknüpften Bandgräsern ist in der That ganz reizend. An den weissen Flieder schmiegt sich die blassgelbe Orchidee, Reseda und Veilchen ruhen unter schimmerndem Frauenhaar. Diesem Gebinde entspricht auch die ebenso zierliche Hülle, oft von Blonden umrahmt, hier und da auch mit einem Halter vereint, der durch Bandschleifen mit der Düte verbunden ist. Das Knopflochsträusschen ist ganz aus der Mode. Dem männlichen Knopfloch ist allenfalls noch eine Tuberose oder Gardenie, diese symbolischen Don Juans-Blumen, gestattet — die Damen aber, so behaupten diejenigen, für die jede Mode- Thorheit ein Evangelium ist, dürfen das Sträusschen weder im Jabot noch im Gürtel tragen. Die ultraneue Sitte, es zwischen den Fingerspitzen zu halten, um das mehr oder weniger kleine Riechorgan jederzeit hinein versenken zu können, ist sicherlich von der Pariserin ausgeklügelt worden, wie sie es auch war, die zuerst erkannte, dass die feuchten Blumenstiele sich mit dem unvermeidlichen weissen Handschuh schlecht vertrügen. Facit: auch diese Sträusschen brauchen eine Umhüllung, und man fing an, alle Truhen und Schubladen nach jenen spinnweb feinen Spitzentüchern aus Grossmütterchens Zeit zu durchsuchen, die heute wieder so hoch im Werth stehen. Die Papierspitzen-Industrie zog aus dieser Modelaune sofort Nutzen. Es wurden winzig kleine Düten aus Glacepapier mit breitem Blondenansatz gefertigt, die gegenwärtig sehr begehrt sind. Natürlich ist bei der Herstellung solcher Luxus-Düten der Phantasie der grösste Spielraum gelassen. Die dicht ge krausten oder plissirten Blonden ruhen häufig auf einem ge zackten Volant von buntem Seiden-Mousseline, dessen Farbe leicht hindurch schimmert; zuweilen sieht man zwei oder drei Blondenreihen, die in feinen Farbtönen wechseln. Für Ball- und Gesellschaftszwecke wählt man diese Luxus - Düten in geradezu verschwenderischer Ausstattung. Bestickte Seiden- aze, Flittertüll oder auch solcher mit grossen Chenilletupfen wird dazu verwendet: das Ganze beschliessen Rüschen aus Federbesatz, Band oder Ponpons. Meist ist die papierne Hülle so mit Tüll- und Seidenpuffen bedeckt, dass sie gänzlich darunter verschwindet. Das tiefblaue Nizza-Veilchen und die matte La France-Rose sehen zwar auch ohne Umhüllung reizend aus, Niemand aber wird leugnen, dass ihr Anblick doppelt so lieblich ist, wenn sie in zarte Seide gebettet und von duftigen Spitzen umrahmt sind! Dumas hat Recht, obwohl er, ein echtes Kind seiner Zeit, sich selbst mit sybaritischem Glanz umgab, »der Luxus ist die grösste Krankheit unseres Jahrhunderts« und die einzige, können wir wohl hinzufügen, die von keiner Seite befehdet wird, obwohl sie doch Opfer um Opfer fordert,