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62 PAPIER-ZEITUNG. Nr. 3. Die zweite Ursache des ungünstigen Geschäfts sind die noch nie dagewesenen niedrigen Getreidepreise. Im Innern, weit von den Hafenplätzen, ist das Getreide ganz entwerthet, es bringt nicht soviel, wie die Arbeitslöhne betragen, und sehr viele Gutsbesitzer lassen ihr Getreide auf den Feldern verfaulen. Die Gutsbesitzer sind sammt und sonders ruinirt und werden nur noch künstlich von den Agrarbanken gehalten. Was daraus werden soll, lässt sich vorläufig noch nicht voraussagen, sicher ist nur, dass die Noth der Landwirthe noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat; wenn die Getreidepreise nicht besser werden, kommt es noch ärger. Sehr schlimm daran sind auch die Händler und Landwirthe, welche während des Ausfuhrverbotes ihr Getreide verpfändeten; sie rechneten darauf, nach Aufhebung des Verbotes bessere Preise zu erzielen und bekamen von den Banken zwei Drittel des Werthes. Die bessern Preise sind aber nicht gekommen, und die Herren bekommen nicht nur ihr nichtbevorschusstes Drittel nicht ausgezahlt, sondern die Banken verlangen noch Nachschuss und sind alle ebenfalls ruinirt. Alle diese Verhältnisse schlagen ihre Wellen bis nach Moskau, dem Herzen Russlands. Die Landestrauer, die Schliessung der Theater und Ver gnügungslokale mag auch nicht wenig zur Geschäftsstille bei getragen haben, — doch dies ist vorübergehend; die Petersburger und Moskauer versprechen sich sehr viel von dem jetzigen Kaiser, der Hof wird jetzt nicht mehr in Gatschina, sondern in Petersburg sein Domizil aufschlagen; ein junger, blühender Kaiser und eine lebenslustige Kaiserin bringen viel Leben, und in Russland ist die jeweilige Stimmung bei Hofe mehr als anderswo maassgebend. Durch die Solidität und Einfachheit des russischen Hofes beim verstorbenen Kaiser hat z. B. Petersburg viel verloren, und alles hofft jetzt auf bessere Zeiten. Dass die russischen Verhältnisse auch für das Geschäft mit dem Auslande von Bedeutung sind, ist selbstverständlich. Unsere Fabrikation ist nur in einzelnen Artikeln so weit, dass wir das Ausland entbehren können, in den meisten andern Waaren sind wir auf dasselbe angewiesen. Die Handelsverträge fangen an, auf Belebung des Geschäftes mit dem Auslande ihre Wirkung aus zuüben, und man muss es den deutschen Fabrikanten lassen, dass sie rührig sind, wodurch sie auch gute Erfolge erzielen. Es würde z. B. keiner französischen oder englischen Firma je ein fallen, ihre Preisliste ins Russische zu übersetzen, jeden einzelnen Artikel in russisches Gewicht auszuwiegen, bei jeder einzelnen Waaren-Nummer den Zoll in russischer Münze aufzugeben und die Waaren in russischer Währung frei Moskau anzubieten. Eine solche Preisliste von 108 Quart-Seiten, 24X31 cm, liegt von der Nürnberger Bleistiftfirma Johann Faber vor. Gedruckt ist sie in russischer Sprache bei W. Drugulin in Leipzig und ist wirklich sehenswerth. Dies ist eine Arbeit, die Monate in Anspruch genommen hat. Gäbe es noch mehr solche rührige deutsche Firmen, so hätten wir ein ganz anderes Geschäft mit Deutschland. Wir haben hier so gut wie gar keine Musterlager mit in russischer Währung ausgeworfenen Preisen, und das ist für das Einfuhr geschäft das grösste Hinderniss. Der russische Händler, der nicht in ausländischer Währung kaufen kann, ist ganz und gar auf die hiesigen Grosshändler, welche mit Lager arbeiten, angewiesen. Diese Lager haben aber zu wenig Auswahl in ausländischen Waaren und hemmen das Geschäft durch die hohen Preise. Ein direkter Verkehr zwischen deutschen Fabrikanten und den russischen Kleinhändlern durch Vermittlung eines ausgestatteten Musterlagers würde das Geschäft bedeutend heben. Die Zollverhältnisse sind in letzter Zeit bedeutend besser geworden. In der ersten Zeit nach Inkrafttreten des Handels vertrages waren die Zollplackereien fürchterlich, kein einziger Artikel war vor den Auslegungen der Zollbeamten sicher; nament lich bei Waaren, bei denen der Zoll durch den Handelsvertrag ermässigt ist, machten die Zollbeamten Schwierigkeiten und suchten die Artikel einer andern Klasse zuzutheilen, sodass die Zölle zum grossen Theil noch höher wurden, als sie vor dem Handelsverträge waren. Das Zollamt unterstützte dieses Treiben durch ungünstige Entscheidungen. Erst den wiederholten freundschaftlichen aber energischen Vorstellungen der deutschen Regierung ist es gelungen, darin Wandel zu schaffen; die ungünstigen zollamtlichen Ent scheidungen sind wiederholt durch den Finanzminister aufgehoben worden. Von den Zollsätzen, die günstig entschieden sind und die Schreibwaarenbranche interessiren, kann ich folgende nennen: a) Tinte zahlte immer netto; in letzter Zeit wurde der Zoll einschl. Glas oder Kruke erhoben, was einem Zollaufschlag von 35 bis 50 pCt. gleichkommt; jetzt wird Tinte wiederum wie seit 30 Jahren netto verzollt. b) Lederwaaren wollte das Zollamt meist mit 2 Rubel das Pfund verzollen, und einige Zollamts-Entscheidungen sind ungünstig ausgefallen; jetzt zahlen Lederwaaren aller Art, selbst mit Seiden futter und Seidenverzierung, mit Ausnahme aber von Sämisch leder oder mit versilberter oder vergoldeter Auflage, nur 70 Kopeken. Für Sachen aus Sämischleder wird 2 Rubel und für Lederwaaren mit vergoldeter oder versilberter Auflage 1 Rubel 80 Kopeken für das Pfund erhoben. c) Etagören und viele andere Gegenstände aus Papiermache, welche vor dem Handelsverträge 50 Kopeken, nach dem Handels- vertrage 40 Kopeken das Pfund zahlen mussten, werden jetzt zu 4 Rubel 50 Kopeken das Pud (ein Pud = 40 Pfund) durch gelassen. Die deutsche Industrie ist dabei betheiligt, denn in Deutschland werden Gegenstände aus Papiermache fabrizirt, welche bedeutend besser als die echten japanischen sind. d) Abziehbilder zahlten bisher 50 und 40 Kopeken das Pfund, jetzt werden sie in Bogen (nicht Album für Kinder) zu 8 Rubel das Pud durchgelassen. e) Für Weckeruhren wurde, trotz des Handelsvertrages, 1 Rubel 50 Kopeken das Stück verlangt, jetzt gehen sie anstands los zu 60 Kopeken das Stück durch. Mit einem Worte, die Stimmung ist ganz anders; seitdem die Zollbeamten sehen, dass ihre Tarifverdrehungen oben keinen Anklang finden, sind sie selbst viel nachsichtiger und machen keine ungerechten Ausstellungen mehr. Das Geschäft wickelt sich infolgedessen viel glatter ab, und in Zukunft werden die angenehmen Folgen davon nicht ausbleiben. Ueberdies ist jetzt in Gemeinschaft mit der deutschen Regie rung ein viel vereinfachteres Verfahren für Zollbehandlungen aus gearbeitet worden; worin dieses vereinfachte Verfahren bestehen wird, ist vorläufig noch unbekannt und ich werde gelegentlich hierüber berichten. Mit dem 1.—13. Januar 1895 tritt es in Kraft. Mit dem 1. Januar neuen Stils 1895 tritt auch der neue Frachtentarif für überseeische und direkte Frachtgüter in Kraft, welcher merkwürdigerweise bedeutende Frachterhöhungen bringt; alle bisherigen Uebernahmesätze werden jetzt ungiltig. — Alle diejenigen Waaren, welche viel wiegen, z. B. Schreib-, Pack-, Post- und Zeichenpapiere usw. werden durch den neuen Frachten tarif stark in Mitleidenschaft gezogen, und die durch den Handels vertrag für diese Artikel erzielten Ermässigungen werden auf diese Weise hinfällig. Stark leiden werden natürlich zu allererst Eisen- waaren, darunter auch Kopirpressen, deren Bezug vom Auslande erst in letzter Zeit infolge der Zollermässigung möglich geworden ist. Da auch die neuen Frachtentarife vorläufig noch nicht ver öffentlicht sind, so behalte ich mir vor, hierüber später einige Einzelheiten zu senden. (Wir bitten um die in Aussicht gestellten Berichte. — D. Red.) s Heiss-Schleiferei. Der Artikel in Nr. 104, Jahrgang 1894 dieser Zeitung, mit gleicher Ueberschrift enthält eine jedem Holzschleifer hochwichtige Mittheilung: Amerikanischer Holzschliff, heiss geschliffen, soll besser in der Qualität und überdies mit Aufwendung geringerer mecha nischer Arbeit zu erzeugen sein. Ersparniss an mechanischer Arbeit, das ist ein Hauptziel aller Verbesserer und Neuerfinder auf dem Gebiete der Herstellung mechanischer Holzstoffe. Bisher waren aber Ersparnisse an mecha nischer Arbeit gleichbedeutend mit Vergröberung des Stoffes. Selbst das Erweichen des Holzes in Wasser oder Dampf unter Spannung und erhöhter Temperatur bringt trotz grösserer Weichheit, wahrschein lich infolge erhöhter Elastizität der so vorbehandelten Holzklötze, beim Kalt-Schleifen keineErsparnissan mechanischer Arbeit mit sich. Was nun die Urtheile über amerikanischen Holzstoff in unserer Fachpresse anlangt, so ist aus allem bisher Gesagten klar geworden, dass der Amerikaner im allgemeinen den Stoff gröber und rauher schleift. Unsere deutschen Papierfabrikanten können, von den Wünschen und Ansprüchen ihrer Kundschaft abhängig, den vereinzelt an unseren Markt gekommenen amerikanischen Holzstoff, wie wir mehrfach lasen, nicht brauchen. Das mag in Amerika anders sein, man sieht sehr schnell gearbeitete amerikani sche Papiere (80 m und mehr Geschwindigkeit in der Minute) mit ganz grobem Holzstoff, schlechter Cellulose und mit einer Menge Fehlern, die solche Waare bei uns ganz unverkäuflich machen würde. Ziehen nun wirklich die Engländer neuerdings amerikanischen Holzstoff dem norwegischen Stoff vor, so kann entweder der Grund in der noch schlechteren Beschaffenheit des norwegischen Stoffes liegen, oder, was wohl wahrscheinlicher ist die Amerikaner schleifen in manchen Gegenden einen anderen Stoff, als er nach Deutschland kam, der wirklich den zwar auch als grob, aber