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PAPIER-ZEITUNG. Nr. 21. Acetylen. Schluss zu Nr. 20. Gestatten Sie mir nun, für die so durch unsere Betrachtungen gewonnenen Werthe noch einmal ein praktisches Exempel an unseren Berliner Gasverhältnissen zu machen. Wir brauchen in Berlin zur Erzeugung von 2800 cbm Gas von 16 Kerzen Lichtstärke 10 tons Kohle, deren Preis sich zusammensetzt aus den Grubenkosten mit etwa 82 M. und den Frachtkosten mit 118 M, also in Summa 200 M. Diese 10 tons Kohlen liefern neben 2800 cbm Gas an verkäuflichen Erzeugnissen: Kokes, Theer, Ammoniakwasser, Retortengraphit, Reinigungsmassen usw. usw. eine Einnahme von 110 M. Es bleiben also an Kosten für Kohle zur Erzeugung von 2800 cbm Gas 90 M.; hierzu kommen die Kosten für Retorten, Reinigung, Löhne für 10 tons Kohle 40 M. und für Reparatur von Retorten und Oefen für 10 tons Kohle 5 M. oder in Summa 90+40+5 = 137 M. 1 ton Calcium-Carbid, welches in Form von Acetylengas nicht nur dieselbe, sondern sogar eine noch höhere Lichtmenge liefert als 10 tons Kohle, kostet nach unserer früheren Rechnung in Oberschlesien 70 M., dazu Fracht für 1 ton nach Berlin 11,8 M. = 81,8 M. Bei der Zersetzung des Calcium-Carbids werden gewonnen 850 kg Kalk, welcher für Bauzwecke vorzüglich geeignet mindestens einen Werth von 13 M. hat, sodass nach Abzug dieses Betrages 81,8—13 nur 68,8 M. als Materialkosten des Carbidgases übrig bleiben. Rechnet man hierzu für die verhältnissmässig geringe Arbeit, welche die Gewinnung des Acetylengases verursacht, noch 11 bis 12 M., so ergiebt dies eine Gesammtsumme von 80 M. gegenüber dem jetzt bei Steinkohlengas für eine geringere Licht menge aufzuwendenden Betrage von 135 M. Bei der Kalkulation sind die betreffenden Ersparnisse an Anlagekosten und Zinsen nicht mit berück sichtigt. Bei einer Gasanstalt, welche mit Calcium-Carbid allein arbeiten könnte, würde die kostspielige Einrichtung der Retortenhäuser, Reiniger usw. usw. überhaupt nicht nöthig sein, dieselbe würde vielmehr nur aus einem entsprechend modifizirten Kalklöschapparat für die Gas entwickelung und Kalkgewinnung und aus einem Gasometer bestehen, der aber, da das reine Acetylengas die 10 bis 15fache Leuchtkraft des jetzigen Gases hat, auch entsprechend kleiner in seinen Dimensionen sein könnte; in gleicher Weise würden für das Acetylengas auch Rohrleitungen von entsprechend geringerem Lumen ausreichen. Bei der allgemeinen Verbreitung der Steinkohlen-Gasbeleuchtung in allen grösseren Städten ist nun zwar nicht anzunehmen, dass man diese zu Gunsten des neuen Acetylengases völlig aufgeben und damit grosse Kapitalien zinslos machen wird; dagegen zweifle ich nicht, dass man die jetzt immer dringender geforderte Erhöhung der Lichtstärke des Gases mit Hilfe von aus Calcium-Carbid hergestelltem Acetylengas gern bewirken wird, da dies die einfachste und zuverlässigste Form der Lichtvermehrung bietet. Welche Erfolge das Acetylengas im Kampf gegen das Auerlicht und gegen das elektrische Licht erringen wird, lässt sich heute noch nicht klar beurtheilen, doch scheinen mir die Chancen nicht ungünstig zu stehen. Es sind gerade diese Fragen so sehr von den lokalen Preisverhältnissen abhängig, dass man dafür kaum eine Formel, geschweige denn eine generelle Regel konstruiren kann. Ein nationalökonomisch sehr wichtiges Moment möchte ich jedoch noch hervorheben, nämlich die bedeutende Ersparniss, welche das Acetylengas in Bezug auf Quantität und Qualität der Kohlen in Aussicht stellt. Sind jetzt für 2800 cbm Gas etwa 10 000 kg Kohlen bester theuerster Qualität zu fördern, so sind dagegen für 1 ton Calcium-Carbid nach vorher aufgestellter Rechnung an Reduktionskohle 600 kg, an Betriebskohlen für die Maschinen 2500 kg und an Kohle zum Brennen von 1000 kg Kalk 300 kg nöthig, also nur etwa der dritte Theil, und da wir wissen, dass unsere Kohlenvorräthe, wenn auch zum Glück noch gross, doch keineswegs unerschöpflich sind, so liegt auch in dieser Ersparniss ein Vorzug, um so mehr, als für Herstellung des Calcium- Carbids zum grösseren Theil auch geringere Kohlen Verwendung finden können. Einzelne Formen der Gasbeleuchtung werden durch die Benutzung des Calcium Carbids überhaupt erst neu entstehen. Bei der Leichtigkeit, mit welcher sich dieses Material in Formen giessen, transportiren und zersetzen lässt, ist es mit Sicherheit zu erwarten, dass wir sehr bald portative Gaslampen haben werden, die nur aus einer kleinen verschliess baren Gasentwickelungsflasche bestehen, in welche man Wasser und Calcium-Carbid in den nöthigen Verhältnissen einführt und dann das in seiner Entwickelung entsprechend regulirte Gas an einem aufgeschraubten Brenner direkt zur Beleuchtung verwendet. Für Eisenbahnbeleuchtung, Leuchtbojen usw. wird die Verwendung von Acetylengas sich wahr scheinlich ebenso rasch einbürgern, und endlich dürfte die hohe Ver brennungswärme des Acetylengases dasselbe auch zu einem beachtens- werthen Material für die Gasmaschinen machen. Dass es auch, abgesehen von den Zweifeln über die Richtigkeit der uns mitgetheilten Kalkulationen, nicht an Bedenken gegen das Acetylengas mangelt, ist wohl selbstverständlich; ich nehme von diesen als hier interes- sirend nur das heraus, was sich auf die Giftigkeit des Acetylengases stützt. Es ist Thatsache, dass das Acetylengas giftig wirkt, indem es sich mit dem Hämoglobin des Blutes verbindet, doch ist es sicherlich minder gefährlich, als das auch wegen seiner Geruchlosigkeit so heimtückische Kohlenoxydgas, um so mehr, als Acetylen einen selbst in kleinen Mengen äusserst auffälligen und unangenehmen Geruch hat. Im übrigen kann aber darauf hingewiesen werden, dass die Menge von Kohlenoxyd in unserem gewöhnlichen Leuchtgase auch eine sehr bedeutende ist. So enthält das Berliner Gas 8,4 pCt. und das Londoner 3,13 bis 6,97 pCt. Kohlenoxyd, und da man für Acetylengas für gleiche Lichtmengen nur /o des Volumens wie von Leuchtgas bedarf, so ist schon hiernach eine Gefährdung aus geschlossen. Uebrigens kommen auch bei dem stark kohlenoxydhaltigen Wassergase, welches in den Vereinigten Staaten vielfach benutzt wird, Vergiftungen nur äusserst selten vor. So tiefgreifende und bedeutende Umwälzungen die Einführung von Calcium-Carbid und Acetylen aber auch in der Beleuchtungstechnik herbei führen werden, so erscheinen diese doch noch gering gegenüber den reichen Aussichten und Arbeitsgebieten, die sich dem Chemiker aus der neu er schlossenen Gewinnung von Acetylengas eröffnen. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass man das Benzol, welches jetzt als Nebenprodukt der Steinkoblengas-Destillation gewonnen wird, ebenso durch Kondensation bez. Polymerisirung des Acetylens darstellen kann. Ich will es auch nur kurz streifen, dass Calcium-Kohlenstoff sich wahr scheinlich auch mit Vortheil zu Legirungen, also auch zum Kohlen anderer Metalle verwenden lässt, sodass man mit Hilfe von Calcium-Carbid unter Umständen die Stahl-Erzeugung in ganz neue Bahnen führen kann. Wir haben in letzter Zeit ja gelernt, was kleine Zusätze von Aluminium oder Magnesium für die Metallbereitung bedeuten, und welche merkwürdigen ungeahnten Erfolge dadurch erzielt sind. Aber auch diese beiden Verwen dungsformen des Acetylens sind wiederum nicht die wesentlichsten. Ich habe schon auf die grosse Verbindungsfähigkeit dieses Körpers in organische Formen hingewiesen und möchte davon noch einige Anwendungen vor führen. Lässt man Acetylen C 2 H 2 in eine alkalische Lösung von über mangansaurem Kali treten, so wird aus CH, durch Oxydation Oxalsäure C204H2, die wir bisher nur als ein Produkt aus Pflanzenstoffen gewinnen. Leitet man Acetylen durch eine Chromsäurelösung, so erhält man Essigsäure C 2 H 4 O 2 ; geht man aber weiter und addirt dem Acetylen C 2 H S nach bekannten Methoden 2 Aequivalent nascirenden Wasserstoff, so erhält man daraus Aethylen C 2 H 4 , und wird dieses in Schwefelsäure geleitet, so ergiebt dies Aethylschwefelsäure CH,+ H,SO, = C 2 H 5 HSO 4 , und dieses mit Wasser destillirt zerfällt in Alkohol C 2 H 6 O und Schwefelsäure H 2 SO 4 . Destillirt man die Aethylschwefelsäure anstatt mit Wasser mit Alkohol, so erhält man Schwefeläther (Aethyläther) und Schwefelsäure. Alle diese Reaktionen sind nicht etwa neu, sonderrf längst wissenschaftlich begründet und erprobt. Berthelot’s Vorschlag, auf obige Weise aus Aethylengas Alkohol synthetisch herzustellen, scheiterte bisher nur daran, dass Aethylen gas zu theuer war. Jetzt, wo man dasselbe aus Acetylen und dieses wieder aus Kalk und Kohle gewinnen kann, bekommt die Sache doch einen praktischen Hintergrund, und von diesem aus habe ich einmal berechnet, wie die Erzeugung aus Calcium-Carbid sich zu der heimischen Spiritus erzeugung aus Kartoffeln stellen könnte. Eine gute Ernte liefert von einem Hektar 16 000 kg Kartoffeln mit 18 pCt. Stärkegehalt = 2880 kg Stärke, 1 kg Stärke liefert theoretisch 0,5679 kg absoluten Alkohol, das praktische Ausbringen erreicht aber höchstens 85,1 pCt. des berechneten, also 0,4832 kg = 60,5 Literprozent, mithin ergeben 2880 kg Stärke in 16 000 kg Kartoffeln 1391,6 kg Spiritus = 175 500 Literprozent. 1 ton 1000 kg Calcium-Carbid liefert 406 kg Acetylen, welche 718,1 kg absoluten Alkohol ergeben, mithin liefern 2 tons Calcium-Carbid theoretisch 1436,2 kg absoluten Alkohol, also mehr als eine vorzügliche Kartoffelernte von 16 000 kg 18 prozentiger Kartoffel von einem Hektar. Eine mittlere Kartoffelernte, welche 12 000 kg mit 12 pCt. Stärke = 1440 kg Stärke hereinbringt, liefert nicht mehr als 695,8 kg Spiritus, d. h. als 1 ton Calcium-Carbid. Wenn diese Konkurrenz für unsere jetzige Kartoffelsprit-Erzeugung, bei der ja auch noch zahlreiche andere wirthschaftliche Momente wie Boden reinigung und Futter-Erzeugung mit in Betracht kommen, vielleicht auch nicht so bald praktisch wird, glaubte ich dies Beispiel doch wählen zu sollen, um Ihnen die Bedeutung der Sache zahlenmässig näher zu bringen. Wie die einwerthigen Alkohole wird man aber später auch die zwei- und mehrwerthigen aus dem Acetylen nach theilweise bereits bekannten Methoden aufbauen und so Zucker, Stärke und andere Stoffe aus den Urstoffen synthetisch erzeugen. Bringt man ferner Acetylengas C 2 H 2 mit Stickstoff 2N zusammen und lässt elektrische Funken durch das Gemisch schlagen, so bildet sich glatt Blausäure C 2 H 2 + 2N = 2HCN und damit ist der Ausgangspunkt für die Herstellung nicht allein der Cyanverbindungen (Cyankalium usw.), sondern auch für die der Amide und eventuell der Eiweissverbindungen gegeben. Sehen Sie, meine Herren, wie die Hoffnungen, welche Werner von Siemens in seiner Rede auf der Naturforscherversammlung in Berlin aus sprach, dass es noch einmal gelingen müsse, auch die zur Erhaltung des menschlichen Organismus nöthigen Nährstoffe auf chemischem Wege unab hängig vom Vegetations-Prozess zu gewinnen, ihrer Erfüllung näher rückt. Glücklich zu preisen ist die jüngere Generation, welche das erleben und ausführen wird, aber froh wollen auch wir sein, dass uns der Ausblick auf diese Zukunft eröffnet ist. Konzentriren der Schwefelsäure. Wir lesen im »Prometheus«, dass man jetzt, statt — wie bisher in theuren Platingefässen zu ver dampfen, welche überdies durch die Feuerung leicht angegriffen werden — Platindraht-Spiralen in den Pfannen anbringt, durch welche ein elektrischer Strom kreist. Die Elektrizität setzt sich durch den Widerstand in den Spiralen in Wärme um und erhitzt die Säure. Wie billig Seefrachten im Verhältniss zu Landfrachten sind, zeigt folgendes Beispiel: Die Fracht auf Papierabfällen von London nach Manchester, eine Entfernung, welche der Schnellzug in etwa 4 Stunden durchläuft, beträgt 141/2 Shilling die Tonne, von London nach New York dagegen nur 7 Shilling.