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96 PAPIER-ZEITUNG. Nr. 4. Spiegelverzierung. Spiegel nennt man bekanntlich das auf der Innenseite des Deckels vom Buche oder der Mappe befindliche Blatt, ganz gleich, ob dieses von Papier, Seide oder Leder ist. Aber statt Ver zierung könnte man dies häufig mit Recht Verunzierung nennen, so überladen mit Stempeln, Bordüren, Linien und mehrfarbigem Leder ist oftmals dieses Ding. Besteht der Spiegel aus Papier, so sind Verzierungen nicht anzubringen. Man begnügt sich hier bei, durch mehr oder minder kostbares Material zu gefallen, und hier sind es die verschiedenen Sorten vom einfachen Leipziger bis zum feinsten Goldbrokat- und Phantasie-Vorsatz; auch sind die verschiedenen Nachahmungen sehr beliebt. In Seide ist fast dasselbe der Fall. Der einfache Atlas wie der schwere, werth- volle Damast finden Verwendung. Während Papier einfach aufgeklebt wird, ist die Behandlung der Seide anders, schwieriger. Diese wird gespannt, und da jede Seide mehr oder weniger durchscheinend ist, mit weissem unbedrucktem Papier unterlegt. Bei weisser Seide jedoch ver wendet man blaues Papier; hat diese aber einen gelblichen Ton, so nimmt man violettes Papier. Das Aussehen der Seide gewinnt hierdurch ausserordentlich. Das Spannen ist äusserst einfach und geschieht folgendermaassen: Man schneidet sich ein kräftiges Blatt Papier oder dünnen Karton in entsprechender Grösse zu, lasse die Seide an allen vier Seiten etwas überstehen, schmiere diese an und schlage sie ein. Jedoch achte man gut darauf, dass alle Seiten schnurgerade Linien bilden und nicht wellig sind. Nichts sieht schlechter aus als ein bogiger und welliger Spiegel. Um zu ver hüten, dass die Spiegel sich werfen, lege man diese zwischen Bretter. Das beste Mittel jedoch ist sofortiges Anbringen an den dafür bestimmten Platz, hier also in die Deckel. Bei Verwendung von Leder ist die Vielfältigkeit un begrenzt. Alle Sorten und Farben finden hier Verarbeitung. In der Regel ist die Farbe des Spiegels eine andere als die der Aussenseite der Lederdecke, doch sollen stets beide Farben harmonisch zueinander stimmen. Beim Lederspiegel findet jedes mal Vergoldung statt, und diese ist es, welche hier eine grosse Rolle spielt, denn eine schöne Spiegelvergoldung findet stets Anerkennung und lässt etwaige Mängel am Einbande geringer erscheinen. Allgemein zeigt hier der Handvergolder seine Kunst, aber auch die Presse findet Anwendung. Wie bei der äusserlichen Ausschmückung, so kann man auch bei der des Spiegels auf den Inhalt des betreffenden Gegenstandes Bezug nehmen. Heisst z. B. das Werk »Edelweiss«, so nimmt sich eine von weissem Leder aufgelegte Edelweissblüthe in der Ecke oder Mitte des Spiegels, umgeben von kleinen gedruckten Goldsternen oder ähnlichen Motiven, ganz reizend aus. Der Eindruck wird vollendet, wenn im ziselirten Goldschnitt sich noch gleiche, schön ausgesparte Blüthen befinden. Diese und in ähnlich einfacher Weise gehaltene Ausschmückung verdient den Vorzug, wird auch stets, weil nicht viel Zeit und Kosten erfordernd, Gefallen und Abnehmer finden. Die Anbringung des fertigen Lederspiegels geschieht auf zweierlei Weise. Die einfachere ist, dass man den auf genaue Grösse geschnittenen Spiegel recht sauber an allen Seiten schärft, ebenso vorher den Einschlag der Lederdecke. Alsdann klebt man den Spiegel ein, legt zwischen Buch und Deckel ein Zink blech und presst das Ganze, bevor es völlig ausgetrocknet ist, scharf ein. Es entsteht hierdurch eine schöne glatte Fläche, vor ausgesetzt, dass beide Theile genau ausgeschärft sind. Schwieriger ist die andere Art der Befestigung des Spiegels. Dieser wird etwas grösser, ungefähr so gross wie der Deckel zu geschnitten und auf der Innenseite durch ein paar Tupfen Leim provisorisch befestigt. Nachdem man nun die Grösse des Spiegels abgemessen und vorgemerkt hat, schneidet man mit einem dünnen, recht spitzen und scharfen Messer den Spiegel heraus und zwar so, dass man mit dem genau senkrecht gehaltenen Messer das Leder bis auf den Pappdeckel durchschneidet. Nach Entfernung des innerhalb des Schnittes stehen gebliebenen Leder-Einschlags gewinnt man den Raum für den Spiegel, welcher haarscharf hin einpassen wird. Dieser wird nun genau wie oben eingeklebt und unter Vorlage eines Blechs angepresst. Die gegenüberliegende Seite wird vielfach, ja in den meisten Fällen, von Seide her gestellt, vereinzelt auch von Brokatpapier. Zum Schluss will ich nicht unterlassen, eines Erlebnisses zu gedenken, welches mir vor ungefähr zwölf Jahren beim offen An pappen einer Partie Halbfranzbände passirte. Zur Verhütung von Beschädigungen hatte ich an den vorgehefteten Leinwandfalz des bis auf den Spiegel fertigen Vorsatzes ein Schutzblatt an geklebt. Dieses wird, nachdem der Falz auf den Deckel gut befestigt und angerieben ist, wieder entfernt. Ein Schweizer Kollege, Brunner war sein Name, arbeitete zu der Zeit mit in derselben Werkstatt. Dieser nun, wahrscheinlich eifrig bemüht, etwas zu lernen, sieht mir beim Anpappen zu und bemerkt das Schutzblatt. Er hat dieses aber wahrscheinlich nach anderer Methode gelernt, was ihn wohl schliesslich zu der Frage veran lasst: »Bleibt denn das so, oder kommt da etwas anderes hinein?« Antwort: »Da kommt der Spiegel hinein«. »Was! Spiegel? Ja, wird denn der beim Einpressen nicht gedrückt. Der muss doch zerspringen?« Homerisches Gelächter über die naive Ansicht des kleinen Schweizers war die Antwort. F. K. Seltene Feier! ^Bund deutscher ^Buchlinder-Snnun^en. o Berlin, den 8. Januar 1895. An die verehrliche Redaktion der Papier-Zeitung hier, Potsdamerstr. Nr. 134. Am 22. Januar d. J. vollendet der Buchbindermeister Herr Gustav Slaby sen. in Berlin sein 90. Lebensjahr; im Jahre 1893 war es ihm bereits vergönnt, in Frische des Herzens und körperlicher und geistiger Rüstigkeit sein 60-jähriges Meister-Jubiläum zu begehen. Seinen vielen Freunden machen wir diese Mittheilung; gewiss werden sie nicht ver fehlen, dem greisen Vertreter unseres Handwerks aus Anlass dieses seltenen Tages ihre Glückwünsche zu übermitteln. Die Feier wird bei seinem zweiten Sohne, dem Rektor der technischen Hochschule, Herrn Geheimen Regierungsrath Professor Dr. Slaby in Charlottenburg, Sophienstrasse Nr. 4, stattfinden. Der Vorstand der Innung und des Verbandes wird den ehrwürdigen Jubilar am Vormittage des 22. Januar mit der gleichzeitigen Ueberreichung einer Votivtafel dortselbst beglück wünschen. Es wäre interessant zu erfahren, ob in Deutschland, ja in der ganzen Welt noch ein älterer Buchbindermeister am Leben ist. Wir richten dieserhalb an die Leser dieses Blattes die Bitte, in den Kollegenkreisen Nachforschung zu halten und uns Nachricht hierüber zu geben. Wir werden nicht verfehlen, den Namen des Betreffenden dann bekannt zu machen. Indem wir die verehrliche Redaktion um Aufnahme dieser, für viele Leser Ihres geschätzten Blattes gewiss interessanten Mittheilung ergebenst bitten, zeichnen Hochachtungsvoll im Auftrage des Vorstandes des Bundes deutscher Buchbinder-Innungen A. Papajewskt/, Schriftführer. Büchertisch. Geographisch-Statistischer Taschen-Atlas von Prof. A. L. Hick mann. Verlag von G. Freitag & Berndt in Wien. Zweite Auflage. Zu den buchhändlerischen Veröffentlichungen nach amerikanischen Vorbildern, welche zwar lange auf sich warten liessen aber dann auch gleich das Vorbild übertrafen, ist auch das obige Taschenbuch zu zählen. Das amerikanische > Eine Million Thatsachen« mit diesem deutschen Taschen-Atlas zusammengehalten, liefert ein sprechendes Bild von dem Lehrer, der durch seinen Schüler übertroffen wurde. Dort Quantität und Billigkeit (25 Cents = 1 M.) als leitender Gedanke, hier Qualität und Preiswürdigkeit als einzige Richtschnur deutlich sichtbar. Wenn man die auf ordinärstem Zeitungsdruck wirr und kraus durch einander gewürfelte Million Thatsachen, in welcher beispielsweise den trockensten statistischen oder mathematischen Nachweisen auf derselben Seite süssliche Stammbuchverse folgen, vor Augen hat und nun das in jeder Richtung den Stempel des ernsten und streng geordneten Schaffens tragende Wiener Taschenbuch mit seinem einladenden Einband durch blättert, so will man gern so lange auf das nützliche Büchlein gewartet haben. Die amerikanische Art, trockene Zahlen mit unaussprechlichen Reihen von Nullen durch verschieden geformte und gefärbte Diagramme fassbar zu machen und vergleichende Statistiken vom ganzen Erdball auf den Raum eines Blättchens Papier zusammenzudrängen, womit früher ganze Bücher gefüllt wurden, erscheint hier in dem eleganten Gewände nur um so vortheilhafter. Um nur eine aus den 41 Karten anzuführen, sind z. B. in Blatt 10 auf einer Druckfläche von 15 X16 cm folgende interessante Daten in farbigen Diagrammen dargestellt: 1. Verbreitungs gebiet der Religionen auf der Erde; 2. Vergleichende Grössenverhältnisse der verschiedenen Religionen der Erde; 3. Vergleichende Grössen verhältnisse der Hauptreligionen Europas; 4. Verbreitung der Israeliten in Europa. — Ebenso interessant sind die Tafeln aus andern Gebieten. Bei Ausführung der zahlreichen topographischen Karten wollte die Verlagshandlung offenbar auf kleinem Raum das denkbar Höchste leisten. Dieselben sind in der That in Stil und Schattirung mit der Sorgfalt eines guten Kartenwerks ausgeführt; dagegen wurde augen scheinlich übersehen, dass sich auf so kleinem Raum eine stark schattirte und überdies noch mit dem Eisenbahnnetz versehene Karte nur müh sam entwirren lässt. Wir irren wohl nicht in der Annahme, dass die strebsame Verlagsanstalt jetzt schon für eine Neuauflage Trennung der topographischen von den Eisenbahnkarten, sowie im allgemeinen etwas hellere Farbengebung auch bei den Diagrammen in Aussicht genommen haben wird, wodurch das so schon sehr brauchbare Taschenbuch nur noch gewinnen kann. Papier und Einband sind tadellos.