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PAPIER-ZEITUNG. Kr. 24 Betriebsschäden und Revisionen an Zellstoffkochern. (Vortrag von Isambert auf der Verbandsversammlung zu Mailand.) Meine Herren! In unserer letztjährigen Verbandsversammlung in Nürnberg wurde mir der Auftrag zutheil, über Betriebsschäden und Revisionen an Zellstoffkochern ein Referat abzustatten. Ich thue dies heute um so lieber, als mir s. Zt. bei Errichtung und Erweiterung der Zellstofffabrik Waldhof bei Mannheim Gelegenheit geboten wurde, die Konstruktion, das Material und die Herstellung der dortselbst in Betrieb stehenden Kocher mitzuberathen, sowie genaue Einsicht in die Betriebsverhältnisse und die Schäden, welche an den Kochern sich zeigen können, zu erlangen. Ich setze voraus, dass einem Jeden von Ihnen, meine Herren, die Konstruktion und die Betriebsart der Zellstoffkocher, auch Cellulose kocher genannt, bekannt ist und begnüge mich, hiermit einige kurze Daten als Einleitung zu meinem Referat zu bringen. Die Zellstoff - Industrie ist eine noch junge zu nennen, sie datirt ihren Beginn aus dem Anfänge der 70er Jahre und hat in den wenigen Jahren ihres Bestehens, also innerhalb 20 Jahren, eine Entwickelung in allen Kulturländern zu verzeichnen, wie wir dies kaum bei einer anderen Industrie beobachten konnten. Nach den mir zur Verfügung stehenden Notizen existiren heute: in Deutschland .... 64 Zellstofffabriken » Oesterreich .... 31 „ „ der Schweiz .... 7 „ im ganzen 102 Fabriken, darunter einige von der allergrössten Ausdehnung, wie z. B. die oben erwähnte Zellstoff fabrik Waldhof bei Mannheim, welche allein 28 Kocher im Betrieb hat, zu deren Alimentirung 38 Dampfkessel grösster Dimensionen, 3 Loko motiven, 1 Dampfkrahn und 2 grosse Pumpwerke nöthig sind. Auch die anderen Fabriken, welche sich mit der Herstellung des Zellstoffs befassen, haben eine ziemliche Ausdehnung, und es ist mir keine Fabrik bekannt, welche weniger als 4 Kocher im Betrieb hätte. Aber nicht allein in den 3 erwähnten, uns hier zunächst inter- essirenden Ländern finden wir die Zellstoff-Industrie begründet, sondern sie erfreut sich auch namentlich in den Vereinigten Staaten von Nord-' Amerika, in Belgien, Russland, Schweden usw. einer immer zunehmenden Prosperität; die genauen Angaben über Grösse jener Fabriken usw. sind mir indessen nicht bekannt, deren Verhältnisse usw. können hier auch füglich bei Seite gelassen werden. Man unterscheidet im grossen und ganzen bei der Fabrikation des Zellstoffes 3 Systeme, nach deren Erfindern benannt: 1. Mitscherlich; hier finden wir horizontale Kocher, die Kochung geschieht indirekt vermittels Bleischlangen. 2. Ritter-Kellner; Vertikal-Kocher, die Kochung geschieht direkt. 3. Frank; rotirende Kocher, die Kochung geschieht direkt. Letzteres System ist, soviel mir bekannt, nicht mehr sehr ver breitet; ich habe nur einmal Gelegenheit gehabt, einen Frank’schen Kocher zu untersuchen, der aus England kam, aber nur kurze Zeit in einer badischen Fabrik in Betrieb stand; einige Frank-Kocher sollen noch in Frankreich betrieben werden. Bei allen Systemen ist die verwendete Lauge: doppelschweflig saurer Kalk. Die Mitscherlich-Kocher sind aus 26—28 mm starken Eisenplatten gebaut, werden im Innern mit Bleifolie belegt und mit säurebeständigem Material ausgefüttert. Die Ritter-Kellner-Kocher sind ebenfalls aus Eisenplatten von 26 bis 30 mm Stärke gebaut, werden mit 8 mm dicken Bleiplatten aus gelegt und theils ausgemauert, theils unausgemauert betrieben. Die Fugen des Mauerwerks sind in allen Theilen mit säure beständigem Material ausgegossen; man findet sogar einige Fabriken, die die Fugen mit Blei ausgiessen, was selbstredend sehr theuer, aber auch wirkungsvoll ist. Die Mitscherlich-Kocher arbeiten mit etwa 3 bis 31/2, die Ritter- Kellner’schen mit 6 bis 7 Atm. Dampfdruck; bei erstern dauert eine Kochung 80 bis 90 Stunden, bei letztem 15 bis 20 Stunden. Je lang samer und länger gekocht wird, desto besser wird das Fabrikat, und die Beendigung des Prozesses erkennt der Betriebsbeamte aus der Beschaffenheit der Lauge, die er von Zeit zu Zeit titrirt. Nach beendigter Kochung wird zunächst die Lauge abgelassen und der Kocher mit frischem Wasser mehrmals gefüllt, das immer wieder abgelassen wird, daraufhin die gekochte Holzmasse, die jetzt Zellstoff ist, aus dem Kocher gebracht; die Art und Weise, wie letzteres geschieht, ist rehr verschieden: bei den Mitscherlich-Kochern muss die Masse von Hand herausgebracht werden; neuerdings wird bei den Ritter-Kellner- Kochern der Zellstoff mechanisch in grosse Sammelgefässe geblasen, von wo aus er nach den Holländern oder andern Fabrikationsstellen verbracht wird. Das Entleeren und Wiederfüllen der Kocher dauert selbstredend auch verschieden lange: bei den Mitscherlich-Kochern 2—3 Tage, bei denen von Ritter-Kellner nur 4—6 Stunden. Vergegenwärtigen wir uns nun den ganzen Prozess des Kochens usw. in seinen verschiedenen Stadien, so ist es klar, dass die Beanspruchung des Materials, aus dem die Kocher hergestellt sind, sehr gross sein muss; hierzu trägt bei: 1. die mechanische Einwirkung des Füllmaterials, des Holzes, welches von oben hereingebracht wird, 2. die grossen Temperatur-Differenzen, denen die Kocher während und nach jeder Operation ausgesetzt sind, 3. die chemische Einwirkung der Lauge auf die Wandungen der Kocher. Es ist deshalb eine unausgesetzte Beobachtung des Zellstoffkochers in allen seinen Theilen nothwendig, damit nicht vorzeitige Zerstörungen der Platten usw. eintreten. Kleine Undichtigkeiten des Steinfutters schaden zunächst nichts; wird aber der Bleimantel undicht, so greift die Lauge sehr bald das Eisenblech an, und binnen kurzer Zeit treten so erhebliche Korrosionen ein, dass die ehemals schweren Eisenplatten nicht mehr die genügende Festigkeit haben und durch neue ersetzt werden müssen. Tritt der Fall ein, dass Lauge durch das Bleifutter an den Eisenmantel gelangt, so macht sich dies sehr bald durch einen scharfen Geruch bemerkbar, welcher von der Lauge herrührt, die an den Löchern des Eisenmantels heraustritt; diese Löcher sind zu besagtem Zwecke an verschiedenen Punkten angebracht; sie sind etwa 20 mm weit. Bei gewissenhaftem Betriebe sollte der Zellstoffkocher nach jeder einzelnen Operation im Innern genau besichtigt werden, da von der tadellosen Instandhaltung der Kocher die Qualität der erzeugten Waare abhängig ist; die Zellstofffabrik Waldhof hängt nach jeder Operation eine elektrische Lampe in den Kocher und lässt das Innere von einem geübten Arbeiter auf’s Genaueste untersuchen. Bei der geringsten Undichtigkeit treten kleine schwarze Flecken am Steinfutter auf; die selben rühren her von gelöstem Eisen, welches nach dem Ablassen des Kochers durch die Steinfugen hindurch ins Innere tritt. Sobald dies beobachtet wird, muss zur Reparatur des Bleimantels geschritten werden, und es ist eine recht schwierige Aufgabe, die Stelle an einem aus gemauerten Zellstoffkocher zu finden, wo das Bleifutter undicht geworden ist. Wird nicht sofort reparirt, so kann eine ganze Eisenplatte inner halb weniger Stunden zerfressen werden, abgesehen von der Minder- werthigkeit des Zellstoffs infolge Beimengung von Eisenverbindungen usw. — Ich erinnere die Herren Kollegen an die Platte eines Mitscherlich- Kochers, die meine Gesellschaft s. Zt. unserer Kollektiv-Ausstellung der Dampfkessel-Ueberwachungs-Vereine auf der Hygiene-Ausstellung Berlin im Jahre 1889 zubrachte; diese Platte, 30 mm stark, war binnen wenigen Tagen an einzelnen Stellen ganz, an andern bis auf 8 mm Wandstärke zerfressen, sodass in jenem Falle Ersatz mehrerer Platten mit einem Kostenaufwand von ungefähr 3000 M. eintreten musste. Wenn es gelänge, eine Compound-Eisenbleiplatte herzustellen, bei welcher die Eisenseite stark genug wäre, um dem im Innern des Kochers herrschenden Druck genügenden Widerstand zu leisten, die Bleiseite aber hinreichenden Schutz gegen die Einwirkung der Lauge böte, so wäre nicht allein der Zellstofffabrikation, sondern auch vielen andern chemischen Fabriken ein grosser Dienst erwiesen; die Schwierigkeit liegt hier nicht allein in dem innigen Verbinden von Blei mit einer starken Eisenplatte, sondern auch in dem Verhalten beider Metalle mit verschiedenen Ausdehnungskoeffizienten; Versuche in dieser Richtung sind wohl gemacht worden, allein die Resultate waren, soweit mir bekannt, nur negativer Art. Neuerdings behauptet nun die Firma Velthuysen & Co. in Franken thal, dass es ihr gelungen sei, Eisenplatten von 25—30 mm Wandstärke zu verbleien und dafür eine Garantie einzugehen, dass das Blei dauernd dicht bleibt; eine kleine Probe zeige ich hier vor: ob sich dieses Material zur Herstellung von Zellstoffkochern eignet, wird die Erfahrung zeigen, und ich behalte mir vor, Ihnen vielleicht im nächsten Jahre etwas Näheres hierüber zu berichten. Vorläufig haben wir es aber nur mit den in vorhin beschriebener Weise hergestellten Zellstoffkochern zu thun, über welche allein ich Ihnen zu berichten hatte. Auf Grund dieser Beobachtungen und Mittheilungen gestatte ich mir für die Anlage und den Betrieb der Zellstoffkocher folgende Thesen aufzustellen: 1. Die Zellstoffkocher sind so zu konstruiren, dass der schwächste Theil derselben mit höchstens 1/ seiner Festigkeit beim Betriebe beansprucht wird. 2. Die Erfüllung des Satzes 1 ist durch Berechnung und eine auf den zweifachen Druck der beabsichtigten Maximai-Betriebsspannung auszuführende Wasserdruckprobe vor der Verbleiung nachzuweisen. 3. Nach der Verbleiung, aber vor der Ausmauerung, sind die Kocher abermals mit Wasser auf den 11/2 fachen Betriebsdruck zu prüfen; da diese zweite Druckprobe lediglich den Zweck hat, die Dichtigkeit des Bleifutters nachzuweisen, so müssen die an dem Eisenblechmantel angebrachten Probirlöcher während der Druckprobe offen sein. 4. Eine Wiederholung der Druckprobe nach eingesetztem Steinfutter ist nicht mehr nöthig. o. An den Zellstoffkochern sind zur Beobachtung des Fortganges der Fabrikation und in sicherheitlichem Interesse Manometer und Ther mometer anzubringen. 6. Die Kocher sind so oft wie möglich, thunlichst nach jeder Kochung, im Innern zu untersuchen, ob keine Undichtigkeiten einge treten sind. 7. Etwaige Undichtigkeiten des Bleimantels sind sofort zu beseitigen. 8. Sind infolge von Undichtigkeiten erhebliche Korrosionen an dem Eisenmantel aufgetreten, so müssen die defekten Platten durch neue ersetzt werden. 9. Eine genaue Besichtigung aller Theile im Innern und aussen sollte thunlichst nach jeder 10. bis 15. Kochung vorgenommen werden. 10. Eine Revision der Gesammtkocher-Anlage, verbunden mit einer auf den 11/2 fachen Arbeitsdruck gesteigerten Wasserdruckprobe, ist alljährlich, bei Reparaturen nach diesen vorzunehmen.