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No. 1. Buchgewerbe Buchdruck eee Buchbinderei ® ® ee Steindruck Oe® Buchhandel Eingesandte Werke finden Besprechung. Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung. Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme. Berliner Typographische Gesellschaft. Einladung zur Generalversammlung s. am Schluss der Seite 9. Haarstriche in Druckschriften. In allen regelrecht gebildeten Schreibschriften und den meisten Druckschriften der Gegenwart lassen sich Haarstriche und Grund striche unterscheiden. Als man noch nicht mit Schreibflüssigkeit auf Papyrus, Pergament oder Papier schrieb, sondern die Schrift züge mit Meissel und Messer in Stein oder Holz ritzte, gab es noch keinen solchen Unterschied. Runen, altgriechische und alt römische Stein- oder Holz-Inschriften sind immer »Blockschriften«. Der Unterschied zwischen Haar- und Grundstrich kam erst durch Anwendung des breit-flachen Borstpinsels oder der breit- schnäbelig angespitzten Rohr- oder Gänsekielfeder zu Stande. Wenn man mit einem solchen Schreibwerkzeug bei naturgemässer, einheitlicher Federhaltung Schriftformen bilden wollte, so mussten die Züge in der einen Richtung stark oder breit, in der andern schwach oder dünn werden. Je nachdem man das Schreibwerk zeug bewegte, mit der Breitfläche der Spitze senkrecht zur Zeilen richtung (Fig. 1), oder, was für das Schreiben bequemer ist, im Winkel von 45 Grad zur Schriftlinie (Fig. 2), erzielte man, wie aus vorstehenden Abbildungen hervorgeht, verschiedene Stärke der senkrecht oder anders liegenden geraden Striche und ver schiedenartige Schwellung der Kurven. Auf solche Weise entstand unter dem Einfluss des Schreib werkzeugs und dessen Führung der Unterschied zwischen Haar- und Grundstrich. Die mit Federhaltung 1 hergestellte Schrift wird von den Gelehrten Kapitalschrift, die andere Uncialschrift genannt. Beispiele 3 und 4 zeigen, dass die veränderte Feder haltung auch eine Veränderung der Formen zur Folge hatte. "»«■ cUIAs ROaNa ‘V4 ClülTM RODANA CIIIA5 ROMANA Es gab im 4. und 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung noch eine Schrift, in welcher die in Fig. 1 gezeigten Verhältnisse umgekehrt waren, die sogenannte Litlera capitalis rustica (Fig. 5). DieseSchrift wurde derart hergestellt, dass die breitgeschnäbelte Feder in der Zeilenrichtung fortbewegt wurde: aY % I "“AP-— Alle senkrechten Striche wurden demgemäss fein, alle waage rechten und schrägen mehr oder minder kräftig. Auf dem Formungs-Grundsatz der Uncialschrift (Fig. 2) beruht die heutige Kundschrift. Die Entstehung des Unterschiedes zwischen Haar- und Grund strich ist also auf das uralte Schreibwerkzeug, die Breitschnabel feder, zurückzuführen. Man benutzte dieselbe ohne Ausübung wesentlichen Druckes, während wir bei Gebrauch der heut üblichen Spitzschnabelfeder zur Herstellung des Grundstrichs Druck anwenden müssen. In den Zeiten, zu welchen die geschriebene Schrift das einzige über Raum und Zeit hinausragende Verständigungsmittel bildete, waren die Haarstriche keineswegs härchendünn, sondern, ent sprechend der ziemlich derben Beschaffenheit des Schreibwerkzeugs, leidlich kräftig. Das Verhältniss war etwa wie 1 : 3 oder 1:4. Dieses Verhältniss hielten auch die Buchdrucker des 15. bis 18. Jahrhunderts in ihren Druckschriften fest, und erst die ver feinerte Technik unseres Jahrhunderts veranlasste, dass Stempel schneider und Buchdrucker in der Darstellung wirklich härchen dünner Haarstriche das erstrebenswerthe Ziel erblickten. Dieses Vergnügen an dem feinen Haarstrich führte zu einem allmäligen Verschwinden des Verständnisses und Gefühls für Proportionalität der Schriftformen, und die Folge war, dass man auch fette Schriften, deren Grundstriche in übertriebener Weise verdickt waren, mit spinnwebdünnen Haarstrichen versah. Die Beschaffung von Beispielen solcher Verirrungen ist nicht schwer; die Druckerei der Papier-Zeitung ist gleich allen übrigen deutschen Druckereien noch mit einer tüchtigen Anzahl der artiger missformiger Schriftbilder versehen. Nachstehend einige Beispiele: Fette raftur ELZ EVIR (bot I i Irl) Sianzle i Wenn man denjenigen Schriftgrad ermitteln will, welcher grössere Stärke des Haarstrichs als die einer feinen Linie nicht verträgt, so wird man bei magern Schriften bis auf Cicero zurück- gehen können. Mittel verträgt schon etwas kräftigere Haarstriche. Betrachtet man eine mässig abgenutzte Korpus-Fraktur oder ■Antiqua unter einer stark vergrössernden Lupe, so findet man, lass die Dicke des Haarstrichs zur Dicke des Grundstrichs sich innähernd ebenso verhält wie in den mittelalterlichen Hand schriften und den frühen Druckschriften, nämlich wie 1 : 4, auch wohl 1 : 6. Wenn die Schrift neu ist und auf glattes, ungefeuchtetes Papier gedruckt wird, erscheint der Haarstrich allerdings noch lünner. Im Laufe der Zeit werden die Haarstriche bei einzelnen fiel gebrauchten Buchstaben mehr, bei andern weniger abgequetscht, ind bei gemeinsamer Verwendung dieser verschieden stark