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„Ich-will noch warten, Herr Hanno Teising. Ich will noch zwei, noch drei Tage warten." Hanno schloß die Augen sekundenlang und atmete auf. * . O * Die Gäste saßen an der Frühstückstafel im behaglich ge heizten Saal. Nur Esther Ristorj fehlte. Marion wartete gespannt auf die Freundin. Als sie aber iminer noch nicht kam, ging sie zu Esther, um die Lang schläferin zu wecken. Nach wenigen Minuten kam sie weinend wieder. „Was ist denn, Marion?" fragte Mrs. Porter erschrocken. „Esther ist krank, Ma. Sie spricht so ... ich verstehe sie ! gar nicht. Sie muß Fieber haben. Ma. bitte komme doch einmal mit zu Esther. Mein fürchte ich mich so." Die ganze Tafelrunde war bestürzt. Mrs. Porter stand auf und begab sich auf Esthers Zim mer. Sie fand die Schauspielerin noch im Bett liegend, ihr tiefschwarzes Haar lag aufgelöst und wirr um das schöne Haupt. Rote Flecken brannten auf ihrem Antlitz. * Der Atem ging schwer und unregelmäßig. „Was ist Ihnen, Fräulein Esther?" fragte Mrs. Porter gütig und strich die fieberheiße Stirn. s Esther richtete sich im Bett halb auf und sah sie mit irren Augen an. „Müde . . . bin ich o, so müde, Mrs. Porter. Lassen . . . Sie mich . . schlafen Er ist doch so gut . , , hoffen . . . o, hoffen kann ich. Wo . . . ist Hanno?" Da wußte die Kanadierin, daß Esther sehr krank war. Sie rief rasch eines der Mädchen und begab sich zu Robert Tessing. „Fräulein Esther ist krank . - . ich fürchte, sehr krank! Der Arzt muß gleich geholt werden." Tessing hörte es erschrocken. „Natürlich, dann muß so fort der Arzt her. Hanno oder Jan kann sofort fahren." Und er eilte rasch in die Küche, wo er Hanno und Ian im Gespräch fand. Sie sahen, daß der Dater erregt war, und Hanno fragte: „Was gibt es, Vater?" „Der Arzt! Einer von euch muß gleich mit dem Auto nach Neuenberg und den Arzt holen. Fräulein Escher ist krank geworden." Hanno sah den Vater entgeistert an: „Esther?" „Ja. Wer fährt?" „Ich," rief Ian. „In einer halben Stunde bin ich unten." Rasch warf er die Küchenkleidung ab und zog sich um- „Ernstlich krank, Vater?" s „Ich weiß es nicht, Junge." s „Wer ist bei ihr?" ' „Mrs. Porter hat Barbara zu ihr geschickt. Fräulein Escher hat Fieber. Ich fürchte, es wird eine Lungenentzün dung sein. Sie war auf der Rückfahrt im Auto so leicht be kleidet und so unvorsichtig." „Ich weiß es, Vater." Tessing wollte die Küche wieder verlassen, blieb aber noch einmal stehen. „Es geht dir wohl sehr nahe, Junge? Hast du sie lieb?" „Nein, Dater, lieb nicht! Aber mich jammert das junge Wesen." „Sie wird bald wieder gesund sein. Ich glaube es fest." ! „Gebe es Gott, Vater." Marion und Mrs. Porter fühlten sich bedrückt und son derten sich bald von der Tafel ab. Mit dem alten Tessing begaben sie sich gemeinsam ins Wohnzimmer. „Ach, Tessing!" seufzte Mrs. Porter. „Ich will froh sein, wenn unsere stillen Abende wiederkehren. „Es geht mir nicht anders, Mrs. Porter. Es wird bald sein." „Ich habe mit meinen Töchtern schon gesprochen, lieber Tessing. Sie sind beiden, auch der Herzogin, als zweiter Water herzlich willkommen. Wenn es Ihnen recht :st, hei raten wir bald." Tessing warf einen verstohlenen Blick auf Marion, die ihn so herzlich ansah, daß ihm ganz warm ums Herz wurde. „So bald Sie wollen!" „Wäre es Ihnen recht, Tessing, wenn wir uns, sobald dis Gäste fort sind, in Altcnecken trauen lassen?" „Es ist mir recht! Nur über das Weitere müssen wir noch sprechen . .. und Hanno und Ian muß ich es sagen." „Das. . . möchte ich gern selbst tun. Ueberlassen Sie es mir, lieber Tessing." Tessing lachte froh. „Gern! Dankbar bin ich Ihnen, daß Sie mir das abnehmen." „Ja, das will ich gern tun." „Ma!" sagte Marion schüchtern. ^Was denn. LinüL^ Das Girl kam zu ihr gesprungen und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Mrs. Porter hörte es erstaunt und lachte daun herzhaft auf. „Du Kindskopf! Hören Sie, lieber Tessing, meine kleine Marion hat sich in den Ian verliebt, und ich soll ihr er lauben, daß sie ihn nehmen darf." Beide lachten herzlich auf. Marion traten die Tränen in die Augen. Mrs. Porter sah es und schloß ihr Kind in die Arme. „Kleines, dummes Girl! Nicht weinen! Laß die dummen Tränen! So böse ist doch deine Mutter nicht. Gewinne dir deinen Jan, und mir soll er recht sein." „Wenn der Jan aber nicht will, Ma, und ich bringe den Hanno?" fragte sie ganz ernsthaft. „Hast du da Hoffnungen, Marion?" scherzte die Mutter. „Viel nicht, Ma," gestand sie. „Aber man kann manch mal nicht wissen." Und wie der Wirbelwind war sie aus dem Zimmer ver» schwunden. (Fortsetzung folgt.) Ems LWM SM erst« WrWaM i Nacherzählt von H. S. Auerbach. Der Wald war in großer Erregung. Die klugen, alten Zedern schüttelten bedeutungsvoll das Haupt und prophezeiten seltsame Dinge. Sie hatten schon viele, viele Jahre in dein Walde gestanden, aber noch nie etwas derart Wunderbares erlebt wie das, was sie jetzt am Himmel rund aus den Hügeln bei dem nahen Dorfe sahen. „Sagt doch, bitte, was Ihr seht", flehte eine kleine Rebe, „wir sind ja nicht groß genug, um all «das Wunderbare schauen zu können. Wir möchten uns auch daran freuen." „Ich kann vor Staunen kaum sprechen", bemerkte eine alte Zeder. „Der Himmel scheint in Flammen zu »stehen, die Sterne tanzen, und Engel steigen zur Erde herab und reden mit den Hirten auf dem Felde." Die Rebe lauschte voller Verwunderung. Ihr zunächst stand ein kleiner Baum, so klein, daß keine der großen Zedern ihn beachtete. Und doch war es ein sehr schönes Bäumchen, gerade und schlank gewachsen, das von allen Reben iun!d Farnen und sonstigen Pflanzen des Waldes geliebt wurde. „Wie gern würde ich die Engel sehen und die Sterne! Sie müssen sehr schön sein", seufzte es leise. z Während sich die Rebe und das Bäumchen so unter hielten, beobachteten die Zedern mit steigenden: Interesse die wunderbaren Vorgänge am Waldesrande. Musik er scholl und bald war die Luft von herrlichen Harmonien er füllt. ( „Welch wunderbare Musik", rief der kleine Baum. „Wo her mag sie kommen? " „Die Engel singen" entgegnete eine Zeder, „niemand sonst vermöchte so herrliche Töne hervor zu 'bringen." „Auch die Sterne singen", bcmerite ein anderer Baum, „und die Hirten. Welch seltsames Lied es doch ist." Die Bäume lauschten, ohne jedoch den Sinn des Ge sanges erfassen zu können. Er hörte sich an wie eine Hymne. Man verstand etwas von einem Kinde das geboren lei, aber welche Bedeutung es damit hatle, war nic^ zu crlennen. Der Gesang dauerte die ganze Nacht hindurch an. und nährend dieser Zeit sahen die Zedern den Ta^ der Sterne und die Engel bei den Hirten. Es war gegen Swigen »als die .federn pilzlich aufgeregt riesen: „Sie kommen .hierher! Die 'Lngel kommen zu uns in den Wald." Und so war es. Immer noch die Hymne von dem Kind sinnend daß.der aanre Wald miderhaltte, näherte sich die Schar der Engel. Sie kamen i» weiße Gewänder gehüllt, mit Kronen auf den Häuptern