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MsdrufferTageblatt Wochenblatt für Wilsdruff und Umgegend Postscheckkonto Dresden 2640 Fernsprecher Wilsdruff Nr. 6 Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meitzen, des Amtsgerichts zu Wilsdruff, des Stadtrat» zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen. «erleaer und Drucker: Arthur Zschunke in Wilsdruff. Verantwortlicher Schriftleiter: Herma»« LSsstg, für de« JuterateuteU: «r«tz»r Asch»»»«, bttd« s» WA«dr«^ 82 Aahrqasg. Nc 82 Dienstag / Mtltwoch 17. / 18. Juli 1923 Kleine Zeitung für eilige Leser. * D'e A> irbcitung der englischen Antwort an Deutschland, die in vcr Hauptsache Lord Curzon übernommen hat, soll am Donnerstag beendet sein. * Ans die Wcdercrgreifung des aus dem Leipziger Unter- inchuugsgesängms cmslohcuen Kapitäns a. D. Ehrhardt ist eine Belohnung von 25 Millionen Mark ausgesetzt worden. * Der französische Ministerrat beschloß, sich an den Verbanv» lungspläncn Baldwins nur zu beteiligen, wenn die französi schen Forderungen voll erfüllt würden. Valorisierung -er Löhne. llbcr das augenblickliche Stadium in den Ver handlungen über die Einführung wertbestän diger Lohne und die in diesem Problem ruhen den Gefahren wird uns von einem wirtschasts- poünseihni Mitarbeiter geschrieben: Soeben ist ein großer Streik in Berlin ausgcbrochcn, und in einigen Tagen schon wieder beendigt worden, der den ersten Kamps uni die E i n fü h ru n g wertbestän- diger Löhne bedeutet. Er war ganz überflüssig, weil die Arbeitgeber sich grundsätzlich für die Einführung solcher Löhne ausgesprochen hatten nnd nur noch über den vor- geschlagencn Index ihr Bedenken äußerten. Diese grund- sätzliclle Zustimmung hat die Vereinigung der Arbeitgeber verbände auch dein Reichsarbeitsminister gegenüber wiederholt, es steht jetzt nur noch die Bereitwilligkeit auch der Gewerkschaften aus. Trotz dieser scl>einbaren Einigkeit lauert eine ganze Reihe von Gefahren für die wirtschaft liche Befriedung in diesen Abmachungen, da man mit der grundsätzlich angenommenen „automaiisckien Anpassung der Löhne an den Lebcnshaltungsindex" praktisch nur sehr schwer weiter kommt. Denn ein zentraler Lebenshaltungs index soll nicht in Frage kommen, vielmehr eine paritä-- tische private Preisfeststellung erfolgen, wie man sie nach jenem Berliner Streik vereinbart hat. Wenn man schon einmal denJndexlohn einführen will, dann müßte jedenfalls über die Feststellung, die Nor men des Index selbst, eine wirklich objektive Form gefun den werden. Nun soll aber erst noch eine Vereinbarung darüber getroffen werden, welche Mengen von Lebens mitteln, und welche anderen Bedarfsartikel der Jndexfest- stellnng zugrunde gelegt werden sollen. Hierüber wird nun schon der erste Kampf entbrennen, da die Arbeitnehmer sich möglichst den Verhältnissen der Vorkriegszeit nähern wer den. Nun ist aber die Preisentwicklung aus den verschie denen Wirtschaftsgebieten eine überaus verschiedene; be trachtet man beispielsweise die aus dem Holzmarkt einer seits, die auf dem Wohnungswesen andererseits, so wird die Entwicklung auf jenem Markt die Indexziffer ganz ! außerordentlich hoch treiben. Ein Blick auf die verschie denen Indizes (Großhandel-, Lebenshaltungsindex mit oder ohne Kleidung usw.) zeigen ganz gewaltige Differen zen, und es wird unendlich schwer sein, die Forderungen mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten einigermaßen in ! Einklang zn bringen. Eine zweite Gefahr lauert übrigens in der formalen Seite der Behandlung: die private Feststellung des Index. Hierdurch wird der Austrag der oben angedcuieten Kämpfe ganz auf privatwirtschaftlichcn Boden verlegt, und das Mißtrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird seine verhängnisvolle Rolle Weiler spielen. Es wäre vielleicht besser, wenn der Index — in verbesserter Form natürlich — durch eine neutrale staat liche Stelle festgesetzt würde. Selbstverständlich käme und kommt auch nur eine lokale oder höchstens regionale Jndex- fcsiictzung in Betracht, die aber sehr erleichtert würde, wenn nicht auf Grund von Vereinbarungen privater Na tur, sondern gesetzlich oder durch Verordnung eine Liste der heranzuzichenden Lebensmittel- und Bedarfsgüter aus gestellt würde. Das gäbe wenigstens einen einigermaßen festen Rahmen ab. Dringt der Grundsatz des Jndexlohncs auch auf das Gebiet der Staatsarbeiterschaft und -ange- ftclllenschast, ja vielleicht sogar — obwohl etatsrechtliche Bedenken enigegensteheu — sogar auf das Gebiet des Be- a-nirmums über, so muß der Staat als Arbeitgeber auf treten, diese privat-paritätische Preisfeststellung vorneh men; kur, — das alles tun, was die Privatwirtschaft nach obigen Vereinbarungen von sich aus in Angriff nahmen soll. Da wäre es doch im Interesse des sozialen Friedens vorzrrziehen, wenn die verhältnismäßig neutrale Stelle, nämlich der Swat, jene Nahmenvorbercitnnaen schafft. Was wir bet den Beamtengehältern seit Jahren erlebt haben, daß nämlich der Teuerungsfaktor das Grundgehalt s um ein vielfaches überschritt, soll nun bei den Jndexlöhnen dadurch verhindert werden, daß durch freie Vereinbarungen die Löhne in kurzen Zwischenräumen neu vereinbart werden. Unter „Lohn" ist also hier der Grundlohn zu verstehen, neben den dann der Jndexzuschlag tritt. „Rück wirkende Valorisierung der Löhne" nennt es eine Zuschrift der Vereinigung der Arbeitgeberverbände; „Stabilisierung" wäre vielleicht ein besserer Ausdruck für das. was hier gewollt ist. Grundlobn und Lobninder bilden dann in Zeiten der Markbaisse den neuen Grundlohn; da mit wird eine bestimmt erreichte Lohnhöhe stabilisiert. Da bei ist aber noch gar nichts gesagt über die dritte Gefahren quelle, und das ist der Kampf um den Grundlohn selbst. Er wird in dem Augenblick entbrennen, wenn der Übergang vom bisherigen Lohnsystem zum Jndexlohn erfolgt. Und muß besonders heftig werden, wenn nicht rein wirtschaftliche, sondern auch politische Momente mit spielen. Auch die verschiedenen Lohnverhältnisse in den ein zelnen Arbeiterkalegorien werden hier eine stark anrcizende Wirkung ausüben. So sind beispielsweise die Hamburger Hafenarbeiter in den Streik getreten, weil ihnen ein Wochenlohn von 1350 000 Mark zu gering erscheint. Das ist aber ein Lohn, der nach dem Lebenshaltungsindex um gerechnet über den Friedenslohn tatsächlich schon hinaus- geht, obwohl der Produktionsertrag infolge zahlreicher, wohlbekannter Umstände auf wenig mehr als die Hälfte des Arbeitsertrages der Vorkriegszeit zurückgegangen ist. Also eine erfolgreiche Befriedung im sozialen Kampf zwischen Kapital und Arbeit können wir uns von all diesen Abmachungen nicht versprechen. Der Grund, auf dem dieses Gebäude ruht, ist flüssiger Sand: unsere Währung. Und wir können uns zwar da.iit begnügen, in einem solchen Gebäude zu wohnen, dürfen uns aber nicht Wundern, wenn es uns eines schönen Tages über den Köpfen zusammensällt. Die Flucht Ehrhardts. Nachlässigkeit oder Bestechung? Zu der aufsehenerregenden Meldung, daß der seit dem 30. November in Leipzig in Untersuchungshaft befindlich« Kapitän a. D. Eh rh a rd 1 am Freitag gegen Abend aus dem Gefängnis entflohen ist, werden noch folgens« Einzelheiten bekannt: Ehrhardt war gegen 5 Uhr nachmittags in daS Erd geschoß in den Badcraum geführt worden. Danach sollte der Einlaßdienst ihn wieder in Empfang nehmen. Bevor dies jedoch vor sich g.ng, äußerte Ehrhardt, er habe seine Seife im Baderaum zurückgelassen. Ehrhardt ging den Weg zurück und kehrte nicht wieder. Die ausdrückliche Vor- schrist besagte, daß Ehrhardt nur unter besonderer Beglei- tnng seine Zelle verlassen durfte. Entgegen dieser Weisung haben die unteren Gefängnisbeamten Ehrhardt allein imGefSngnisherumlausenlassen. So ist es gekommen, daß er in einen Korridor des Gefängnisses ge langen konnte, von dem aus ein Übergang in das anschlie ßende Amtsgerichtsgefängnis möglich war. Dieser Gang ist durch drei Türen gesichert. Von diesen drei Türen war die eine entgegen den bestehenden Vorschriften nicht verschlossen, die zweite Tür, eine schwere Eisentür, die nur mit einem besonderen Schlüssel geöffnet werden kann, i st a u f g e s ch l o s s e n w o r d e n. Für die dritte Tür, die in das Amtsgerichtsgesängnis direkt führt, eine Holztür, hat Ehrhardt einen Nachschlüssel ge habt. Das Amtsgerichtsgebäude liegt in einer belebten Straße, so daß Ehrhardt von jener aus in dem starken Ber- lehr zu verschwinden vermochte. Die Flucht ist, soweit sich bisher beurteilen läßt, durch grobe Nachlässigkeit untergeordneter Organe be günstigt worden, wenn nicht gar eine Bestechung in Frage kommt. Von amtlicher Reichsstelle wird bewnt, daß Ehrhardt sich nicht in einem Gefängnis des Reiches be- funden Hai, denn ein Reichsgerichtsgefängnis gibt es über haupt nicbt, vielmehr wie alle Untersuchungsgefangencn des Reichsgerichts in dem sächsischen Land gerichtsgefängnis untergebracht ist, so daß die Ver antwortung sür die sichere Unterbringung und Bewachung daher allein die sächsischen Behörden trifft. Aus die Wiederergreifung Ehrhardts ist eine Belohnung von 25 Millionen Marl ausgesetzt worden. Die Nachricht von der Flucht ist sofort durch F u n ke n t e l e g r a m m an alle in Betracht kom menden Polizeibehörden des In- und Auslandes weiter gegeben worden. Anhaltspunkte dafür, wohin sich Ehrhardt gewandt hat, liegen bisher noch nicht vor. Die Behörde erläßt folgenden Steckbrief: Korvettenkapitän Hermann Georg Ehrhardt, geboren 29. November 1891 in Diersburg, ist am 13. Juli 1923, nachmittag- vermutlich mit einem Nachschlüssel vom Amtsgericht aus aus dem Gefängnis Beethovenstraße entwichen. Er mutz Helfers helfer gehabt haben, die ihm die Türen geöffnet haben, »ie Türen konnten nur vom Amtsgericht geöffnet werden, nicht vom Innern des Gefängnisses. Ehrhardt, der früher einen Schnurr- und Spitzbart trug, ist jetzt vollständig bartloS. Er ist 1,70—1,72 Meter grob, von kräftiger Gestalt, hat einen ele ganten Gang und Haltung, eine klare Stimme un- «^rddeutsche Mundart. Maßnahmen der sächsisck-en Regierung. Das sächsische Justizministerium hat von der Flucht erst aus der Presse erfahren. Der Direktor der Gefangenenanstall Leipzig hat es nicht für nötig erachtet, den Vorgang sofort seiner obersten Dienststelle, zu melden. Das-.Justizministerium mn vei ver Lnaaisnnwaltiqatt vre wwruge Aerya,nmg oer an der Gefangenenbefreiung etwa beteiligten Beamten in die Wege geleitet. Der GesangcnenanstattsdireNor wird bis aus weiteres nicht mehr zum Dienst zngelassen. Es soll und wird mit rück sichtslosester Energie gegen die Schuldigen vorgegangen werden. Mit Reitpeitsche und Kolben. Barbarische Mißhandlungen. , Dieser Tage wurden in Zewen bei Trier 32 Eisen bahner mit Familien unerwartet zum Zwecke der Aus weisung zusammengetrieben. Drei Stunden mußten sie in glühender Hitze unbeweglich stehen und dursten nicht sprechen. Sie wurden von Marokkanern bewacht. Wenn jemand sprach, wurde er von dem leitenden Offizier mit der Reitpeitsche in rohester Weise mißhandelt. Andere Ein wohner aus dem Dorfe wurden gezwungen, Wagen heran zuschaffen und die Möbel der Ausgewiesenen aus den Häusern zu holen. Leute, die sich weigerten, wurden mit Gewehrkolben schwer mißhandelt. Tie Leute kamen um 12>4 Uhr in Trier an. Dort wurden sie in glühender Hitze bis 7^4 Uhr tu Auswandererzügrn eingeschtossen und durften kein Wasser holen. Andere Gewalttaten. Aus Oberhausen wurden 30 Eisenbahnbedienstete mit Familien, insgesamt 104 Personen, ausgewiesen. Des weiteren aus Duisburg 103 Eisenbahnerfamilien, im ganzen 220 Personen. Aus den Kolonien Bissingheim und Wedau sind 132 Eisenbahnbedienstete mit Familien, insge samt 700 Personen, ausgewiesen worden. Ferner wurden aus Wanne 57 Eisenbahner mit Familien ausgewiesen. In Vohwinkel sind 60 Milliarden Mark „beschlag nahmt" worden. Die Summe sei konfisziert worden, weil sie nicht deklariert gewesen sei. Ferner hat die Rhein landkommission die Auflösung von 17 deutschen Vereinigungen im besetzten Gebiet angeordnet. Als Begründung wird die Gefährdung der öffentlichen Ord nung angeführt. In Essen hat die französische Befetzungs- behörde im Kaiser-Wilhelm-Park in der Nähe des Realgymnasiums einen Ballon platz eingerichtet. Im Park wird Stacheldraht gezogen. Der Küfer Böhm aus Stoppenberg wurde in der Nähe der Essener Straße von französischen Posten erschossen. Die Leiche wurde von den Franzosen mitgenommen. Oie englische Antwort in Arbeit. Fertigstellung bis 19. Juli. In amtlichen britischen Kreisen wird über die Naim der britischen Antwort auf das deutsche Memorandum, deren Fertigstellung bis zum 19. Juli zu erwarten ist, weiter vollständige Zurückhaltung geübt, aber es kann als sicher angenommen werden, daß die britische Antwort den Vorschlag enthalten wird, eine internationale Kommission einzusetzen, die Deutschlands Fähigkeit zu Reparationszahlungen bestimmen soll. Möglicherweise wird auch die Frage der Beendigung des passiven Widerstandes im Ruhrgebiet berührt werden. Die Note wird wahrscheinlich der Regierung der Vereinigten Staaten zur Information mitgeteilt werden. Französischer Ministerrat. Der französische Ministerrat, der sich mit der franzö sischen Haltung angesichts der britischen Erklärung beschäf- ligte, hat beschlossen, der britischen Aktion zur vollkomme nen Entwicklung Zeit zu lassen. Man wolle in Ruhe den englischen Entwurf abwarten, da es dann möglich wäre, daß er die wesentlichen Direktiven der sranzösisch- belgischen Politik annehme, so z. B. die Notwendigkeit einer vorherigen deutschen Kapitulation. Im gegenteiligen Falle aber werde Frankreich sich nicht zu einer diplomatischen Aktion verstehen, die schon von vorn-, herein zur Unfruchtbarkeit verurteilt sei. , poUtilcke Kunälck-u. Deutsche» Reich. Gegen die hohen Milchpreise. Der Reichsminister sür Ernährung und Landwirtschaft Dr. Luther hat an den Deutschen Milchwirtschaftlichen Reichsverband und den Deutschen Landwirtschaftsrat ein Schreiben gerichtet, worin er es angesichts der ernsten Ge fahr, die der deutschen Volksgesundheit und Volkskrast droht, als eine vaterländische Pflicht aller Beteiligten be zeichnet, sich bei den Preisforderungen für Mich Zurück haltung aufzuerlegen und sich nach Möglichkeit an oer unteren Grenze der Gestehungskosten zu halten. Die Steuervorauszahlungen. Nach dem jetzt veröffentlichten Gesetz über die Ent richtung der Vorauszahlungen ikt am 15. August das 25-