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82 Jahrgang. Nr. 24 Dienstag/Mittwoch 27./28. Februar 1923 Meine Zeitung für eilige Leser. * Der Reichstag nahm das Rotgcsctz in »Weiler und dritter Lcs»»« an. * Entsprechend den Beschlüssen des Bertrauensausschusses des Deutschen Volksopfers ist in der vergangenen Woche über eine Milliarde Mark zur Überweisung an Notleidende in dem Einbruchs- und altbesetzten Gebiete ausgeschüttet worden. * Die Franzosen haben in Bochum die Stadtverordneten versammlung auseinandergcjagt und die Handelskammer voll ständig ausgeplündert. * Das Vorstandsmitglied des Reichsverbandes der deutschen Industrie Geheimrat Bücher erklärte in einem Vortrage, das Kel des deutschen Widerstandes sei, als Gleichberechtigter mit Frankreich über eine vernünftige wirtschaftlich« Lösung des Neparationsproblems zu verhandeln. * Die landwirtschaftliche Woche in Berlin beendete ihre Be ratungen, wobei Reichsernährungsminister Dr. Luther ein« Rede hielt. Ltm unser Dasein. Mancherlei Leute, namentlich aus dem Auslande, er zählen uns, Vie ganze Ruhraktion wäre ein abgekartetes Spiel des deutschen und französischen Kapita lismus im Bunde mit dem französischen Militarismus. Alle drei im trauten Verein hätten nur das eine Ziel, den dcu inren Arbeiter zum Sklaven zu machen. Und dieses deutschen Arbeiters verflixte Pflicht und Schuldigkeit wäre es, jetzt einmal den — deutschen Kapitalismus niederzu schlagen, anstatt sich mit ihm zu verbünden gegen die Fran zosen. Das würde den Sozialisten in den anderen Län dern ein großartiger Ansporn sein. Freilich, helfen könn ten sie uns dabei nicht. Der Vorwärts, das sozialistische Zcntralorgan, fertigte all dieses Gerede kühl und trocken ab, daß d « rFetnd des deutschen Arbeiters jetzt der fran zösische Militarismus wäre. Nichts anderes. Damit ist die Erkenntnis bekundet, daß es sich beim Kamps an der R u h r, am Rhein und an der S a a r in erster Linie um machtpolitische, nicht um wirtschaft liche Ziele handelt. Daß hier Macht gegen Macht steht, der VerMchtungswillen gegen das Deutsche Reich auf der einen, der Willen zur SelbsterhaUung auf der anderen Seite. Da her kann es zwischen den beiden Kämpfern gar keine -Ver ständigung" geben, weil es keinen gemeinsamen Boden gibt, auf den beide Parteien treten können. Verständigung ist nur möglich zwischen Gleichberechtigten, nicht zwischen Herrn und Sklaven. Und deutlich, zynisch offen wird jetzt von Frankreich betont, daß das Ziel des Kampfes die r e st- lose Versklavung Deutschlands sei. Das ist fast dankenswert. Damals in den Monaten Februar bis Mai 1919, als »die großen Vier" die Bestimmungen durchberieten, die nachher den .Frieden" von Versailles bildeten, hatte Cle menceau, der „Tiger", hatte Frankreich sein Ziel nicht ganz erreicht: nicht den rheinisch-westfälischen „Pufferstaat", nicht die sofortige politisch-wirtschaftliche Versklavung Deutschlands, zu der allerdings dieser Frieden recht gute Werkzeuge bot. Denn störend wirkte der Engländer, störend der Amerikaner. Jetzt aber ist man unter sich, braucht keine Rücksichten auf diese beiden zu nehmen. Die Londoner „Times" berichten aus Paris, als das wichtigste Ergebnis der soeben beendeten französisch-belgischen Be ratungen, man sehe nach „Niederwerfung des deutschen Widerstandes" die günstigste Gelegenheit dafür gekommen, .die Schäden des alten Vertrages zu revidieren". Man werde „nach Schluß der augenblicklichen Operation" «inen neuen „Vertrag" zwischen Frankreich, Belgien, Italien schaffen, wodurch Frankreich das erhalten werde „was ihm in den früheren Verträgen vorenthalten worden sei". Das heißt natürlich nichts anderes, als daß man Deutschland einfach alles auferlegt, was Frankreich wollte und will; denn dann ist ja Poincarö unumschränkter Herrscher über den Kontinent; wie 1807 soll, damals of -n jetzt aber auch mit deutlichster Spitze gegen Eng land, der neue politisch-wirtschaftliche Kontinental- bund geschaffen werden. Und Deutschland soll darin die selbe Rolle spielen wie Preußen vor 115 Jahren, als Na poleon in Tilsit stand. Man wird nicht bescheiden sein, wird den Versailler Vertrag behandeln als n somp nk Paper, als einen „Fetzen Papier". Man sagt es ganz offen. Die französischen Handels- und Jnduftrieverbände haben durch ihren Vorsitzenden Dubois — es ist der frühere Präsident der Reparationskommiffion — erklären lassen, daß jetzt der Augenblick gekommen fei, um die Saar- frage zu „lösen". Denn jetzt werde das Reparatwns- Problem in feiner Gesamtheit aufgerollt werden. Diese „Lösung" soll natürlich nichts anderes heißen als L o s trennung des Saargebietcs von Deutschland, Beseiti gung all Ler dürftigen Rechte, die uns aus dem Versailler Vertrag für das Saargebiet noch blieben. Denn deutsche Rechte — das sind doch nichts anderes als französische „Schäden". Eine reichhaltige Liste darüber haben ja Poincars und sein« Vorgänger ausgestellt. Schäden des Vertrages, Lurch die die „Sicherheit Frankreichs" gefähr det werde. Und es ist seit 18LS «in französisches Dsgma, Laß bet—« »WM. L» «« Are«- ßen-Deutschland überhaupt als selbständiger Staat besteht. Der französische Politiker Tardieu und die Seinen haben ja immer betont, daß Frankreich 1919 „um die Früchte seines Sieges betrogen" worden sei; jetzt will man sie pflücken. Wer sollte Poincarö und die französische Nation, die hinter ihm steht, daran hindern? Immer deutlicher wird der machtpolitische Gegensatz zwischen dem von Frankreich geführten europäischen Kontinent — nur Rußland bleibt draußen— auf der einen, dem anglo-amerikanischen Macht komplex auf der anderen Seite. Wird England zu einer Entwicklung stillschweigen, die es in den 20 Jahren des napoleonischen Krieges solange bekämpft hat, bis der Schöpfer dieses Gedankens aus St. Helena saß? Nur Toren ließen sich täuschen, als der Feindbund ver kündete, er ziehe in den Kampf gegen Deutschland zur „Verteidigung des Rechts und der Zivilisation". Schwarze Hausen im Rheinland und Ruhrgebiet als Träger dieser Art französischer „Zivilisation" und die „Sieger an der Ruhr" wollen nun auch das „Recht" beseitigen, das sie doch selbst in Versailles klügelnd geschaffen haben. Im Namen dieses Vertrages rückten sie in Deutschland hinein und wer fen ihn zum alten Eisen, sobald sie glauben, ihre Ziele wei ter stecken, besser gesagt, das aussprechen zu können, was sie immer gewollt haben. Mit ihnen gibt es keine „Verständigung". Das muß gesagt werden, weil nur das Bewußtsein, im Ruhrgebiet kämpfen wir um das Leben oder Sterben Deutschlands einen Kampf, in dem kein Pardon gegeben wird, die besten Kräfte unseres Volles auslösen wird. Und ein Voll, das vier Jahre hindurch einer Welt von Feinden Widerstand geleistet hat, bewies dadurch und beweist in neuem Wider stand noch täglich, daß es Großes zu leisten imstande ist, wenn es um sein Dasein kämpft. H- England winkt ab! Gegen die französischen Pläne regt sich scharfer Wider spruch in England. Das in guten Beziehungen zur Re gierung stehende Blatt „Daily Telegraph" schreibt, daß hinter den geschilderten französischen Absichten nichts anderes stecke als versteckte Annexion. Ein derartig neuer Vertrag würde dem Versailler Vertrag nicht ergäben, sondern ihn zerstören, denn nach dem Versailler Ver trag könne keine allgemeine und endgültige Reparations regelung erfolgen, außer durch einstimmige Billigung der in ver Reparationskommiffion vertretenen Mächte, zu veiren Großbritannien gehöre. Es fei auch völlig unbegründet, daß die augenblicklick-e italienische Re gierung mit einem Separatvertrag dieser Art in Verbin dung gebracht werde. Bochumer Stadtverordnete verhafte Dreiundzwanzig Verhaftungen. Die Franzosen haben in Bochum unter Aufwendung von 10 Tanks und zwei Lastkraftwagen die Stadtver ordnetenversammlung aufgehoben. Feftge- nommen wurde der Oberbürgermeister, 4 besoldete Stadt täte und 18 Stadtverordnete. Bei den Stadtverordneten handelt cs sich nur um solche, die nicht Vertreter der Ardeit- rehmer sind. Ein Offizier trat an jeden der anwesendes Herren mit der Frage heran, ob er sich verpflichte, alles ms zu liefern, was die Franzosen durch Requisitionen richt erreichen könnten. Die Frage wurde natürlich aus- «ahmslos verneint. Darauf wurden die Anwesenden g e - valtsam aus dem Sitzungssaale getrieben. Zum Protest gegen das Vorgehen gegen die Stadt verordnetenversammlung haben die Gewerkschaften be schlossen, den Generalstreik zu erklären. Die Plünderung -er Handelskammer. Eine starke französische.Truppenabteilung erstürmte in der Nacht daS Gebäude der Handelskammer in Bochum. Die Kassen- und Panzerschränke der Handelskammer wur den gesprengt, sämtliche Schränke und Schreibtische auf gebrochen und ihr Inhalt an Akten und dergleichen teils fortgebracht, teils auf der Straße zerstreut. Die Vorhänge und Gardinen wurden von den Fenstern gerissen, dis Teppiche, soweit sie nicht mitgenommen wurden, voll ständig zerschnitten und die Bilder zerfetzt und zerkratzt. Aus der Privatwohnung des Syndikus wurde eine An zahl von Ledersesseln mitgenommen. Die Franzosen zogen schließlich in aller Frühe mit zahllosen Wagen ladungen der aus der Handelskammer geraubten Möbel und Ausstattungsstücke, Teppiche sowie Lebensmittel ab. Das ganze Handelskammergebände ist bis auf die Zahlen Wände restlos ausgeplündert. Ltoyd George zur Ruhrsrage. Das,voreilig «"französische Unternehmen. Im Berkans feiner Artikelriihe Wer di« Zukunft EnrovaS Hai Lk«HL Georae mm amb bis frage eingehend behandelt. Er kritisiert den Einmarsch als ein verfehltes und vor allem verfrühtes Unter nehmen und bedauert, daß die verschiedenen Gelegenheiten, die Neparationsfrage anders zu lösen, verpaßt wor den sind. Er stellte zunächst fest, daß der voreilige Schlag der Franzosen offenbar fehlgeschlagen ist, daß aber nun alle fran zösischen Staatsmänner aus Gründen des nationalen Ansehens diese Politik unterstützen, obwohl sie sie für unvernünftig halten. Die öffentliche Meinung in Frankreich sei uöcr gegen diese Politik eingenommen, wie sich aus dem Ergebnis der verschiedenen Nachwahlen zur französischen Kammer er kennen lasse. Man habe jetzt in Paris eine neue Politik im provisiert. Sie bestehe in nichts weniger als in der Be lagerung Deutschlands. Sechzig Millionen Deutscher sollen durch Entbehrungen zur Übergabe gezwrmgcn werden. Das sei ein langwieriges Unternehmen, den» in Deutschland sind alle Klassen im Widerstand einig. Er selbst habe stets die Vorschläge unterstützt, deren Wirkung die Hinausschiebung einer Entscheidung mit Bezug ans di« Ruhr gewesen ist. Auf schub würde schließlich die Niederlage der Chauvinisten be deutet haben. Airs der Konferenz von Genua habe Deutsch land durch den Abschluß des Äapallovertrages die Verständi- gmig vereitelt. Auf der Ba nkierkon seren; und bei der letzten Pariser Zusammenkunft aber schreibt er in etwas undeutlicheren Worten die Schuld am Fehlschlage den Fran zosen zu. Por allem erklärt er es für unverständlich, daß man vor der Pariser Konferenz den Vorschlag des amerika - »ischen Staatssekretärs Hughes, die Reparations- srage noch einmal zu pxüsen, nicht beachtet habe. Lloyd George schließt seinen bedeutsamen Aufsatz niit Bezug auf das amerikanisch« Angebot mit den vielsagenden Worten: „Wieder eine versäumt« Gelegenheit, vielleicht die größte, vielleicht die letzte. Nie hat das Schicksal sich so viel Mühe gegeben, die Dummheit zu retten. Aber das Schicksal verliert leicht die Geduld, und dann pflegt es harte Schläge zu versetzen." — Es ist klar, daß Lloyd George von dieser „Dummheit" ein gerütteltes Maß voll auch in Paris zu finden glaubt, wo man feine eigene Politik stets durchkreuzt hat. Französische Gesinnungsheuchelei. Reden Doumergues und Millerands. Die Franzosen bemühen sich eifrig, ihren allzu offen kundigen Schandtaten im Einbruchsgebiet durch tönende Reden ihrer Staatsmänner ein moralisches Mäntelchen umzuhängen. So hielt jetzt der neugcwählte Vorsitzende des Senats, Doumergue, eine Rede, in der er erklärte, Frankreich balle bis in die letzte Zeit hinein, um seine friedliche Ge sinnung zu beweisen, und Deutschland nach Möglichkeit zur Erfüllung des Vertrages von Versailles zu veranlassen, nur eine Politik des Entgegenkommens und der Geduld gezeigt. Kürzlich habe «s bemerkt, daß diese Politik ihm selbst zum Schaden gereiche. Da habe cs sie durch ein« andere „energischere" ersetzen müssen. Wenn diese Po litik wirksam sein solle, bedürfe sic einer energischen Unter stützung. Es handele sich um die Verteidigung der franzö sischen Lebensintercffen und des französischen Rechts. Dou mergue beklagte dann, daß die früheren Verbündeten aus diesem Wege nicht mitgchen und sagte: Gäbe es eine größere Ungerechtigkeit, als wenn Frankreich der Reparationen beraubt würde, die ihm feierlichst versprochen worden sind und auf die es nichi verzichten könne? Auch der Präsident Millerand ließ sich vernehmen und sagte bei einem Festmahle, die Vorgänge an der Ruhr hätten der Welt die Hintergedanken verraten, die Deutschland bege. Frankreich sei von jedem Gedanken de, Eroberung und Annexion entfernt, cs sei aber fest c n tschl of s e n, die Sicherheit zu gewährleisten, um di< nach den Verträgen ihm zustehenden Reparationen sicherzü- stellen. Frankreich werde sich durch nichts von seinem Ziel, abbringen lassen. Kein Volk in der ganzen Welt habe sei' Beendigung der Feindseligkeiten einen größeren Beweis süi seine moralische Gesundheit und sein Gleichgewich gegeben als das französische. Deshalb habe Frankreich Abscher vor Gewalt. Daß Frankreich vor der Gewalt Abscheu habe, is eine Behauptung, die angesichts der französischen Gewalt taten am Rhein und im Ruhrgebiet im Munde des Präsi denken seltsam klingt. Tatsachen können wohl geleugnet nicbt aber aus der Welt geschasst werden. Chronik der Gewalttaten. ' — Auf dem Bahnhof Hengstei beschlagnahmten du Franzosen in dem Schnellzug Berlin—Köln einen großer Geldlransport der Reichsbank in Höhe von 12,8 Milliar den Papiermark mit den dazu gehörigen Druckplatten. — Nunmehr sind sämtliche Städte des Nuhrgebiett von Düsseldorf bis Dortmund, mit Ausnahme von Ham born und Mülheim, ohne Oberbürgermeister infolge de feindlichen Massenausweisungen und Verhaftungen. — In Ortenburg in Baden scheiterten alle franzö fischen Versuche, den komplizierten Weichenorganismus zi bedienen. Die Bahnbeamten rechnen mit Massenauswci ftmgcn; die Franzosen verteilen nämlich Merkblätter ii deutscher Sprache, in denen mitgeleilt wird, daß alle Be amten künftig Ler «Liierten Nheinlcmdlommiffwn unter Lett setzt». Mati Fernsprecher Wilsdruff Nr. 6 fÜs WiWsUff UNd ^MgLgLNd Postscheckkonto Dresden 264» Srscheini bi« auf weiteres nur „»niag«, Mittwochs u. Areiiags nachmittag« , Uhr für den falzende» Tag. Bezug-,rci« del SeSstabh»iung manattlch AI,, durch unser- Austräger ,u,«ragen in der Siadi manalüch M, «us dem Land« Mr. durch dir k.st oi-rtelickhrUch Ml. mii Zttstelluugsgebühr. AN- postanstalte» und Postboten sowie unsere AuKröacr und »esmäsl«Selle nehmen jeder,eil Bestellungen emgegcn. Im Kalk höherer S-wali, Krieg oder fdnstlgcr Belried«st«run,,n da« der Bepeber leinen Anspruch auf Lieferung der Zeitung »der Kürzung de« Bezugspreise«. Erscheint seit Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amtsgerichts zu Wilsdruff, des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen. «erleqer und Drucker: Arthur Zschunke in Wilsdruff. Berantmortlicher Schriftleiter: Hermann Lässig, für Le« Inseratenteil: Arthur Zschunke, beide ü, Wilsdruff. dem Fahre 4841 Inserttoasprei« Ml. für die « g-spalfene Korpudzeile oder deren Raum, Reklamen, die r tpaiiige Korpuszelle Mk. 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