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Minuten später an der Seite der Braut die Treppe hinab zum Wagen. L.Z ÄvL - Große schwarze Lettern kündeten in allen Zeitungen den Fall des Hauses Hettingen. In allen Theatern, in jedem Kaffeehaus, in jeder Bar wurde er besprochen. Am Naschmarkt erzählten es die Weiber an den Ständen, und die Droschkenführer wußten endlose Kommentare darüber zu berichten. Niemand in ganz Wien hatte mit dieser Möglichkeit gerechnet. Tausend Gerüchte durchschwirrten die Stadt. „Schlecht spekuliert! — Die Tarner Bahn! — In die Mil lionen gehende Wechselfäschungen. — Der zweite Direktor war mit dem Reste in die Schweiz geflüchtet. — Am Kai unten hatte man den alten getreuen Wörner, die rechte Hand des Hauses Hettingen, als Leiche im Wasser schwimmend aufgefunden. Den alten Baron hatte im Bureau ein Gehirnschlag getroffen, der sein Ableben stündlich befürchten ließ." Die Sensationen häuften sich. Leopold Richthofen stand über seine Schwester geneigt, die von einem Weinkrampf geschüttelt, auf der Ottomane ihres Zimmers lag. Er streichelte ihr verwirrtes Blondhaar zurück und tätschelte beruhigend ihre Wangen. „Mizzerl, kannst dich denn gar net fassen? Willst net nausfahrn zu ihm und ihm ein liebes Wort sagn und ein bisserl einen Trost bringen? Er wird's brauch» können, der Joachim! Wann das Unglück über Nacht so über einen herfallt, verschlagt's einem den ganzen Verstand." Ihre Hände blieben zitternd unter der roten Seidendecke versteckt. Zwischen den zusammengeballten Fingern raschelte ein Blatt. Unaufhörlich schüttelte das Weinen ihren schlanken, frostdurchschauerten Körper. „Soll ich nausfahrn und frag», wie's ihm geht? Sag, Mizzerl!" erbot sich Richthofen. Sie schüttelte den Kopf, dann schleuderte sie mit einem Ruck die Decke zu Boden und stand mit beiden Füßen auf dem geblumten Teppich. „Ich fahre selber und frage ihn, wieviel er braucht — denn um mich — um mich selber war es ihm ja gar nicht zu tun! — Nur um mein Geld!" „Kindl!" Richthofen verschlug es die Sprache. „Mizzerl," warnte, als sie wie eine völlig Unzurechnungsfähige im Zimmer auf und ab zu rennen begann, und zwischenhinein lachte, daß es ihm in die Seele schnitt. „Das tätst ihm zu trauen? — Das? — Das hält ich nie glaubt von dir, daß d' so schlecht von ihm denkst." - Dicht vor ihm blieb sie stehen und sah ihm zornig ins Gesicht. „Du! — Von dir habe ich auch nicht erwartet, daß du deine einzige Schwester verkaufst! Daß dir der Freund mehr gilt als ich! — Denn verkauft hast du mich an ihn! — Jawohl, verkauft!" Ueber das sonst so gütige Gesicht Richthofens zog jäh auf steigender Zorn. „Ich geh jetzt besser! Wann sich wieder vernünftig mit dir reden laßt, kannst nach mir schick». Letzt ist keine Zeit dazu!" An der Türe Holle sie ihn ein. „Lies das!" Er streckte die Hand nach dem zerknüllten Blatt, das ihre Finger ihm entaegenhielten. Er mußte es erst etwas glätten, ehe er die Buchstaben zu entziffern vermochte: Gnädiges Fräulein! Baron Hettingens Werben um Sie geschah aus den selbstsüchtigsten Motiven. Es war lediglich eine Spe kulation auf Ihr Vermögen, um die Firma Hettingen vor dem Bankrott zu bewahren. Daß die Katastrophe so unerwartet eintreten könnte, zogen weder er noch " fein Vater in Erwägung. Fragen Sie Ihren Verlobten auf Ehrenwort, und Sie werden die Richtigkeit meiner Angabe bestätigt finden. Ein Freund. „Ein netter Freund, das!" Richthofen ballte das Blatt in der Handfläche zusammen. „Mizzerl, verbrenn den Wisch! Er bringt dir bloß Unglück!" „Ja — Unglück! — Denn, wenn das wahr wäre, Poldl, wenn er mir das wirklich angetan hätte!" Ein unheimliches Flackern stand in ihren Augen. „Sag mir auf Ehrenwort: Haft du darum gewußt?" Er hielt ruhig ihren Blick aus. „Nein! Gwiß net! Wann ich eine Ahnung davon ghabt hält, hätt ich zu ihm gsagt: Nimm von meinem Geld, was d' brauchst, und das ander laß aus'm Spiel. — Aber is ja eh net wahr, was dir der Kerl da — der gute Freund — gschriebn hat. — Ich kenn ibn doch, den Joachim! — Und du, du mußt es doch auch gfühlt habn, wie gern er dich hat!" Sie wurde ruhiger und begann, die Hände gegen die Schläfen gedrückt, im Zimmer hin und her zu gehen. Ab und Isabella liebt es zwar nicht,' wenn ich zwischen den einzelnen Akten komme, aber heute kann ich nicht anders. Mit dem Nachtschnellzuge fahr« ich für ein paar Tage nach Ungarn weg. Da will ich ihr noch rasch adieu sagen." „Ich möchte nicht stören, kaiserliche Hoheit." „Aber gar nicht, Hettingen. Ich glaube, Sie können ein Glas Wem vertragen, jetzt. Sie sehen böse aus. Einen Augenblick." Er hielt mit beiden Händen die Garderobe frau fest, weiche eben aus dem Ankleideraum der Diva kam. „Wollen Sie uns der gnädigen Frau melden? — Oder ist anderer Besuch drinnen." „Nur der Herr Bankier Hettingen — da können S' un geniert neigehn, kaiserliche Hoheit, das macht nix." Der Erzherzog hatte bereits den Fingerknöchel an die Tür füllung gesetzt, als Joachim ihm die Hand auf oen Arm legte. „Gestatten kaiserliche Hoheit, daß ich mich empfehle — ich - Im felben Augenblick öffnete sich die Türe, und Vater und Sohn standen sich gegenüber. Hinter dem Bankier klang die Stimme der Diva: „Mein Gott, Hoheit, warum kommen S' denn alleweil so spät. Ich hab bloß mehr fünf Minuten zum Leben, die langen schon glei nimmer zum Abschied- Nehmen." Mit beiden Händen zog sie ihn hinein. Ohne daß der Erz herzog es bemerkte, blieb Joachim zurück und schritt an der Seite des Vaters den schmalen Korridor entlang. Auf der Stirne des Bankiers stand eine gefährliche Ader. „Was wolltest du bei der Kammersängerin? „Sie beglückwünschen zu ihrem lebenswahren Spiel. — Sonst nichts." Etwas im Tone des Sohnes ließ den alten Baron auf horchen. „Erzherzog Christoph wird sie sehr wahrscheinlich zu seiner Frau machen!" „Ich habe keinen Grund, ihn zu beneiden," sagte Joachim kühl. „Frauen dieser Art sind nicht nach meinem Geschmack! Einträgen Aigeunergemisch im Blute." Ein Statist, der eben über den Gang lief, sah erstaunt, wie der Bankier den jungen Baron unsanft am Arme schüttelte. „Drücke dich deutlicher aus, mein Junge!" kam es drohend. „Gewiß, Vater! — Ich habe kein Lust, mein Weib mit anderen zu teilen. Der Erzherzog wird es ohne Zweifel tun müllen." „Du wirft —" Wetter kam der Bankier in seiner Rede nicht mehr, denn Frau Margot schritt an Marias Seite rasch auf sie zu. „Ich habe mich gesorgt, Achim," erklärte sie abbittend. „Ist dir nun wieder besser?" Sie hing sich an seinen Arm und sah verängstigt in sein fahles Gesicht. Er drückte ihre Hand gegen seine Brust und streichelte sie. „In drei Wochen! — Hab noch solange Geduld mit mir, Maria." Einer der Knöpfe ihres brokatenen Schuhes hatte sich gelockert. Er kniete nieder und drückte ihn wieder fest in Lie Oesen. Tief über ihren kleinen Fuß geneigt, preßte er seinen Mund auf die golddurchwirkte Seide. „So will ich dir dienen, Maria, bis an das Ende meines Lebens." „Liebster!" Sie umspannte sein Gesicht und hob es zu sich auf, sah, wie verzerrt es war und riß ihn erschrocken hoch. „Was verbirgst du mir? Warum bist du nicht ehrlich zu mir, Joachim?" Das Klingeln, welches langgezogen durch das Haus tönte, enthob ihn einer Antwort. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, sah der Vater ihn in die Logs treten. Der Blick der Baronin glitt angstvoll besorgt über seine schlank gewordenen Formen. War er nicht glücklich? Hatte er kein Vertrauen mehr zu seiner Mutter, daß er nicht kam und klagte, was ihm fehlte? — Hatte Maria Richthofens Liebe ihn so rasch enttäuscht? Hinter iyr sitzend, starrte Joachim auf die Perlen, welche der Vater ihr seinerzeit geschenkt hatte. Er hörte nichts von der Musik, hatte keinen Blick für das, was auf der Bühne oorging. Wie hypnotisiert hingen seine Augen an den matt schimmernden Kugeln. . „Zu Hilfe, Silvio!" zitterte Isabella Ieskas Stimme durch das Haus. Er fuhr auf, glitt wieder zurück und legte die Stirne gegen die Lehne am Stuhl der Baronin. Sie fühlte seinen heißen Atem über sich hinstreichen und wandte sich halb nach ihm zurück. Sein Gesicht senkte sich tiefer und verzog sich in verzweif- lunasooll schneidendem Schmerze. „Arme, betrogene Mutter! — Die Perlen des Gatten waren Talmi, — wie seine Liebe!" Um die Tränen zurückzudrängen, biß er die Zähne in sein Taschentuch. Gleich einem Nachtwandler stieg er wenige