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Auch äußerlich tut sich das kund in dem Nebeneinander der Sitzungen des Europa-Aus schusses und denen des Völkerbundrates. Dieses äußerliche Nebeneinander hat nun aber auch wieder seinen inneren Grund in dem Beralungsstoff selbst, der die Genfer Verhandlungen absolut beherrscht: Österreichs und Deutschlands Plan einer Zollunion auf der einen, der französische Gegenplan auf der anderen Seite. Denn der österreichisch-deutsche Vorvertrag wird ja wirtschaftspolitisch im Europa-Ausschuß be handelt, wo sich die Gegenseite aber weiter gar nicht scheute, sofort ins politische Fahrwasser hinüberzu segeln, während die juristische Seite der Behandlung dem VölkerbunLrat übertragen worden ist und man dort sofort damit eingesetzt hat. Nun kam aber ein doppelter italienischer Vorschlag wirtschaftspolitischer Art hinzu, der die ganze Lage noch mehr komplizierte: Das im März infolge der englisch-französischen Ablehnung tot- geschlagene und beerdigte Genfer Abkommen eines „Zoll waffenstillstandes" soll wieder ausgegraben und zu neuem Leben erweckt werden; außerdem hat die italienische Re gierung auch ihrerseits noch einen Plan ausgearbeitet, der die handelspolitischen Beziehungen im Südosten Europas auf eine neue Grundlage stellen soll, aber ebenso unbestimmt ist wie der in Paris ausgearbeitete Plan Briands. Übrigens hat sich der italienische Delegierte auch ganz unzweideutig gegen den österreichisch-deutschen Vorvertrag einer Zollunion ausgesprochen, hat, genau wie Briand, hierbei auch die politische Seite anklingen lassen. Die sachliche Kompliziertheit der Lage in Genf wird nun aber noch verstärkt durch das taktischeVer- halien der Gegenseite unter Briands Führung. Denn die den Mitgliedern des Europa-Ausschusses überreichte lange Denkschrift der französischen Ne gierung umfaßt nun nicht nur die positiven Vorschläge einer w i r t s cha f t s politischen Neuordnung — Präfs- renzzölkd gegenüber den südosteuropäischen Agrarstaaten, Abnahme ihrer Getreideüberschüsse, Agrarkredite, Jn- dustriekartellierungen zwecks späteren Zollabbaues, all gemeine Staatskredite, Hilfsmaßnahmen für Österreich —, sondern sie beschäftigt sich in der Hauptsache mit der Be kämpfung des deutsch-österreichischen Zollunionprojektes. Genau so wie in der Sonnabendsitzung des Europa-Aus schusses Briand auch gleich die dort gar nicht zuständige juristische Seite ausführlich behandelte, tut dies auch die Denkschrift, indem sie das Projekt als einen Verstoß gegen bestehende Verträge bezeichnet. Das gehört aber vor den Völkerbundrat, und insolgedessen wandte sich nun erst Dr. Curtius persönlich, in der Sitzung selbst, dann die deutsche Delegation, in einer Erklärung an die Presse sofort auch formell gegen diese Ausführungen der französischen Denkschrift —, ohne dabei natürlich nun selbst in juristische Auseinandersetzungen zu verfallen; es wird einfach noch einmal unterstrichen, daß Berlin und Wien aus dem Standpunkt stehen, der Vorvertrag habe alle Bestimmungen der geltenden Ver träge respektiert. Es kommt dabei für die deutsche Vertretung vor allem daraus an, zu verhindern, daß die Erörterung über den Plan der Zollunion in ein politisches Fahr wasser geleitet wird, wie die Gegenseite unter Briands Führung es seit langem anstrebt und in Genf immer wieder versucht. Ausführlicher verweilt diese deutsche Erklärung, die an das Europakomitee gerichtet ist, natür lich bei der dort für diese Seite zuständigen Wirt schaft s politischen Behandlung der Streitfrage. Neues wird ja dabei eigentlich nicht gesagt, kann auch kaum noch gesagt werden; allerdings wird mit dankenswerter Schärfe unterstrichen, daß Frankreich sich jetzt plötzlich schroff gegen den Abschluß von Negionatverirägen ein stelle, während es früher — und zwar Briand persönlich in Genf — diese Art von Verträgen dringend empfohlen habe! Übrigens wird in der deutschen Erwiderung auch gleich noch dem Standpunkt Ausdruck gegeben, daß selbst verständlich gegenüber einer Zollunion das Recht der Meistbegünstigung nicht in Frage kommt; das ist eigent lich auch von Briand und übrigens auch von dem tsche chischen Außenminister Dr. Benesch grundsätzlich nicht be stritten worden. Auch dafür muß man in der Geschichte der Völker bundkonferenz recht weit zurückgehen, ehe man eine Tagung findet, auf der sich die Gegensätze zwischen Deutschland und einer geschlossenen Front unter fran zösischer Führung derart zugespitzt zeigten wie jetzt. Deutschland kann nichts dagegen machen, wenn dem inter nationalen Schiedsgericht im Haag die Aufgabe über tragen wird, die juristische Zulässigkeit des öster reichisch-deutschen Vorvertrages zu untersuchen. Viel ernster zu nehmen ist aber die naheliegende Frage, ob es sich in Genf heute überhaupt noch letzten Endes um juri stische oder wirtschaftspolitische Auseinandersetzungen handelt — wenn auch formell in den Denkschriften oder im Konferenzsaal darüber gesprochen wird, — oder ob nicht das Politische die Verhandlungen und die Ent- Neue Gefahren für die Milian Henderson überrumpelt Oesterreich. Das Haager Schiedsgericht wird angerufen. Nach der Europakommission beschäftigte sich nunmehr der Völkerbundrat unter Vorsitz von Dr. Curtius mit der juristischen Seite des deutsch-österreichischen Zollplanes; das heißt, der Rat soll vor allem feststellen, ob der Pakt mit den von Österreich im Jahre 1922 unter dem Schutz des Völkerbundes abgeschlossenen Anleiheverträgen ver einbar ist. Der englische Außenminister Henderson legte dem Rat einen Entschließungsentwurf vor, wonach der Haager Gerichtshof den ganzen Fragenkomplex in dringlichen Ver fahren untersuchen sollte. Der englische Außenminister wandte sich dann an die österreichische Regierung: Er hoffe, die österreichische Negie rung werde dieser Entschließung zustimmen und sich ver pflichten, bis zum Vorliegen der Entscheidung, die der Völker bundrat auf Grund des Gutachtens des Haager Gerichtshofes fassen werde, keinerlei weitere Schritte zur Schaf fung der vorgesehenen Zollunion zu tun. Schober nahm die Vorschläge Hendersons an, gab aber dem letzten Teil der Vorschläge Hendersons die Auslegung, daß keine vollendete Tatsache bis zur endgültigen Entscheidung des Rates geschaffen werden sollte. Mit anderen Worten: Henderson forderte die Einstellung auch der Unter handlungen zwischen Deutschland und Österreich bis zur endgültigen Entscheidung des Rates. Schober schien zum Aus druck bringen zu wollen, daß er nur die Durchführung der Zollunion selbst bis zur Ratsentscheidung zu vertagen gedenke. Henderson wandte sich nach Schluß der Rede Schobers sofort wieder an den Vertreter Österreichs und führte aus, es müsse über diesen Punkt eine völlige Klarheit geschaffen wer den. Es schiene ihm, daß Schober seinem Vorschläge eine andere Deutung gegeben habe als er selbst. Darauf erklärte Schober, daß er den englischen Vorschlag in vollem Umfange annehme. Danach gab Briand eine Erklärung ab, an deren Schluß er Österreich zu seiner Entscheidung beglückwünscht, während der Vertreter Italiens, Grandi, in seiner Rede keinen Zweifel darüber ließ, daß Italien der Zollunion durchaus negativ gegenübersteht. „Staaten minderen Rechts. Reichsaußenminister Dr. Curtius gab eine Erklärung ab, in der er dem Anträge au» Überweisung der Frage an den Haag zustimmte. Er legte energisch Verwahrung gegen über der Behauptung ein, daß die Unabhängigkeit Österreichs durch das deutsch-österreichische Zollabkommen in irgendeinem Punkte verletzt werde. Wenn man Deutschland und Österreich das Recht abstreite, gemeinsam ein wirtschaftliches Abkommen abzuschließen, dann wolle man sie offenbar damit als Staaten minderen Rechts behandeln. Deutschland habe bereits in der Europakommission eine Erklärung abgegeben, daß die deutsche Regierung bereit sei, auf dem Fuße der Gleichberechtigung mit sämtlichen Staaten unverzüglich in Verhandlungen über den Abschluß von Zollabkommen einzntreten. Die weitere Aussprache wurde auf Dienstag vertagt. In deutschen Kreisen gibt man dem größten Befrem den über Hendersons Vorgehen Ausdruck, Österreich in einer rücksichtslosen, den diplomatischen Gebräuchen in keiner Weise entsprechenden Weise festgelegt zu haben, die Verhandlungen über die Zollunion mit Deutschland bis zum Spruch des Haager Schiedsgerichts auszusetzen. Man nimmt an, daß die Aufrechterhaltung des jetzigen Zu standes bis zur Entscheidung des Völkerbundrates die Bedingung war, die Briand an die Einholung des Rechtsgutachtens geknüpft hat. Sachlich wird auf deutscher Seite die Auffassung ver treten, daß hierdurch in keiner Weise eine Änderung der Lage eingetreten sei, da bis zur Einholung des Gut achtens der Abschluß der deutsch-österreichischen Zollver handlungen keineswegs vorgesehen gewesen war und so mit ein neuer Tatbestand nicht vorliege. Eine Rückwir kung dieser Festlegung der österreichischen Regierung aus den Gesamtplan wird nach deutscher Auffassung in der An nahme des Antrages von Henderson nicht erblickt. Deutsche Antwort an Frankreich. Die französische Regierung hat in Gens eine Denkschrift verbreiten lassen, in denen sie alle Einwände aeaen das scheidung beherrscht. Dieses Politische jedenfalls ver hindert jeden Brückenschlag zwischen den beiden Ufern. Man gibt sich auch kaum noch Mühe, das zu verheim lichen. Gerichtet ist der gegnerische Angriff, wiederum formell, aus die wirtschaftliche Unabhängig keit Österreichs und da mag daran erinnert werden, daß der deutsche Außenminister schon in seiner ersten großen Rede über die Zollunion daraus htnwies, es handle sich bei der Austragung des Streites zwischen Deutschland und Österreich aus der einen, Frankreich, England, Polen und der Tschechoslowakei aus der anderen Seite darum, ob Österreich ein unabhängiger Staat bleibe oder nicht. Dr. Curtius hätte hinzufügen können und seine Zuhörer mögen es sich selbst gesagt haben: letzten Endes handelt es sich darum, ob nicht bloß Österreich, sondern auch Deutschland im Besitze einer staatlichen Unabhängigkeit, eines Selbstbestimmungsrechts im Rah men bestehender Verträge ist oder nicht! veurini-vsierrenmMe Zviiaviommen zufammengekragen hat. Zu dieser Denkschrift Hal die deulsche Delegation so fort in einer Mitteilung an die Presse Stellung genommen und hat die französischen Gründe vollkommen entkräftet. Sie hat darauf hingewiesen, daß die deutsche und die österreichische Regierung sich gewissenhaft alle internationalen Verträge vor Augen hielten und sorgfältig daraus bedacht waren, nicht gegen diese Verträge zu verstoßen. Die Rechtslage ist völlig klar, aber Frankreich versucht die ganze Frage auf das politische Gebiet zu verschieben. Die Behauptung, die Unabhängigkeit Österreichs werde durch das Zollabkommen ausgehoben, sei falsch. Von den wirtschaftlichen Einwendungen Frankreichs sei gerade das Gegenteil wahr. Österreich werde durch das Abkommen nichi nur mcht benachteiligt, sondern gewinnen, weil seine Industrie einen viel größeren Ab satzmarkt erhält. Dadurch werde sich das Lohnniveau und damit auch die Kaufkraft der Bevölkerung heben. Die Donau staaten, früher der Absatzmarkt für Österreich, sind für Öster reich verlorengegangen, weil sie sich selbst Industrien geschaffen haben Dieser Ausfall werde durch das Z-aw-L- kommen mit Deutschland wettgemacht. * Reue Gefahren für die Zollunion. Erst Verschiebung, dann Beseitigung. Das Ergebnis der großen Aussprache im Völker bund rat über das deutsch-österreichische Zollabkommen kann dahin zusammengefaßt werden, daß nunmehr in be schleunigtem Verfahren der Haager Gerichtshof ein Nechtsgutachten über die Vereinbarkeit des Zoll abkommens mit dem Vertrag von St. Germain und dem Genfer Protokoll von 1922 erstatten wird. Auf Grund dieses Rechtsgutachtens wird sodann der Völkerbundrat auf seiner Septembertagung endgültig über die Rechts frage der Zulässigkeit des Protokolls des Zollabkommens entscheiden. Ferner hat die Verhandlung des Rates ergeben, daß unter dem Druck der englischen und der fran zösischen Regierung die österreichische Regierung zugestan den hat, bis zur vorliegenden Rechtsentscheidung die Ver handlungen zum Abschluß der Zollunion nicht sort- zu führen und den stutus guo aufrechtzuerhalten. Die Verhandlungen haben ergeben, daß dieenglische Regie rung, wie stets in den letzten Jahren der militärischen Vor herrschaft Frankreichs in Europa, sich den französischen Wünschen angeschlosfen hat. Jetzt besteht zunächst eine außerordentlich ernste Lage. Die Verhandlungen zwischen Deutschland und Österreich sind zunächst bis zum September aus geschaltet worden. Das Schwergewicht der Entscheidung liegt jetzt vorläufig beim Haager Gerichtshof. Die Zwischenzeit, in der die deutsch-österreichischen Verhand lungen ruhen, wird ohne Zweifel von französischer und tschechoslowakischer Seite ausgenutzt werden, um den Druck auf die österreichische Regierung zu verschärfen und durch Zusicherung von Einzelvorteilen Österreich zum Aus geben des Zollplanes zu bewegen. Ferner bietet die gegen wärtige Regelung den alliierten Mächten die Möglichkeit, auf der Septembertagung durch Verschleppen der Verhand lungen eine neue Verschiebung der endgültigen Entscheidung herbeizuführen, selbst wenn das Rechtsgut achten des Haager Gerichtshofes bereits vorliegt. Es besteht allgemein kein Zweifel darüber, daß das von französischer und englischer Seite erzielte vorläufige Ausschalten der deutsch-österreichischen Zollverhandlungcn auf der Gegenseite nur als der erste Schritt zur endgül tigen Beseitigung des Zollplanes angesehen wird. Der von Frankreich und der Tschechoslowakei mit Unterstützung Englands geführte Kampf gegen das Zoll abkommen ist damit nur in eine zweite verschärfte Phase eingetreten. Die Zukunft des deutsch-österreichischen Zollunions gedankens hängt jetzt allein von der Festigkeit und der Entschlossenheit der deutschen und der österreichischen Regierung ab. Österreich darf pumpen. Der Kontrollansschuß für die österreichische Völkerbundanleihe in Genf hat nunmehr auch förmlich seine Zustimmung zu der Ausgabe von 150 Mil lionen Schatzanweisungen durch die öster reichische Regierung erteilt. Über die Nnterbringmrg der Schatzanweisungen werden die Verhandlungen noch mit der BIZ. weitergeführt. London sagt: „Leichter Sieg Hendersons". London, 18. Mai. Die Nachricht aus Gens, dasz die Angelegenheit des österreichisch-deutschen Zollabkommens dem Haager Gerichtshof überwiesen werden soll, ist m den politischen Kreisen in London mit dem Gefühl einer gewissen Erleichterung ausgenommen worden. Mit Befriedigung wird sestgestellt- daß die englische Diplomatie einen verhältnismäßig leichten Sieg über die fick streitenden Parteien Europas errungen habe und daß es Henderson gelungen sei, seinen ursprünglichen Plan zur Ausführung zu bringen, der daraus hinausgegangen sei, das Zollabkommen zunächst nur vom juristischen Standpunkt zu be trachten und durch die Ueberweisung an den Haager Gerichtshof