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AVer oer Reichstag wird diese Entscheidung, die er beute oder morgen zu treffen hat, hoffentlich nicht schwerer nehmen, als sie es verdient. Im Grunde handelt eS sich doch nur um »ine Etikettenfrage, und mit solchen Ange legenheiten sollte man sich gerade im jetzigen Augenblick »och weniger aufhalten als sonst. * Der Au-Weg gefunden? Soeben wird in den Wandelgängen deS Reichstages «ine neue LeSart laut. Danach sollen die Sozialdemokraten die erste Vizepräsidentenstelle nicht fordern, sondern fich mit einer Beteiligung an dem Präsidium begnügen wollen. , Es verlautet nun, daß nunmehr die beiden bisherigen Vizepräsidenten ihre Posten behalten und Abgeordneter Scheidemann zum dritten Vizepräsidenten gewählt werden würde, wenn nicht vorgezogen werden sollte, die drei Vizepräsidenten gleichzustellen, so daß von einem.ersten* bis .dritten" nicht die Rede sein würde. Deutscher Reichstag. (167. Sitzung.) 6». Berlin, K JunL ' , Unter den Eingängen befindet fich der FriedeuSvertrag mit Rumänien. Auf der Tagesordnung des ziemlich gut' besuchten HauseS steht die Erhöhung der Bezüge für die Reichst«g»mitglteder. Die Entschädigung soll mit Rücksicht auf die Teuerung?». Verhältnisse von 3000 Mark auf 8000 Mark Mrlich erhöht pverden. Ferner wird den Reichstagsabgeordneten die Frei fahrt auf allen deutschen Bahnen für die ganze Legislatur-; weriode gewährt. Abg. Dove (Vp.) bringt die Frage, einer Aufwands entschädigung für den Reichstagsvräsidenten zur Sprache. Der -Präsident soll recht häufig in persönliche Berührung mit Mit« gliedern des Hauses und des Bundesrats auch außerhalb- ffei»es Amtes kommen und bei Besuchen von Vertretern der» -Parlamente muß ihm die Möglichkeit gegeben sein, den Reichs ttag in würdiger Weise zu vertreten. Die bisherigen Präsi denten haben diese Kosten aus eigenen Mitteln bestritten. Das bedingt aber, daß der Reichstagspräsident über Ver- ,mögen verfügt- Dieses Erfordernis würde auch eine Be- «schränkung bei der Auswahl geeigneter Persönlichkeiten be- ,Leuten. Jetzt, da der Posten unbesetzt ist, wäre der geeignete Augenblick, diese Sache zu regeln. Graf Westarp (kons): spricht gegen den Vorschlag. Wir wünschen nicht, daß der ehrenamtliche Charakter des hohen .Amtes des Reichstagspräsidenten geschmälert wird und haben auch Bedenken, dem Präsidenten als solchen Repräsentations- Pflichten zu übertragen. Staatssekretär Wallraf: Die Reichsregierung hat zu der Anregung noch nicht Stellung nehmen können, wird aber Scher dem Gedanken sympathisch gegenüberstehen. Die Vorlage zur Erhöhung der Bezüge für die Mit glieder des Hauses wird in allen drei Lesungen ein stimmig angenommen. Fortgesetzt wird sodann die Aus-, spräche über Zensur und Belagerungszustand. Abg. Vothein (Vp.): Die Verhältnisse sind schlimmer statt - Lesser geworden. Rein politische Fragen werden der mili tärischen Zensur unterworfen. Am parteiischesten verfährt die Zeusur deS Admiralstabes, die alles unterdrückt, was Herrn: ». Lirpitz nicht gefallen könnte. Graf Reventlow kann schreiben svas er will, wer ihm antworten will, wird mundtot gemacht.' Ler verschärfte Belagerungszustand für die östlichen - Festungen müßte nach dem Frieden mit Rußland ausgehoben werden. Die Hetzereien Ler Alldeutschen läßt die Zensur durch, sie erlaubt diesen selbst, den leitenden Männers »Landesverrat und der Reichstagsmehrheit Treubruch vor«; tzuwerfen. Beschwerden werden ohne Grund abge- iw iesen: was hat da das Beschwerderecht noch für, leinen Zweck? Am schlimmsten haben die Friedens-- ztteunde zu leiden, man verbietet ihnen sogar private- (Zusammenkünfte. Überall macht sich die Bevorzugung der jEroberungspolitiker breit. Am offenbarsten tut sich die Be-' «ünstigung der Vaterlandspartei in Stettin unter dem Diegiment des Herrn v. Vietinghoff kund, die g«nz offen Politische Versammlungen abhalten darf, während anderen? Parteien Versammlungen unmöglich gemacht werden. Der. Kedner geht ausführlich auf weitere Einzelfälle ein. General v. WriSberg: Die Vorwürfe sind rum Teil un begründet, »um Teil übertrieben. In den beiden Monaten? Dezember 1S17 und Januar 1918 haben in Preußen 8011 Ver sammlungen stattgefunden und nur 99 sind verboten worden. «Hört, hört! rechts.) Von den abgehaltenen Versammlungen entfielen auf die Vaterlandspartei 849, von den Verboten 14, wahrend die Gewerkschaften 2749 Versammlungen abhielten und nur 19 Verbote bekamen. (Hört, hört! rechts.) Diese Zahlen sprechen für sich. Das Fehler und Ungerechtigkeiten Vorkommen, ist ganz klar. Del Redner widerlegt dann die wichtigsten, von den Vorrednern vorgebrachten Einzelsälle. , Oberstleutnant van den Bergh erwidert am nernmeoene Nnz-lbeschwerden. Eine Entgegnung auf eine Bro ? , des Stahlwerkverbandessoll verboten sein, dem Krn: -mnt, ist hiervon nichts bekannt. Nachrichten über das t den von.Kriegsgefangenen find nicht verboten. Die M 'M«, des Kawlaas der Friedensaelellschaft ist verboten wurden. weil damit pazifistische Propaganda verbunden muroe. ^^g*v.^rmffe E Wir sollten un« jetzt, wo untere CM a:en im Westen Weltgeschichte machen, nicht mit solchen, Kleinlichkeiten befasse«. In der Zensurfreiheit ist mamies bester geworden, und wir teilen den Wunsch, daß die < er-, sammlungen in weitestem Maße gestattet werden. Wenn nnA größere Preßfreiheit haben wollen, dann kann man das a cht von einer Partei allein verlangen. Ich verstehe die mimosen hafte Empfindlichkeit des Wg. Gothein nicht, der hier eine- ganze Leporelloliste von Anklagen über die bösen Alldeutichen vorgebracht hat. Das Berliner Tageblatt schreibt von irr sinnigen und verleumderischen Behauptungen der Alldeutschen. Die Art, wie Sie von der Linken heute die Freiheit gekenn- zeichnet haben, werden wir dazu benutzen, um dem Volke zu. zeigen, was Sie unter demokratischer Freiheit verstehen. Vizepräsident Dr. Paasch- schlägt nunmehr Vertagung vor, da beide Vizepräsidenten »u einer Besprechung mit dem Reichskanzler eingelade« worden seien. Der Vertagungsantrag wird ^genommen. ... Weiterberatu na morgen. (Präsidentenwavuz Vom ^age. Irlands Hatz gegen England. „Ls ist selbstverständlich," schreibt die Amsterdamer Zeitung ,Het Nieuws van den Dag" vom 22. Alai, Alorgenausgabe, „ daß die Iren, die als ungefähr einziges, was England ihnen gelassen hat, den Haß gegen alles, was englisch ist, von Geschlecht zu Geschlecht vererbt haben, sich heftig dagegen auflehnen, daß England seine Hand auf die besten Aräfte des Volkes legen uud die Dienstpflicht auf Irland ausdehnen will. Allerdings hat der englische Premierminister zugesagt, daß die Einführung der Homerule vorangehen soll. Aber die Iren sehen ihre Forderung einer Selbstverwaltung einfach als ihr Recht an. Sie sind ein seibständiges Volk. Sie verlangen als solches angesehen zu werden. Lie verlangen die ihnen zustehende Freiheit. Aber sie wollen sie nicht dadurch erkaufen, daß sie Loidaten an England geben. „Ich will die Blüte der irischen Jugend," sagt Lloyd George, „uud ich werde Irland Homerule geben." Aber die Iren verlangen ihre Selbstverwaltung bedingungslos. Welchen Grund hätten außerdem die Iren, um für England gegen Deutschland zu kämpfen? Lle glauben nicht an Englands Aufrichtigkeit, was die Losung der Selbstbestimmung der Völker angeht, und das ist vom irischen Standpunkt aus sehr begreiflich. Sie hassen die Engländer, aber sie hassen die Deutschen nicht." Wie's gemacht wird. Ein englischer Fabrikant, der mit einer Ungarin ver heiratet ist, befand sich bei Kriegsausbruch auf seinem un garischen Besitz, durfte sich dort frei bewegen und mußte sich nur zweimal wöchentlich auf dem Polizeirevier melden. — Vor kurzem ist er aus Oesterreich-Ungarn entlassen worden und nach der Schweiz (Zürichs übergesiedelt. — Auf dem Konsulat ist er über dis Behandlung in Oesterreich ausge fragt worden, und als er nur Gutes berichten konnte, hat man ihn gewarnt, mit diesen Aussagen vorsichtig zu sein, weil er sonst keine Erlaubnis zur Heimreise erhallen und sich der Gefahr aussetzen würde, altz Spion behandelt zu werden. Dasselbe wurde ihm in Bern gesagt. Die deutsche Ueberlegenheit in der Luft. Amerikanische Zeitungen aus den Anfangslagen der großen Offensive, die jetzt emlreffcn, bringen in ihren Be richten über die Verhandlungen der Senatskommisstonen für Militärangelegenheiten vom 25. März bemerkenswerte Feststellungen. „Chicago Daily Tribune" schreibt vom 26. März: „Nach General Wood haben die deutschen Flieger die volle Luftherrschaft über den amerikanischen Abschnitt. In einzelnen Fällen sind sie so tief geflogen, daß dis amerikanischen Truppen mit Revolvern auf sie schossen. General Wood gab auch der Ansicht Ausdruck, daß die fremden Kampfflugzeugmotore leistungsfähiger sind als der Liberlymotore " Laut „New Pork Times" vom gleichen Tage gestand Gensial Wood, „daß Frankreich und England enttäuscht seien über die Langsamkeit der ameri kanischen Kriegsvorbereitungen, da sie geglaubt hatten, daß die Vereinigten Staaten, wenn sie einmal im Kriege Ieien, mehr Kraft zeigen würden". 3000 qkni in einer Woche. Berlin, 5. Juni, (wtb.) In einer Woche besetzten die Deutschen während der Schlacht zwischen Aisne und Marne über 3000 Quadratkilometer feindlichen, teils frucht barsten Bodens mit zahlreichen Wiesen, Obst- und Wein gärten. Ueber 200 Ortschaften, darunter 15 Städte mit mehr als 1000 Einwohnern, fielen in deutsche Hand. In mehreren ist nur ein Teil der Bevölkerung zurückgeblieben. Der Rest von rund 75000 Seelen hüt seine Wohnstätten verlassen und ist über die Marne geflohen. Diese Flücht linge fallen der französischen Regierung zur Last, die sie unterbringen und verpflegen muß. Die Flucht aus Paris und Umgebung. Berlin, 5. Juni, (wtb.) Nach Pariser Meldungen werden Meaux und Lamsuil von den Behörden und der bürgerlichen Bevölkerung geräumt In Paris fallen jetzt täglich 35 bis 40 Granaten ein gegen 10 bei der ersten Fernbeschießung. Aus Paris sind nach dem Secolo, wie die Kriegszeitung meldet, 12000 Familien ausgewanderl. Wettfrie-ensiräume einst und jetzt! Von Dr. K. Mischke. Der Gedanke an den Frieden ist in Liesen grausen Stürmen deS Krieges so schön, daß viele ihn gar nicht zu denken wagen. In Frankreich wird man heute sogar dafür bestraft, vom Frieden zu sprechen. Und doch — vor wenig Jahren sprach man noch allgemein vom ewigen Friede» als von einer Sache, die durchaus nicht unmöglich erschien. Wie lange ist es her, daß selbst der Exzar Nikolaus U. der Welt die Abrüstung und den ewigen Frieden vor schlug. Am 24. August werden es zwanzig Jahre! Man möchte meinen, die Sehnsucht nach dem ewigen Frieden ist so alt wie der Krieg. In den Phantasien der alten Völker wird von einem goldenen Zeitalter ge schwärmt, das nun r vergangen sei: es war die Zeit des Friedens, der a emeinen Glückseligkeit. Ein so kriege risches Volk wie tue Römer war stolz auf seine p»x ko- mana, den , römischen Frieden", dessen alle Völker inner halb der Grenzen des römischen Weltreichs teilhaftig waren, d. h. alle Rom Untertanen Völker, kaears nannte der Römer es, wenn er ein neues Volk an seinen Grenzen unterwarf; er brachte es zum Frieden, er brachte ihm den Frieden. Zu Rom stand der Janustempel, dessen Pforten geschlossen wurden, wenn einmal im ganzen großen römi schen Reiche und an allen Grenzen Friede herrschte. ES kam selten vor! i Zur christlichen Zeit verkündigten die Bischöfe, zum ersten Male 1031 zu Guyenne, und dann später auf vielen Kirchenversammlungen den „Gottesfrieden", und doch gab es keine blutigere Zeit, die unsere vielleicht ausgenommen. Noch König Heinrich IV. von Frankreich, der den dreißig jährigen Krieg vorausahnte, plante ein Unternehmen, um der Welt de. Frieden für immer zu erhalten. Er, oder vielleicht war es sein Minister Sully, der die Idee zuerst hatte, jedenfalls bestand die Absicht, durch einen Bund der mächtigsten Staaten den Frieden der Welt zu erhalten. Ähnliches hören wir ja jetzt auch noch manchmal. Noch radikaler faßte Napoleon I. die Lösung der Aufgabe an. Der Schlachtenkaiser fand die Beseitigung aller Schwierigkeiten in der Weltmonarchie. Wenn alle Völker sich unter ein Zepter beugten, natürlich unter das feine, wenn es also eigentlich keine Völker mehr gäbe, oder bloß noch eins, was dasselbe wäre, so wäre ja gar kein Anlaß zum Streit mehr. Eine etwas naive Auffassung vom Wesen der Völker batte der Korse. Heute sehen wir gerade ein großes Reich auseinanderfallen, dessen ver schiedene Völker lange unter einer Herrschaft vereint waren; sie sind froh, daß diese Art Friede vorbei ist. Eine der schönsten Schriften für den ewigen Frieden verdanken wir dem großen Philosophen Kant, sie wird jetzt noch von allen Friedensfreunden hochgeschätzt und gern gelesen. Ein anderer bedeutender Philosoph derselben Zeit schrieb damals ein Buch vom gerechten Kriege und hielt die Reden an die deutsche Nation, Fichte. Also auch in dieser Frage sind die Philosophen gespalten. Interessant ist immerhin, was Kant als Vorbedingung für den ewigen Frieden forderte. Jeder Staat sollte entweder eine Republik sein oder eine Volksvertretung haben; wenn die Bürger selbst über Krieg und Frieden beschlössen, so würden sie fich wohl hüten, das Schwert zu ziehen, denn sie müßten ja all das Unheil selbst tragen. Kant also sah die Ursache der Kriege in dem Hader der absoluten Monarchen seiner Zeit, nach dem Wort des alten Virgil: Zanken sich die Könige, haben die Völker es auszubaden! Nun haben wir inzwischen überall Verfassungen bekommen, überall redet das Volk wenigstens mit, und doch tobt der größte Krieg, den je die Erde sah. Freilich könnte may sagen: man hat die Völker nicht befragt, die Einrichtungen sind vielleicht nicht freiheitlich genug — aber das freie Amerika hatte es Die Frau mit den KarhmLeK steinen Moman von E. MaEtL ' Sie hatte sich weggewendet und zog und ordnete an den verschobenen Falten der nächsten Portiere. „Ich weiß mir nichts Lieberes, als mit dem Großpapa zu-j sammen zu sein," antwortete sie, ohne sich umzusehen. „Ader mein kleiner Bruder hat jetzt auch Ansprüche an, mich, und ob der Großpapa sich an das Kind so schnell gewöhnen wird, um es neben mir in seiner Nähe zü dulden, das steht doch sehr in Frage. Ich muß dann meine Zett zwischen ihnen teilen." „Ganz recht," gab er zu. „Und die Sache hat auch noch eine Seite, die beleuchtet sein will. Nichts ist natürlicher, als daß sich die Jugend zur Jugend ge sellt; wir zwei alte Leute — mein guter Papa und ich — können mithin nicht von dir verlangen, daß du dich für uns allein ausopferst. Aber — lasse mit dir handeln — dann und wann ein Mendplauderstünd-- chen, willst du?" Er bemerkte ihren befremdeten Blick. „Ja, es liegt heute noch vieles vor mir," sagte er erklärend: „Zunächst habe ich die Aufgabe, meinem Vater Mit teilung von dem Umschwünge der Verhältnisse in eurer Familie zu machen, und dann" — er zögerte einen Moment, dann fügte er um so rascher hinzu: „Tu bist die erste, die es erfährt, selbst meine Mutter weiß es noch nicht — dann gehe ich nach dem Prinzenhofe zur Verlobung!" Sie wurde schneeweiß über das ganze Gesicht- und ihre Rechte hob sich unwillkürlich nach dem Herzen.' „Tann darf ich dir ja wohl jetzt schon Glück wünschen," stammelte sie tonlos. „Noch nicht, Margarete," wehrte er ab, und auch in seinen Zügen malte sich plötzlich eine tiefe inner« Bewegung; aber er unterdrückte sie rasch. ,Heute abeno, wenn iw naw Damback komme, um von da nach dei Stadt zurückzukehren, sollst du Gelegenheit Haven, „oeu Onkel" glücklich zu sehen." Er winkte mit der Hand nach ihr zurück und ging eiligen Schrittes hinaus. Bald darauf sah sie ihn übe« den Markt reiten. Sie blieb bewegungslos am Fenster stehen. Ditz krampfhaft verschränkten Hände fest aus die Brust gs« drückt, starrte sie in das Stück Himmel hinein, das sich- deute durch einen schmutzig grauen Wolkendunst gei trübt, über den weiten Marktplatz spannte . . . Wohb durchkreiste das Blut in wilder Wallung ihre Aderns upd doch fühlte sie sich tödlich matt, als sei sie mit einem Streich zu Boden gestreckt worden. . . . Ja, dahin war sie gekommen! Vor wenigen Mo-! paten war ihr die Welt noch zu eng gewesen, Himmel-) stürmend in Uebermut, Jugendlust und Freiheitsdrang gatte sie jede Fessel verlacht, und heute herrschte ini dem armseligen bißchen Gehirn ein einziger Gedanke) und ihre arme Seele wand sich kläglich hilflos ans Boden, zur füllen Freude all derer, die gern anj Boden kriechen, die stolze Seelen hassen und vev, folgen. Aber mußte denn die Welt um die Wunden wissen, die ihr in Kops und Herzen brannten? Gingen nicht viele durchs Leben und nahmen Geheimnisse mit ins Grab, um die kein Mitlebender gewußt hatte? — Später kam sie in die Wohnstube herunter und rüstete sich zur Fahrt nach Tambach. Tante Sophit schalt, daß sie den Kaffee stehen lhsse und den Kucheis nicht anrühre, den die zerknirschte Bärbe heute mor gen einzig und allein für sie gebacken hätte; allein dal junge Mädchen hörte kaum, was sie sagte. Sie knüpft« schweigend die Hutbänder unter dem Kinn; dann legt« sie den Arm um Tante Sophiens Hals — und da über kam sie plötzlich der tiefe, sehnsüchtige Wunsch, hier) wie sonst, Zuflucht zu suchen und in das Ohr der Tantt alles zu flüstern, was ihr Inneres durchtobte — abe; nein, das durfte nicht geschehen! Die Tante dürft« nicht den Jammer erleben, sie so unglücklich zu wissen) Und so schloß sie die Lippen fest und bestieg de» Waaen. Draußen, jenseits der Stadt, ließ sie das Glas- senster herunter. Von Süden her kam ein leichte; Wind. Und dort zur Rechten flimmerte es, als lieg« eine Perlenkette in schwach goldigem Glanze zu Fuße« der alten Nußbäume — die ganze Fensterrerhe de! Prinzenhoses war beleuchtet, die Verlobungslerze, brannten ... Der Großpapa empfing > mit freudigem Zu» ruf, und bei dem Laute der >en, rauhen Stimm« raffte sie sich auf und suchte mv^. a)st unbefangen seiner Gruß zu erwidern. Aber der alte Herr war heut» auch ernster als sonst. Zwischen seinen Brauen lag ei» Zug finsteren Grolles. Er rauchte nicht, seine Lieb» lingspseife lehnte kalt in der Ecke, und nachdem di« Enkelin Hut und Mantel abgelegt, nahm er seine Wan derung durchs Zimmer wieder aus. „Ja, gelt, wer hätte das gedacht, Maikäferchen?' ries er plötzlich .vor ihr stehen bleibend. „Ein Narr ein vertrauensseliger Schwachkops ist dein alter Groß» vater gewesen, daß er die Augen nicht besser auf gemacht hat! Nun kommt das wie ein plötzlicher Hagel, schauer aus dem blauen Himmel über einen her, uni man steht da wie in den April geschickt, und mutz die Bescherung hinnehmen und „Ja und Amen" daz» sagen, als wenn man's gar nicht anders erwartet Hütte/ Sie schwieg und sah zu Boden. „Arme Kleine, wie verstört und elend du aussiehsi." sagte er, indem er die Hand auf ihren Scheitel legt« und ihr Gesicht der Lampe zuwendete. „Nun, eir Wunder ist's nicht. Schwerenot noch einmal, das r§ mehr als genug, um einen alten Kerl wie mich außer Rand und Band zu bringen! Und du verbeißt e» und trägst es still und tapfer! . . . Herbert sagt, wi« -ein Mann, ein braver, mutiger Kamerad, habest d« 'neben ihm gekämpft." ' (Fortsetzung folgt)