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Berlin. Neusten Berichten zufolge wird die Einberufung des Landtags auf den 4. November erfolgen. Ein Oberlehrer an einer Berliner Realschule, vr. Lasso«, hatte in dem letzten Schulprogramme der Anstalt einen wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlicht, welcher den Krieg für einen unentbehrlichen Factor der geschichtlichen Entwickelung erklärte. Ein Demokrat, Na- meiM May, dem diese Behauptung nicht behagte, stellte deshalb in der Stadtverordnetenversammlung den Antrag, gegen I)r. Lasson wegen seiner wissenschaftlichen Arbeit eine Disciplinaruntersuchung einzuleiten. Es erging diesem Anträge indeß in der letzten Sitzung der Stadverordneten sehr schlecht und es erhob sich auch nicht eine Stimm? dafür. Zwischen der Postverwaltung des norddeutschen Bundes und der obersten Postbehörde der Vereinigten Staaten von Nordamerika wer den zur Erleichterung des Geldverkehrs Unterhandlungen über die Einführung von Postanweisungen gepflogen. Sollte eine Vereinba rung zu Stande kommen, so hat sich der Bremer Lloyd bereit erklärt die Postanweisungen zu vermitteln und für sichere Beförderung Sorge zu tragen. Die lange Dauer der Ueberschwcmmung im Nheinthale hat die Dämme erweicht und ihren Widerstand gebrochen. Auf Schweizerbo den zählt man 20, auf Lichtenstein und Oesterreich fallen 9 Damm- brüche. Auch der Boden scheint unter den Fundamenten der Häuser seine Tragkraft verloren zu haben. Dir solidesten Häuser senken sich, stehen schief, drohen den Einsturz. Das Stationsgebäude bei Au, wo der ausgetretene Fluh durch einen Bergvorsprung in sein Bett zurückgedrängt wurde, ist sammt der erst dieses Jahr hergestellten Rheinbrücke wcggeschwcmmt. Die größten Häuser stehen bis zum er sten Stock im Wasser, die kleineren bis an die Dachrinne. Gegen Berneck ist eine Seebucht, in welcher mehrere Reisende fast ertranken. Das Dorf Widnan steht bis an die Dächer im Wasser; die Bewoh ner mußten dasselbe auf Flößen und Schiffen verlassen. AuchMont- lingen ist verlassen, wohl für immer. Die Bewohner flüchteten mit dem Vieh auf ein klenes Bcrglein in die dortige Kapelle und fristeten ihr Leben mit zusammcngcschwemmten Kartoffeln und gefallenem Vieh. Die Tardisbrücke bei Ragaz verlor nur ein Fach und ist jetzt wieder fahrbar. So wird hier und da das Unglück sich weniger furchtbar erweise», namentlich in Graubünden, Vals ausgenommen, woher noch keine spcciellen Berichte vorliegen. Dagegen ist das Unglück in Tessin überaus groß, wie der Abgeordnete des Bundesrathcs, Bun despräsident Dubs, versicherte. Die großen Dörfer Giornico und Bodio sind durch Erdschlipfe zerstört und kaum wieder herzustclleu. Die Herstellung der Straßen, Brücken, Wehrungen wird Millionen erfordern, den Schaden an Land und Gebäuden gar nicht gerechnet. Dazu der Jauuuer in vielen Familien über den Tod von nahe 50 Personen, größtentheils Bewohner von Bodio und Giornico, welche meistens im Schlafe überrascht wurden. Auch in Malvaglia und Semion«, Bezirk Blonir, sind je 5 Personen umgekommen. Ein Glück, daß das Jahr so außerordentlich ergiebig war, und die gro ßen Cantone Zürich, Bern, Waadt und Aargau mit ihren kleinen Nachbarn zu geben im Stande sind. Bei der Uebcrschwemmung in St. Gallen wurde ein Mann in Au von dem Wasser in seiner Kammer überrascht und konnte nicht mehr flüchten, sein Hülferuf wurde nicht gehört. Da stellt er zwei Betten aufeinander und legt sich auf das obere, aber das Wasser steigt und hebt das Bett und mit ihm rückt er der Zimmerdecke im mer näher. Er darf sich nicht rühren, sonst stürzt das Bett um und er ist verloren. In dieser Lag« und in der Angst zu ersticken, muß er 30 Stunden ausharren, bis das Wasser sinkt. In Montingen kletterte eine Ziege, als das Wasser den Stall zu füllen begann, auf einer Leiter auf das Dach des Stalles. Der Ortspfarrer bestätigt die buchstäbliche Wahrheit. Innsbruck. Der Kaiser bat zur Linderung der augenblicklichen Noth in den von den Uebcrschwemmungen heimgesuchten Gegenden TyrolS die Summe von 10,000 fl. bewilligt. Der König und die Königin von Württemberg haben sich als gute Nachbarn der Schweiz erwiesen; sie find mit einem Beitrage von 2000 fl. für die Ueberschwemmten allen Württembergern voran- gcgangen. In Kloster - Neuburg in Niederösterreich ist die Rinderpest aus gebrochen. Bayern hat Vorkehrungen gegen Einschleppung bereits getroffen. Frankreich macht in Oesterreich Einkäufe von Schlachtvieh, Pfer den und Leder. Henri Rochefort haucht in seiner Laterne Frau Eugenie in Paris etwas unsanft an. Er fragt, was für ein Weib das sein müsse, das Frau Isabella (in Biarritz) umarme und küsse, die angezogen kam mit ihrem Manne an einem Arm und mit ihrem Liebhaber Marfori am andern Arm. Was Mutter Eugenie dann ihrem Söhnlein ge antwortet habe, wer der Herr mit dein großen Schnurrbart sei, dem die Königin s) freundlich zunickc? Solche kleine frühreife Bursche hät ten oft gar sonderbare Gedanken. Die meisten Pariser Blätter ha"'«« gesagt, daß Malewski als armer Minister gestorben sei. Es ist daher nicht uninteressant, zu er fahren, daß der Mann, den man einen armen Minister nennt, fol gendes besaß: 1) drei Häuser in Paris, von denen er das eine, welches ihm der Kaiser geschenkt, bewohnte; 2) ein Landhaus in St. Germain, das Thiers für diesen Sommer gcmiethet; 3) das Landgut Amphion am Genfer-See in Ober-Savoyen; 4) eine Domaine im Landes-Departement, welche ihm der Kaiser geschenkt und einen Werth von 2 Mill, hat; 5) Orden im Werth von 200,000 Fr. Die Mini ster, welche man in Frankeich nicht arm nennt, müssen wenigstes 20 Mill, besitzen, und man begreift daher, daß die Wittwe des Grafen ans der Staatskasse einen Zuschuß von 20,000 Fr. per Jahr und aus der Privalkasse des Kaisers ein jährliches Gnadengehalt von 30,000 Fr. erhalten wird. Die Nachrichten aus Rußland lauten mit jedem Tage trauriger. Die Ernte ist in vielen Landstrichen ungenügend. Brandstiftung, Raub und Diebstahl kommen überaus häufig vor. In dem Gouver nement Wladimir sind 450,000 Rubel, in Rjäsan 56,000, in Moskau 45,000 Rubel aus Kronscassen gestohlen worden; die allgemeine Mei nung bezeichnet als Thäter Beamte, und es finden zahlreiche Ent lassungen von — Subalternenbeamten statt. — Auf der Messe von Nishni-Nowgerod haben sich falscbe 50-Rubelscheine in solcher Menge gezeigt, daß viele Kaufleute bedeutende Verluste erlitten haben. Was namentlich die Regierung in eine eigenthümliche Lage bringt, ist, daß man in den Staatskassen selbst Massen solcher Papiere vorgefunden hat und nachgewiesen ist, daß dieselben von dort aus in Umlauf gesetzt worden find. Brandbriefe sind auch wieder an der Tagesord nung; ebenso wie im Jahre 1862, wo sie Tag und Stunde des Brandes anzeigten. Aus Smolensk wird berichtet, daß trotz aller Vorsicht und Vigilanz alle Tage Feuersbrünste vorkommen. In ei nem Hause wurde der Braud in einem Tage dreimal gelöscht und dreimal aufs Neue Feuer angelegt, bis es es vollständig nicderge- brannt war. — An diese materiellen Uebel schließt sich der Kampf mit politischen Hindernissen. Die Ausrottung des PolenthumS geht nicht so rasch vorwärts, wie gewünscht wird, ja sie stößt oft auf so hartnäckigen Widerstand, daß alle Strenge wirkungslos bleibt. Die Regierung hat daher eine bedeutende Anzahl Beamte, welche zudem Zwecke der Russificirung nach Polen gesandt waren, wieder zurückbe rufen, um sie durch fähigere zu ersetzen. Wir sind begierig, zu erfah ren, welche neuen Mittel die Missionäre des Russenthums anwenden werden. Die Verfolgung der Deutschen, welche hlshcr nur gegen Lehrer und protestantische Geistliche gerichtet war, erstreckt sich jetzt auch auf Kaufleute und Handwerker, welche alle möglichen Lhikanen von Seiten der Beamten ertragen müssen. Einen wirklich beunruhigen den Charakter nimmt die Bewegung der Ruthenen in der Ukraine an, welche angesichts der Freiheiten, welche die Ruthenen in Galizien genießen, immer mehr von der russischen Regierung verlangen, dic- )ellle jedoch nicht geneigt finden, ihnen zu willfahren. Napoleon braucht sich keine Mühe zu geben, um die Moral aus der spanischen Revolution zu ziehen; seine Franzsscn präscntiren ihm diese Moral auf dem Teller. Wenn man das Haus seines Nachbars brennen sieht, sagen sie, so läßt man aus Vorsicht seinen eigenen Kamin fegen. Der Schornsteinfeger, den Frankreich nölhig hat, heißt — Freiheit. Frau Times in London hat einen bitterbösen republikanischen Anfall. Sie redet den Spaniern kräftig zu, keinen Schitappsackritter zu wählen, „der sein Nest mit einer selten Civilliste ausfüttere", son dern eine Republik zu etablircn. Es gäbe ja ohnehin Keinen, den sich die Spanier zum Könige wünschten, und ebenso Keinen, der würdig wäre, König zu werden. Das souveräne Volk von Spanien verkündigt in einem Athcm religiöse Duldsamkeit und Austreibung der Jesuiten. Die guten Jün ger Loyolas berührt diese Sommerlogik sehr unangenehm, denn sie kostet Ihnen Haus und Hof und Land. Sie fragen entrüstet, woher das Volk diese Logik habe und vernehmen die Antwort: aus dein Leben der Völker; überall konnte die Toleranz erst einziehcn, wo die Jesuiten ausgezogen waren. Es wandern in Folge dieser spanischen Logik so viele Jesuiten über die Grenze, daß die Nachbarstaaten, die aus ihre Portion verzichten, gut thun werden, ihr Hausthor zu schließen. General Prim ist vorläufig der einflußreichste Mann der provi sorischen Regierung in Spanien. Er ist ein schöner ritterlicher Mann in den Fünfzigern, war ein halbes Dutzcndmal wegen Revo- lutionirens zum Tode verurtheilt und sieht aus wie das Leben; er hat einen guten Kopf und Degen und ist Inhaber einer Frau, deren Silberminen in Mexiko ihm jährlich eine Million Franks einbringen. Diese Frau und ihre Million weiß er trefflich zu verwcrthen. Dem Prinzen Napoleon hat er geschrieben, die provisorische Regierung sei über die Besetzung des spanischen Thrones zwar noch nicht schlüs sig, sie werde aber keinen Prinzen wählen, der Europas und nament- Itch Frankreichs Zustimmung nicht finden werde. Der Minisierialerlaß, durch welchen der Jesuitenorden in Spa nien aufgehoben wird, verordnet, daß alle Collcgicn und Institute desselben binnen 3 Tagen geschlossen werden müssen. Der Erzbischof von Valladolid weigert sich die dortige Junta anzuerkenncn, Die revolutionäre Junta hat durch Acclamation sich dafür ent schieden, vorzuschlagen, daß die Colonien in der verfassunggebenden Volksvertretung durch vier Abgeordnete repräsentier werden sollen; sie hat ferner vorgeschlagen, alle von Sclavenmüttern geborene Kin der frei zu erklären, vom 17. Septeinbcr d. I. ab gerechnet. Es bestätigt sich vollkommen, daß die Königin Isabella in den letz ten Jahren die Summe von 900,000 Pfd. Sterling in der englischen Bank hinterlegt hat. Der neue spanische Justiz-Minister hat an die Präsidenten ein Rundschreiben gerichtet, worin er dieselben auffordert streng vorzugehen. Es heißt in demselben: Man muß mit der größ ten Energie jedes Attentat gegen Leben und Eigenthum verfolgen und bestrafen. Die Ehre der Revolution, welche die Ehre des Va terlandes ist, muß sicher gestellt werden.