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„Weil ich mich schämte, Mademoiselle," entgegnete Nanon, „denn leider hat sich Jean-Maria nochmals von den Cottereau's beschwatzen lassen, und das Ende vom Liede war, daß meine arme Schwester ihn wieder auf der Tasche hatte. Jetzt ist er Ziegelbrenner geworden, und ich denke, er wird's noch ganz weit bringen. Und ein guter Arzt ist Monsieur Desborres," schloß Nanon, die sich jetzt ebemowenig genug thun konnte in Lobpreisungen des Doktors, wie vorher in Tadel, „wenn ich je das Fieber bekomme, darf mich kein Anderer anrühren als er; wenn Monsieur Pinot mir Geld dabei geben wollte, möchte ich nicht von ihm behandelt werden." Therese mußte lachen. Die Idee, daß Monsieur Pinot sich darum reißen sollte, das arme alte Weib zu behandeln, war gar zu komisch. „Eins nimmt mich Wunder, Mademoiselle," äußerte Nanon jetzt ernsthaft; „bei der guten Meinung, die Sie von Movsieur Desborres haben, müßten Sie sich längst bei ihm über die Behandlung, die Sie im Neuleaux'schen Hause erfahren, beklagt haben; warum thun Sie's denn nicht? Ich möchte meinen alten Kopf verwetten, daß der Doktor nicht weiß, was man Ihnen alles aufpackt, von den Flicksachen ganz zu geschwcigen." „Nein, ich glaube auch nicht, daß er's weiß," nickte Therese, „aber in der letzten Zeit ist Madame freundlicher gegen mich geworden, und den Flickkorb hat sie mir weg- genommen, was mir eigentlich leid thut; ich hatte gerade oen Entschluß gefaßt, mit mehr Lust und Liebe an die Arbeit zu gehen." „Na," meinte Nanon wegwerfend, „bei Löchern von solchem Umfang, wie ich sie neulich in Madames Strümpfen sah, wäre auch mit Lust und Liebe nichts zu machen. Aber da sind wir ja daheim, Mademoiselle — gute Nacht, und wenn es niorgen nicht regnet, komme ich wie gewöhnlich um drei Uhr." „Gute Nacht, Nanon," sagte Therese freundlich, während sie ins Haus ging. Die Alte blickte der schlanken Gestalt nach, bis die Thür sich hinter ihr schloß, und dann murmelte sie kopfschüttelnd vor sich hin: „Hier ist irgend etwas nicht in Ordnung; Mademoiselles Augen leuchteten ja förmlich, als sie von dem Doktor sprach! Und als ich nach Monsieur de Saint Martin fragte, sah sie mich so sonderbar an. Das weiß ich, wenn der Doktor sich's in den Kopf setzt, Mademoiselle zu heirathen, erreicht er sein Ziel — Monsieur de Saint Martin ist die Taube auf dem Dache, während Monsieur Desborres den Sperling in der Hand bedeutet!" 12. Kapitel. Die nächsteu Wochen verstrichen, ohne daß sich in Charville sonderlich viel ereignet hätte; die Gemahlin des Präfekten war gestorben, eine neue Schauspielergeiellschaft gab Vorstellungen im großen Saal des Nathhauses, und die Garnison in Rouen hatte gewechselt — das waren die Gesprächsstoffe, welche dem Unterhaltungsbedürfniß der Stadt bewohner vollauf genügten. Therese hatte keinerlei Interesse an diesen Ereignissen; sie erledigte ihre täglichen Pflichten in ruhiger, fast heiterer Stimmung, und mitunter hörte man sie ein Liedchen trällern, während sie den Flickkorb, der ihr stillschweigend wieder zu gänglich gemacht worden war, um einen Theil seines Inhalts erleichterte. Es schien ihr, als habe sie vor jener bedeutsamen Unterredung mit dem Doktor im Dunkeln getappt; in dem Licht, welches jetzt ihren Lebensweg erhellte, sah alles weit tröstlicher aus, als sie es sich früher vorgestellt, und so manche kleine Freude, die sie vor Zeiten unbeachtet gelassen, sproß vor ihren jetzt sehend gewordenen Augen auf. Eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft für das junge Mädchen war die bewundernde Liebe und Zärtlichkeit, welche Adolf ihr widmete. Madame wäre am liebsten eifersüchtig geworden, wenn sie es nicht so äußerst bequem gefunden hätte, Therese alle Fürsorge für den Knaben zu überlassen. So saß denn das junge Mädchen Abends am Bett des Knaben und erzählte ihm Märchen und Sagen aus der Bretagne, der Heimath ihrer Mutter; Adolf lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit der sanften Stimme, und wenn er Kranke in Charville gebe. In der bereitete Doktor ist die e gepogter endlich schlafmüde die Augen schloß, war Thereses l „Zujälli das letzte Wort, welches die frischen Kindcrlippen stai^Mnheit d Mitunter erzählte er auch dem Mädchen Geschieht Menen , Kinder Art; „es war einmal ein Niese," begann unweigerlich, aber über diesen Anfang kam er selten Mnpsird, und wenn Oktavia zugegen war, konnte kein ZmH^ Der Dc Kind dazu bewegen, überhaupt von diesem Riesen zu H eien und Der Frühling erschien diesmal ungewöhnlich wirklich, Charville, und die Wärme, die er brachte, war s^lh dem Pr sommerlich zu nennen. Der Doktor war während des -- ein er pre! nur selten mit Therese zusammengctroffen, und wenn es ß^zclne hat hatte seine einfache Herzensgüic der Situation alles Hl wichtig genommen. Als aber jetzt im Frühling die Baulicher Mei schlugen und die Knospen sprangen, da empfand der f^d V mit leiser Trauer, daß diese Verheißungen neuen Lcvst Fg begrabenen Zukunftsträume in seiner Brust mit neuer Hstls sich ang! zu schwellen strebten. Wohl hatte er sich gesagt, dü Mruung einer schlanken, auf seinem Balkon lehnenden und sco's'd da der kehr erwartenden Gestalt könne nun und nimmer Wm.« Leistung« werden, aber das eigensinnige Herz wollte sich nU^'l tzohanw Bescheid nicht zufrieden geben, und es waren harte ^!>eb, auf die der Doktor mit sich selbst bestand. Um so härter r'ster e als er fühlte, daß bei Theresens Jugend, ihrer Veralten, und ihren vagen Zukuiiftsaussichtcn eine erneute Werbung vielleicht nicht ohne Erfolg bleiben würde. dag Und noch eine andere Sorge quälte den treuen r. Bis je war denn dieser Fabian, dessen Rückkunft Therese so zu ve erhoffte, ihrer auch wohl würdig? Es schien dem Dok^!, und d hätte der junge Mann, wenn er auch in Zorn und fest do von dem Oheim geschieden war, Therese mitunter ein -jUimen mü zeichen geben dürfen, er konnte doch das MädcheM.^ge zu Liebe er als köstlichsten Besitz mitgenommen, nicht ez ein haben? Oder war Fabian am Ende gar gestorben? noch n Nculeanx hoffte es im Stillen, aber davon hatte dellte »erst natürltch keine Ahnung. Mekt Jedermann pries den herrlichen Frühling, Jeds^°End mit Ausnahme der Aerzte von Charville. Der Präsi^ Weitei Graf und einige Andere wußten, weshalb die dem b sorgenvolle Mienen zeigten, uno besonders mit EM Desborres waren sie unzufrieden, da dieser jede lüht benutzte, um den Herren zu sagen, was sie doch se^gv^- hören wollten. Erst kürzlich hatte der Doktor dem M ° die rach auseinandergesetzt, die Stadt verdanke es »4ms günstigen Lage in der westgedehnlen Ebene, über üsi Winde frei hinstreichen und die schädlichen Dünste 'm könnten, wenn es einstweilen gottlob noch niehr GeM seiner Ansicht nach, die gesundheitswidrigen Zustän^^^!? Beschreibung; die Kanalisation, für welche die Jahren petitionirt hätten, fehle noch immer; die engck^. der Altstadt mit ihren baufälligen, winkeligen Hais' welchen doppelt so viel Menschen untcrgebracht seinerzeit von den Erbauern beabsichtigt gewesen, bildch stete Brutstätte von Krankheiten aller Art; die MH, sie Wasserspiegel des Flusses gelegenen Keller der E Arbeitern bewohnten Häuschen und Hütten seien st Und chst wasserfrei, und Kloakendünste verpesteten den ganzen daniaH . Daß in diesem Stadttheil das Fieber nie ausging," die s^ h, die Leute, auch ohne daß die Aerzte es ihnen sagb^ Doktor < in diesem Frühjahr hatten die Fieber-Erkrankungs - ist die L epidemischen Charakter angenommen, und selbst wählst Di, wenigen kalten, trockenen Wmtertage waren Fälle vorlE' Anderen welche die Aerzte mit Besorgniß erfüllten. trollst Als heute der Doktor, zufällig unterwegs E 8uli h- Präfekten zusammentnffend, wieder davon sprach, Charvil Fieber in der Stadt überhand nehme, meinte der H gleichmüthig: „Ja nun, Monsieur? Es hat zu alleM Fieber in Charville gegeben, das Fieber ist sozusE Je Wahrzeichen unserer Stadt." , «nd di« „Um so schlimmer, wenn man nichts dagclE Desbor Monsieur." ^büde: „Hm — mit der Zeit wollen wir ja gern umpfe! Monsieur, und inzwischen thäten Sie besser, nicht die Lärmtrommel zu rühren. Sie wissen ja gar 'N ,