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Beilage zu No. 103 Dienstag den 23. December 1884. Die nächste Nummer unseres Blattes erscheint der Weihnachtsfeiertage halber nächsten Sonnabend früh. Inserate für diese Nr. erbitten wir uns bis zweiten Feiertag früh. Viv Lxpeäitiou äes Amtsblattes. Weihnachten. Wie süßer Traum aus längst vergess'nen Tagen, Wie Zauberklang aus ferner Kinderzeit, Von Glocken weithin durch das Land getragen Klingt's tief im Herzen wieder: Weihnachtszeit! Da hören wir die alten süßen Lieder, Und von des Christbaums gold'ger Lichterpracht Wie mit der Engelschaaren Gruß hernieder Senkt sich der Frieden dieser Weihenacht. Da geht durch alle Herzen nah und ferne Ein tiefgeheimes göttlich Liebesweh'n, Als ob die Strahlen von dem Weihnachtssterne, Die Engel, die durch alle Lande gehn, Verbannt des Lebens bitt're Noth und Jammer, Daß mit dem Friedensgruß, der heut' erschallt, Aufleuchtend in die tiefste Herzenskammer Einstrahlt der Liebe Licht mit Allgewalt. Nicht da nur, wo im gold'gen Glanze flittert Der Weihnachtsbaum in reicher Gaben Pracht, Auch da, wo statt des Gold's die Thräne zittert, Auch da erglänzt ein Stern in dunkler Nacht. Und ob ein Herz auch ganz vereinsamt bliebe — Am heut'gen Tage, unterm Tannenbaum, Blitzt in ihm auf ein Strahl der ew'gen Liebe, Umwoben von der Kindheit süßem Traum. Da fühlest Du der Christnacht heil'ges Wehen, Wie's jedes Herz so zaubergleich erfaßt, Und kannst die Freudenbotschaft ganz verstehen, Die, licht verklärend Hütte und Palast, Der ganzen Menschheit heute ist geworden. Dann fühlest Du, was Dich am Glauben hält: Der Weihnachtsstern führt zu des Himmels Pforten Und Dir zum Tempel wird die ganze Welt. Dann drück' an's Herz heut' alle Deine Lieben, Umfass' mit Lieb', was Menschenantlitz trägt; Was Dir Dein Heiland in das Herz geschrieben — Das Wort der Lieb' ist's, das die Welt bewegt. Und ob dem Abend folgt die dunkle Nacht, Du weißt, es muß doch Heller Morgen werden — Dein Christbaum steht in srühlingsgrüner Pracht, Am Sternenhimmel: Friede sei auf Erden! — (Sachs. Vlksf.) Zum heiligen Weihlmchtsfeste. „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!" Welt ging verloren, Christ ward geboren, freue, freue dich, Christen heit!" Dieser uralte und doch ewig neue Weihnachtsgesang tönt wieder von unsern Lippen, aus unsern Herzen, denn das liebe Christfest ist wieder da! Freude und Fröhlichkeit zieht wieder ein in die Häuser und Stuben, in Paläste und Hütten, bei Reich und Arm, bei Hoch und Niedrig. Kerzenflimmer und Lichterglanz leuchtet hinaus in die dunkle Nacht, aus rosigen Kindergesichtern blitzen wie Sterne freude strahlende Augen, und glücklich leuchten der Alten Wangen, wenn das Jubelgcschrei der Kleinen die Stube erfüllt. Ja, fröhliche Weihnachts zeit, du bist die Sonne der Zeiten! Das macht, du bist eine selige, gnadenbringende Zeit. Aus himmlischer Höhe, vom Throne des Höch sten schweben sie nieder auf Erden, die himmlischen Geister, die reinen, die heiligen Wesen, die niemals gesündigt, die allzeit ihr leuchtendes Auge am ewigen Lichte gelabt und geweidet, die dem Dreieinigen treu lich gedient und gehorcht vom Tag ihres Daseins, sie schweben her nieder auf Erden und bringen selige Kunde vom Brunnquell der Gnade und Liebe, selige Botschaft tragen sie abwärts ins dunkle nachtumhüllte Erdenthal, darinnen die Menschen Hausen einander betrügend und nei dend, dieweil sie sich lösten vom Grunde der Liebe. Welt ging ver loren, ach, schrecklich verloren! Der Bruder würgte den Bruder, fre velnd höhnte das Kind den eigenen Vater, grausam legte der Herr dem Sklaven die Fesseln an Hände und Füße, ihn marternd und pla gend, und Sünde folgte auf Sünde; der Sünde aber folgte der Tod auf dem Fuße, der schreckliche, der zarte Bande der Liebe zerriß, nicht achtend der Schmerzen, der Thränen. In diese verlorene Welt ent sandte der gütige milde Erbarmer die himmlischen Boten, zu grüßen verlorene Kinder mit göttlichem Gruß, zu bringen den Ärmsten der Schöpfung die Botschaft, daß Gnade, Erbamen, Erlösung und Freiheit von Sünde und Sterben und Abgrund nun da sei auf Erden, nach langem, Jahrtausende langem Ersehnen und Harren und Hoffen der traurigen Menschheit. Christ der Gesalbte, der ewig bei Gott war, als einiger Sohn, als Schöpfer und Herrscher der Welten, er liegt in der Krippe als Kindlein, in Armuth, in Schwachheit, die Aermsten zu füllen mit himmlischen Reichthum, mit göttlicher Gnade, die Schwa chen zu stärken mit ewigem köstlichem Tröste, die Kranken zu heilen, den Todten zu öffnen das güldne, perlenbesäete Thor za himmlischem Leben in göttlicher Ruhe und Frieden. O heilige Botschaft, so köstlich und herrlich, daß selbst den himmlischen Geistern das Herz vor Freude erbeben und sie im Wechselgesang anstimmen das Lieder: Ehre sei Gott in der Höhe! Wir aber erheben die Herzen zum Heiland und öffnen sie seinem erlösenden Lichte und was unsre Väter vor Alters gesungen, das singen wir wieder aufs Neue: O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren, freue, freue dich, Christenheit! DageSgefchichte. Das Leitmotiv der politischen Betrachtungen der Presse für die abgelaufeue Woche bildete der Montagsbeschluß des Reichstages, die für die neue Directorstelle im Auswärtigen Amte geforderte Summe von 20,000 Mark abzulehnen. Es ist charakteristisch für die Auf fassung, welche dieses die klerikal-freisinnige Mehrheit des Reichstags wieder einmal kennzeichnende Votum zu der öffentlichen Meinung Deutschlands gefunden hat, daß selbst der überwiegende Theil der deutschfreisinnigen Blätter diesen Beschluß mißbilligt und daß auch die Centrumsorgane denselben nur lau und mit allerhand Sophisterei zu vertheidigen wagen. Geradezu beschämend für die deutsche Nation klingen aber die Ürtheile der auswärtigen Presse über diese Angele genheit, namentlich diejenigen der Wiener Blätter und was man in der französischen und englischen Presse hierüber liest, deutet darauf hin, daß den Franzosen und Engländern das Verhalten der augenblicklichen Majorität des deutschen Reichstages gegenüber so wohlbegründeten und eigentlich selbstverständlichen Forderungen der Reichsregierung so zusagen „spanisch" vorkommt. Ob die Coalition Windthorst-Richter- Vollmar unter diesen Umständen Ursache hat, auf ihren neuesten par lamentarischen Triumph über den Fürsten Bismarck stolz zu sein, mag dahingestellt bleiben; vorläufig scheint man auf dieser Seite entschlossen zu fein, die „Politik der Nadelstiche" gegen den leitenden Staatsmann fortzusetzen, denn in der Dienstagssitzung wurden von derselben Ma jorität abermals verschiedene zur Wahrung und Förderung der Interessen Deutschlands in überseeischen Ländern nothwendige Positionen, betreffend die Errichtung von General-Konsulaten in der Kapstadt und in Korea, sowie eines Konsulats und dreier Vizekonsulate in Apia, abgelehnt, resp. erheblich gekürzt. Nur die Forderung für das in Sydney zu errichtende deutsche General-Konsulat fand unverkürzt die Zustimmung des Reichstages. Wogegen jedes menschliche Gefühl sich anfangs sträubte: zu glau ben, daß wirklich Anarchisten den Plan gefaßt hatten, die deutsche Nationalfeier auf dem Niederwalde durch ruchlose Thaten zu einem Tage des Schreckens zu machen, — das ist durch die Leipziger Ver handlung außer allen Zweifel gestellt. Die Angeklagten Rupsch und Küchler, so viel sie auch anführen, um ihre Schuld zu mindern, gestehen doch zu, daß sie gekommen waren, um durch Dynamit den Kaiser und die anderen Fürsten zu tödten. Ob Rupsch im letzten Augenblicke wirklich der Muth verlassen hat, oder ob die Vereitelung des Verbrechens nicht lediglich der Durchnässung der Leitungsschnur zuzufchreiben ist, das mag noch der Aufhellung bedürfen. Die Thal- sache aber steht fest, daß wir mit Rußland eine mordbereite Anarchisten schaar gemein haben. Wäre der entschlossene Reinsdorf nicht durch Krankheit zurückgehalten gewesen, so würden die Rupsch und Küchler, die sich mehr vor ihm als vor den furchtbarsten Verbrechen fürchteten, schwerlich vor deren Ausführung zurückgeschreckt sein. Auch Wiesbaden war zu Frevelthaten ausersehen, es fehlte aber an Geld und Muth. Reinsdorf wollte den Kursaal in die Luft sprengen, aber das Mitleid mit den vielen Frauen und Kindern hat ihn von dieser Idee abgebracht. Der Leipziger Prozeß eröffnet den Blick in einen sittlichen Abgrund, von welchem wir in Deutschland kaum eine Ahnung gehabt haben. Wir müssen uns jedes Pharisäischen Rühmens begeben. In der Schluß verhandlung beantragte der Oberstaatsanwalt Treplin gegen Reinsdorf, Rupsch und Küchler die Todesstrafe, ferner 1b resp. 12 Jahre Zucht haus, Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht, gegen Bachmann 12 Jahre Zuchthaus, gegen Holzhauer 10 Jahre Zuchthaus, gegen Söhngen und Rheinbach je 5 Jahre Zuchthaus, gegen sämmtliche ebenfalls Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht. Bezüglich Töllner's beantragte er Freisprechung. Heute, Montag, findet der Urtheilsspruch statt. Berlin. Die „Post" enthält ein Schreiben des Reichskanzlers, worin er für die zahlreichen Vertrauenskundgebungen anläßlich des Miß trauensvotum des Reichstags dankt. Diese Kundgebungen würden ihn ermuthigen, auszuharren gegen die Parteien, welche die mit schweren Opfern erkämpfte Einheit gefährdeten. In parlamentarischen Kreisen ist viel von der Auflösung des Reichstags die Rede, man spricht sogar davon, daß diese Angelegen heit an maßgebender Stelle bereits ernstlich zur Sprache gekommen sein solle, und soll es nicht an Befürwortern dieser Maßregel gefehlt haben, indessen soll sich der Reichskanzler selbst dagegen erklärt haben und die Besorgniß geäußert, eine wesentliche und entscheidende Aende- rung in der Zusammensetzung des Reichstags sei doch nicht zu erwarten. Jedenfalls scheint im Augenblick der Vorschlag nicht mehr in Erwägung zu stehen. Das schließt aber freilich nicht aus, daß man darauf zu- rückkommt, wenn das Sündenregister der Opposition noch neue Be reicherungen erfahren sollte. Die Niederlage Bismarck's rief in Paris anfangs freudige Ge fühle wach. Neuerdings faßt jedoch ein Theil der Pariser Blätter die Sache von einem anderen Gesichtspunkte auf. So fordert der „Rappel" zu einer europäischen Subvention auf und unterzeichnet 50 Centimes, um die Bismarck verweigerten 20,000 M. aufzubringen, und zwar darum, weil der Rücktritt des Kanzlers zu einem allgemeinen Staaten brande Anlaß geben könnte und man deshalb dafür sorgen müsse, daß er seine 20,000 M. erhalte, welche ihm die deutsche Knickerei versage. Die englischen Anarchisten haben kürzlich den Versuch gemacht, die 1825—31 erbaute sogen. 1-ouävu striäga, bis wohin die Segel-