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Schlusswort 2012. In diesem Jahr blicke ich zurück auf eine 44jährige Zusammenarbeit mit dem Leipziger Synagogalchor. 40 Jahre davon stand ich diesem in seiner Geschichte wohl einzigartigen Ensemble als künst lerischer Leiter und - im Wortsinn - als „Vorsänger" vor; zugegeben - zu Beginn nicht ohne erhebliche Selbstzweifel, dieser diffizilen Aufgabe überhaupt gewachsen zu sein. Es ging ja nicht einfach darum, neben meinem Hauptberuf als Opernsänger mit festem Engagement in Leipzig auch in der knapp bemessenen Freizeit noch „Musik zu machen". Es ging um eine ganz besondere Literatur mit hohem künstlerischen sowie inhaltlichen Anspruch, desWeiteren um die Tatsache, plötzlich als Leitungspersönlichkeit aufzu treten und nicht zuletzt vor allem darum, als Nichtjude die (künstlerische) Nachfol ge eines jüdischen Kantors anzutreten und sich Akzeptanz und Vertrauen vor allem innerhalb der jüdischen Gemeinschaft- national wie international - zu erarbeiten! Werner Sander, Oberkantor der jüdischen Gemeinden in Dresden und Leipzig, hatte 1962 den Leipziger Synagogalchor gegründet, um sich der liturgischen Musik seines Volkes zu widmen und zugleich als Künstler eine wichtige kulturpolitische Botschaft zu entsenden. Nach der Zeit des Nationalsozialismus wollte er beitragen zu einem wieder besseren Verständnis zwi schen Juden und Nichtjuden. Die Schön heit und Harmonie der liturgischen Musik des Judentums in ihrer spezifischen Vortragsweise - aber auch die Hintergrün digkeit, der Charme und der Hauch von Melancholie seiner Folklore sollten das Interesse von Musikfreunden wecken, sie zusammenführen und ins Gespräch brin gen. Wohl auch deshalb setzte sich „sein Chor" von Beginn an aus nichtjüdischen Sängerinnen zusammen und blieb Zeit seines Lebens ein freier Konzertchor ohne Anbindung an den jüdischen Kultus und wohl deshalb wählte mich Sander 1969 auch als Tenorsolist und Vorsänger für die Kantorensoli in seinen Konzerten aus. Seine weit vorausblickenden Zielstel lungen mit diesem Ensemble haben mich von Beginn an zutiefst bewegt und mir letztlich auch die Entscheidung erleichtert, die Leitung dieses Chors 1972 nach seinem plötzlichem Tod zu überneh men. Ich wollte in seinem Sinne und mit seinem Anliegen Weiterarbeiten. Heute blicke ich mit Freude zurück auf 40 Jahre wunderbares gemeinsames Musizie ren auf hohem künstlerischen Niveau mit den etwa 30 Mitgliedern des Ensembles, mit zahlreichen professionellen Solisten und renommierten Orchestern, in denen es tatsächlich gelungen ist, Sanders ursprüngliche Botschaft weiterzutragen. Der Leipziger Synagogalchor hat sich dabei zu einem Ensemble von internatio nalem Rang entwickelt. Dankbar bin ich für die unzähligen, häufig hoch emotionalen Begegnungen mit interessierten Konzertbesuchern in aller Welt, dankbar aber auch für das Vertrau en, das unserem Ensemble noch heute von jüdischen Institutionen ebenso wie von staatlichen und städtischen Behörden entgegengebracht wird.