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BezugS'Prei» ,ür Liivtia »nd x»ok»tt« »und »nkr« L»tqer und tzr>«d»«vn m« -an» qedrachli >»4«»I» d (nur morgen«) »«ertkltidrltch 6 M.. monatlich I M.; Antgad, 0 (morgen« und »dendy viertel, itdrlich 4.5V Pt., monatlich 1.50 M. Durch dl, d,a ,u be,teden: (2 mal täglich) innerdald Teutlchland« und der deutichen «»Ionien mertellähriich 5,25 M., monatlich t.75 M. »usichl. «oft. deftellgew, ü, Oesterreich V U v« ft, Ungarn ft L viertellährluft. Ferner >» rtel. gien, Dänemart, den Donauftaaien. Italien, Luremdurg. fttl^ieriand«, Norwegen. Ruft- iand, Schweden. Schwel» an» kponiem I» all,» ädrigen Staate, nur »tret» durch di« ärveo.». Sl. eedältlich. Ldoanement-Nnnadm«> Vuguftu«pla, dm unseren rrägern. Iiliaien, Spediteure» >u>d Lunahm^iellen, lowte Poftämkern und Brlesteägern. Di» «tnjetn« «tuiumrr toftel tO Mrdaktl», »»» iftrvedllioim J»han»i«g,ll« ft. ttevdon Nr. I46S2. Nr. I46M. Nr. 14M4. Morgen-Ausgabe L. Mip)jger TagMM Handelszeitang. Nutts blatt des Nates und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei» sftr Inserat« »u« iteiv»ig und Umgebung dl« Sgespalten« Petitjeile <ü Pi., ftnangiell« Anzeigen 8i-Pi., ftietlamen IM.; von auswän» 80 Ps., NrNamen »omAutlandSOP!., ftnanz. An,eigen75PI.. Reklamen l^O M. Inserate ». Behörden ir amtlichen Teil <0 Pt. Beilage,«dübr 5 M. v. Tausend »xkl. Poft, gebühr. Gelchäit«onleigen an bevorzugter Stelle im Preise erhäht. Rabatt nach Tari' Fest erteilt« Auitrta« können nicht znrück» gezogen werden. Für da« Erscheinen an brilimmten Tagen und Plätzen wird kein, Äaranti, übernommen. Anzeigen.Annahme, Auquftusplatz 8, b«i sämtlichen Filialen u. allen Annoacen» ltlpeditioaea de« In» und Auilandr«. Hauvt-Sttlalr Verlini <l»rl Dunlk«,. Herzogl. Banr. Hosbuch- handlung, Lützowftratze 10. (Telephon VI, Nr. 46«:). Paupt--iliale Drestenr Seesirase 4, l (Telephon 462l). Nr. 235 Dienstag 25. August 1908. 1V2. Jahrgang. Das wichtigste. * Der Kaiser sandte an die Angehörigen des verstorbenen Bot schafters Freiherrn Speck v. Sternburg herzlich gehaltene Bei leidstelegramme. sS. Dischs. R.> * Der König von Spanien ist gestern in Paris einge troffen. * Die vorgestrige Riesenfeuersbrunst in Stambul hat etwa 30 türkische Stadtviertel gänzlich eingeäschert. Mehrere tausend Familien sind obdachlos. sI. Neues a. a. W! * Die vierte Partie des Schachtwettkampscs Tarrasch-Lasker hat Lasker gewonnen. (S. Letzte Dep.s Kvinz Endung von Bayern als Ttanalpolitiker. Prnrz Ludwig von Bayern, der älteste, jetzt 63jährigc Sohn des Prin-regenten Luitpold, ist eine überaus sympathische Persönlichkeit. Wenn man ibn auch nicht als einen Sohn der neuen Zeit seit 1870 an- sprechen kann, so bat er sich doch von vornherein mit starker Konsequenz auf den Boden der neuen Ordnung gestellt und hat, was für einen Prinzen des gerne etwas srondierenden bayrischen Königshauses doppelt bemerkenswert ist, sich stets bedingungslos auf die Seite von Kaiser und Reich geschlagen. Doch hat er stets die Augen offen gehalten und manch kräftiges Wörtlein zu den Fragen der Zeit ist von ihm gesprochen worden, das, wenn vielleicht auch nicht immer an höchster Stelle, so doch im Bolke einen kräftiacn Nachhall geweckt hat. Bekannt ist die absolute Vorurteilslosigkeit des bayrischen Prirtzen in sozialen und partei politischen Angelegenheiten. Manche Frage ist vom Prinzen Ludwig schon angeregt und vor die breite Oefscntlichkcit gestellt worden, an die „man" nicht gern rühren möchte. So hat der Prinz auch am Sonntag die Gelegenheit benutzt, um bei per Tagung des Deutschen SckulschiffvereinS eine Sache zur Sprache zu bringen, die an erster Stelle für Bayern, dann aber für das ganze Reich von der größten Bedeutung ist, der Anschluß Bayerns an die Rhcin- schiffahrtsstraße. Wohlbegründct ist die Forderung des Prinzen, daß auch Bayern einen Platz am Wasser verlangen könne. Tie einzige bedeutendere Wasser straße Bayerns ist der von 1836—1815 gebaute Ludwigskanal, der eine Ver bindung Donau-Main-Rhcin Herstellen sollte, heute aber gänzlich ver altet ist. Man fordert in Bayern vor allem die Wetterführung der Mainkanalisation, die in ihrem ersten Teil so überaus günstige Erfolge gehabt hat. Hätte Prinz Ludwig sich mit der Forderung der Schifsahrtsverbin- -ung Bayerns mit Frankfurt a. M. begnügt, so hätte er nicht mehr gesagt, als jeder bayrische Bicrbankpolitikcr täglich von sich gibt. Aber was die Weite seines Gesichtspunktes zeigt, ist, daß er den direkten Anschluß Bayerns an Weser und Elbe gefordert hat. „Wenn wir an der Elbe sind, dann haben wir die Verbindung mit dem ganzen Westen des Deut schen Reiches, bis an die russische Grenze", sagte der Prinz. Damit wird zum erstenmal wieder mit fester Hand auf etwas hingedeutct, das die preußische Regierung gerne ganz in der Vergessenheit versunken gesehen hätte, nämlich auf den gescheiterten Mittellandkanal. Von dem westdeutschen Kanalsystem sagt der Prinz sehr richtig, cs sei ein „Sack". Fehlt ihm doch die Verbindung -wischen Hannover und der Elbe. Nach dem Ban des Dortmund—Ems-Kanals 1892—97, der 80 Millionen Mark kostete, brachte die preußische Regierung beim Landtage, nachdem schon 1894 ein neuer Kanalantrag abgelehnt war, 1899 die erste große Kanalvorlage, welche die Rhein—Elbe-Verbindung zur Ausführung bringen wollte. Die Gründe für die Ablehnung dieses Gesetzes sind bekannt: Furcht vor Schädigung der preußischen Staatsbahneneinnahmen, angebliche Begünstigung eines Landcsteils ldes Westens! ans Kosten eines anderen sOstelbiensj und die Furcht der ostelbischen Agrarier vor der Ncberschwemmung mit billigem Ge treide, nannten diese die Kanäle doch geradezu „Einfallstore für aus ländisches Getreide". Aus denselben kleinlichen, engherzigen Gründen scheiterte die -weite preußische Kanalvorlage 1901, bis dann die dritte Vorlage vom April 1904 den Numpfkanal brachte, die Verbindung vom Rhein nach Hannover sKosten etwa 197 Millionen!, den „Großschiff fahrtsweg" Berlin—Stettin l43 Millionen! und Oder-, Warthe- und Weichselkanalisierungcn setwa 50 Millionen). Mit vollem Recht weist Prinz Ludwig wieder darauf hin, daß die Mittcllandkanalsrage keine spezifisch preußische oder gar nur eine Pro- vinzangelegenheit ist, sondern daß sie unter den großen Gesichtspunkten des Gesamtwohls betrachtet werden muß. Zum Nachdenken zwingt auch die Mahnung des Prinzen, die „Mainlinie' zu beseitigen, die in gewisser Weise noch Deutschland in zwei Wirtschaftsgebiete teilt. Ist doch in ganz Süddeutschland allgemein das Verlangen, an das norddeutsche Wasserverkehrssystem angeschlossen zu werden. Wie bei allen wirtschaftlichen Fragen, treten auch hierbei zwischen den einzelnen deutschen Landcstcilen sckwrfc Interessengegensätze zu- tage, die nur auf dem ausgleichenden Dege mit Klugheit und Mäßi- gung vereinigt werden können. Beim letzten preußischen Kanalgeseh wurde u. o. die Klausel an- gehängt, daß spätestens von der Inbetriebsetzung des Rhein—Han nover-Kanals an Schifsahrtsabgaben eingeführt werden soll ten. Sache der preußischen Regierung war es, diese ihr oktroyierte Bedingung de- Mehrheitsparteien, Konservative und Zentrum, in die Wirklichkeit umzusctzen. Welche — auch inter- nationale — Schwierigkeiten hieraus der preußischen Regierung er- wachsen sind, ist. bekannt. Die deutschen Bundesstaaten, die Kanäle brauchen, müsse« für Schifsahrtsabgaben stimmen, wenn sie etwas er reichen wollen. So braucht Bayern vor allem, wie erwähnt, die Linie Offenbach—Aschaffenburg, für Württemberg erscheint die Neckar kanalisation bis Heilbronn oder Eßlingen fast als eine Lebens bedingung. Schwankend ist immer noch Baden, das durch die geplante Kanalisation des Rheins bis Basel den Ruin des blühenden Mann heims befürchtet, das bisher den Stapelplatz eines großen Teils Süd deutschlands für die Nheinschiffahrt bildete. Daß Sachsen nach den bisherigen Entwürfen von den Schifsahrtsabgaben nur Nachteil haben kann, ist oft dargelegt worden. Auch dieser schwierigen Umstände gedenkt Prinz Ludwig in seiner Kanalrede und stellt dabei die hohe Forderung, daß über der Frage der Schifsahrtsabgaben das allgemeine Wohl zu stehen hat. Nicht aus tak- tischen Gründen, wegen verbohrter Ansichten einer zufälligen einseitig wirtschaftlichen Mehrhcitspartei dürfen Projekte unterbleiben, die nicht nur von höchster wirtschaftlicher, sondern auch nationaler Bedeutung sind. In letzter Zeit ist gerade von Norddeutschland nach Bayern und umgekehrt, manch Wort geflogen, das die immer noch bestehende Reser viertheit Bayerns festigt. Auch der Weg von Süddeutschland nach Nor den geht in gewisser Weise durch den Magen. Schaffen wir den Süd- deutschen, speziell den am meisten abgeschlossenen Bayern, die Möglich keit der wirtschaftlichen Mitbenutzung der norddeutschen Verkehrswege, den Anschluß an die Industriegebiete des Westens und die Handels- zentren an der See, so wird es gelingen, nach und nach das häßliche Wort von der „Mainlinie", auf das auch Prinz Ludwig hinwies, ganz zu beseitigen. Möge die Mahnung des Weitblickenden Bayernprinzen nicht so bald verklingen und einen weiteren Schritt bilden zur völligen wirtschaftlichen und kulturellen Einigung Deutschlands. Die erste Ernüchterung. sVon unserem Londoner L.-Korrespondenten.) London, 22. August. Die „Times" sagt heute ganz offen: „Die politischen Dilettanten zu beiden Seiten der Nordsee sollten daran erinnert werden, daß ganz ab seits von den Erfordernissen der Situation die Kompetenz eines eng lischen Ministers ihre Grenzen hat, wenn er lediglich damit beschäftigt ist, seinen privaten Wissensdurst zu stillen. Es muß aber hervorgehoben werden, daß Mr. Lloyd George ohne Schaden für den Gegenstand seiner Studien ein strengeres Inkognito beobachtet haben könnte." Die liberale Presse sagt dem britischen Vermittler — der von den Radikalen schon spöttisch der „Berufsheiland" genannt wird — dieselbe Meinung noch viel deutlicher. Lloyd George hat dem „Times"-Korrcspondentcn erklärt, um keinen Preis möchte er persönlich „zu einer internationalen Komplika tion" beitragen. Und den Berliner Mitarbeiter des offiziösen „Daily Graphic" hat er ersucht, Nachdruck darauf zu legen, daß zwar alle (?! Engländer bereit seien, die „nötigen Fonds" für die Instandhaltung sund wie ist es mit dem Ausbau?! der Flotte zu bewilligen, daß aber noch keinerlei Entscheidung seitens des Kabincttes über die große Anleihe getroffen worden sei, worüber so viel gesagt und geschrieben worden." Unter anderem von Mr. Lloyd George und Mr. Harold Spender, an geblich seinem Privatsckrctär, in Wahrheit aber dem Manager seiner Zeitungsrcttamc. Dieser Mr. Harold Spender ist der Bruder des Chef redakteurs Spender von der liberalen offiziösen „Westminster Gazette", welche zuerst den Lloyd Georgcschen Plan der Riesenanleihe und seine sclbstübernommcnc Mission nach St. Blasien und Berlin, letztere aller dings mit halbem Herzen, verteidigt hatte. Tic sicherlich gut unterrichtete „Westminster" nimmt heute eine gänzliche Frontvcrändcrung vor. Bisher war der Pivot ihrer Be strebungen die vierjährige Bindung der gegenwärtigen Flottenpro gramme. Heute schreibt sic: „Wir haben in den letzten paar Tagen ge sehen, wie das bloße Gerücht l?s einer neuen Eröffnung seitens der Bri tischen Regierung den volkstümlicheren Teil der deutschen Presse zu dem Protest veranlaßt hat, daß man dazu niemals, niemals seine Zu stimmung geben wird. Die Wiederholung solcher Eröffnungen kann unter diesen Umständen zu nichts Gutem führen. Sie magschaden, weil sic das Publikum zu dem Glauben führen könne, daß wir stets wieder probieren und uns stets Abweisungen holen. Der vernünftige Weg besteht darin, mit Höflichkeit zu akzeptieren, was die Deutschen uns über ihre Absichten während der nächsten 4 Jahre zu sagen haben, unsere eigenen Absichten für dieselbe Periode in gleicher Weise klar -u machen, die unfruchtbaren jährlichen Kontroversen über das Marinebudget auf- zugebcn und geduldig an der Verbesserung der allgemeinen Beziehungen der beiden Völker zu arbeiten. Wenn wir uns beide verstehen, so mag eine Besserung auf der Basis der Gegenseitigkeit erzielt werden, sogiar ehe die vier Jahre um sind, aber jedenfalls bleibt bic Hauptsache, für das Ende jener Periode -u arbeiten und den Gang der Ereignisse derart zu regeln, daß wir nicht wieder eine Periode ruinöser Riva lität zu beginnen brauchen." Das klingt schon viel bescheidener und vernünftiger. Die Idee der Repressalien-Anleihe ist fallen gelassen, es wird jetzt offen zugegeben, daß man mit der Idee von der deutschen Flottenvorlage etwas abzuschncidcn, dur<l>gekallen ist. Man sucht nur offenbar noch nach der Form, wie man die Wähler in den Glauben ver sehen kann, in der Flottenpolitik sei so etwas wie eine positive Verstän digung, wenn auch auf lange Sicht, im Gange, wodurch eine große eng lische Flottenvorlage Wegfällen könne. Die nichtoffiziöse, aber parteipolitisch einflußreichste Zeitung, die radikale „Daily News", ist noch viel offenherziger. Um fernere Rüstungen -n beschränken, sind nach ihrer Meinung zwei Wege offen: „Wir können ein großes und bestimmtes Angebot machen, auf Grund dessen die deutsche Regierung einen Teil ihres Programms ohne Scham und ohne Verlust an Selbstachtung für das deutsche Volk aufgeben könnte. Mr könnten die Ausnahme von Privatbesitz zur See vom Beuterecht im Seekriege anbieten. Bisher haben wir das hartnäckig abgeschlagen, im vorigen Jahre im Haag, obwohl die Vereinigten Staaten und Deutschland ebenso wie viele führende Autoritäten des Völkerrechts dies begünstigten. Ohne solche Garantien, die nach unserer Meinung die sicherste Garantie für Frieden und finanzielle Einschränkung darstellen würden, könnten wir auf alle die friedlichen Mittel der Diplomatie, freundschaftliche Besuche, bessere gegenseitige Kenntnis und die Gemeinschaftlichkeit von Handelsintcressen vertrauen, um über die augenblickliche Krise hintucg- zukommen, und hoffen, daß in ein bis -Wei Jahren das Verhältnis der beiden Länder so verändert ist, daß niemand mehr an eine Panik denkt und das Programm gleichgültig wird, ob es ausgeführt wird oder nicht. Fahren wir ohne eine Erhöhung unseres Schissbauprogrammes fort, so ist unsere Position mindestens für die nächsten zwei Jahre vollständig sicher, selbst wenn Deutschland sein Programm bis zum Tz ausführt und in den Häfen, von denen aus cs uns bedrohen könnte, genug Wasser für den neuen Typus seiner Schisse findet. sDie „Daily News" denkt an Emden!) Ohne daß man die „Dreadnoughts" per Stück zählt, haben wir doch eine unvergleichlich bessere strategische Position, da wir quer vor der deutschen Tür liegen. Es ist absurd, die überwältigende Flotte, die wir bereits besitzen, außer Ansatz zu lassen; von bcr wahrscheinlichen Supcriorität unseres Personals nicht zu sprechen. Verlassen wir uns vertrauensvoll hierauf, fallen wir nicht auf die Panik eines Augenblicks herein, lassen wir uns nicht auf das Phantasiegerede von einer großen Anleihe ein, die vor allen Dingen geradezu auf eine Kriegserklärung hinauslaufen würde, eine weitreichende Störung in der Finanzwclt her- vorrufen müßte, unb allem Anscheine nach die Negierung spalten würde." Man kann danach die Episode Lloyd George als ein Inter mezzo der Entente-Bestrebungen betrachten, das insofern einen guten Dienst geleistt hat, als eine Ernüchterung, eine klarere Einschätzung der englischen und der deutschen Positionen eingctreten hat. Nunmehr be- ginnen die verantwortlichen Leiter der auswärtigen Politik im britischen Kabinett ihre schwierige Versöhnungsarbeit auf einem deutlich vorge zeichneten Weg! Es ist der Weg der gegenseitigen Zugeständnisse in bcr europäischen Politik. Das Ende des Sultans. Aus Marokko ist eine überraschende und für die internationale Politik höchst wichtige Meldung eingctrofscn. Die Mahalla des Sultans Abdul Aziz ist vor Marrakesch von den Anhängern des GegcnsnltanS vernichtet worden. Ob Abdul Aziz sich auf der Flucht befindet oder ob er gefangen ist, steht noch nicht fest. Tatsache ist dagegen, daß der Sul tan mit diesem Schlage völlig zu Boden geschmettert ist. Bis zum letzten Augenblick hieß es, Abdul Aziz werde bald einen Beweis seiner strate gischen Begabung liefern, und Frankreich hielt noch immer an seinem Schützling fest. Offiziell wenigstens; daß die französischen Agenten zwei Eisen im Feuer gehabt haben und daß Beziehungen auch zwischen dem Gegensultan und der französischen Negierung angeknüpft worden waren, ist mehr als wahrscheinlich. Jetzt indessen meldet auch das offiziöse französische Telegraphenburcau, daß die Niederlage des Sultans durch Depeschen bestätigt sei und daß der Sultan sich mit dem Rest seiner Truppen in der Richtung nach dem Tadlagebiet zurückgezogen habe. ES ist keine Frage, daß Muley Hafid jetzt Herr der Lage ist und daß mit diesem seinem Siege eine neue Epoche beginnt. Deutschland hat keinen Grund, schadenfroh zu applaudieren, denn wir dürfen nicht vergessen, daß ursprünglich Abdul Aziz unser Schützling war, bevor er sich in seiner Angst den Machthabern der französischen Republik in die Arme warf. Der Kaiser hatte bei seinem Besuch in Tanger betont, daß die Unabhängigkeit des Sultans und die Integrität des Landes in jedem Falle erhalten werden müßten. Er hatte den Sultan durch dessen greisen Oheim Abd el Malek vor überstürzten Reformen ge warnt und ihn seiner Unterstützung versichert. Fürst Bülow selbst sagte am 25.Juni 1905 zu dem französischen Botschafter: „Der Deutsche Kaiser hat sich dem Sultan verpflichtet und kann ihn deshalb nicht im Stich lassen; doch die Zukunft gehört dem, der zu warten versteht." In diesen nicht gerade sehr vorsichtigen Worten ist unwiderleglich sestgestcllt, daß Abdul Aziz als der Schützling des Deutschen Kaisers betrachtet werden mußte. Wenn unsere Offiziösen später die Auslegung versucht haben, eS habe sich nicht gerade um den jeweiligen Sultan, sondern um den Sultan an und für sich gehandelt, und der Kaiser habe keineswegs Abdul Aziz speziell seiner Hilfe versichern wollen, so ist diese Interpretation doch sehr künstlich und sie läßt der Willkür Dür und Tor offen. Wir können ganz getrost bekennen, daß wir später eingcscben haben, daß es ein Mißgriff sein würde, diesen Sultan, der keine Bedeutung hatte und seinem Bolke verhaßt war, an der Herrschaft erhalten zu wollen. Wir haben also keinen Grund, seinen Zusammenbruch zu beklagen, brauchen uns aber auch nicht über die gescheiterten Hoffnungen der Franzosen lustig zu machen, denn der Spieß könnte nur zu leicht gegen uns umge dreht werden. Daß die Hoffnungen der chauvinistischen Parteien in Frankreich ge scheitert sind, das darf man wohl annchmcn. Es ist jetzt nicht der geringste Grund mehr vorhanden, Muley Hasid nicht anzuerkennen und die Besetzung des Landes aufrechtzuerhalten. Muley Hafid ist ein kluger und energischer Mann, der auch politisches Augenmaß besitzt und durchaus nicht fremdenfeindlich austritt. Tic Beruhigung dcä Landes, die Frankreich angeblich so heiß ersehnt, wird sich in demselben Augen blick einstellen, indem die französischen Truppen zurückgezogen werden und in dem die Mächte sich entschließen, den Marokkanern die Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten zu überlassen. Tas kann sehr gut ge- schchen, denn wir Haben ja ein Präzedenz an den jüngsten Vorgängen in der Türkei und an der Haltung der Diplomatie gegenüber diesen Ereig nissen. Die Mächte haben erklärt, daß sie es sich zwar Vorbehalten, ihre Reformaktion in bezug auf die Türkei wieder auszunehmen, daß sic sich aber vorderhand jedes Eingriffs enthalten und der Neuordnung der Dinge eine gewisse Schonzeit gewähren würden. Die Verhältnisse in Marokko liegen scheinbar anders, im wesentlichen aber doch ähnlich. Tic Persönlichkeit Muley Hafids gibt eine Bürgschaft dafür, daß Ruhe und Ordnung sehr bald wiederhergestellt sein werden, wenn die europäische Intervention aufhört, und man sollte dem neuen Herrn zunächst einmal Zeit lassen, zu zeigen, was er vermag. Jedenfalls ist dies die letzte Gelegenheit, bei welcher Frankreich beweisen kann, daß es eine ehrliche Politik treibt. Es kann sich jetzt zurückzicben, ohne einen erheblichen Verlust an Prestige befürchten zu müssen. Wenn die französische Regie rung auch jetzt noch im Lande bleibt und ihre dürftig verschleierte Offen sive fortsctzt, so weiß Europa, woran es ist, und dann kann die Phrase nicht mehr ausposaunt werden, daß Frankreich sich im Rahmen der Algecirasakte halte. Es ist dann sestgestcllt, daß es das Protektorat über Marokko mit allen Mitteln und um jeden Preis erstrebt. Mit dieser Feststellung wäre eine neue, keineswegs unbedenkliche diplomatische Situation gegeben. Die Herren Elemenccau und Picbon werden sich hoffentlich der Verantwortung bewußt sein, die sic durch ihre Entschlüsse auf sich laden müssen. Deutscher Reich. Leipzig. 25 August. * Eine sozialdemokratische Interpellation In der „Leipziger Volks zeitung" findet sich folgender Aufruf: „An die Parteigenossen Sachsens! Zur Begründung einer Interpellation im Landtage, die Handhabung des neuen ReichSvereinSgesetzeS durch die sächsischen Behörden be treffend, bedarf ich noch weiteren Materials. Ich bitte die sächsischen Parteigenossen, darauf bezughabendes Material an meine Adresse, Zwickau, Elsässer Straße 68, bis zum 20. September d. I. gelangen zu lassen, (gez.) Hermann Goldstein, Mitglied der Zweiten Kammer." * * TaS kaiscrpaar in WilhelmshShe. Sonntag abend besuchten die Majestäten daS Thealre pare im Königlichen Thea er zu Kassel; gegeben wurde UhlandS „Ludwig der Bayer". Gestern vormittag machte der Kaiser einen Spaziergant im HabichtSwald und hörte später den Bor trag des Ebefs des ZivilkabinettS. Zur Frühstückstasel war Botschafter Graf Wolff-Metternich geladen. * Freiherr Tpeck von 2ternh»ra s. Auf die Nachricht vom Ab leben deS Botschafters bat der Kaiser der Witwe daS nachstehende Kon dolen ztelegramnr zugehcn lasten: „Tief erschüttert durch die unerwartete Nachricht von dem Hemrgan.r IbreS Mannes spreche ich Ihnen innigste Teilnahme und herzlichstes Beileiv auS. Ich verliere in dem Entschlafenen einen bewährten Freund und ausgezeichneten Diplomat««, der mir und seinem Baterlande wertvolle Dienste geleistet hat und