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13. Oktober 1909. J^achstudie zur Gayleyschen Windtrocknung. Stahl und Eisen. 1607 Der Gedanke, die Gebläseluft für den Hoch ofen auszufrieren, ist nicht neu, und schon vor der Einführung der Winderhitzung sind dies bezügliche Versuche ausgeführt worden. So er wähnt Ledebur,* daß Neilsons Vorschlag, den für den Hochofenbetrieb bestimmten Wind vor zuwärmen, bei den Fachleuten lebhaften Wider spruch fand. . . Man hatte längst beobachtet, daß der Gang der Hochöfen im Winter durchschnittlich günstiger war als im Sommer, und man schrieb diesen Umstand unmittelbar der niedrigen Tempe ratur des Windes zu. Absichtlich kühlte man bisweilen den Wind im Sommer, indem man ihn über kaltes Wasser leitete oder die Leitungs röhren mit Eis umgab. 1828 nahm Neilson ein Patent auf die Erhitzung des Windes für Schmiedefeuer und Schmelzöfen; nachdem ein von ihm bei einem Hochofen der Clyde-Eisen werke angestellter vorläufiger Versuch erfolg verheißend gewesen war, wurde 1829 der erste Winderhitzer für dauernden Betrieb auf dem selben Werke eingeführt. Trotz der Unvoll kommenheit der ersten Anlage, welche nur eine Erwärmung auf 100° C ermöglichte, war doch der Erfolg überraschend befriedigend; der Brenn stoffverbrauch für Darstellung gleicher Mengen Roheisen verringerte sich, und die Erzeugungs fähigkeit des Hochofens stieg.“ Sonderbarerweise wurde also, wie heute, so vor 80 Jahren die Winderhitzung und Windkühlung gleichmäßig verkannt und gegeneinander ins Feld geführt, während die Ergebnisse der Vor versuche beider Verbesserungen genau überein stimmen. Wie nun die Praxis allein über den Wert der Winderhitzung entschieden hat, ohne daß seither die graue Theorie hierfür eine allge mein gültige Bewertungsformel aufstellen konnte, ebenso wird die Betriebserfahrung allein die Wirtschaftlichkeit der Windtrocknung endgültig erschließen, ohne daß die Wissenschaft über die obigen Vergleichsrechnungen hinaus die Wärme ökonomie der wasserfreien Gebläseluft erklären kann, denn sowohl die Windtrocknung als die Winderhitzung bleiben relative Werte, die für jeden Betrieb und jede Roheisensorte wechselnde Bedeutung erlangen. Eins ist sicher: ihre Koksersparnis steht nicht in direktem Verhältnis zu dem veränderten pyrometrischen oder kalorimetrischenWärmeffekte, somit mußten alle auf diesem Irrtum aufgebauten Bewertungsexempel zu einer falschen Beurteilung der Windtrocknung und unbegründeten Vorurteilen führen, die der raschen Erkenntnis und völligen Entwicklung der ebenso kostspieligen, wie be deutungsvollen Neuerung nicht förderlich waren. * Siehe Ledebur: „Eisenhüttenkunde", 5. Aufl., 1906 Bd. II S. 111. Indes haben einige englische und amerika nische Werke Gefrieranlagen zur Vortrocknung des Gebläsewindes errichtet und ähnliche Vor teile wie Gayley erzielt. Die erste Windtrock nung auf den Isabellahochöfen ergab 22°/0 Produktionssteigerung bei 20°/# Koksersparnis, welche zum Teil auf die um 66° höhere Wind erhitzung zu setzen sind. Demzufolge stimmen die ersten Ermittlungen Gayleys mit jenen in England gemachten Er fahrungen hinlänglich überein, wo 26,4° Pro duktionssteigerung mit 13,4 ’/o Koksersparnis, bezw. 14,1 °/o Produktionssteigerung mit 18,4°/° Koksersparnis betriebsmäßig festgestellt sind.* Obige Vergleichsrechnungen erbringen nicht nur einen Beweis für die Wahrscheinlichkeit der Gayleyschen Erfolge; vielmehr erwecken sie das feste Vertrauen, daß der Betrieb mit trocke nem Gebläsewind außerdem die metallurgischen Reaktionen im Hochofen begünstigt, den Betrieb erleichtert und qualitativ sowohl als quantitativ um so leistungsfähiger gestaltet, je heißeren Gang die Eisensorte verlangt. Nicht minder erfreulich wäre es, wenn, gemäß den bisherigen Urteilen, die Entschweflung des Roheisens ge hoben, die sehr schädliche Wasserstoffokklusion verhindert und eine Verminderung des Kalkgehalts der Schlacke, also deren Strengflüssigkeit zulässig würde. Ueber diese und ähnliche chemische Ver änderungen der Verhüttung im Betriebe mit trockener Luft ist es bis heute nicht möglich ein abschließendes Urteil zu fällen; jedenfalls werden, ebenso wie die thermischen, auch die chemisch-metallurgischen Vorgänge der Eisendar stellung in um so höherem Maße begünstigt, je wasserfreier die Luft eingeblasen wird. Aus diesen Zeilen geht klar hervor, daß die in „Stahl und Eisen“ 1909 S. 283 abermals wiederholten Anfechtungen der Gayleyschen Be triebsdaten nicht gerechtfertigt sind. Wenn auch die gewünschte wissenschaftliche Begrün dung der Gayleyschen Erfolge nicht in vollem Umfange zu erbringen ist, so beweisen diese Er örterungen immerhin, daß eine wissenschaftliche Widerlegung derselben völlig ausgeschlossen ist, daß Gayley die Grenzen der Möglichkeit nicht überschritten hat, und seine Erfolge nicht nur auf die teilweise Wasserentfernung aus der Ge bläseluft, sondern auch auf die gesteigerte Wind erhitzung, zum Teil auch auf erhöhte Gleich mäßigkeit und sorgfältigere Leitung zurückzu führen sind. Mit der Vortrocknung der Luft auf etwa 4 g Wasser im Kubikmeter fällt nicht nur eine höhere, sondern auch eine bedeutend gleichmäßigere Wärmeerzeugung und -Intensität zusammen, und es wird unmöglich, zu entschei den, welches das wirksamste Moment ist: die Wärmekonzentration oder die erhöhte Gleich mäßigkeit in der Bildungszone? * „Stahl und Eisen“ 1909 S. 291.